Kategorie: Aktenzeichen

Jörg Maurer | Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt

Jörg Maurer | Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt

Im elften Band der Jennerwein-Reihe geht Autor Jörg Maurer die Sache mal ganz anders an; kein: wer war der Täter? Sondern: wie können wir die Tat verhindern? Der Plot von Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt ist typisch Maurer, mit hohem Spannungsfaktor, aber auch jeder Menge kabarettreifer Szenen ausgestattet.

Jennerwein hat zu Weihnachten sein gesamtes Team – verstärkt durch die im Rollstuhl sitzende, von ihrem anscheinen neuen Freund begleitete Gerichtsmedizinerin Verena Vitzthum sowie Polizeioberrat Dr. Rosenberger, der auch noch einen Überraschungsgast ankündigt – in seine Berghütte eingeladen. Die Gäste treffen nach und nach ein, teilweise mit Autos (wobei Nicole Schwattke ihren Jeep fast zum Absturz bringt), andere per Pedes auf unterschiedlichen Routen. Jennerweins Kollege Stengele kann es sogar nicht lassen, aus Sicherheitsgründen klettertechnisch die steile Felswand hinter der Hütte abzuchecken. Allerdings sind auch noch weitere Gestalten auf der verschneiten Strecke unterwegs: u.a. eine dunkle, leicht mitgenommene Gestalt mit Fernglas und Waffe, mehrere Snowboarder (die uns Lesern die Kunst des Snowboardens näher bringen und zum Ende hin durchaus eine bedeutsame Rolle spielen) und eine Informantin, die aufgeflogen und daher äußerst misstrauisch ist. Außerdem spielt eine Drohne, die Spurensicherer Becker in der Nähe von Jennerweins Haus gefunden und zu der Hütte mitgebracht hat, eine wichtige Rolle, ebenso wie die Familie Grasegger (diesmal zwar eine untergeordnete, trotzdem bedeutsame).

In der Hütte steigt mittlerweile die Stimmung, insbesondere, seit Jennerwein seine (in der Handlung immer wieder eingestreuten) Storys aus seiner Schulzeit zum Besten gibt, in denen in einer Adventszeit täglich u.a. Stinkbomben zum Einsatz kamen und in denen bereits der detektivische Spürsinn des noch jungen Jennerwein erkennbar ist. Doch plötzlich empfängt Jennerwein von einem seiner Gäste eindeutige Signale und auf einmal geht es um Leben und Tod, wobei Sprengstoff eine Rolle spielt. Jennerwein versucht verzweifelt, sein gesamtes Team unbemerkt vom Täter zu informieren; die Spannung steigt! Hilft dem Team seine jahrelange Erfahrung, um aus der Sache unbeschadet herauszukommen?

Jörg Maurer hat es auch diesmal auf seine unnachahmliche Art wieder geschafft, sowohl Spannung als auch Humor in seinem Plot zu verarbeiten. Seiner Phantasie hat er dabei augenzwinkernd den Lauf gelassen. Besonders gut zu erkennen in den Storys aus Jennerweins Schulzeit (ein Schelm, der Böses dabei denkt) und bei der Erwähnung der intergalaktischen Schmetterlinge, die 40.000 Jahre später auf einer sehr veränderten Erde die mittlerweile versteinerte Drohne (s.o.) in einer Felsspalte entdecken und daraus auf die Art der heutigen Weltbevölkerung schließen.

Alles in allem wieder ein spannendes Lesevergnügen, geeignet für alle, die in Kriminalromanen nicht nur Realität und tödlichen Ernst bevorzugen. Maurers Romane sind für mich immer wieder ein absolutes Muss. Hoffentlich geht es noch lange so weiter. Hierzu noch ein Hinweis: auch die Danksagung hat es „in sich“.

Jörg Maurer, geboren 1953 in Garmisch-Partenkirchen, studierte Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaften. Nach seiner Arbeit als Gymnasiallehrer für Deutsch und Dozent für Theatergeschichte an der Uni München kamen später eigene Produktionen an Kleintheatern sowie Radio- und Fernsehbeiträge hinzu, in zahlreichen Tourneen entwickelte er sein kultursatirisches Musikkabarett. Ab 2002 schrieb er Kurzgeschichten und Krimis, für die er bereits zahlreiche Preise erhielt, ab 2009 kamen dann die Kriminalromane um Hubertus Jennerwein und sein Team zum Zuge, für die er 2013 den Radio-Bremen-Krimipreis erhielt.

 

Rezension und Foto von Monika Röhrig.

Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt | Erschienen am 24. Oktober 2018 im S. Fischer Verlag
ISBN 978-3-651-02573-8430
430 Seiten | 16.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Rezensionen zu fünf vorherigen Jörg-Maurer Alpenkrimis.

