Kategorie: Kriminalroman

Garry Disher | Hope Hill Drive

Garry Disher | Hope Hill Drive

Noch einige Zeit nach der Veröffentlichung von „Bitter Wash Road“, dem ersten Auftritt von Constable Paul Hirschhausen, genannt Hirsch, Gewinner des Deutschen Krimi Preises, war sich Garry Disher sicher: Dieser Roman war ein Stand-Alone. Im Rahmen einer Lesung in Deutschland Ende 2016 äußerte der Autor Zweifel, ob Hirsch zu einer Serienfigur tauge. Schon verständlich, denn schließlich hat(te) Disher mit Hal Challis und Wyatt zwei langjährige Serienfiguren aufgebaut und mit Alan Auhl (aus „Kaltes Licht“) damals eine ganz neue Figur im Kopf. Aber irgendwie war es schade um diesen Hirsch, den wackeren Cop aus dem Outback, der gegen korrupte Kollegen ausgesagt hatte und dabei selbst angezählt, degradiert und in die Provinz geschickt wurde, wo er als Neubürger ganz schön zu kämpfen hatte und quasi vom Regen in die Traufe kam. Und auch Dishers selbst scheint dieser Polizist nicht aus dem Kopf gegangen zu sein. „Hirsch hat mich nicht allein gelassen. Er hat mir immer gesagt, dass ich mit ihm noch nicht fertig bin“, so Disher in einem Interview mit Alf Mayer im Crimemag von September 2020. Zum Glück, denn fünf Jahre nach „Bitter Wash Road“ erschien dann doch ein neuer Roman mit Constable Hirschhausen: „Peace“, so der Originaltitel, in der deutschen Übersetzung „Hope Hill Drive“ als Anlehnung an den Erstling.

Ein knappes Jahr nach den Vorkommnissen in „Bitter Wash Road“ scheint Hirsch endlich so ein wenig in Tiverton angekommen zu sein. Er ist inzwischen fest liiert mit der Lehrerin Wendy und auch im Gemeindeleben inzwischen so weit integriert, dass man ihm die (allerdings nur bedingt prestigeträchtige) Rolle des Weihnachtsmanns andient. Beruflich hat er kurz vor Weihnachten allerhand zu tun: Kupferdiebstahl, verschwundene Hunde, Trunkenheit am Steuer, obszöne Graffitti oder ein Kleinkind in einem überhitzten Auto. Das ganz normale Leben eines Landpolizisten. Doch dann werden einige Ponys auf dem Hof von Nan Washburn von einem Unbekannten verletzt und sogar getötet. Das sorgt für Aufruhr in Tiverton, sogar die überregionale Polizei kommt vorbei. Das Massaker auf dem Ponyhof ist aber nur der Auftakt für weitere Gewalt im vermeintlich beschaulichen Outback.

Es machte keinen Spaß, eine Weihnachtswaise zu sein, dachte er plötzlich, keinen Spaß, ein Kleinstadtbulle am Weihnachtstag zu sein. Er stampfte zur Revier zurück und fragte sich, wann der Ärger so richtig losgehen würde. Das mulmige Gefühl ließ keine Sekunde nach und legte sich über ihn wie eine Decke in sengender Hitze. (S.142)

Bei der oben bereits erwähnten Lesung meinte Garry Disher auch, dass er der üblichen Krimiregel, dass nach wenigen Seiten eine Leiche präsentiert werden müsse, nicht viel abgewinnen könne („True Crime is something darker“). Diese Herangehensweise treibt er dann in „Hope Hill Drive“ auch ein wenig auf die Spitze. Die ersten (menschlichen) Leichen tauchen nämlich erst etwa auf der Hälfte des Romans auf. Und danach wird die Suspense-Schraube auch immer enger gedreht. Die Ereignisse spitzen sich immer mehr zu und der „Kleinstadtbulle“ ist natürlich mittendrin, statt nur dabei. Allerdings heißt das nicht, dass es vorher langweilig gewesen wäre. Im Gegenteil. Disher zeichnet zunächst ein unglaublich präzises Panorama einer Kleinstadt mit all diesen Leuten, die man auch als deutscher Leser zu kennen glaubt. Armut, Verwahrlosung, gekränkte Eitelkeiten, Furcht und Misstrauen. Authentische Figuren und ein plausibler Plot, fein erzählt aus der Perspektive von Hirsch. Und fast nebenbei die weite Landschaft Südaustraliens: Weizenfelder, heruntergekommene Farmhäuser, Wellblechscheunen, rumpelige Straßen, Staubteufel. Nicht touristisch in Schale geworfen, sondern so, wie es halt ist. Übrigens stammt Disher selbst aus der Gegend.

