Kategorie: historischer Krimi

Abgehakt | Kurzrezensionen März 2022

Abgehakt | Kurzrezensionen März 2022

Unsere Kurzrezensionen zum Ende März 2022

 

Philip Kerr | Metropolis

Lange vor Volker Kutscher und Co. startete Philip Kerr seine Reihe um den zynischen, aber moralisch integren Privatdetektiv und ehemaligen Polizisten Bernie Gunther während der Nazi-Zeit. Spielten die ersten Bände Mitte/Ende der 1930er, so waren die letzten Bände in der Nachkriegszeit angelegt, in der es aber immer noch vor Nazis wimmelte. Kurz vor seinem viel zu frühen Tod 2019 stellte der Autor mit Band 14 noch dieses Prequel fertig, dass 1928 spielt.

Gunther ist noch bei der Berliner Polizei und wechselt gerade von der Sitte zur Kripo zu dem inzwischen allgemein bekannten Ernst Gennat und seinem Chef Julius Weiß. Die Kripo hat Ende der goldenen Zwanziger alle Hände voll zu tun. Die Stadt in Aufruhr hält gerade ein Serienmörder, der „Winnetou“ genannt wird, weil er seine Opfer, Prostituierte, skalpiert. Kurz darauf wird ein weiterer Serientäter aktiv, das Opfer sind diesmal kriegsversehrte Obdachlose. Gunther ist der einzige, der hier einen Zusammenhang vermutet.

Die Zutaten dieses historischen Krimis sind inzwischen allgemein bekannt, wie auch viele der auftretenden Figuren. Kerr war ein versierter Rechercheur, es gibt vielerlei Verwebung von Fakten und realen Personen. So baut Kerr eine Begegnung mit George Grosz oder einen Besuch der legendären Kneipe „Sing Sing“ ein. Allgemein geht es um den Moloch Berlin, den manche am liebsten von einigen Menschen gesäubert sehen würden, seien es Huren, Krüppel oder Juden, das gesunde Volksempfinden und allgemein um Schäden der Seele. Die Nazis mit ihren menschenverachtenden Parolen erreichen immer mehr Zulauf. Natürlich tummeln sich inzwischen einige Autoren auf dieser Spielwiese, aber das Niveau von Kerr über die gesamte Reihe ist schwer zu erreichen. Aus meiner Sicht war diese Reihe immer geradliniger und stilistisch besser als die Konkurrenz in diesem Genre. Sehr traurig, dass dies der letzte Roman von Philip Kerr bleiben wird.

 

Metropolis | Erschienen am 14.09.2021 bei Wunderlich im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-8052-0047-9
400 Seiten | 24,- Euro
Originaltitel: Metropolis (Übersetzung aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4,0 von 5
Genre: Historischer Krimi

 

John McMahon | Cold Detective

Detective P.T. Marsh ist seit dem Unfalltod seiner Frau und seines Kindes nur noch ein Schatten früherer Tage, auch wenn er das im Dienst noch halbwegs verbergen kann. Eine Stripperin erzählt ihm, dass sie häufig von ihrem Freund verprügelt wird. Marsh nimmt sich eines Nachts im trunkenen Zustand der Sache an und verpasst dem Typen eine Abreibung. Dummerweise wird Marsh am nächsten Morgen zu einem Mordfall gerufen und ebenjener Typ, ein Neonazi, ist das Opfer. Die Sache wird aber schnell überlagert von einem weiteren Todesfund. Ein Feldbrand wird gelöscht und der Leichnam eines toten schwarzen Teenagers gefunden. Marsh merkt schnell, dass dies ein Lynchmord war und versucht Details verbogen zu halten, um keinen Aufruhr in der Bevölkerung in der Kleinstadt in Georgia hervorzurufen. Indizien führen zu dem toten Neonazi und Marsh stellt sich die Frage, ob er nicht doch versehentlich den Hauptverdächtigen ermordet hat.

„Cold Detective“ ist der Auftakt zu einer Reihe um den Detective P.T. Marsh aus Georgia, der hier im ersten Fall es mit einer offensichtlich rassistischen Tat zu hat. Autor John McMahon spielt mit verschiedenen Versatzstücken, die allesamt dem Leser nicht ganz unbekannt sind: Der gebrochene Ermittler im Kampf gegen alte Ressentiments, gegen korrupte Kollegen und andere gesellschaftlich hochrangige Personen. Die Tat und ihre Umstände sind nicht frei von Mystik, was gewisse Inspiration z.B. bei der Serie „True Detective“ vermuten lässt. Dennoch macht der Autor das über weite Strecken routiniert und ordentlich. „The Good Detective“, so der Originaltitel, wurde 2019 immerhin für den Edgar nominiert. Der Reiz des Plots liegt auch daran, dass der offensichtlich unbestechliche Ermittler immer wieder Angst haben muss, selbst als Verdächtiger im ersten Mordfall in den Fokus zu geraten. Ein wenig übertrieben fand ich jedoch die weitere Entwicklung im Lynchmord, bei dem für meinen Geschmack ein allzu großes Rad gedreht wird. Insgesamt mit Abstrichen aber ein passabler Reihenauftakt.