James Sallis | Willnot

James Sallis | Willnot

Kurz darauf machten wir eine Kaffeepause, und als wir auf den Betonbänken vor dem gelben Bzzzy Bee Café saßen und Richard eindeutig immer noch über das Nummernschild nachdachte, fragte er mich, an was ich wirklich glaubte.
Wir stiegen wieder in den Wagen und fuhren weiter.
„An die Fähigkeit des Menschen“, sagte ich ihm, „unter erheblichen Anstrengungen geringfügig besser zu sein als seine ureigenen Instinkte und Neigungen.“ (Auszug Seite 60)

Normalerweise gebe ich an dieser Stelle einen kurzen Abriss zur Handlung. Dieser könnte in etwa lauten: In der amerikanischen Kleinstadt Willnot wird eine Grube voller Leichen gefunden. Auch der Arzt Lamar Hale ist an den Untersuchungen beteiligt. Kurze Zeit später kommt ein alter Bekannter in seine Praxis, der lange Zeit nicht mehr in Willnot war. Der Ex-Marine und Scharfschütze Brandon Lowndes wird von einer FBI-Agentin gesucht. Aber um ganz ehrlich zu sein: Autor James Sallis kam es eher weniger auf seinen Plot an. Er versandet vielmehr, stattdessen werden eine Menge Fragen aufgeworfen, ohne wirklich beantwortet zu werden.

Ich-Erzähler dieses Romans ist Lamar Hale. Ein älterer Arzt, der sowohl in einer Praxis als auch im Krankenhaus praktiziert und von der Polizei bei Bedarf herangezogen wird. Ein Mann, der sehr respektiert wird und diesen Respekt mit Gewissenhaftigkeit und Einsatz verdient. Hale lebt in einer Partnerschaft mit dem Lehrer Richard. Das Besondere an Dr. Hale: Im Alter von zwölf Jahren war er für einen längeren Zeitraum im Koma, dessen Ursachen nie diagnostiziert wurden. Er beschreibt, dass während des Komas und seitdem „Besucher“ zu ihm kommen. Menschen, deren Seelenleben er spürt und die sich „durch ihn hindurchbewegen“, zumeist in seinen Träumen. Für Hale eine ständige psychische Belastung. Hale versucht auch seine eigene Vergangenheit zu ergründen, vor allem seine Beziehung zu seinem Vater, einem Science-Fiction-Autor.

Somit bewegt sich der Roman sehr schnell weg von einer Krimihandlung zu psychologischen, philosophischen Fragen. Dabei kommen zahlreiche Figuren aus Lamar Hales Umgebung ins Spiel, wie etwa der Sheriff Hobbes, FBI-Agentin Ogden oder ein Junge aus Richards Schule. Sallis kommt über seine Figuren zu existentiellen Überlegungen über Leben, Krankheit, Ohnmacht und Tod.

„Wie ich schon sagte – wir nennen es Landung. Und zwar eine harte. Man kommt von einer Mission, alles war so fokussiert, und jetzt hängt alles nur noch lose zusammen, ohne Verbindung, und flattert im Wind. Man bekommt es nicht in den Griff und kann auch nicht begreifen, wieso alles so blass ist. Weil die Farbe fehlt.“ (Seite 119)

Willnot ist wieder so ein Buch, bei dem selbst ein sehr aufgeschlossener Leser wie ich ins Grübeln kommt, ob das hier überhaupt noch Kriminalliteratur ist. Es ist zwar schon in der Krimibestenliste gelistet, aber ich für mich würde es verneinen. James Sallis hat sich hier für meinen Geschmack schon sehr weit vom Genre entfernt. Ich hatte mir schon gewünscht, dass ein wenig mehr Thriller oder Noir drin gewesen wäre. Bitte nicht falsch verstehen, es handelt sich hier um keinen schlechten Roman. Sallis schreibt gute Dialoge, hat ein gutes Gespür für seine Figuren. Ich denke, wer von vornherein weiß, dass er hier eher etwas Existentialistisches als einen Thriller zu erwarten hat, kann sich besser auf diesen Roman einlassen. Ich habe mich aber von Anfang an schwer getan und muss daher feststellen, dass es bei mir nicht gezündet hat.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Willnot | Erschienen am 18. Februar 2019 in der Verlagsbuchhandlung Liebeskind
ISBN 987-3-95438-102-9
224 Seiten | 20.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Ellen Dunne | Schwarze Seele Bd. 2

Ellen Dunne | Schwarze Seele Bd. 2

„Mein spontanes Lachen war schwarz. Kam direkt von einem Ort, der wahrscheinlich meine Seele war. Kris hörte sich langsam an wie ich. Objektiv vielleicht keine gute Entwicklung, aber im Augenblick tröstlich.“ (Auszug Seiten Seite 134 und 135)

Eine Leiche wird in einem Bach entdeckt. Sie liegt da schon seit einigen Tagen und ist ziemlich entstellt, von Spuren ringsherum ist aufgrund des Novemberwetters auch nichts mehr zu erkennen. Alles deutet auf einen Unfall hin, aber Patsy Logan will sich damit nicht zufrieden geben und überredet ihren Chef, weitere Nachforschungen anstellen zu dürfen. Die Ergebnisse der Ermittlungen sind allerdings eher Spekulationen und nichts Handfestes, bis es zu einem weiteren Toten kommt. Hier steht ziemlich schnell fest, dass es kein Unfall war. Hängt alles miteinander zusammen und hat Patsy ihr Instinkt nicht getäuscht?

Zweiter Fall für Patsy Logan

Schwarze Seele von Ellen Dunne ist der zweite Kriminalroman um die Protagonistin Patsy Logan. Von Harte Landung, dem ersten Fall, war ich sehr begeistert. Dieser Fall liest sich ebenfalls sehr flüssig und ich bin gut durch die Kapitel gekommen. Insgesamt wurde ich von den Ermittlungen aber nicht wahnsinnig gepackt, was vermutlich damit zusammenhängt, dass es lange keine wirkliche Spur gibt und Patsy und ihre Kollegin Kris „auf blauen Dunst“ Leute aus dem Umfeld des Opfers befragen und sich irgendwelche Theorien zusammenreimen.

