Deepa Anappara | Die Detektive vom Bhoot-Basar

Deepa Anappara | Die Detektive vom Bhoot-Basar

„Haben Sie diesen Jungen gesehen“, fragt Pari, und ihre Stimme ist genauso kühl wie die Eishände, mit denen sie Bahadurs Foto hochhält. „War er hier? Haben Sie seinen Freund gesehen?“
„Darum muss sich die Polizei kümmern, nicht ihr“, sagt der Mann.
„Die Polizei kümmert sich aber nicht um uns, weil wir arm sind“, sage ich. (Auszug Seite 121)

Jai und seine Freunde Pari und Faiz leben in einer illegalen Armensiedlung (Basti) in einer nordindischen Stadt und gehen in die vierte Klasse. Das Leben im Basti ist beschwerlich und gefährlich. Doch die Situation wird noch bedrohlicher, als kurz nacheinander ein Mitschüler aus ihrer Klasse und ein weiteres Kind aus der Siedlung verschwindet. Die Polizei unternimmt nichts, die Stimmung wird zunehmend aufgeheizt. Jai und seine Freunde gründen ein Detektivtrio und gehen selbst auf die Spur nach den verschwundenen Kindern.

Jai, Pari und Faiz suchen nach Hinweisen im Basti, in der Schule und im benachbarten wuseligen Bhoot-Basar mit all seinen Ständen und Gassen. Sie wagen sich sogar verbotenerweise bis ins weit entfernte Stadtzentrum und bis zum Bahnhof. Sie sammeln ein paar Einzelheiten, die darauf hindeuten, dass die Kinder nicht freiwillig weggelaufen sind und können ein paar Gerüchte entkräften. Doch wer genau dahintersteckt, da tappen sie weiterhin im Dunkeln.

Die Unruhe im Armenviertel wird immer größer und es werden Schuldige gesucht. Auch die Polizei mischt nun mit, aber schürt den Konflikt durch Korruption und voreilige Festnahmen nur noch. Außerdem schwelt für die Bewohner immer die Angst, dass mit zunehmender Aufmerksamkeit die illegale Siedlung abgerissen wird und sie sich ein neues Zuhause suchen müssen.

Ich bin Detektiv und habe gerade ein Verbrechen begangen.
Aber es ist für eine gute Sache. Wenn Pari und ich Bahadur und Omvir finden, werden wir unser Zuhause nicht verlieren. Unser Zuhause ist viel mehr wert als lumpige vierhundert Rupien. (Seite 98)

Der Ich-Erzähler Jai lebt im Basti in einer kleinen Bude zusammen mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Runu, einer vielversprechenden Läuferin. Er gibt sich dabei als Anführer der Detektive aus, weil er glaubt, durch das Gucken von Real-Crime-Polizei-Dokus bestens vorbereitet zu sein. Allerdings fallen dem einzigen Mädchen der Gruppe, Pari, die deutlich besseren Fragen ein. Auch sonst ist Pari eindeutig die Cleverste der Truppe, hat sie doch aufgrund ihrer guten Schulnoten sogar ein Stipendium für eine Privatschule in Aussicht. Dritter im Bunde ist Faiz, Muslim, mit mehreren älteren Geschwistern. Er sorgt sich sehr um sein Äußeres und arbeitet schon regelmäßig im Basar. Die Geschichte lebt von den sehr unterschiedlichen Charakteren der Drei und besonders amüsant ist die Diskrepanz zwischen Jais Anspruch auf den Posten des Chefdetektivs und seinen Fähigkeiten insbesondere im Vergleich zu Pari, die ihn deutlich in den Schatten stellt.

Das Buch erinnert von der Story natürlich an so Kinderbuchklassiker wie Emil und die Detektive oder Kalle Blomqvist. Die Aufklärung eines Kriminalfalls durch die Kinder ist aber letztlich nicht die Hauptsache, vielmehr ermitteln die Kinder nur Teilaspekte, Kleinigkeiten. Der Roman liefert vor allem einen Einblick ins heutige Indien. Dabei vermitteln die Kinder die lebhaften, bunten, manchmal auch fröhlichen Seiten, allerdings ist von Beginn an klar, dass letztlich die problematischen Seiten Indiens thematisiert werden. Armut, Korruption, Klassenunterschiede, Smog, Konflikte zwischen den Religionen und vor allem die Benachteiligung von Kindern bis hin zu Kindesmissbrauch und Sklaverei. Was mir generell bei solchen Romanen aus Kindersperspektive oftmals ein wenig fehlt, ist die tiefergehende Befassung mit den Themen. Der Blick durch die Augen der kindlichen Protagonisten kratzt manchmal doch nur ein wenig an der Oberfläche. In diesem Roman ist dies insgesamt besser gelöst durch die Vielzahl an Kontakten und Nebenfiguren, mit denen Jai, Pari und Faiz kommunizieren. Die Autorin durchbricht außerdem mehrfach die Erzählperspektive des Ich-Erzählers mit kurzen Kapiteln aus Sicht der Verschwundenen und drei „Geschichten, die dir das Leben retten werden“ – bemerkenswerte Geschichten über Schicksale und Aberglauben quer über die Religionsgrenzen.

Die Detektive vom Bhoot-Basar ist das Debüt der inzwischen in England lebenden Inderin Deepa Anappara. Sie schildert das Leben der drei Freunde lebhaft und voller Sympathie für ihre Protagonisten. Allerdings hatte ich zwischenzeitlich ein wenig das Gefühl, dass die Geschichte trotz weiterer verschwundener Kinder ein wenig auf der Stelle tritt. Es ist der Autorin positiv anzurechnen, dass sie ab dem dritten Abschnitt wieder deutlich an Handlung und Intensität zulegt und auch der Versuchung widersteht, das Buch zu einem Kinderbuch werden zu lassen. Insgesamt war ich dann auch zufrieden über diese authentische Reise mit Jai, Pari und Faiz ins heutige Indien.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Die Detektive vom Bhoot-Basar | Erschienen am 16. September 2019 im Rowohlt Verlag
ISBN 987-3-498-00118-6
400 Seiten | 24.- Euro
Originaltitel: Djinn Patrol on the Purple Line
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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