Kurze Zeit später kam er an einem Staubecken vorbei, in dem Bob Muir und anderen im Ort zufolge ein Kleinkind ertrunken war. Eine vom Tod geprägte Landschaft, fand Hirsch. Hoffnungen starben, Menschen starben. […] Hier draußen konnte ein Mord geschehen und unentdeckt bleiben, dachte er. Nirgendwo hier draußen ist es neutral. Die Landschaft ist aufgeladen, mitschuldig. (S.114)

Im Crimemag-Beitrag verrät selbst sein Übersetzer Peter Torberg, dass Disher sein Favorit sei, dass er „mit jedem Buch etwas auf die Schippe drauflegt, dass er immer noch besser wird“. Genau so kommt es mir auch vor. Disher hat sein hohes Niveau nicht nur gehalten, sondern noch gesteigert. „Hope Hill Drive“ ist einfach ein restlos überzeugender, literarischer Kriminalroman, bei dem Garry Disher alles richtig macht: ein bodenständiger, aber nicht langweiliger Protagonist, glaubwürdige weitere Figuren, ein fein komponierter Plot, ausreichend Spannung sowie ein anregendes Setting. Und als ob das noch nicht alles wäre, hört Hirsch bei seinen Patrouillen durch den Busch auch noch einen verdammt guten Soundtrack. „Hope Hill Drive“ war in Australien ein Bestseller, Dishers bislang größter Erfolg. Möge er dies im deutschsprachigen Raum wiederholen, für mich ist der Roman der heiße Anwärter auf den Krimi des Jahres.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Hope Hill Drive | Erschienen am 24.08.2020 im Unionsverlag
ISBN: 987-3-293-00563-1
336 Seiten | 22,- €
Originaltitel: Peace
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen:
Interview von Alf Mayer mit Garry Disher
Gunnars Bericht von der Lesung mit Garry Disher in Hamm 2016
Gunnars Rezensionen zu Dishers Romanen „Kaltes Licht & Hitze“, „Bitter Wash Road“ und „Drachenmann“

Dror Mishani | Die schwere Hand Bd. 3

Dror Mishani | Die schwere Hand Bd. 3

Das war eine Vereinbarung, die Coby nicht brechen durfte: Egal, was zwischen ihnen passierte, er würde sie nie wieder allein schlafen lassen. Sie lag im Bett und versuchte, an das Gespräch mit Daniela zu denken und an die Schwangerschaft, von der sie noch niemandem erzählt hatte, und nicht an die schwere Hand, denn daran durfte sie nicht erinnert werden, nicht, wenn Coby nicht bei ihr war. (Auszug Seite 87)

Das Opfer

Die 60-Jährige Lea Jäger wird tot im Wohnzimmer ihrer Wohnung gefunden. Sie wurde brutal gewürgt und erschlagen. Als Oberinspektor Avi Avraham am Tatort eintrifft, ist er wie vor den Kopf gestoßen, als er feststellt, dass er die Tote kennt. Vor einigen Jahren wurde sie Opfer einer Vergewaltigung, die Avi bearbeitet hatte. Der aufgrund ihrer Aussage verurteilte Täter sitzt im Gefängnis. Er bestreitet allerdings bis heute die Tat. Da seine Familie in der Vergangenheit mehrfach Lea Jäger Rache geschworen hat, rücken die Familienmitglieder auf der Liste der Verdächtigen ganz weit nach vorne.

Auch Lea Jägers Sohn rückt in den Fokus der Ermittlungen, da er sich in Widersprüche verwickelt und mit irgendwas hinterm Berg hält. Eine weitere Spur führt direkt ins Polizeipräsidium, denn ein älterer Nachbar will im Treppenhaus einen Polizisten gesehen haben, der das Haus verlassen hat. Aber keine Dienststelle weiß etwas davon und der Polizist bleibt unauffindbar. Avraham geht auch gegen den Widerstand seines Vorgesetzten einer Spur nach und sucht nach Frauen, die nach einer Vergewaltigung erneut von einem Polizeibeamten verhört werden.

Der Täter

Parallel dazu wird in einem weiteren Handlungsstrang die Geschichte von Mali Bengtson erzählt. Auch die Bankangestellte wurde vor einigen Jahren auf einem Betriebsausflug in einem Hotel im Seebad Eilat Opfer einer Gewalttat. Der vermummte Täter konnte nie gefasst werden und Mali litt auch darunter, dass man ihre Geschichte anzweifelte. Ihr Ehemann Coby Bengtson, ein Einwanderer aus Australien stand der Mutter von zwei Mädchen in dieser schweren Zeit stets zur Seite. Aber in der letzten Zeit verhält er sich immer rätselhafter. Erst vermutet Mali, dass der labile Coby unter Depressionen leidet, weil er zum wiederholten Mal seinen Job verlor. Doch sie kommt nicht mehr an ihn ran und es wird klar, dass mehr dahinter stecken muss. Sie hat ihm noch nicht mal erzählt, dass sie ein weiteres Kind erwartet.