 

Cold Detective | Erschienen am 07.01.2022 im Piper Verlag
ISBN 978-3-492-31711-5
400 Seiten | 13,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-492-99980-9 | 9,99 €
Originaltitel: The Good Detective (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Sven-Eric Wehmeyer)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Gesellschaftskritischer Krimi

 

 

Doug Johnstone | Eingeäschert (Band 1)

Als Bestattungsunternehmer Jim Skelf mit etwa siebzig Jahren plözlich verstirbt, hinterlässt er drei Frauen, die sich fortan ums Familienunternehmen, zu dem auch eine Detektei gehört, kümmern müssen: Seine Frau Dorothy, seine Tochter Jenny und Enkelin Hannah. Ganz schnell kommt heraus, dass Jim regelmäßige Geldzahlungen an eine Frau und ihre Tochter vor seiner Frau verheimlicht hat, was Dorothy sehr erschüttert. Währenddessen verschwindet die Mitbewohnerin aus Hannahs Studenten-WG spurlos und da die Polizei wenig unternimmt, soll nach Hannahs Wunsch die Detektei Skelf das Verschwinden von Melanie Cheng aufklären.

„Eingeäschert“ ist der Auftakt zu einer Reihe um die drei Damen vom Bestattungsinstitut. Sehr morbide beginnt der Roman mit der Einäscherung des toten Familienoberhaupts Jim Skelf auf einem Scheiterhaufen im Garten. In der Folgezeit begleiten wir Dorothy, Jenny und Hannah abwechselnd durch Perspektivwechsel bei ihren Ermittlungen. Dorothy im Fall Jim Skelf, Jenny in einem neuen Fall von vermeintlichem Ehebruch, den die Detektei annimmt, und Hannah im Fall Melanie Cheng.

Autor Doug Johnstone ist von Haus aus Astrophysiker und somit darf der Originaltitel „A Dark Matter“ (Dunkle Materie) gerne erwähnt werden, denn er beschreibt sehr gut die Lebenslagen der drei Frauen, die sich neben der Trauer um Jim in unterschiedlichen Lebensaltern verschiedenen Krisen ausgesetzt sehen. Dorothy als belogene Ehefrau, Jenny frisch geschieden und joblos in der Midlife-Crisis, Hannah in tiefer Sorge um eine enge Freundin. Ihre Bahnen und Geschicke werden von unbekannten Dingen beeinflusst wie dunkle Materie das Universum. Ein gelungener Kriminalroman um familiäre Bande, das Leben und den Tod und über toxische Beziehungen mit einem ungewöhnlichen weiblichen Ermittlertrio.

 

Eingeäschert | Erschienen am 18.01.2022 im Polar Verlag
ISBN 978-3-948392-42-0
424 Seiten | 25,- €
Originaltitel: A Dark Matter (Übersetzung aus dem Englischen von Jürgen Bürger)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4 von 5;
Genre: Krimi

 

Ralf Langroth | Ein Präsident verschwindet

Besagter Präsident ist der Chef des damals noch sehr jungen bundesdeutschen Verfassungsschutzes. Am 20. Juli 1954 verschwindet Otto John und taucht kurz darauf scheinbar freiwillig in Ost-Berlin bei einer Pressekonferenz mit den DDR-Spitzen auf. Ein Coup der DDR gegen den Westen mit seiner Nazi-Kontinuität oder ist John doch nicht so freiwillig wie gedacht im Osten? Philipp Gerber von der Sicherungsgruppe des BKA soll in Berlin auf besonderen Wunsches von Kanzler Adenauer ermitteln. Das kommt Gerber sehr gelegen, ist doch seine Freundin, die Journalistin Eva Herden, ebenfalls in Berlin verschwunden. Hat sie etwas mit dem Fall Otto John zu tun?

Der Roman ist der zweite Band der Reihe historischer Thriller um den BKA-Beamten Philipp Gerber, der als Ausgewanderter mit der amerikanischen Armee im 2.Weltkrieg nach Deutschland kam und nun dort geblieben ist. Erneut hat der Autor sich ein reales Ereignis ausgesucht, um die er seine fiktive Geschichte platziert: Den Skandal um Otto John. Das Setting um die Schauplätze Bonn, Berlin und Pullach ist stimmig und akkurat wie auch die weiteren realen Persönlichkeiten, die hier als Figuren eingebettet werden, etwa Kanzler Adenauer oder Reinhard Gehlen, Ex-Wehrmachtsgeneral und dann Chef der Organisation Gehlen, Vorläufer des BND. Auch der Plot um Ost-West-Spionage und Misstrauen zwischen den westdeutschen Geheimdiensten ist gut gemacht und spannend. Ein wenig fallen die Figuren ab, bei denen es dann doch etwas an Tiefe fehlt. Aber als spannender Exkurs in deutsch-deutsche Geschichte ist dieser Roman nicht verkehrt.