Viel Privatleben

Patsys Privatleben wird in dieser Geschichte ziemlich weitreichend beschrieben. Sie ist seit acht Jahren mit Stefan liiert und seit vier Jahren mit ihm verheiratet. Beide wohnen zusammen in einer Wohnung in München, die sie sich außerdem mit einem Papagei teilen. Seit einem Jahr versuchen die beiden auf künstlichem Wege Eltern zu werden und sind nun bei dem vierten Versuch. Diese Tatsache ist für Patsy emotional sehr aufreibend und dann schneit auch noch ihr Bruder herein und wohnt vorübergehend bei den beiden. Das Thema unerfüllter Kinderwunsch finde ich interessant und wird wirklich viel zu wenig thematisiert; davon habe ich gern gelesen, den Bruder fand ich teilweise etwas anstrengend und nervig.

Ende und Fazit

Zum Ende hin habe ich erst gedacht, dass der Täter dem Leser ja ziemlich früh mitgeteilt wird, aber es gab dann doch noch eine Wendung, die mir gefallen hat. Die Auflösung des Falls ist nicht übermäßig spektakulär, aber spannend, was mir gefällt. Insgesamt also ein solider Krimi mit interessanten privaten Aspekten der Protagonistin. Ich freue mich auf einen möglichen dritten Fall!

Ellen Dunne wurde 1977 nahe Salzburg geboren, arbeitete als Texterin bei Werbeagenturen und danach bei Google im Europa-Hauptquartier in Dublin. Sie lebte in Berlin, München, Mexico-Stadt und nun seit 2004 in Dublin. Die Autorin hat bis jetzt fünf Bücher veröffentlicht.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Schwarze Seele | Erschienen am 14. Januar 2019 bei Insel im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-458-36383-5
379 Seiten | 10.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Rezensionen zu den Romanen Wie du mir und Harte Landung von Ellen Dunne

Alexandra Kolb | Rindviehdämmerung

Alexandra Kolb | Rindviehdämmerung

Rindviehdämmerung, ein bayerischer „Heimatthriller“.

Schon die Eingangsszene macht klar, dass wir es hier weder mit einem Heimatroman, noch mit einem Thriller zu tun haben, das vom Verlag Edition Tingeltangel als Heimatthriller apostrophierte Buch „mit Akte X- und Twin Peaks-Touch, starken Charakteren, Witz und Verstand“ entpuppt sich schnell als schwer verdaulicher Mischmasch aus allen möglichen Genres der populären Unterhaltung, ein Durcheinander aus Kriminal- und Horror-Roman, Fantasy- und Geistergeschichte, Actionthriller, Heimat- und Familienroman. Frau Kolb glaubt offenbar „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, und so macht sie einiges anders, aber nichts besser. Dabei versucht die Autorin wahlweise Spannung oder Gänsehaut zu erzeugen, zu schockieren oder zu rühren, cool zu sein oder auch komisch, aber das ist ein bisschen viel gewollt und wenig gekonnt, deshalb gelingt es nicht. Wenn man ohne Witz schreibt, wird es nicht komisch, und oberflächlicher Grusel löst keine Spannung aus, ebenso wie die immer gleichen Schock-Elemente auf die Dauer nicht mehr verstören, sondern nur noch verärgern.

Die „starken Charaktere“ sind in Wahrheit stark überzeichnet, und, ehrlich gesagt, lassen sie sowohl Witz als auch Verstand zum großen Teil vermissen. Mehr als zwanzig Figuren bedienen unterschiedlichste Klischees, da bleibt die eine oder andere naturgemäß recht blass. Die Hauptdarsteller hingegen fallen allesamt aus dem Rahmen, sind auffallend anders, haben Schrullen und Ticks, oder, wie Kathi sagt, „einen an der Waffel“. Kathi ist Bedienung im örtlichen Wirtshaus „Küchlein“, zu ihrer Mutter hat sie ein herzliches, aber etwas distanziertes Verhältnis. Sie sieht den missionarischen Eifer kritisch, mit dem „Tara“, wie sich Gertrud Mühlbauer nennt, nicht nur ihre Tochter zu einem besseren, vor allem gesünderen Leben bekehren will. Sie betreibt im Ort eine Bioladen, in dem sie auch allerlei esoterischen Krimskrams verhökert. So wie sie sind viele Figuren ausgesprochen plakativ gezeichnet. Das macht sie, obwohl gar nicht unsympathisch, zunehmend unglaubwürdig, unwirklich.Wohl hat man hat ein Bild, kann aber keine Beziehung aufbauen, dazu sind die Personen nicht echt genug. Ihr Verhalten bleibt häufig unbegreiflich, es passiert zu viel Unerklärliches, Unerklärtes. Sie sollen dem Leser näher gebracht werden, indem ständig ihre Gedanken und Vorstellungen vermittelt werden, der innere Monolog ersetzt in diesem Buch fast vollständig den Dialog. Leider, denn es ist tatsächlich oft mühsam, den zudem häufig abschweifenden Überlegungen zu folgen, weil sie den Fortgang des sich mühsam fortschleppenden Plots immer wieder hemmen.