Als Leser ist man dem Ermittler-Team immer um einiges voraus, man ahnt die Zusammenhänge, kann sich aber kein Motiv vorstellen. Langsam laufen beide Parallelgeschichten aufeinander zu und münden in einer dramatischen Situation, die sehr tragisch endet. Den Täter erahnt man früh, auch der Klappentext verrät schon viel, trotzdem entwickelt die Geschichte einen Sog, dem man sich nicht so leicht entziehen kann. Der Roman kommt eher gemächlich und unaufgeregt daher, die Spannung entwickelt sich subtil. Die genannten Gewalttaten und deren Aufklärung stehen nicht so im Mittelpunkt, der Fokus liegt eher auf dem Innenleben der Charaktere. Dabei versteht es der israelische Autor Dror Mishani wie kein anderer, seine Figuren in ganz alltäglichen Situationen zu schildern. Als Leser verfolgt man gebannt, wie ganz normale Menschen an ihre Grenzen kommen, in Abgründe blicken und ihre Welt ins Wanken gerät.

Der Ermittler

Auch Avi Avraham ist ein Ermittler mit Fehlern und Schwächen und wirkt dadurch sehr authentisch. Der 39-jährige begeisterte Krimileser ist just zum Leiter des Ermittlungsdezernats von Cholon-Ayalon, einer grauen Industriestadt südlich der israelischen Metropole Tel Aviv, ernannt worden. In dieser Funktion ist es sein erster Mordfall und er fühlt sich der Verantwortung noch nicht so richtig gewachsen. Er grübelt viel und zweifelt, auch an sich selbst. Dabei vermisst er seine frühere Vorgesetzte, mit der er sich immer besprochen hat, die aber wegen einer Krebserkrankung länger ausfällt. Trotzdem geht er eigene Wege und entscheidet oft aus dem Bauch heraus.

Auch privat gibt es einige Baustellen, die ihn belasten. Der Kettenraucher hat seiner Freundin zuliebe, die er in Belgien kennengelernt hat, mit dem Rauchen aufgehört. Marianka ist mittlerweile zu ihm gezogen. Als ihre Eltern zu Besuch kommen, wollen sie Marianka sehr zum Leidwesen von Avi davon überzeugen, wieder nach Belgien zurückzukommen, da sie auch wegen mangelnder Hebräisch-Kenntnisse in Israel noch nicht richtig Fuß fassen konnte. Nichts Weltbewegendes, sondern alles wie im richtigen Leben.

Das Fazit

Die schwere Hand ist der 3. Kriminalroman um Avi Avraham und durch das ganze Buch ziehen sich Melancholie, Tristesse und Schwermut, wie man es selbst in skandinavischen Kriminalromanen selten findet. Der literarische Krimi ist eher ein Psychogramm, in dem Mishani menschliche Tragödien beschreibt und ein feines, psychologisches Bild seiner Figuren zeichnet. Für mich plätscherte es zu sehr dahin, der zögerliche Avi ist ein ganz normaler und dadurch sympathischer Typ, aber mir fehlte der Reiz, noch mehr von ihm zu erfahren. Zum Ende hatte ich mir noch einige Überraschungen erhofft, die ausblieben und im Ganzen blieb mir zu viel offen.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Die schwere Hand | Erschienen am 29. Januar 2018 bei Hanser im Paul Zsolnay Verlag
ISBN 978-3-55205-884-2 | Taschenbuch ISBN 978-3-423-21821-4 (dtv 10.95 Euro)
288 Seiten | 22.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Andys Rezension zu Dror Mishanis Roman Drei

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Krimis aus Syrien und Israel.

Rafik Schami | Die geheime Mission des Kardinals ♬

Rafik Schami | Die geheime Mission des Kardinals ♬

Im Jahr 2010 ist der Bürgerkrieg in Syrien noch nicht ausgebrochen, aber die politische Lage ist brenzlig und explosiv, man spürt, dass etwas in der Luft liegt. In dieser Zeit wird Kommissar Zakaria Barudi mit einem sehr brisanten Fall betraut. Die italienische Botschaft in Damaskus hat eine mehr als schaurige Lieferung erhalten: Ein riesiges Fass, in dem sich neben dem teurem Olivenöl auch noch die rätselhaft präparierte Leiche eines Kardinals aus dem Vatikan befindet. Dem Korpus wurden Silberstücke in die Augenhöhlen gesteckt und ein Basaltstein fachmännisch an Stelle seines Herzens eingepflanzt.