 

Ein Präsident verschwindet | Erschienen am 15.02.2022 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-499-00477-3
384 Seiten | 16,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-644-00829-8 | 9,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5;
Genre: Historischer Krimi

 

Fotos und Rezensionen von Gunnar Wolters.

Mechtild Borrmann | Wer das Schweigen bricht

Mechtild Borrmann | Wer das Schweigen bricht

Es war einfach eine Dummheit gewesen. Seine ganze Neugierde auf diese Therese Peters war eine sentimentale Albernheit, die er sich jetzt nicht mehr erklären konnte. Unkritisch hatte er es für einen glücklichen Zufall gehalten, auf eine Journalisti zu treffen, und jetzt konnte man sie nicht mehr aufhalten. Er fühlte sich wie ein Verräter. Was würde diese Frau noch alles zutage fördern? Er nahm einen Schluck von dem Cognac. (Auszug S.52)

Robert Lubisch durchforscht den Nachlass seines vor Kurzem verstorbenen Vaters Friedhelm und findet dort den SS-Ausweis eines gewissen Wilhelm Peters sowie das Foto einer jungen Frau. Lubischs Interesse ist geweckt, sein Vater war ein strenger Patriarch und das Verhältnis war eher getrübt. Gibt es ein ungewöhnliches Geheimnis im Leben des so strebsamen Friedhelm Lubisch, der in den Nachkriegsjahren ein Firmenimperium aufgebaut hat? Robert Lubisch folgt einer Spur ins niederrheinische Kranenburg und findet heraus, dass die Frau auf dem Bild Therese Pohl, später Therese Peters war. Im ehemaligen Wohnhaus von Therese wohnt inzwischen die Journalistin Rita Albers, die ein paar Nachforschungen anstellt. Vor Ort will niemand viel sagen, Therese Peters ist irgendwann 1950 aus Kranenburg verschwunden, kurz nachdem ihr Mann vermisst gemeldet wurde. Albers wittert eine spannende Story und kann sogar ermitteln, wo sich Therese heute aufhält. Therese Mende ist inzwischen Erbin eines Modeimperiums und will zu den damaligen Ereignissen eigentlich nichts mehr sagen. Kurz darauf wird Rita Albers erschlagen in ihrer Küche aufgefunden.

Nun ermittelt die Polizei im Mordfall Albers. Verdächtigt wird auch Robert Lubisch, der kurz zuvor mit Albers zusammengekommen war, um sie von weiteren Ermittlungen abzuhalten. Schnell wird klar, dass die Lösung in der Vergangenheit zu finden ist. Nach und nach ergibt sich eine Geschichte von sechs jungen Menschen, die im Sommer 1939 die Schule beenden und deren enge Freundschaft aufgrund verschiedener traumatischer Ereignisse nach und nach zerbricht. Diese Ereignisse von damals werfen einen Schatten bis in die heutige Zeit und Robert Lubisch wird sich wünschen, diese Büchse der Pandora niemals geöffnet zu haben.

„[…] Es gab im Winter 1944/45 keine Zeit für Trauer, und manchmal denke ich, dass das eine der Tragödien dieses Krieges war, vielleicht jedes Krieges ist. Wenn wir keine Zeit zum Trauern haben, verlieren wir eine Dimension unseres Menschseins.“ (Auszug S.195)

Mechtild Borrmann schreibt abwechselnd in den beiden Zeitebenen 1998 und 1939-1950. Dabei wechselt sie sowohl direkt in die Vergangenheit als auch über Erinnerungen der Personen, zumeist Therese Mende. Der Ton ist ruhig, das Tempo eher gemächlich. Die Autorin schreibt klar und stringent, mit wenig Ausschweifungen, doch nie nüchtern. Der Fokus liegt auf den Figuren und ihren Gefühlswelten. Die Erzählperspektive wechselt zwischen verschiedenen Personen. Nach und nach wird diese Tragödie enthüllt und entfaltet so noch präziser ihre erzählerische Kraft. Mit einer nicht erwarteten Wendung ganz zum Schluss wird der Leser nochmals überrascht.

Mechtild Borrmann ist inzwischen Bestsellerautorin, 2011 war sie jedoch noch im Aufbau ihr schriftstellerischen Karriere. Sie hatte zuvor drei beachtete Kriminalromane veröffentlicht, der enorme spätere Erfolg war jedoch noch nicht absehbar. Im Februar 2011 erschien dann ihr dritter Roman im Bielefelder Pendragon Verlag. „Wer das Schweigen bricht“ war dann der endgültige Durchbruch der Autorin und für den Verlag ein Glücksgriff, eine 22.Auflage erreicht man so schnell nicht wieder. Der Roman war aber nicht nur bei den Leser:innen ein voller Erfolg, auch die Kritiker waren begeistert und vergaben für dieses Werk ein Jahr später den Deutschen Krimipreis.