Der beginnt mit einer beispielhaften Szene: Die Frau des „Brezn-Barons“ Bertram Bachinger kommt ums Leben, auf höchst seltsame, spektakuläre Weise. Der Leser erlebt ihren Tod hautnah mit, kann das Geschehen aber nicht deuten, ebenso wenig ihr Gatte, und auch die Polizei steht vor einem Rätsel. Daher gerät für kurze Zeit Kathi in ihr Blickfeld, hinter vorgehaltener Hand munkelt man auf dem Revier von Psychosen und schlimmer Kindheit. „Komplett durchgeknallt“, heißt es. Sie hörte schon als Kind Stimmen, sie unterhielt sich stundenlang mit allen Tieren und Pflanzen, und sie sah… Dinge. Es begann, als sich ihre Eltern trennten, zu ihrem Vater hat sie seither keinen Kontakt. Der ist geistiger Führer einer Sektenkommune und nennt sich „Shiva Sonnensohn“, als Kind stand Kathi unter seinem unheilvollen Einfluss. Als Folge ihres Aufenthaltes bei den „Sonnenjüngern“ leidet sie an einer Borderline-Störung. Und zwar mit sämtlichen bekannten Symptomen, da lässt Frau Kolb kaum etwas aus. Kathi hat wiederholt versucht, sich umzubringen, hat sich eine Zeit lang geritzt, leidet unter Depressionen und Wahnvorstellungen. Viele Jahre lang war sie in verschiedenen Kliniken, dank der Behandlungen und hochdosierter Medikamente waren die Stimmen leiser geworden, die ihr befahlen, sich zu töten. Schließlich glaubte sie, geheilt zu sein, aber nun sind die Stimmen wieder da. Als ihr Auto streikt und sie in der Dunkelheit querfeldein nach Hause laufen muss, wird sie von einer Kuh angesprochen. Kathi bekommt Angst.

Am nächsten Morgen stehen Polizisten vor ihrer Wohnung beim fiesen Vermieter-Ehepaar Mollinger. Sie ermitteln im Fall der toten Frau Bachinger, an deren Anwesen ist Kathi Kathi auf ihrem nächtlichen Heimweg vorbei gelaufen. Sie ist empört über die Nachfragen der Ermittler, ihr Freund Joshi, ein schwuler Punk, ist hingegen entzückt von Andreas Doldinger, einem Kommissar aus Darmstadt, der die hiesige Dienststelle seit neuestem verstärkt. Andi hat eine etwas spleenige Herangehensweise an seine Ermittlungen: Er sucht die „Seele“ des Tatorts und meint damit ein diffuses Gefühl, das er bekommt, wenn er einen unbekannten Raum betritt, eine Mischung aus der „Energie“ und dem Geruch darin. Gesichter offenbaren ihm, was sich zum Tatzeitpunkt zutrug. Seltsam genug. Ansonsten ist er bemüht, ruhig und professionell zu arbeiten, aber in der Villa des Brezn-Barons:

Ein Schritt in den Raum, und dieser begann sich zu drehen. Mittig lag die Tote in grotesk verrenkter Haltung, so wie sie in ihren letzten Lebenssekunden gekämpft hatte. Die Gegner waren überall. Klein und gemein, von Rache beseelt und mit der Absicht, ihr kein leichtes und schnelles Ableben zu gönnen. Er konnte es beinahe sehen… Die Szenerie floss in ihn hinein, erklärte sich ihm auf eine Art, die er verstand, aber nicht erklären konnte. Angst, Zorn, Trauer, Rache… Ein Mord aus Rache. Sühne! (Zitat)

Die kursiv gesetzten Passagen geben die Gedanken der Handelnden wieder, wird es laut oder besonders emotional, kommen Majuskeln zum Einsatz. Und beides ist ständig der Fall, denn es wird sehr viel geschrien, gekreischt, gequiekt, auch in Gedanken, denn es herrscht ständig eine Atmosphäre von Angst und Schrecken, von Grauen und Terror. Die wird hervorgerufen durch das Auftauchen von allerlei Monstern und Ungeheuern, von Untoten und Wiedergängern, plötzlich haben auch einige Personen aus Kathis Umfeld seltsame Erscheinungen, geraten in Panik vor Furcht einflößenden Gestalten, sehen Tiere, die tot sind und nicht tot, wilde Tiere aus dem Wald, wie sie in der Hütte von Kathis Großmutter präpariert an der Wand hängen oder ausgestopft auf den Vitrinen standen, Trophäen des Großvaters, eines passionierten Jägers.

Lore Mühlbauer lebt in ihrer Forsthütte mit der alternden Schäferhündin Frau Schmitt, liebevoll „Schmidi“ genannt. Mit dem Tierarzt Valentin Müller hat sie schon seit Jahren eine heimliche Beziehung. Ebenso lange veranstaltet sie für Leichtgläubige rituellen Hokuspokus wie Liebeszauber, blickt in die Zukunft, legt die Karten, dazu präsentiert sie eine Menge Räucherstäbchen und angeblich magische Gegenstände. Auch Oberkommissar Gustl Schallhuber, Andis Vorgesetzter, holt sich, um seine Fälle zu klären, heimlich Rat bei ihr. Als eine Bekannte sie schließlich drängt, Verbindung mit dem Jenseits aufzunehmen, um in Kontakt mit ihrem verstorbenen Dackel Erwin zu treten, erweisen sich die Folgen ihres Rituals als fatal!