Barudis Nachforschungen werden nicht nur durch die allgegenwärtige Korruption erschwert, auch kann er niemandem trauen, selbst im Kommissariat nur seinem Kollegen Schukri. Seine Arbeit wird auch durch diverse Geheimdienste sabotiert, die alles versuchen, um den Vorfall zu vertuschen. Der unpolitische Barudi verzweifelt am System, denn sein Vorgesetzter verlangt, dass er diskret ermittelt. Die diplomatischen Beziehungen zu Italien dürfen auf keinen Fall belastet werden. Deshalb laden die syrischen Behörden einen Kommissar aus Rom ein, um die Ermittlungen zu begleiten. Natürlich soll Barudi den italienischen Kollegen, der lange gegen die Mafia kämpfte, im Auge behalten. Aber in Marco Mancini, einen bekennenden Atheisten und Kenner des Nahen Osten, findet Barudi einen Verbündeten, die beiden verstehen sich auf Anhieb und entdecken viele Gemeinsamkeiten, auch was die unterschiedlichen Kulturen angeht.

Wunderheiler und Scharlatane

Trotz verschlossener Kirchengemeinde finden die beiden Kommissare gemeinsam heraus, dass der hohe Würdenträger der römischen Kurie zu einer geheimen Mission geschickt worden war. Offiziell sollte er ein theologisches Gutachten zu Wunderheilern und Heiligen anfertigen. Im Speziellen ging es um das Wirken eines muslimischen, aber Jesus verehrenden Bergheiligen im Norden des Landes hinsichtlich seiner vielfach bezeugten Heilkräfte. Der Bergheilige in der Nähe von Aleppo kümmerte sich durch bloßes Handauflegen um verzweifelte Menschen. Es stellt sich heraus, dass mächtige Interessen im Vatikan sich für dessen Anerkennung als Heiliger stark machten. Als sich die beiden bezüglich ihrer Erkundigungen in den Norden des Landes begeben, geraten sie in die Hände bewaffneter Islamisten. Hier entsteht kurz eine dramatische Situation, dessen Spannungselement sich aber sehr schnell wieder auflöst.

Mit den beiden sympathischen Kommissaren hat Schami ein klassisches Ermittlerduo an den Start gestellt, aber die Figuren des syrischen sowie des italienischen Kommissars sind mir zu stereotyp gestaltet. Der korrekte Barudi steht nach 46 Jahren kurz vor der Pensionierung. Er gehört zur Minderheit der Christen in Syrien, ist Witwer und trauert sehr um seine verstorbene Frau Basma. Über einen Einzelgänger, der beharrlich und unbestechlich ermittelt, der nicht ruht, bevor er in seinem letzten Fall die wirklichen Hintergründe aufgeklärt hat, habe ich schon zu oft gelesen. Der melancholische Kommissar lernt dann im Hausflur seine Nachbarin kennen und verliebt sich, doch auch diese Liebelei war mir zu holzschnittartig und diese Geschichte wirkte unnötig. Verwunderlich auc,h dass, bei der allgemeinen Atmosphäre des Misstrauens auch innerhalb des Kollegiums, Barudi sofort auf den ersten Blick Vertrauen zu Mancini fand.

Ein meisterhafter Geschichtenerzähler

Der syrische Schriftsteller Rafik Schami, der seit über 50 Jahren in Deutschland lebt, ist bekannt für seinen opulenten, orientalisch-ausufernden Erzählstil. Er ist ein meisterhafter und auch sinnlicher Geschichtenerzähler. In Die geheime Mission des Kardinals zeigt er einen tiefen Einblick in die syrische Gesellschaft kurz vor Ausbruch der Revolte und thematisiert im Besonderen den Aberglauben und ihre geschäftstüchtigen Wunderheiler beziehungsweise Scharlatane. Er hat es sich aber meiner Meinung nach zu einfach gemacht, in dem er dem Leser beziehungsweise dem Hörer ein Bild des Syriens vor der herannahenden Katastrophe vorstellt und darüber einen Krimiplot spannt. Er verschwendet zu wenig Mühen an eine spannungsreiche Strukturierung der Handlung. Mir war es auf weite Strecken zu langweilig und auch zu altbacken. Es fehlen überraschende Wendungen oder zumindest originelle Ideen.

