Judith Arendt | Unschuldslamm
Ruth Holländer kann sich nicht beklagen: Die Scheidung ist durch, der Sohn aus dem Haus, und die 16-jährige Tochter pubertiert fast nicht mehr. Auch Ruths französisches Bistro läuft erfreulich gut. Aber dann kommt ein Bescheid vom Amtsgericht: Zu ihrem Entsetzen wird Ruth zur Schöffin berufen. Sie muss in einem Mordfall beisitzen. Schon bald hegt sie Zweifel an der Schuld des Hauptangeklagten: Hat der junge Mann wirklich seine Schwester getötet? Ruth beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Und schon nach den ersten Fragen im Umfeld des vermeintlichen Mörders wird ihr klar, dass sie mitten im gefährlichsten Abenteuer ihres Lebens gelandet ist …
Ruth Holländer, Inhaberin eines Bistros in Berlin und neu berufen zur Schöffin, hat es in ihrem ersten Prozess laut Anklageschrift mit einem Ehrenmord zu tun. Angeklagt ist Aras Demizgül, ein junger Kurde; er wird verdächtigt, seine Schwester Derya wegen ihrer „westlichen Lebensart“ und weil sie einen deutschen Freund hatte, bestialisch ermordet zu haben.
Während der Verhandlung kommen Ruth jedoch Zweifel. Aufgrund des Verhaltens der Eltern des Beklagten und auch dessen eigenem ist sie nicht davon überzeugt, dass die Familie so streng religiös eingestellt ist, dass sich die Tat damit erklären lässt. Darin wird sie auch dadurch bestätigt, dass bei der Befragung des deutschen Freundes des Opfers, Valentin, keine negativen Emotionen gegenüber dem Beschuldigten sichtbar werden – ganz im Gegenteil, die Begrüßung der beiden jungen Männer fällt ausgesprochen freundschaftlich aus.
Bei der Zeugenbefragung gibt Valentin an, dass er zwar am Tatabend mit einer Gruppe von Freunden, zu denen auch Derya gehörte, zusammen war. Allerdings behauptet er, dass er Derya nicht mit zu sich nach Hause genommen, sondern nur bis zum Bahnhof gebracht hat und dann selbst nach Hause gefahren ist. Hierin stimmt seine Aussage mit der seiner Mutter, die vorab befragt worden war, überein. Diese hatte berichtet, dass ihr Sohn am Tatabend um 23.40 Uhr alleine mit dem Fahrrad nach Hause gekommen war.
Der Anwalt des Beschuldigten äußert jedoch Zweifel, insbesondere, da zwischen dem von Valentin genannten Zeitpunkt, an dem er Derya zurückgelassen haben will, und der festgestellten Tatzeit mehr als zwei Stunden liegen. Bei der weiteren Befragung – bei der Ruth das Gefühl hat, dass der Anwalt noch eine Information in der Hinterhand hat und sich darüber ärgert, dass dieser die Befragung anscheinend absichtlich in die Länge zieht – lässt dieser endlich die Bombe platzen. Mit einem genüsslichen Grinsen fragt er Valentin, ob er gewusst habe, dass Derya verlobt war.
Somit hat nun auch Valentin ein Motiv, allerdings laut Ruths Einschätzung aufgrund der Traurigkeit, die Valentin während seiner Befragung spüren ließ, kein sehr überzeugendes.
Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass keiner der beiden jungen Männer der Täter sein konnte und dass es anscheinend noch einiges gab, was in den Ermittlungen nicht bekannt oder genügend beachtet worden war.
Schnell stellt sich heraus, dass sie recht hat – Valentin gibt plötzlich zu, dass nicht nur er, sondern auch seine Mutter, die von seiner Freundschaft zu Derya nicht sehr begeistert war, eine Falschaussage abgelegt habe. Derya war am Tatabend tatsächlich noch bei ihm in der Wohnung, allerdings hatte seine Mutter etwas dagegen und sorgte dafür, dass Derya letztendlich alleine zum Bahnhof aufbrechen musste.
Besonders spannend wird es noch, als sich herausstellt, das Valentins Mutter ihr noch hinterher gefahren ist – was wollte sie von Derya? Zusätzlich kommt es auch noch zu der Aussage eines Zeugen, der zur Tatzeit einen jungen Mann am Tatort gesehen hat, der – obwohl nicht mit hundertprozentiger Sicherheit – aussah wie der Beschuldigte. Somit ist die Beweislage wieder in etwa am Ausgangspunkt – Ruth bleibt jedoch nach wie vor skeptisch.
Die in die Handlung eingestreute Nebenhandlung – eine Reise in die Heimat der Eltern und die dortigen Ereignisse – weisen zwar anscheinend bereits einen Weg zur Erkenntnis des wahren Geschehens, nehmen dem Ganzen jedoch nicht die Spannung.
Auch die Schilderungen aus Ruths Privatleben sind lebendig und humorvoll, fast möchte man sie und ihre Familie mal selbst kennen lernen und Gast in ihrem Bistro sein! Insgesamt ist »Unschuldslamm« von Judith Arendt gut gemacht und man bekommt Lust auf weitere Bücher über die Fälle der Schöffin Ruth Holländer.
Rezension von Monika Röhrig.
Unschuldslamm | Erschienen am 4. Januar 2014 bei Ullstein
320 Seiten | 9,99 Euro
Leseprobe
Anmerkung: Der zweite Fall für Schöffin Ruth Holländer – Sündenbock – erscheint voraussichtlich am 6. März 2015, ebenfalls bei Ullstein.
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