Clifford Jackman | Winter Family

Clifford Jackman | Winter Family

Early drückte den Schal auf Winters Nase und Mund. Winter war sofort alarmiert und versuchte, sich zu wehren.
„Und jetzt schaut zu“, sagte Sevenkiller. „Es ist wirklich eine Kleinigkeit.“
Ein Wasserstrahl ergoss sich auf Winters Nase und Mund. Sofort bäumte sein Körper sich auf. Es war ein Gefühl, das viel schlimmer war, als nicht atmen zu können. So etwas hatte er vorher noch nie erlebt. […]
Es war ziemlich eng. Es konnte so oder so ausgehen. Winter gab beinahe auf. Er weinte wie ein kleiner Junge, die Tränen liefen über seine Wangen, und er hatte Todesangst. Aber er war auf diesen Moment vorbereitet, auf den Schmerz und die Dunkelheit. Er war bereit. Das, was sie hier mit ihm veranstalteten, war wie eine Taufe für ihn. Sie verwandelten ihn nach und nach in den Mann, der er einmal sein sollte. (Auszug Seite 91 bis 92)

Georgia 1864, während des amerikanischen Bürgerkriegs: General Sherman befiehlt den berühmten „Marsch zum Meer“, der eine Spur der Verwüstung durch die Südstaaten zieht. Als Vorhut schickt er den gewalttätigen und skrupellosen Lieutenant Quentin Ross los, der ähnlich gesinnte Männer um sich schart. Unter ihnen ist auch der junge Augustine Winter, dessen Charisma Ross unterschätzt. Nachdem die Gruppe in Ungnade gefallen ist, bleiben sie nach Kriegsende zusammen und gehen weiter ihrem blutigen Handwerk nach. Neuer Anführer wird Winter und dementsprechend wird ihre Bande als „Winter Family“ in den nächsten Jahrzehnten im amerikanischen Westen berühmt-berüchtigt.

Der Kanadier Clifford Jackman legt mit Winter Family sein Romandebüt vor, das er selbst als „apokalyptischen Western“ recht zutreffend beschreibt. Die blutige Spur der Winter Family durch Amerika wird episodenhaft geschildert. Nach dem Prolog in Oklahoma 1889, der das Ende des Buches bereits anreißt, startet die Story in Georgia mitten im Sezessionskrieg, wo die Family ihr blutiges Handwerk noch unter militärischer Flagge der Union beginnt. Im Laufe des Buches folgen weitere Episoden in Chicago 1872, als die Family von den Republikanern engagiert wird, um in die Bürgermeisterwahl einzugreifen, dann in Phoenix 1881, wo die Family Jagd auf die Apachen macht, und schließlich in Oklahoma zu der Zeit, als auch das letzte freie Indianerterritorium von den Siedlern überrannt wird. Die einzelnen Abschnitte werden durch kurze erzählende und einführende Passagen verbunden.

Die Personen der Winter Family sind allesamt üble Schurken und Kriminelle, der harte Kern sogar echte Psychopathen und Sadisten. Quentin Ross, anfangs als Lieutenant der Mann im höchsten militärischen Rang, muss aber seine Führungsrolle recht bald an Augustine Winter abtreten. Winter, als Kind vom Vater schwer misshandelt, hat sich geschworen, die Gesetze der Zivilisation und des Staates abzulehnen, um allein nach dem „Diktat der reinen Vernunft“ zu handeln. Dementsprechend selbstbewusst und skrupellos geht er vor. Seine äußere Erscheinung („Seine Haut war weiß wie Schnee, sein Haar wie Stroh und seine Augen wie pures Gold“, Seite 60) verstärkt noch seine Aura als Anführer, den nie jemand in Frage stellt, weil er gleichzeitig gefürchtet und verehrt wird. Und dennoch muss er sich am Ende fragen, ob er nicht genau dieser verhassten Zivilisation immer zugearbeitet hat. Inmitten all dieser Psychopathen finde ich ausgerechnet die „normalste“ Person am interessantesten: Jan Müller, ein deutscher Einwanderer, direkt zur Armee abkommandiert, gerät in die Family und scheint als einziger einen moralischen Kompass zu besitzen. Dennoch bleibt er in dem Sinne von „mitgefangen, mitgehangen“ Teil der Gruppe.

Der Roman deckt etwa 25 Jahre in einer faszinierenden Epoche ab. Das Ringen der Zivilisation um Recht und Ordnung in Amerika des 19. Jahrhunderts ist ein gewalttätiges, blutiges Ringen. Und die Winter Family ist mittendrin, scheinbar außerhalb jeglicher Kontrolle, aber immer wieder von verschiedener Seite als Werkzeug benutzt.

Eigentlich sehr ordentliche Zutaten und im Großen und Ganzen war es auch eine lesenswerte Lektüre. Warum ich nicht zu Höchstnoten greife: Irgendwie plätschert an einigen Stellen nicht nur das Blut, sondern auch die Story vor sich hin. Die episodische Struktur tut ihr übriges. Aber nichtsdestotrotz ist derjenige, der mal wieder einen (äußerst düsteren) Western lesen will, bei Winter Family nicht schlecht aufgehoben.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

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Winter Family | Erschienen am 11. Januar 2016 bei Heyne Hardcore
ISBN 978-3-45367-692-3
512 Seiten | 14,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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