Die beiden Kommissare sitzen ständig in Restaurants und essen nicht nur, nein, sie schwelgen in detailliert beschriebenem, levantinischem Essen und verfallen der Redseligkeit. Da werden Unmengen an Falafel, Hummus und Kibbeh vertilgt und alles mit Wein runtergespült oder zumindest Espresso mit Kardamom getrunken. Die Geschichten und Anekdoten waren mir zu altväterlich. Die beiden sind sich auch immer einig, so dass auch gar keine Reibung entsteht.

Geheime Gedanken im Tagebuch

Unterbrochen wird die Handlung immer wieder durch Tagebucheinträge. Barudi notiert hier seine geheimen Gedanken, weil er noch nicht mal seinen Kollegen, Vorgesetzten oder selbst seinem Hausarzt trauen kann. So entsteht sowas wie eine Lebensbilanz, in der er über Gott und die Welt und über die katastrophalen Zustände in Syrien, das Regime und seine Vergangenheit referiert. Hier ist der Autor auch richtig gut und die Zerrissenheit seiner Hauptfigur und auch das tragische, hoffnungslose Schicksal eines Landes wird deutlich.

Udo Schenk und Jürgen Tarrach lasen das Hörbuch ein und obwohl beide ihre Sache sehr gut machen, habe ich mich immer gefreut, wenn die Tagebucheintragungen von Jürgen Tarrach gelesen wurden. Ich fand es eine gute Idee, diesen Part durch eine andere Stimme vorzutragen.

Rafik Schami zeichnet detailreich ein farbenprächtiges Gesamtbild der Syrischen Gesellschaft vor dem Bürgerkrieg. Mir war es nur zu wenig Kriminalroman.

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Die geheime Mission des Kardinals | Das Hörbuch erschien am 22. Juli 2019 bei Steinbach Sprechende Bücher
ISBN 978-38697-4387-5
2 mp3 CDs | 14.90 Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesung: ca. 860 Minuten
Sprecher: Udo Schenk und Jürgen Tarrach
Bibliographische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Ein langes Wochenende mit… Krimis aus Syrien und Israel.

Abgehakt | März 2020

Abgehakt | März 2020

Unsere Kurzrezensionen zum Quartalsende 1/2020

 

Alan Parks | Tod im Februar Bd. 2

Detective Harry McCoy wird zu einem blutigen Tatort auf dem Dach eines Hochhaus-Rohbaus gerufen. Dort wurde ein junger Mann abgeschlachtet, zusätzlich eine Nachricht in seine Brust geritzt. Der Mann war Spieler bei Celtic Glasgow – und mit Elaine Scooby verlobt, Tochter eines lokalen Gangsterbosses. Schnell ist ein Verdächtiger gefunden: Ein ehemaliger Mitarbeiter Scoobys und angeblich ein verschmähter Verehrer der Tochter. Doch als weitere Morde geschehen und ein Kampf in der Glasgower Unterwelt beginnt, dämmert es McCoy, dass noch einiges mehr dahintersteckt.

Tod im Februar ist der zweite Teil der Reihe um den Glasgower Polizisten Harry McCoy und spielt nur wenige Wochen später als Teil 1 Blutiger Januar im Februar 1973. Es gibt Wiedersehen mit Harrys Kollegen Wattie, seinem väterlichen Vorgesetzten Murray und Cooper, ebenfalls Gangsterboss und Harrys Freund aus Tagen im Kinderheim. Die Atmosphäre ist wiederum düster, das Setting in Glasgow in den 70ern ist rau und schmuddelig, voller Drogen und Alkohol. Während des Falles kommt zudem Harrys und Coopers traurige Vergangenheit wieder hoch, die sie nie ganz hinter sich lassen können und die auch ihre Handlungen in der Gegenwart beeinflussen. Harry ist ein waschechter hardboiled Cop, empathisch für die Gebeutelten, grimmig gegenüber den Bösen. Seine Beziehung zu Cooper ist als Cop natürlich hochproblematisch. Und diesmal wandelt Harry nicht nur auf der Grenze zwischen hell und dunkel, diesmal wird er sie auch überschreiten.

Insgesamt ein wirklich guter, souverän erzählter, hartgesottener Krimi mit einem sehr gelungenen Schauplatz. Hoffentlich hält die Qualität der Reihe an.