Frau Schmitt bemerkt als erste die beunruhigenden Veränderungen. Wer immer schon wissen wollte, wie Tiere denken und fühlen, bei Alexandra Kolb erfahren wir es. Ganz genau können wir miterleben, wie die liebenswerte Schäferhündin in den unheilvollen Strudel von Hexerei, schwarzer Magie und ihren bösen Ergebnissen hineingezogen wird, weil sie uns ihre sämtlichen Gedanken, Überlegungen und, ja, Gefühle mitteilt. Auch Anne Bonny, mit der Kathi sich jetzt öfter unterhält, ist im Bilde. Ihren Namen hat sie nach der legendären Piratin. Als einzige scheint sie besonnen und reflektiert, während alle anderen zunehmend hektisch und hysterisch reagieren.

Sind das lediglich Hirngespinste, bilden sich all diese mündigen Personen die beunruhigenden Phänomene nur ein oder geschieht hier etwas übersinnliches, ist wirklich Hexerei im Spiel? Ist der Leser zunächst ratlos, im Unklaren darüber, was nun Wirklichkeit ist und was Illusion, so scheint bald klar zu sein, dass ein Plan hinter den mysteriösen Vorkommnissen steckt, eine böse Absicht: Andi ist offenbar auf der richtigen Spur, denn dass die Ermittler im Fall Bachinger mangels anderer Erklärung offiziell von einem Unfall mit Todesfolge ausgehen, erweist sich als vorschneller Schluss. In schneller Folge gibt es eine Reihe von Todesfällen, die wie Unfälle aussehen, aber es sieht auch so aus, als habe da jemand nachgeholfen mit dem Ziel, Rache zu nehmen an Menschen, die in der Vergangenheit Schuld auf sich geladen haben. Was folgt, kann man ahnen: Immer mehr Schock-Momente, immer krassere Effekte, immer dicker aufgetragen, einfach „drüber“ und deshalb wenig wahrhaftig oder wirklich. Auch die ständig neuen „Rätsel“ sind dem Leser gar nicht mehr so rätselhaft, nach und nach ist das Strickmuster klar, der immer gleiche Horror wird allmählich durchschaut, auch wenn die reichlich wirren Gedankengänge der Protagonisten, häufig bruchstückhaft, oft auch abschweifend und irreführend, den Leser eigentlich in Atem halten sollen. Tatsächlich ist diese Erzählweise aber nicht geeignet, die Spannung hoch zu halten, sondern zeugt nur von Schwächen bei der Konstruktion der Geschichte.

Dabei ist die auf ihre Art sogar recht plausibel, ja, man darf sagen stringent, wenn man sich denn einlässt auf den bizarren Ansatz der Autorin, wenn man die schaurigen Kreaturen, die Dämonen, Untoten und Wiedergänger, wenn man den ganzen haarsträubenden Unsinn annimmt, dann wird man finden, dass der Plot tatsächlich Hand und Fuß hat, in sich schlüssig ist, vollkommen logisch, wenn nicht der ganze Hokuspokus immer wieder unbegründet, unmotiviert, vor allem uninspiriert stattfände, lediglich als billiger Effekt. Man kann einfach nicht glauben, was da passiert, oder besser, man kann es nicht ernst nehmen! Wäre all das wirklich unwirklich, unheimlich, könnte die Geschichte funktionieren, aber so will sich der Grusel nicht einstellen, die Schreckensbilder und Horror-Szenen wirken unfreiwillig komisch. Vielleicht hätten sie mit einem kleinen Augenzwinkern besser funktioniert, aber die Autorin nimmt ihre Gruselgestalten ernst, sie will offenbar wirklich erschrecken, nur gelingt ihr das mit derart überzogenen und gleichzeitig sich wiederholenden und abnutzenden Effekten nicht. Dazu bleibt die Erzählung zu sehr an der Oberfläche, zu wenig subtil und nuanciert, nicht hintergründig genug, zu eindimensional und monothematisch.

Immerhin ist der schwer verdauliche Stoff gut lesbar, dafür sorgt ein sehr einfacher, unprätentiöser Stil, man könnte auch sagen, die Ausdrucksweise ist sprachlich einigermaßen dürftig, bieder, mitunter ungewandt, manchmal aber auch mit Bildern, die im Bemühen um den besonders originellen Eindruck über das Ziel hinausschießen und so ungewollt für Heiterkeit sorgen. Die folgenden Zitate mögen stellvertretend als Beispiel für manch ähnliche Entgleisung dienen:

Kurz nachdem sie in den Wald getreten war, beschränkte sich die Sicht bereits auf schwach flackernde Flecken, der Rest bestand aus Schatten und Baumstämmen, die wie finstere Säulen einer Kathedrale des Bösen wirkten, ansonsten herrschte Finsternis.

Gleich einem bösen Karussell kam Kathi der Gedanke wieder und wieder. Bei jeder Wiederholung wurde er lauter und gemeiner.

Vor ihren Augen flimmerte es und in ihren Ohren rauschte es, als ob sie sich inmitten eines Orkans befand. Sie blickte um sich und fühlte die Hoffnungslosigkeit in sich wachsen.