Natürlich spielt die Geschichte im zweiten Weltkrieg und unter dem nationalsozialistischen Regime. Dies beeinflusst und sorgt für eine Katalyse der Ereignisse. Doch im Grunde genommen erzählt Borrmann eine ganz klassische Geschichte von Freundschaft, nicht erwiderter Liebe, Enttäuschung, Eifersucht, Hass und Schuld – und welche Tragweite persönliche, manchmal spontane Entscheidungen entfachen können, auch über Jahrzehnte hinweg. Und über das spätere Schweigen, dass die offenen Gräben zwar füllt, aber die Erinnerung nie ganz verdrängt. Das Ganze transportiert sie sehr geschickt in den beiden Zeitebenen mit glaubwürdigen Figuren, die diesen eher leisen, aber dadurch umso mächtigeren Roman tragen. „Wer das Schweigen bricht“ ist ein herausragender Kriminalroman, den man mehr als zehn Jahre nach Veröffentlichung schon als Klassiker des Genres verorten kann.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Wer das Schweigen bricht | Erschienen am 07. Februar 2011 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-231-9
224 Seiten | 9,95 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Alex Reeve | Das Haus in der Half Moon Street (Band 1)

Alex Reeve | Das Haus in der Half Moon Street (Band 1)

Sein Spezialgebiet waren die Angeschwemmten, Hinabgestoßenen, Exhumierten und Vergifteten Londons, all die armen Teufel, deren Todesursache als verdächtig eingestuft wurde. Er schnitt sie auf und studierte ihre Innereien, und ich nähte sie wieder zu, so gut wie neu oder doch nicht viel schlechter, und schrieb die Befunde für die Polizei auf. (Auszug Seite 7)

Mit „Das Haus in der Half Moon Street“ startet Alex Reeve eine historische Krimiserie im viktorianischen London. 1880 arbeitet der junge, intelligente Leo Stanhope im Leichenschauhaus des Westminster Hospitals als Assistenten des Chirurgen Hurst. Stanhopes Leben gerät aus den Fugen, als eine weibliche Leiche mit eingeschlagenem Schädel auf seinem Tisch landet. Die Tote, die aus der Themse gefischt wurde, ist die Prostituierte Maria Milanes, die in einem Bordell in der Half Moon Street gearbeitet hat. Maria war Leos große Liebe, mit der er ein neues Leben beginnen wollte. Detective Ripley hat Stanhope sofort als Hauptverdächtigen im Visier und steckt ihn für eine Nacht ins Gefängnis. Für Leo eine lebensgefährliche Situation und sofort nach seiner Entlassung macht er sich auf die Suche nach dem wahren Mörder. Auch weil die Aufklärung von einem Prostituiertenmord bei der Polizei keine große Priorität hat. Bei seinen Nachforschungen entdeckt Leo, dass Maria ihm viele Sachen verheimlichte und ihm wird klar, dass er sie kaum kannte. Er macht auf eigene Faust Jagd nach dem Mörder, auch wenn er dabei Gefahr läuft, dass sein eigenes lang gehütetes Geheimnis dabei ans Licht der Öffentlichkeit kommen könnte.

Spoiler
Das Besondere an diesem historischen Krimi ist der Ich-Erzähler Leo Stanhope und ich war etwas unschlüssig, ob ich sein Geheimnis spoilern sollte. Aber dieses wird bereits auf den ersten Seiten gelüftet und ist ein Aspekt, der den Roman, wenn nicht prägt, dann aber doch sehr im Fokus steht. Leo Stanhope ist im Körper einer Frau geboren. Als Tochter eines Landpfarrers, damals noch Charlotte Pritchard, erkannte er schon früh, dass er im falschen Körper lebt und beschloss mit fünfzehn, als Mann aufzutreten und seine Familie Richtung London zu verlassen. Besonders sein engstirniger Vater, Reverend Ivor Pritchard hatte ihm das Leben zur Hölle gemacht. Lediglich mit seiner Schwester Jane hat er mittlerweile noch Kontakt, aber auch sie kann seinen Identitätswechsel nicht akzeptieren und will den Moralvorstellungen der damaligen Zeit geschuldet, nichts mit ihm zu tun haben.

Im 19. Jahrhundert galt Transition als Verbrechen. Transsexuelle führten ein Leben im Verborgenen, wollten sie nicht im Gefängnis oder im Irrenhaus landen, wo sie mit Elektroschocks oder Hirn-Operationen behandelt wurden. Diesem Aspekt wird vom Autor sehr viel Raum gewährt und man spürt sein Bemühen, Leos tägliche Herausforderungen seiner Zeit glaubhaft darzustellen. Das ist ihm auch gut gelungen, dank der Ich-Erzählperspektive bekommt man einen intensiven Eindruck von Leos Gefühls- und Leidenswelt, auch wenn es hin und wieder zu Wiederholungen kommt. Obwohl das Hauptaugenmerk schon auf seinen Schwierigkeiten im Alltagsleben liegt und für einige dramatische Situationen sorgt, fügt es sich doch mühelos in den Hauptplot ein. Mit den Ermittlungen in dem Kriminalfall ist es aber nicht verbunden und dass Leo trans ist, spielt dabei gar keine Rolle.