 

Tod im Februar, erschienen am 28. Oktober 2019 bei Heyne Hardcore
ISBN 978-3-453-27198-2
432 Seiten | 16.- Euro
Originaltitel: February’s Son
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Noir/ Hardboiled
Wertung: 4.0 von 5.0

Auch bei uns: Rezension zum 1. Teil der Reihe Blutiger Januar

 

Oliver Buslau | Feuer im Elysium

Wien im April/Mai 1824: Die Stadt fiebert der Aufführung der neuesten, der neunten Sinfonie vom alten Meister Ludwig van Beethoven entgegen. Lange Zeit hat man von ihm nichts mehr gehört, doch das neue Werk soll etwas ganz besonderes sein. Geradezu revolutionär. Ein Wort, dass man in Wien in diesen Tagen nicht gerne hört. Und so ist vielen Reaktionären in Adel und Beamtenschaft die Uraufführung ein Dorn im Auge. In diesen Tagen kommt der junge Sebastian Reiser in die Stadt. Er sollte die Schlossverwaltung des Edlen von Sonnberg übernehmen und später vielleicht die Tochter des Hauses heiraten. Doch nach dem Unfalltod des Edlen wurde er vom Erben des Schlosses verwiesen und muss in Wien neu anfangen. Dort trifft er auf seinen alten Musiklehrer, Teilnehmer des Premierenorchesters, und einen alten Studienfreund in Diensten der Staatsmacht, der ihn als Spitzel anheuert. Reiser soll sich in die Orchestergruppe der Uraufführung einschleusen und Umstürzler und Revolutionäre denunzieren. Doch Reiser wird von der Kraft von Beethovens Symphonie mitgerissen und befindet sich längst – zunächst ohne es zu ahnen – in der Mitte einer großen Verschwörung.

Ludwig van Beethovens Geburtsjahr jährt sich in diesem Jahr zum 250. Mal. Zeit für eine große kulturelle Vermarktung des Komponisten. Warum dann nicht auch ein Beethoven-Krimi/Thriller? Für Autor Oliver Buslau, Musikjournalist, Amateurmusiker und Krimiautor (mehrere im Umfeld klassischer Musik), lag das förmlich auf der Hand. Am überzeugendsten ist dieser historische Thriller, in dem Beethoven selbst zwar nicht so häufig, aber doch regelmäßig auftritt, wenn es um die klassische Musik und den Schauplatz und die historische Lage im Deutschen Bund und im Kaiserreich geht. Der Wiener Kongress hatte die Restauration der alten Verhältnisse zur Folge, liberales oder gar revolutionäres Gedankengut wurde verfolgt. Starker Mann war der österreichische Kanzler Metternich, der ein umfangreiches Spitzelsystem etablierte. Dagegen fallen manche Teile des Plots etwas ab. Die Hintergrundgeschichte des Sebastian Reiser überzeugt nicht so ganz, vor allem die Auflösung des Komplotts erscheint arg konstruiert. Dennoch war es insgesamt unterhaltend, weitgehend spannend und mit zahlreichen interessanten Fakten versehen.

 

Feuer im Elysium | Erschienen am 23. Januar 2020 im Emons Verlag
ISBN 978-3-7408-0616-3
496 Seiten | 22.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Historischer Thriller
Wertung: 3.0 von 5.0

James Lee Burke | Straße ins Nichts Bd. 11

Die junge Letty Labiche wartet auf ihre Hinrichtung. Sie hatte einen Mann ermordet, der auf sie und ihre Schwester in der Kindheit öfters aufgepasst hatte. Dave Robicheaux kannte die Beteiligten und verdächtigte den Mann des sexuellen Missbrauchs, ohne dass dies zu beweisen war. Er will Letty vor der Hinrichtung bewahren und recherchiert ihren Hintergrund. Dabei stößt er zufällig auf einen alteingesessenen Zuhälter, der behauptet zu wissen, dass Daves lange verschollene Mutter von Polizisten ermordet wurde. Daves Mutter hatte ihre Familie verlassen, dennoch hat ihm die Ungewissheit, was mit ihr geschehen ist, lange zugesetzt. So setzt er nun alles daran, diese Spur weiterzufolgen und macht sich dadurch natürlich einige Feinde. Dave steht irgendwann vor der Frage, ob die Verantwortlichen mit normalen Mitteln zu belangen sind oder ob er selbst für Gerechtigkeit sorgen muss.

Straße ins Nichts oder Purple Cane Road im Original erschien vor genau zwanzig Jahren als elfter Band der beliebten Reihe um Dave Robicheaux, der wie immer mit seinem besten Kumpel Clete Purcel in New Orleans und Louisiana für Gerechtigkeit sorgen will und dabei in der Wahl der Mittel ein ums andere Mal die Grenzen überschreitet, was ihn allerdings für den Leser umso interessanter macht. Dieses Mal ist der Fall sogar noch eine Spur persönlicher als sonst. Autor James Lee Burke erzählt dies wie immer kraftvoll, mit vielen interessanten Figuren, eingebettet in präzisen und bildlichen Beschreibungen der Natur und Landschaft Lousianas. Es gibt sicher noch stärkere Bände der Reihe, aber Burke ist dennoch eine sichere Bank, immer empfehlenswert.