Kathi fühlte, wie sie taumelte. Die Beine gaben nach, das Summen in den Ohren nahm zu und die Welt begann sich zu drehen. Etwas in ihr tat sich auf und brach entzwei.

Während Andi sie voran zog, senkte sich ein bleischwerer Schleier über Kathi. Gleichzeitig öffnete sich etwas in ihr und gab das Erkennen frei auf Dinge, die sie noch mehr ängstigten als sprechende Kühe.

Gleich abertausenden von Wespen brach in einem einzigen großen Schwarm die Erkenntnis hervor, während sich in ihrem Kopf in einem immer wieder kehrenden Echo die Worte wiederholten.

Hier befinden wir uns also bereits in der entscheidenden Schlacht unserer wackeren Helden gegen die Mächte der Finsternis. Gut, dass Andi mittlerweile sein Herz für Kathi und ihre schräge Familie entdeckt hat und sich mächtig ins Zeug legt, um sie zu schützen. Jetzt endlich kommt eine gewisse Spannung auf , auch wenn die verzweifelten Versuche, sich der Attacken der Monster zu erwehren, reichlich ausführlich und reißerisch in Szene gesetzt werden. Zum Thriller wird der Roman deshalb noch lange nicht, dazu wird der grundlegende Konflikt zu vordergründig abgehandelt, eine subtilere Darstellung wäre hier ein Gewinn. Schade, so wurde eine eigentlich interessante Idee verschenkt, weil nicht gut umgesetzt. Aber das kann ja noch werden, eine Fortsetzung scheint nach dem offenen Ende der Rindviehdämmerung jedenfalls möglich, der Albtraum ist offenbar noch nicht zu Ende.

Ich bin sicher, dass nicht wenige Leser sich für diese etwas andere Idee von Krimi begeistern können und auf den nächsten „Heimatthriller“ von Alexandra Kolb warten. Ich kann allerdings wenig anfangen mit diesem merkwürdigen Entwurf. Für den Rinderwahn deshalb von mir lediglich 2 Sterne.

 

Rezension und Foto von Kurt Schäfer.

Rindviehdämmerung | Erschienen am 3. Juli 2018 im Verlag Edition Tingeltangel
ISBN 978-3-944936-28-4
324 Seiten | 14.90 Euro
Bibliografische Angaben, Leseprobe & Buchtrailer

Abgehakt | März 2019

Abgehakt | März 2019

Birgit Lautenbach und Johann Ebend | Hühnergötter

Auf der Ostseeinsel Hiddensee wird in der Hochsaison ein drei Monate alter Säugling aus seinem Kinderwagen entführt. Die Mutter verständigt umgehend die beiden Inselpolizisten Daniel Pieplow und Lothar Kästner, die sofort den Ernst der Lage erkennen und sich Verstärkung von Rügen und aus Stralsund holen. Die ganze Insel ist in Aufruhe und auf der Suche nach dem Kind.

Gefallen hat mir die Spannung, die dadurch erzielt wird, dass der Täter auch zu Wort kommt und der Leser dadurch etwas im Vorsprung zu den Ermittlungen ist. Außerdem wird die Urlaubsregion authentisch beschrieben und in Gedanken konnte ich den einzelnen Schauplätzen gut folgen. Einziges Manko ist, dass es sich um einen eher kurzen Krimi handelt.

Hühnermord | Die gelesene Ausgabe erschien 2008 in 3. Auflage im Prolibis Verlag
ISBN 978-3-935263-29-0
nur noch antiquarisch erhältlich

Am 19. März 2019 erschien eine independently published Neuauflage
ISBN 978-1-79665648-0
139 Seiten | 7.99 Euro
Bibliografischer Angaben & Leseprobe

Genre: Küstenkrimi
Wertung: 4.5 von 5.0

Rezension und Foto von Andrea Köster.

 

Lars Kepler | Lazarus

Im bereits siebter Fall für Joona Linna wird es persönlich, denn unerwartet taucht in der Wohnung eines Grabschänders der Schädel seiner verstorbenen Frau in einer Gefriertruhe auf, zwischen Leichenteilen anderer. Als er dann noch Parallelen hinter einigen grausamen Morden vermutet, deren Opfer an verschiedenen europäischen Schauplätzen auftauchen, ahnt Joona, dass ein längst tot geglaubter schwedischer Serienmörder zurückgekehrt ist, um einen neuen Partner zu rekrutieren. Seine Theorie: Jurek Walter ermordet Kandidaten, die seinen Ansprüchen nicht genügten, was wiederum zur Verknüpfung der Einzeltaten zu einem Ganzen führte. Durch die Ereignisse und seine Hypothese alarmiert, setzt Joona umgehend einen wohlfein ausgearbeiteten Notfallplan für sich und seine Tochter in Gang, in den er am liebsten auch seine Freundin Saga einbeziehen möchte, aber es ist nicht jedermanns Sache, von jetzt auf gleich alle Brücken einzureißen und auf der Flucht zu leben, möglicherweise ohne die Möglichkeit auf Rückkehr ins gewohnte Leben. Joona akzeptiert Sagas Entscheidung, doch sein Vorhaben steht, denn er muss um jeden Preis seine Tochter vor Jurek Walter schützen.

