David Heska Wanbli Weiden | Winter Counts

David Heska Wanbli Weiden | Winter Counts

Und wenn das Rechtssystem versagte, kamen die Leute zu mir. Für ein paar Hundert Dollar übte ich in Ihrer Namen zumindest ansatzweise Rache. Mein Beitrag zur Gerechtigkeit. (Auszug S.54)

Virgil Wounded Horse ist ein Lakota und lebt im Rosebud-Reservat in South Dakota. Er schlägt sich als Vollstrecker durch: Viele Straftaten, besonders gegen Personen, werden im Reservat nicht verfolgt. Die örtliche Polizei im Reservat ist nur für Kleindelikte zuständig, die Bundespolizei interessiert sich für vieles, was die Indianer untereinander betrifft, nicht. Dann tritt Virgil auf und vermöbelt einen Übeltäter im Auftrag der Geschädigten, um wenigstens etwas Gerechtigkeit herzustellen.

Eines Tages wird Virgil von Ben Short Bear, Mitglied des Stammesrates, angesprochen. Im Reservat ist Heroin aufgetaucht, einer der Lakota, ein gewisser Rick Crow, arbeitet wohl mit Mexikanern zusammen und bringt das Zeug ins Reservat. Virgil soll das Ganze unterbinden. Zunächst lehnt Virgil ab. Als jedoch kurz darauf Virgils Neffe und Adoptivsohn Nathan fast an einer Überdosis stirbt, fährt Virgil mit seiner Ex-Freundin Marie Richtung Denver, um Crow aufzuspüren. Wider Willen gerät Virgil kurz darauf in eine Polizeiaktion, die vor allem Nathan in große Gefahr bringt.

„Die Polizei ist nicht ihr Freund und Helfer. Vor allem die Feds nicht. Momentan gibt es nur einem Menschen, dem Sie vertrauen können, und der sitzt vor Ihnen. Falls Ihnen das bis heute noch nicht klar war, dann sage ich es Ihnen nochmal in aller Deutlichkeit: Wenn es um das Recht der Weißen geht, ziehen die Natives immer den Kürzeren.“ (Auszug S.196)

David Heska Wanbli Weiden ist selbst Bürger der Sicangu Lakota Nation, lebt inzwischen in Denver, aber kann die Verhältnisse in den amerikanischen Reservaten aus eigener Hand beschreiben. Die Situation ist oftmals mehr als prekär, Arbeitslosigkeit, Drogen- und Alkoholprobleme, niedrige Lebenserwaltung, hohe Selbstmordrate. Sehr viele Natives, die in den Reservaten bleiben, leiden unter psychischen Problemen, haben Schwierigkeiten, ihre Identität als Indianer unter den gegebenen Bedingungen zu bewahren. Es gibt zu wenig Hilfsprogramme. Interessant erscheinen Aktionen, die sich auf alte Traditionen zurückbesinnen, um dadurch wieder Stammes- und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Diese ganze Nebenaspekte bilden den stilvollen Rahmen für diesen düsteren Krimi, der sich viel Zeit für seine Figuren und das Setting nimmt. „Winter Counts“ war der erste Kriminalroman des Autors, der damit aber direkt zahlreiche Literatur- und Krimipreise einheimste und auf der Short List des Edgar Award stand.

Virgil ist einer dieser Bewohner des Reservats, der nie raus gekommen ist und sich der schwierigen Lage mehr schlecht als recht angepasst hat. Die alten Traditionen und Rituale interessieren ihn nicht wirklich mehr. Er lebt quasi von der Hand in den Mund, ist aber bemüht, dem Sohn seiner verstorbenen Schwester ein halbwegs ordentliches Zuhause zu bieten. Seine Ex Marie hingegen ist eine Art Aktivistin, die sich mit der Situation des Reservats nicht abfinden will und daher tatkräftig Aktionen zur Verbesserung der Lage unterstützt. Sie hält auch viel von Rückbesinnung auf alte Stammestraditionen.

Die Geschichte wird von Virgil als Ich-Erzähler erzählt, bleibt lange Zeit etwas spannungsarm, bevor sie zum Ende hin förmlich explodiert. Der Reiz des Buches liegt daher weniger am eher soliden Plot, sondern am Schauplatz, an der schonungslosen Beschreibung der prekären Verhältnisse und an der Faszination der Stammesrituale. Dabei teilt Weiden zu beiden Seiten aus, korrupte eigene Leute bekommen genauso ihr Fett weg (wie die Weißen, die den Natives immer noch die Selbstbestimmung verweigern. Dadurch sicherlich ein Kriminalroman, der aus der breiten Masse herausragt.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Winter Counts | Erschienen am 23.05.2022 im Polar Verlag
ISBN 978-3-948392-46-8
460 Seiten | 16,00 €
Originaltitel: Winter Counts (Übersetzung aus dem Amerikanischen von Harriet Fricke)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

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