 

Straße ins Nichts | Erstmals erschienen 2000
ISBN 978-3-86532-675-1
Die Neuauflage erschienen am 15. Januar 2020 im Pendragon Verlag
436 Seiten | 20.- Euro
Originaltitel: Purple Cane Road
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Krimi
Wertung: 3.5 von 5.0

Auch bei uns: Rezensionen zu weiteren Titeln des Autors James Lee Burke

 

Oyinkan Braithwaite | Meine Schwester, die Serienmörderin

Korede ist Krankenschwester, stammt aus einer relativ wohlhabenden Familie aus Lagos in Nigeria. Korede hat auch noch eine jüngere Schwester, Ayoola. Diese ist eine absolute Schönheit und daher auch bei den Männern sehr beliebt. Im Gegensatz zu Korede. Es gibt aber ein Problem: Ayoola hat schon drei ihrer Verehrer umgebracht.
Korede ist dann die Cleanerin, sie reinigt den Tatort und lässt die Leiche verschwinden. Dass ihre Schwester in Notwehr gehandelt hat, wie sie behauptet, kauft Korede ihr schon längst nicht mehr ab, aber an die Polizei will sie sie auch nicht ausliefern. Da ergibt sich eine neue Situation: Korede ist schon länger in einen Arzt aus ihrem Krankenhaus verliebt, ohne dass es zu einem Date oder Weiterem gekommen wäre. Doch als Ayoola sie auf der Arbeit besucht, springt der Arzt direkt auf Ayoola an und beginnt, mit ihr auszugehen.

Zwei völlig unterschiedliche Schwestern, die eine die Unscheinbare, Vernünftige, die andere die Schöne, Unbekümmerte und Tödliche. Dennoch gilt die alte Regel vom Blut, das dicker als Wasser ist, was im Laufe der Geschichte aber sehr auf die Probe gestellt wird. Autorin Oyinkan Braithwaite erzählt diese Geschichte ausschließlich aus der Perspektive von Korede, was einerseits seinen Reiz hat, andererseits die Perspektive einschränkt und keinen vollen Blick auf die Dinge erlaubt. Immer wieder werden auch Rückblicke eingestreut, die teilweise einiges erhellen, so etwa das schwierige Verhältnis zum nicht liebevollen Vater, was die Schwestern zusammengeschweißt hat. Überhaupt ist dies eine ausgesprochen feminines Buch (feministisch sogar? Ich weiß nicht.), sind doch die Männer weitgehend nur Randfiguren.

Meine Schwester, die Serienmörderin war im englischsprachigen Raum bereits äußerst erfolgreich und war gar für den Man Booker Price nominiert. Die Geschichte ist durchaus reizvoll und unterhält gut. Den Hype halte ich dennoch nur bedingt für gerechtfertigt, denn ich hatte den Eindruck, dass überall noch ein paar Prozente herauszuholen gewesen wären. So schwankt die Autorin für meinen Geschmack zu sehr in der Frage, ob sie die Geschichte eher schwarzhumorig-pulpig oder mit ernsthafter Tiefe erzielen will. Dann wäre aber mehr Tiefe in der Figur der Ayoola wünschenswert gewesen. Dennoch ist dieser Roman absolut keine Enttäuschung, sondern gut geschrieben und mit originellem Plot.

Meine Schwester, die Serienmörderin | Erschienen am 10. März 2020 bei Blumenbar im Aufbau Verlag
ISBN 978-3-351-05074-0 | ISBN 978-3-841-21898-8 (eBook)
240 Seiten | 20.- Euro, 14.99 Euro (eBook)
Originaltitel: My Sister, the Serial Killer
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Psychothriller
Wertung: 3.5 von 5.0

Rezension 1 bis 4 sowie die dazugehörigen Fotos von Gunnar Wolters.

 

Caroline Eriksson | Die Beobachterin

Elena ist Schriftstellerin und vorübergehend in ein Reihenhaus eingezogen. Während sie dort am Küchentisch sitzt und arbeitet, kann sie die Familie im gegenüberliegenden Haus beobachten und ihr fallen merkwürdige Szenen auf, die sie einerseits für ihr neues Buch nutzt, die sie andererseits aber auch immer fester davon überzeugen, dass dort bald etwas Schreckliches passiert, das sie verhindern muss.