Die Rahmenhandlung stimmte für mich, das Buch hat ein schönes, aufwendig gestaltetes Cover, das Auge liest mit. Leider nicht lange, denn mit Fortschreiten der Geschichte stellte sich bei mir immer mehr Unlust zum Weiterlesen ein, denn Autor Lars Kepler scheint seinen Spannungsbogen auf besonders grauenvolle Taten aufzubauen, die geradezu brutal sind (höher, schneller, weiter?). Das ließe sich noch überlesen, wenn es wenigstens flüssig voran ginge. Aber Kepler arbeitet mit teils seltsamen Satzkonstrukten und besonders die Gedanken so mancher Figur erschienen mir doch recht unlogisch.

„Der Täter muss einen gehörigen Serotoningehalt im präfrontalen Kortex und eine gesteigerte Aktivität der Amygdala haben, denkt Saga.“ (Auzug Seite 189)

Als dann auch immer häufiger noch Kommissar Zufall mitspielte, fühlte ich mich veralbert. Hätten wenigstens die Figuren ehrlichen Tiefgang, aber auch hiernach sucht man vergebens. Ich kann leider nicht beurteilen, ob sich Lazarus nur nach vorheriger Lektüre der sechs Vorgängerbände empfiehlt.

Lars Kepler ist das Pseudonym der Autoren Alexandra Coelho Ahndoril und Alexander Ahndoril.

Lazarus | Erschienen am 28. Februar 2019 im Verlag Bastei Lübbe
ISBN 978-3-785-72650-1
640 Seiten | 22.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: Krimi
Wertung: 2.0 von 5.0

Rezension und Foto von Nora.

 

Susanne Saygin | Feinde

Der Kölner Kommissar Can Arat und seine Chefin Simone Kerkmann ermitteln in einem brutalen Doppelmord an zwei bulgarischen Roma, die offenbar auf dem Schrottstrich gearbeitet haben. Die Kommissare stellen eine Verbindung zum Bauunternehmer und Mäzen Nolden fest. Doch der einzige Zeuge, der sich bereit erklärt zu reden, landet vor einer U-Bahn. Der Staatsanwalt ist außerdem ein Karnevalskumpel von Nolden. Der Fall droht im Sande zu verlaufen, doch Can ist nicht bereit, dies zu akzeptieren und ermittelt weiter – auf Teufel komm raus.

Autorin Susanne Saygin wohnte in Köln selbst in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem „Bulgarenhaus“, einer völlig überfüllten, heruntergekommenen Immobilie voller Arbeitssklaven. Dies inspirierte sie zu diesem packenden Krimi über Menschenhandel, Korruption und Ausbeutung, der auch sprachlich keine Kompromisse macht und die Dinge beim Namen nennt. Interessant fand ich die Wandlung des Romans, der erst als typischer Ermittlungskrimi beginnt und dann sich immer mehr auf den von Migräne geplagten und persönlich betroffenen Can fokussiert, bis hin zu seinem Road Trip nach Bulgarien auf der Suche nach der Wahrheit. Dabei beinhaltet die Story auch noch eine komplizierte Liebesgeschichte. Nur das Ende kam mir etwas zu kunstvoll oder märchenhaft vor in dieser sonst so knallharten Geschichte. Doch insgesamt ein richtig starkes, intensives Krimidebüt.

Feinde | Erschienen am 10. September 2018 im Heyne Verlag
ISBN 978-3-453-43889-7
352 Seiten | 12.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: gesellschaftskritischer Krimi
Wertung: 4.0 von 5.0

 

Alex Pohl | Eisige Tage

Die Leipziger Kommissare Hanna Seiler und Milo Novic ermitteln im Fall eines ermordeten russischen Anwalts. Dieser war bis vor einigen Jahren im Dunstkreis des Paten Vadim Iwanow, war danach in Ungnade gefallen. Doch der Anwalt scheint ein neues Betätigungsfeld gefunden zu haben, findet man doch in seinen Hinterlassenschaften eindeutige Bilder von minderjährigen Mädchen. Der Tote war offenbar in Mädchenhandel verstrickt und Seiler und Novic ziehen schließlich eine Verbindung zu mehreren aktuellen Vermisstenfällen in Leipzig.

Eisige Tage ist das Verlagsdebüt des erfolgreichen (Selfpublisher-)Autors Alex Pohl, bisher bekannt unter dem Pseudonym L.C. Frey. Ein grundsolider Kriminalroman mit düsterem Einschlag, für den nicht nur das Thema, sondern auch der russische Gangster Onkel Vadim sorgt, der als Bedrohung ständig im Hintergrund mitschwingt und zu dem die Polizisten eine ungesunde Beziehung entwickeln. Beide Ermittler haben wie üblich ihr Päckchen zu tragen. Der etwas monkhafte Novic, der eine grauenvolle Vergangenheit im Kosovokrieg hatte, ist (eher als seine Kollegin) aber durchaus als interessante Figur angelegt. Eine wichtige Rolle in der Geschichte spielen auch die jungen Neffen Iwanovs, die Gebrüder Karamasow (ernsthaft?). Nicht so ganz gelungen fand ich die merkwürdigen Zeitsprünge, die der Autor in der Geschichte einbaut, und die stellenweise etwas aufgesetzt wirkende Härte. Insgesamt war es aber ein durchaus ordentlicher und kurzweiliger Kriminalroman.

