Inge Löhnig | Deiner Seele Grab

Inge Löhnig | Deiner Seele Grab

»Der Dämon in dir wird siegen. Deine dunkle Seite. Das Böse. Das Teuflische. Alle Demütigungen, Verletzungen, Ungerechtigkeiten, die du erleiden musstest, formen dich. Zu dem, was du sein wirst. Sie machen dich dazu.«

Wer ist der Samariter, der in München alte Menschen von ihren Leiden erlöst? Ein verblendeter Erlöser, der glaubt, Gutes zu tun? Oder ein eiskalter Killer? Was hat es mit der geheimnisvollen Elena auf sich, die nur ein Ziel kennt: Rache! Sind der Samariter und sie ein Team? Plötzlich ist sie verschwunden.

Als Kommissar Konstantin Dühnfort schließlich begreift, worum es wirklich geht, ist es beinahe zu spät …

Es gibt nichts zu lachen in diesem Roman. Inge Löhnig verschont uns erfreulicherweise mit den heute auch in Krimis so beliebten komödiantischen Einfällen, ihr Verzicht auf Witzchen und Mätzchen, auf müde Kalauer und fade Wortspiele tut dem Buch gut. Und kommt natürlich dem Thema entgegen, denn es geht um Pflegenotstand und Sterbehilfe, um unwürdige, unerträgliche Zustände in Heimen und Kliniken und um Vereinsamung und Vernachlässigung von Senioren.

Vor diesem Hintergrund taucht ein selbsternannter Samariter auf, der Morde an alten Menschen inszeniert um mediale Aufmerksamkeit zu erzielen und eben diesen Umgang mit den Alten anzuklagen. Aber ist das wirklich sein Motiv? Kommissar Konstantin „Tino“ Dühnfort muss in seinem schon sechsten Fall, der wahrlich an die Nieren geht, nicht nur diese Morde aufklären, er muss sich auch noch gegen falsche Anschuldigungen wehren, weil ein missgünstiger Kollege eine üble Intrige gegen ihn spinnt. Beides gelingt letztlich, auch mit Hilfe seiner früheren Kollegin Gina, die inzwischen alte Fälle neu aufrollt und mit der er zusammen wohnt und irgendwann eine Familie gründen will. Der Umgang der beiden miteinander, ihr idyllisches Zusammensein im trauten Heim bietet Momente der Zärtlichkeit, eine rührend, fast kitschig gemalte Liebe.

Anders die Lektorin Clara Lenz, die ihren alten Vater liebevoll pflegt, bis er Opfer des „Samariters“ wird. In Ihrer Familie, unter Ex-Mann, unter Bruder und Schwester, zwischen Schwägern und Schwägerinnen regieren Neid, Gier, Misstrauen – und Rivalität, die sich zu blankem Hass steigert.

Und dann ist da noch die Geschichte von Anjela, alias Elena, alias Olia. Ist die Putzfrau nur Zeugin oder etwa doch an den Mordtaten beteiligt? Offenbar hat sie Furchtbares durchgemacht und deshalb ungeheure Rachegefühle entwickelt. Sie durchleidet im Verlauf der Geschichte weitere schlimme Schicksalsschläge, mit ihrer Figur kommt rasantes Tempo in die Erzählung, erleben wir sogar Actionszenen. Ein weiterer Erzählstrang wirft ein interessantes Licht auf die privaten Probleme von Kirsten, einer Kollegin Dühnforts, die sich mit einer pubertierenden Tochter und vor allem mit ihren heimtückischen Schwiegereltern herumschlägt. Wir leiden mit der genervten Mutter und haben doch auch Verständnis für ihre nervenden Tochter, und wir bedauern ihren Kleinkrieg mit den unkontrollierbaren Gefühlsausbrüchen.

Es geht also in diesen Randgeschichten, die alle sehr dicht mit dem Hauptgeschehen verwoben sind, auch um die ganz großen Gefühle. Wir erleben Trauer und Verzweifelung, tiefe Betroffenheit und grenzenlose Wut, aber auch Liebe und Leidenschaft. Das vielschichtige Personal, das diese Tragödien darstellt, hat einige sehr starke Charaktere, die wechselseitig kurz in den Vordergrund treten, um dann wieder dem nächsten Hauptdarsteller die Bühne zu überlassen.

Eine Menge Stoff, der hervorragend verarbeitet wird: Die Geschichte ist ausgesprochen klug konstruiert. An den richtigen Stellen gewähren ein paar wenige kurze Rückblenden einen Blick auf entscheidende Vorgeschichten, ansonsten erzählt die Autorin zügig, immer in knappen, prägnanten Sätzen, treibt das Geschehen ohne große Umschweife stetig voran und hält die Spannung jederzeit aufrecht. Die Schauplätze wechseln oft, aber absolut folgerichtig und setzen immer dann die Personen in Szene, von denen man gerade wissen will und muss, wie es mit ihnen und ihrem Schicksal weitergeht. Alles ist sehr plausibel, und doch glaubt der Leser oft, dass alles ganz anders sein müsste. Aber auch die Vermutungen der Ermittler einer rasch gebildeten Soko gehen immer wieder von der einen in die andere Richtung, Theorien werden entwickelt und wieder verworfen, die Untersuchungen drehen sich im Kreis. Als Leser ist man dabei immer auf dem Laufenden, wird genauestens in die Polizeiarbeit einbezogen und kennt die Ahnungen der Kriminalisten, weiß, welche Vermutungen sich bestätigen oder auch als falsch herausstellen, sodass die Spurensuche wieder von Vorn beginnen muss.  So müssen die Fakten ständig neu bewertet werden, manche stellen sich gar als falsch heraus.

Neben dieser Polizei-Routine, die sachlich, solide, beinahe bieder beschrieben wird, wie in einem Drehbuch für einen Tatort-Krimi, gibt es immer wieder Reflexionen über das Altern und Sterben, spüren wir Verbitterung und Zorn über den Umgang mit alten Menschen. Das sind bedrückende, pessimistische, deprimierende Momente, die zu dem grüblerischen, melancholischen und gleichwohl empathischen Dühnfort passen. Gut, dass er mit Gina eine Partnerin an der Seite hat, die das Leben mit Leichtigkeit und Humor nimmt.

Die beiden Figuren sind ja schon gut eingeführt in den Vorgänger-Romanen mit Kommissar Dühnfort, so kann die Autorin auf Vertrautes aufbauen und schon Bekanntes weiter entwickeln. Das lässt Ihr Raum und Zeit, sich intensiv mit den übrigen Personen zu beschäftigen, sie genau zu studieren und zu zeichnen, ihr Handeln zu ergründen und die Ursachen ihres oft extremen Verhaltens zu erforschen. Inge Löhnig macht das sehr gekonnt und bei allem angemessenen Tiefgang mit einer gewissen Leichtigkeit. So ist es ihr gelungen, auch ein sehr schwieriges Thema ausgesprochen unterhaltsam und sehr gut lesbar zu präsentieren.

Dafür von mir viereinhalb von fünf Sternen.

 

Rezension von Kurt.

 

Inge Löhnig | Deiner Seele GrabDeiner Seele Grab | Erschienen am 10. März 2013 bei List
496 Seiten | 9,99 Euro
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