Es handelt sich hier meiner Meinung nach um einen Thriller, der sich flüssig und auch spannend liest und der zum Ende hin einige Wendungen aufweisen kann, mit denen ich nicht gerechnet habe. Aber insgesamt fesselt er mich nicht so sehr, wie ich es mir gewünscht hätte.

 

Die Beobachterin | Erschienen am 12. November 2018 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10043-0
336 Seiten | 13.- Euro
Originaltitel: Hon som vakar
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Thriller
Wertung: 3.0 von 5.0

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Inge Löhnig | Unbarmherzig Bd. 2

Inge Löhnig | Unbarmherzig Bd. 2

„Einen Moment hoffte sie noch, dass das Bild vor ihren Augen verschwimmen und ihr am Ende nichts als Kies zeigen würde. Doch dort lag unverkennbar ein Oberkiefer mit Zähnen, der Unterkiefer daneben. Knochenfragmente rundherum. Der Anblick war nicht eklig oder schaurig, er machte Ella nur unendlich traurig.“ (Auszug Seite 14)

In dem Dorf Altbruck, in der Nähe von München, werden achtzig Jahre alte Knochen gefunden. Aufgrund der Verjährungen soll es dazu keine Ermittlung geben, aber Gina Angelucci, die bei der Kripo an ungelösten Fällen arbeitet und gerade aus der Elternzeit zurück ist, verbeißt sich in dem Fund und ermittelt schließlich doch. Ihre Recherche führt sie in die Vergangenheit des zweiten Weltkrieges und zur Heeresmunitionsanstalt, die damals ganz in der Nähe von Altbruck stand. Kann Gina die Identitäten nach so langer Zeit noch klären und gar den Tathergang rekonstruieren?

Elternzeit und Hausmann

Unbarmherzig von Inge Löhnig ist Gina Angeluccis zweiter Fall (Fall 1: Gedenke mein). Nach zwei Jahren Elternzeit tauscht sie nun die Rollen mit ihrem Mann Tino, der ebenfalls bei der Kripo in München arbeitet (Kommissar Konstantin Dühnfort, mit dessen Fällen die Autorin bekannt wurde). Diesen Teil finde ich schon mal sehr sympathisch, dass eben auch der Vater Elternzeit nimmt, sogar ein ganzes Jahr. Das ist ja bislang noch eher ungewöhnlich. Die Tochter der beiden, Chiara, wurde mit Down-Syndrom und schwerem Herzfehler geboren, entwickelt sich nun aber gut. Dieses Thema hätte für meinen Geschmack gern noch etwas vertieft werden können, aber das Privatleben und die Feierabende von Gina nehmen nicht zu viel Raum ein, der Fall steht im Vordergrund.

Verschiedene Perspektiven

Ein weiterer Handlungsstrang besteht aus einer Frau, die Gina und ihre Familie offensichtlich stalkt. Tino geht der Sache nach und versucht vor allem Chiara zu schützen. Meiner Meinung nach trägt dieser Strang nicht zur Spannung bei und lenkt eher von Ginas Ermittlungen ab, ich finde ihn komplett überflüssig. Der Spannungsbogen ist eher gleichbleibend unaufgeregt, aber trotzdem empfand ich die Geschichte nicht als langatmig. Sie wird aus der Perspektive der Ermittlungen, aus Sicht zwei verfeindeter Familien im Dorf und Tagebucheinträgen geschildert. Durch diese Abwechslung bekommt der Leser genügend Einblicke, um sich nach und nach einen Reim auf alles zu bilden, was mir sehr gefallen hat. Auch das Ende ist eher unaufgeregt, was der Lösung des Falls aber keinen Abbruch tut.

Fazit: Eine interessante Ermittlung, die unaufgeregt ist und mich gut unterhalten hat.

Schon als Kind verfügte Inge Löhnig über so viel Fantasie, dass ihre Geschichten noch heute in der Familie legendär sind. Neben dem Beruf als Grafik-Designerin war Schreiben lange ein Hobby. Erst mit dem Erscheinen der Reihe um den Münchner Kommissar Konstantin Dühnfort wurde daraus die neue Profession. Die Kriminal-Romane von Inge Löhnig sind ebenso regelmäßig auf der Bestsellerliste zu finden, wie die spannenden Familien-Romane, die sie unter dem Pseudonym Ellen Sandberg veröffentlicht. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von München.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Unbarmherzig | Erschienen am 31. Mai 2019 bei Ullstein
ISBN 978-3-548-29097-3
384 Seiten | 12.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Rezension zum Titel Deiner Seele Grab der Autorin (nicht Bd. 1 der Serie) sowie zu den Romanen Die Vergessenen und Der Verrat von Ellen Sandberg, dem Alter Ego von Inge Löhnig.