Das Flair des historischen London sowie die Gerichtsmedizin ziehen mich immer wieder an. Und Reeve nutzt das Potential einer Großstadt im viktorianischen Zeitalter auch perfekt aus und hat gründlich recherchiert, um ein realistisches Setting und Abbild der damaligen Gesellschaft zu erschaffen. Aber wenn es um die typisch düstere Atmosphäre geht, bietet der Roman nur Beliebiges, und ich habe das schon in anderen Lektüren besser gespürt. Andrerseits habe ich die Geschichte wirklich sehr gerne gelesen. Typisch für den Auftaktband einer Reihe nimmt der Autor sich viel Zeit, die Hauptfigur und einige wenige Charaktere ausführlich vorzustellen. Leo wohnt in einem kleinen Zimmer über der Apotheke eines Witwers und seiner altklugen Tochter zur Untermiete, die ums wirtschaftliche Überleben kämpfen. Er führt ein zurückgezogenes Leben, neben seiner Arbeit in der Pathologie und den Besuchen im Bordell trifft er sich einmal in der Woche zum Schachspielen. Frauen haben es in der Zeit nicht leicht, im weiteren Verlauf trifft Stanhope eine Engelmacherin und die Tortenbäckerin Rosie, die nach dem Tod ihres Mannes mit den Kindern alleine zu Recht kommen muss. Der Krimiplot ist nicht rasend spannend, aber flüssig geschrieben, mit einigen falschen Fährten und gibt dem Leser immer wieder Rätsel auf.

Trigger
Dabei wird auch Menschenhandel thematisiert und man sollte sich auf detaillierte Beschreibungen von Gewalt- sowie Missbrauchsdarstellungen einstellen. Besonders Stanhope ist aufgrund seiner Physis den Angriffen oft nicht gewachsen und bekommt das ein oder andere Mal ordentlich auf die Mütze. Der Autor schreckt auch nicht vor einer explizit geschilderten Vergewaltigungsszene zurück, sodass der historische Krimi sicherlich eine Triggerwarnung verdient hätte.

Im Nachwort erläutert der britische Autor seine Intention für die Verwendung einer Transgender-Hauptfigur in seinem Debüt-Roman. Er setzt sich dabei auch mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung auseinander, da er kein Trans-Mann ist. Vielleicht war es auch einfach nur eine schlaue Idee, auf den Mainstream-Zug aufzuspringen, denn Transgender-Themen sind in der Öffentlichkeit aktuell sehr präsent. Die Schwierigkeiten von Leos Leben im 19. Jahrhundert bilden zwar den Angelpunkt der Geschichte und werden feinfühlig dargelegt. Aber im nächsten Band könnte der Autor dann vielleicht dem Krimiplot mehr Raum geben und mehr Sorgfalt in die Ausgestaltung verwenden. Wenn dann die Besonderheit Leos mehr in den Hintergrund rückt und als selbstverständlich hingenommen wird, wäre ich gerne wieder dabei. Für mich ein solider Auftaktband mit einer besonderen, sympathischen Hauptfigur und Luft nach oben.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Das Haus in der Half Moon Street | Erschienen am 02.11.2021 bei Knaur TB
ISBN 978-3-426-52639-2
416 Seiten | 12,99 €
Originaltitel: The House on Half Moon Street (Übersetzung aus dem Englischen von Christine Gaspard)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Stuart Turton | Der Tod und das dunkle Meer

Stuart Turton | Der Tod und das dunkle Meer

Wenn ihre Vermutung richtig war, dann war der Aussätzige direkt aus dem Meer geradewegs den Schiffsrumpf hinauf bis zu ihrer Fensterluke gestiegen. (Auszug Seite 238)

Mitte des 17. Jahrhunderts sticht eine Flotte von 7 Schiffen der Vereinigten Niederländischen Ostindien-Kompanie von Batavia in See. Ankunftsziel ist nach 8 Monaten beschwerlicher Fahrt Amsterdam. Hauptschauplatz des Romans ist die Saardam, auf der Generalgouverneur Jan Haan mit großer Entourage reist: Leibwache, seine Ehefrau Sara Wessel, die gemeinsame Tochter und seine Geliebte sind mit an Bord. In Amsterdam soll Haan einer der „Siebzehn Herren“ werden, die das Direktorium der Ostindiengesellschaft bilden. Den Frachtraum füllen Schweine und Kühe, Weidenkörbe mit krächzenden Hühnern, Kisten mit Gewürzen, Seidenstoffen, darunter auch welche, deren Inhalt der Gouverneur sorgfältig geheim hält. Ebenfalls an Bord sind der berühmte Meisterdetektiv Samuel Pipps und sein Leibwächter und Freund, der Söldner Arent Hayes. Pipps hatte für Haan einen gestohlenen Schatz wieder gefunden, war aber danach in Ungnade gefallen und reist jetzt als Gefangener nach Amsterdam, wo ihm der Prozess gemacht werden soll.