Eisige Tage | Erschienen am 11. Februar 2019 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10323-3 (Taschenbuch) | ISBN 978-3-641-22801-9 (eBook)
432 Seiten | 10.- Euro | 8.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: Krimi
Wertung: 3.0 von 5.0

 

Jurica Pavičić | Die Zeugen

Während des Kroatienkriegs im Juni 1992 führt Kreso seinen kleinen Trupp versehentlich durch ein von ihm selbst gelegtes Minenfeld. Zwei Männer sterben, Kreso selbst verliert ein Bein. Kurz bevor Kreso aus der Rehabilitation zurückkehrt, begehen einige seiner Kameraden aus Wut, Frust und Hass einen Mord an einem serbischen Unternehmer. Die 12-jährige Tochter wird Zeugin des Mordes, die Täter entführen und verstecken sie. Über Beziehungen zum angesehenen Arzt Matić gelingt es ihnen zunächst, die Tat zu vertuschen. Doch was sollen sie mit dem Mädchen machen? Kreso und auch seine Schwester, die Journalistin Lidija, werden auf den Fall aufmerksam.

Die Jugoslawienkriege waren der letzte bewaffnete Konflikt in der Mitte Europas. Ein brutaler Konflikt, dessen traumatische Ereignisse bis heute in der Region nachwirken. Die Zeugen spielt 1992 überwiegend in Split, dessen Hinterland zwischen Kroaten und Serben noch umkämpft war. Eine beengte, fast kleinstädtische Szenerie, ständig weht der Wind. Korruption und Vetternwirtschaft. Von den Bergen grollt der Krieg herunter. Der Roman ist ein aus verschiedenen Perspektiven erzählter Gesellschaftsroman, gleichwohl spannend. Sehr überzeugend ist der Blick auf die verschiedenen Figuren. Vor allem die Sicht auf die Reservisten, die perspektivlos und traumatisiert sich den niederen Instinkten ergeben, dabei aber in Kriegszeiten auf Rückendeckung von oben hoffen dürfen.

„Seit der Granatsplitter Luka umgebracht hatte, waren sie zu unbarmherzigen, männlichen Hass verurteilt. […] Sie mussten entschlossen und unbeirrbar sein, ihrem Zorn ergeben. Für andere mochte Hass eine Tugend sein, für sie war er eine Pflicht.“ Auszug Seite 40

Ein lesenswerter Roman über Hass, Wut, Scham, Schuld und Sühne, der sich aber der völligen Schwärze verweigert, sondern auch ein wenig Hoffnung verbreitet. Die Verfilmung, Svjedoci, gewann 2004 den Friedenspreis der Berlinale.

Die Zeugen | Erstveröffentlichung 1998
Die überarbeitete Neuauflage erschienen am 11. Februar 2019 im Verlag Schruf & Stipetic
ISBN 978-3-944359-44-1 | ISBN 978-3-944359-54-0 (eBook)
288 Seiten | 12.90 Euro | 5.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: Spannungsroman
Wertung: 3.5 von 5.0

 

Antti Tuomainen | Palm Beach, Finland

Jorma Leivo hat eine Vision: Ein Ferienparadies mit Palmen, Sandstrand und Miami-Feeling – an der finnischen Ostsee. Er hat schon einiges investiert in „Palm Beach, Finland“. Aber er braucht Haus und Grundstück von Olivia Koski. Die will allerdings nicht verkaufen. Deshalb heuert er Chico und Robin an, um Olivia ein wenig einzuschüchtern. Die treffen in Olivias Haus allerdings nicht auf Olivia, sondern auf einen Einbrecher und töten diesen versehentlich. Damit nehmen die Dinge ihren Lauf und rufen nicht nur Undercover-Cop Jan Nyman, sondern auch einen Auftragskiller, den Bruder des Getöteten, auf den Plan.

Mit Die letzten Meter bis zum Friedhof hatte mich Autor Antti Toumainen im letzten Jahr sehr überzeugt. Ein skurriler, melancholischer Roman mit interessanten Figuren, der eine gelungene Mischung aus Humor und Ernst war. Typisch finnisch. Umso mehr muss ich nach der Lektüre des aktuellen Romans Palm Beach, Finland feststellen, dass diese Mischung für mich leider bei weitem nicht erreicht wurde. Der Humor tendiert teilweise eher zu albern, die ernsthaften Momente plätschern dahin. Auch der Plot bietet nur wenig echte Überraschungen, sondern sorgt eher für Stirnrunzeln, zum Beispiel, ob der Profikiller wirklich hätte sein müssen. Am bedauerlichsten ist jedoch, dass die Figuren diesmal irgendwie blass bleiben, die Tiefe der Figuren des Vorgängers erreichen sie zu keiner Phase. So bleibt am Ende ein relativ unwitziger „komischer“ Krimi. Klingt unbefriedigend, las sich auch so.

Palm Beach, Finland | Erschienen am 22. Januar 2019 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-06556-0
368 Seiten | 20.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: komischer Krimi
Wertung: 1.5 von 5.0

Auch bei uns: Gunnars Rezension zum Krimi Die letzten Meter bis zum Friedhof von Antti Tuomainen.

Rezension 3 bis 6 sowie die dazugehörigen Fotos von Gunnar Wolters.

 

Weitere Ausgaben unserer Rubrik Abgehakt, Krimis kurz besprochen, findet ihr hier.