Don Winslow | City Of Dreams (Band 2)
Er ist auf den Knien, hat eine Pistole am Kopf. Die anderen sind an Händen und Füßen gefesselt, blicken ihn flehend und in Todesangst an. In der Wüste ist es bei Tagesanbruch kalt, und Danny kniet zitternd im Sand, während die Sonne aufgeht und der Mond zur bloßen Erinnerung verblasst. … Ein stechender Geruch durchdringt die frische, klare Luft. Benzin. Dann hört Danny: „Erst siehst du zu, wie sie bei lebendigem Leib verbrennen. Danach bist du selbst dran.“ (Auszug S.12)
Mit „City of Dreams“ geht Bestsellerautor Don Winslow in seiner auf drei Bänden angelegten, letzten großen Trilogie in die zweite Runde. Und knüpft genau am Ende des ersten Teils an, als sich der irisch-amerikanische Mafiosi Danny Ryan nach dem missglückten Coup in Rhode Island mit seiner restlichen Ostküsten-Gang, seinem an zunehmender Demenz leidenden Vater Marty und dem kleinen Sohn Ian auf der Flucht Richtung Kalifornien befindet. Um nach dem Krebstod seiner Frau endlich Schluss zu machen mit dem organisierten Bandenkrieg zwischen den Italienern und Iren hatte Danny die erbeuteten Drogen im Meer versenkt. In San Diego angekommen, will man erst mal untertauchen und unter dem Radar bleiben. Doch Danny kann seiner kriminellen Vergangenheit nicht entfliehen, Gegenspieler Peter Moretti sinnt in Providence auf Rache, Gangster sowie die Polizei sind hinter ihnen her und auch das FBI lässt nicht locker. Ein letzter Coup gegen einen mexikanischen Drogenchef soll das Geld für einen Neuanfang liefern.
Verfilmung in Hollywood
Unauffällig bleiben ist gar nicht so einfach, als man in Hollywood damit beginnt, einen Film über die Ostküsten-Mafia und die realen Ereignisse in Dogtown zu drehen. Als sich zwei Mitglieder von Dannys Truppe, ausgerechnet die als „Messdiener“ bekannten Kevin Coombs und Sean South als Berater beim Filmdreh verdingen, gerät einiges aus den Fugen. Danny, der sich derweil bei seiner Mutter Madeleine in Las Vegas versteckt, sieht sich gezwungen, am Set von „Providence“ aufzutauchen um den immer gieriger werdenden Mobstern auf die Finger zu klopfen.
„Was ist mit Danny Ryan?“ „Ach ja, sagt Kevin. „Den kennen wir auch.“ Ist allerdings ein heikles Thema. Sich mit der Brechstange Zugang zu den Dreharbeiten eines großen Hollywoodfilms zu verschaffen, ist nicht unbedingt das, was Danny mit unauffälligem Verhalten meint. (Auszug S.192)
Es gelingt ihm, die beiden zur Räson zu bringen und Teilhaber der Filmproduktion zu werden. Doch dann verliebt er sich in die Hauptdarstellerin des Films. Ausgerechnet in den großen Filmstar Diane Carson, berühmt-berüchtigt für ihre Alkohol- und Drogenexzesse. Das Liebespaar gerät schnell in den Fokus der Presse, wodurch seine Feinde in Providence und Mexico aufmerksam werden. Der verliebte Danny benimmt sich mehr als unklug, aber das macht ihn ja so nahbar, und das tragische Ende scheint vorprogrammiert. Dabei zeigt der amerikanische Bestseller-Autor auch einen Einblick in die Traumfabrik von Hollywood, wo ehrgeizige Mütter ihre Kinder mit allen Mitteln zum Erfolg pushen wollen.
Meine Meinung
„City of Dreams“ ist ein typischer Mittelteil, kann nicht ganz mit dem Tempo und der Fulminanz des ersten Teils mithalten. Band 2 kommt ruhiger daher, es geht mehr darum, dass die Helden ihre Wunden lecken, zur Ruhe kommen und sich neu orientieren. Im Mittelpunkt steht wieder Danny Ryan, ein Mafiosi mit moralischem Kompass, der um seine verstorbene Ehefrau trauert, seinem Sohn ein guter Vater sein will und stets Verantwortung für seine Leute trägt. Es gibt wenig Berührungspunkte zu den italienischen Morettis an der Ostküste, deren Schicksale in der harten Gangsterwelt Winslow sehr anschaulich skizziert.
Die Fortsetzung enthält für mich all die die bekannten und geliebten Winslow-Zutaten, wie knackige Dialoge, schnörkellose Prosa, einem präzisen Schreibstil und scharfe Schnitte. Dabei erzählt er gewohnt gradlinig und unverblümt im Präsenz, ohne die Gewalttaten groß auszuschlachten.
Insgesamt ist „City of Dreams“ für mich die gelungene Fortsetzung eines Gangster-Epos, welches mich mit nie vorhersehbaren Wendungen bis zum Finale fesseln konnte und die Vorfreude auf den Nachfolger weckt. Zum besseren Verständnis empfehle ich, „City on Fire“ vorher zu lesen, obwohl der Autor den Inhalt durch einige Rückblenden auch in diesem Band zusammenfasst.
Der trojanische Krieg
Die Trilogie basiert lose auf Homers „Ilias“, in der die Geschichte des Trojanischen Krieges erzählt wird. Im zweiten Band nimmt Winslow Anleihen bei Virgils „Aeneis“. Nach dem Untergang Trojas flieht der Trojaner Aeneis zusammen mit seinem Vater und seinem Sohn und landet nach langer Irrfahrt schließlich an die Küste Karthagos. Dort sorgte seine Mutter Venus dafür, dass er sesshaft wird, indem sie ihn mit Hilfe des Liebesgottes Amor mit der karthagischen Königin Dido verkuppelt. Deren Stelle übernimmt bei Winslow eine Hollywood-Schönheit, Griechen und Trojaner werden durch italienische Mafia und irische Gangster ersetzt.
Foto & Rezension von Andy Ruhr.
City of Dreams | Erschienen am 23.05.2023 bei HarperCollins
ISBN 978-3-36500-169-1
368 Seiten | 24,- €
Originaltitel: City of Dreams | Übersetzung aus dem Amerikanischen von Conny Lösch
Bibliografische Angaben und Leseprobe
Weiterlesen: Andys Rezension zu Band 1 der Trilogie – „City On Fire“