Der alte Tom
Unmittelbar bevor die Saardam in See sticht, wird das Schiff von einem in blutige Lumpen gehüllten Aussätzigen verflucht, der nach seiner Prophezeiung in Flammen aufgeht und qualvoll verbrennt. Die Umstehenden können ihm nicht mehr helfen und nur noch feststellen, dass man der armen Kreatur die Zunge rausgeschnitten hatte. Trotz großer Verunsicherung auf Seiten der Passagiere tritt die Saardam ihre Reise an. Schon kurz nach dem Auslaufen geschehen unheimliche Dinge an Bord. Auf den Segeln wird ein bedrohliches Zeichen entdeckt. Das Auge mit Teufelsschwanz gilt als das Zeichen des „Alten Tom“ – eine Inkarnation des Teufels, der schon vor 30 Jahren in den Provinzen für großes Blutvergießen sorgte. Absonderliche Gewaltakte gipfeln in Morden und ein Flüstern weht durch das Schiff, das alle an Bord verführen möchte, ihren dunkelsten Wünschen nachzugeben. Es entsteht eine explosive Gemengelage aus verängstigten Passagieren, gesetzeslosen Matrosen und die von Haan als Leibwache mit an Bord genommenen kampferprobten Musketieren. Die Suche nach der Wahrheit wird zum Wettlauf mit der Zeit, denn der „Alte Tom“ bringt nach und nach das Schiff in seine Gewalt und der angekündigte Untergang scheint unabwendbar.

Der Bär und der Spatz
Arent Hayes wird mit Ermittlungen beauftragt, um den Dämon zu finden, der sich unter die Passagieren oder die Besatzung gemischt habe könnte. Dabei ist er ganz alleine auf sich gestellt, da Pipps in Ketten in ein dreckiges Loch geworfen wird. Es fällt ihm schwer, diese Rolle anzunehmen, denn mit seiner großen massigen Statur war er immer nur der Mann fürs Grobe und Pipps mit seinem detektivischen Scharfsinn galt als das Brain. Der Bär und der Spatz werden sie von allen genannt, denn Arent ist fast doppelt so groß wie der hochintelligente aber eitle Sammy. Für mich ist Arent Hayes auf jeden Fall die interessantere Figur. Kompetente Hilfe findet Hayes in der resoluten Sara Wessels, die an seiner Seite das Schiff und ihrer aller Leben retten will.

Dem Autor gelingt es mit wenigen Pinselstrichen prägnante Charaktere zu erschaffen, die ihre eigene Motivation und Geheimnisse haben. Man erhält auch Einblicke in ihre Vergangenheiten. Diese sind auch nötig, um die Auflösung zu verstehen, wenn sich im Finale alle Teilinformationen zu einem großen Ganzen fügen. Es gibt abergläubische und religiöse Passagiere, intrigante Adelige, verschlagene Seeleute, mit Jan Haan einen machtgierigen, frauenverachtenden Tyrannen und einige starke weibliche Charaktere.

Auch wenn auf dem Cover Kriminalroman steht, verspricht die optische Umschlaggestaltung mit dem Anker und Kompass auf grün-blauen Wellen genau das was man bekommt: Eine farbenfrohe Abenteuergeschichte, einen prall gefüllten Spannungsschmöker auf hoher See und durch den eingeschränkten Handlungsspielraum auch ein maritimes Kammerspiel. Schiffsreisen zur damaligen Zeit waren alles andere als komfortabel. Die vielen realistischen Details sorgen dafür, dass man die klaustrophobische Enge und Finsternis im Innern des Schiffes nachempfinden, die rauen Wellen spüren, die Seeluft und den Gestank riechen kann. Für den Leser ist diese Schifffahrt allerdings ein großes Vergnügen, ein großer Spaß, es hätte für mich noch düsterer sein können.

Es war eine ölige Dunkelheit, die mit einem Geruch nach Bilgenwasser, Sägemehl, Gewürzen und Fäulnis angefüllt war. Von der Decke tropfte Wasser auf die herumstehenden Kisten herab. Es kam ihr so vor, als würde jeder elende Gedanke, der den Menschen oben an Deck durch die Köpfe ging, durch das Schiff sickern und sich hier unten sammeln. (Auszug Seite 266)

Stuart Turton liebt es, jede Menge Seemannsgarn zu spinnen und obwohl er die geschichtlichen Ereignisse dieser Zeit gründlich recherchiert hat, fühlt er sich nicht der Historie verpflichtet. In seinem Roman stehen die Fiktion und nicht die historischen Fakten im Vordergrund. Zusätzlich zu einer Karte vom Schiff am Anfang des Buches gibt es auch ein Personenregister mit Namen und Rang der wichtigsten Personen ähnlich wie bei seinem Debüt-Roman. Und genau wie in „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ versteht es der britische Autor, mit einem nie versiegenden Quell an Kreativität, aber auch mit einer großen Leichtigkeit verschiedene Genres zu verknüpfen sowie mit vielen unheimlichen Andeutungen Schrecken zu vermitteln. Ein fesselnder, historischer Kriminalroman und spannender Rätselkrimi mit einer guten Portion Witz. Und mit dem Auftauchen eines Geisterschiffes musste ich tatsächlich an „Fluch der Karibik“ denken.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Der Tod und das dunkle Meer | Erschienen am 21. August 2021 bei Tropen
ISBN 978-3-608-50491-0
608 Seiten | 25.- Euro
Originaltitel: The Devil and the Dark Water (Übersetzung aus dem Englischen von Dorothee Merkel)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Andys Besprechung von Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle

Reingehört | Hörbücher-Kurzrezensionen ♬

Reingehört | Hörbücher-Kurzrezensionen ♬

Hörbuch-Kurzrezensionen Anfang Dezember 2021

 

 

Judith Merchant | Schweig! ♬

Nach „Atme“ aus dem Jahr 2019 ist dies der zweite Thriller der Autorin Judith Merchant, einer studierten Literaturwissenschaftlerin und Mitglied des Syndikats. Bei „Schweig!“ handelt es sich um ein spannendes Psychodrama, in dem zwei unzuverlässige Erzählerinnen in einer Art Kammerspiel aufeinander treffen. Die beiden Schwestern könnten unterschiedlicher nicht sein. Esther, die Ältere, eine Perfektionistin, lebt mit Mann und 2 Kindern in der Stadt und trotz Weihnachtsstress fährt sie bei starkem Schneefall zu ihrer Schwester Sue, einer verschrobenen Eigenbrötlerin, die seit ihrer Scheidung, seelisch angeschlagen, alleine und abgeschieden in einem großen Haus mitten im Wald lebt. Aus zunächst verbalen Sticheleien wird schnell ein erbitterter Kampf und dem Hörer wird klar, dass die beiden seit Kindertagen eine ziemlich schwierige und ungesunde Beziehung zueinander haben. Manipulative Machtspielchen waren schon immer an der Tagesordnung und können Neid und Missgunst kaum verbergen. Immer weiter wird an der Eskalationsstufe gedreht und man spürt, dass das auf eine Katastrophe hinausläuft. Viele unerwartete, nicht immer ganz schlüssige Wendungen wissen zu überraschen und obwohl die anstrengenden Charaktere dem Hörer einiges abverlangen, wollte ich die ganze Zeit wissen, wie es weiter geht und wurde in die Geschichte hineingezogen.

Durch den raffinierten Kniff, die Erzählperspektiven ständig zu wechseln, entsteht eine unterschwellige Spannung, denn nichts ist so wie es auf den ersten Blick scheint und man kann sich für keine Seite entscheiden. Dass wir es mit drei unterschiedlichen Sprechern zu tun haben, kommt dem Psychothriller sehr entgegen, denn er ist sehr dialoglastig, alle Empfindungen können dadurch gut kommuniziert werden und die Handlung wirkt dynamisch. Mit kleinen Abstrichen ein wirklich spannendes, gut durchdachtes Hörbuch, dessen Ende ich so tatsächlich nicht auf der Pfanne hatte.

 

Schweig! | Als Hörbuch erschienen am 09. September 2021 im Argon Verlag
ISBN: B09CZCKZ91
Ungekürzte Lesung | Sprecher: Christiane Marx, Ulrike Kapfer, Tim Gössler
Laufzeit: 8 Stunden, 17 Minuten | 17,64 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Die Printausgabe erschien bei Kiepenheuer & Witsch

Wertung: 4,0 von 5
Genre: Psychothriller

 

 

Ken Follett | Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit (Band 4) ♬

Als vor über 30 Jahren ‚Die Säulen der Erde‘ rauskam, war der Mix aus Mittelalterroman, Thriller und Romanze komplett neu und gefühlt hat jeder das Epos über den Jahrzehnte dauernden Bau einer Kathedrale gelesen. Die Nachfolgebände interessierten mich dann weniger, als aber 2020 ‚Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit‘ erschien, das thematisch knapp 140 Jahre vor dem 1. Teil im Jahr 997 spielt, war ich wieder Feuer und Flamme. Genau das richtige, um auf meinem Arbeitsweg in eine andere Welt abzutauchen.

Edgar, ein junger Bootsbauer muss erleben, wie Wikinger sein Heimatdorf an der Küste überfallen und zerstören. Dabei werden nicht nur Heim und Werft komplett zerstört, auch sein Vater und seine Geliebte kommen ums Leben und er ist gezwungen, in einem kleinen Nest namens Deng’s Ferry im Landesinneren als Bauer sein Brot zu verdienen. Doch der handwerklich geschickte Edgar hat eine schnelle Auffassungsgabe und viele fortschrittliche Ideen. Zeitgleich macht sich die normannische Grafentochter Ragna von Cherbourg auf den Weg nach England, um den Aldermann Wilf zu ehelichen. Schnell verliert sie ihre Naivität, denn das Leben neben dem angelsächsischen Edelmann ist nicht so wie vorgestellt und sie muss sich gegen die Intrigen seiner durchtriebenen Familie zur Wehr setzen. In der naheliegenden Stadt Shiring kämpft der ambitionierte Mönch Aldred gegen klerikale Widersacher, z.B. den gewissenlosen Bischof Wynstan. Nach und nach verbinden sich die Wege der einzelnen Figuren.

Damit ist dieser Schmöker, der den Weg eines Weilers zu einer aufstrebenden und florierenden Stadt zeigt, das Prequel zu den anderen Kingsbridge-Romanen des Autors. Follett beschreibt diese raue Epoche, in der die Menschen unter großen Entbehrungen, vielen Krankheiten und der Willkür der Reichen leiden mussten, gewohnt bildhaft. Die Lebensumstände sind geprägt durch einen ständigen Überlebenskampf, Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg. Der Schreibstil ist einfach, atmosphärisch und die Lebensumstände der Menschen werden durch Tobias Kluckert emotionsvoll transportiert. In gewohnter Ken-Follett-Manier sind die Rollen der Guten und Schurken eindeutig verteilt. Trotz trivialer Sprache und der Verwendung einiger Klischees fand ich die Geschichte durchaus fesselnd und konnte komplett in der Epoche versinken.

 

Kingsbridge | Als Hörbuch erschienen am 15. September 2020 bei Lübbe Audio
ISBN: B08HJDRZLR
Ungekürzte Lesung | Sprecher: Tobias Kluckert
Laufzeit: 28 Stunden, 59 Minuten | 25,99 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Die gebundene Ausgabe erschien im Limes Verlag
Originaltitel: The Evening and the Morning | Übersetzung aus dem Englischen von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher

Wertung: 3,5 von 5
Genre: historischer Roman

 

Alex Beer | Der letzte Tod (Band 5) ♬

Vor fast 100 Jahren ist Wien nach dem Krieg noch schwer gezeichnet, Lebensmittel sind knapp, durch mangelnde Hygiene verbreiten sich tödliche Krankheiten und die Bevölkerung kämpft mit einer galoppierenden Inflation. Emmerichs geliebte Zigarette kostet pro Stück bereits 120 Kronen, was er nicht müde wird, zu erwähnen. Im 5. Band der Reihe haben es Kriminalinspektor Emmerich und sein Assistent Winter mit einem grausigen Fund zu tun. Eine mumifizierte Leiche wird zufällig am Wiener Hafen in einem Tresor entdeckt. Bei der einen Leiche bleibt es nicht, der psychopathische Mörder hat schon sein nächstes Opfer im Visier. Dann wird ihnen noch der Psychoanalytiker Sándor Adler zur Unterstützung zur Seite gestellt und selbstverständlich hält der eigensinnige Emmerich von dem „Irrenarzt“ rein gar nichts. In eine Nebengeschichte bekommt es Emmerich wieder mit seinem alten Feind Koch zu tun. Das hätte man sich sparen können, die Geschichte ist meiner Meinung nach auserzählt. Eine Spur führt nach Budapest und Emmerich erhält Hilfe durch die ungarische Polizei. Diese internationale Zusammenarbeit ist ein schöner Hinweis auf die Anfänge von Interpol.

Wie es sich für einen historischen Roman gehört, bilden Nebenschauplätze und Nebenfiguren die geschichtliche Bühne und transportieren hervorragend das Stimmungsbild der Bevölkerung. Es liegt eine angespannte Atmosphäre über Wien, die Wut auf die Amts- und Würdenträger der Stadt steigt, geschuldet durch den großen Unterschied zwischen Reich und Arm. Besonders Emmerich kam mir noch nie so ruppig und unhöflich vor.

Der Österreichische Burg-Schauspieler Cornelius Obonya wertet mit viel Wiener Schmäh die Geschichte noch mal auf. Er gibt mit unterschiedlichen Akzenten jeder Figur eine ganz eigene Stimme und nur durch minimale Änderungen der Tonlage kitzelt er die charakterlichen Merkmale heraus. Emmerich aufbrausend und unangepasst mit tiefer, markanter Stimme und dann wieder den ausgleichenden Winter ganz zart und leise. Wirklich beeindruckend wie Obonya sich durch den ganzen Plot grantelt, grummelt, flüstert und flötet. Nur schade, dass es sich um eine gekürzte Version handelt. Der 5. Band glänzt mit seine Figuren, seiner Atmosphäre und den gut recherchierten Fakten, schwächelt ein bisschen in dem wenig originellen Krimiplot um den Serientäter.

 

Der letzte Tod | Erschienen am 11.10.2021 bei Random House Audio
ISBN: B09HKZBVLVgekürzte Lesung | Sprecher: Cornelius Obonya
Gesamtspielzeit: ca. 6 Stunden 39 Minuten | 12,99 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Die gebundene Ausgabe erschien im Limes Verlag

Wertung: 3,5 von 5
Genre: historischer Kriminalroman

 

Fotos und Rezensionen von Andy Ruhr.