Alexandra Kolb | Rindviehdämmerung
Rindviehdämmerung, ein bayerischer „Heimatthriller“.
Schon die Eingangsszene macht klar, dass wir es hier weder mit einem Heimatroman, noch mit einem Thriller zu tun haben, das vom Verlag Edition Tingeltangel als Heimatthriller apostrophierte Buch „mit Akte X- und Twin Peaks-Touch, starken Charakteren, Witz und Verstand“ entpuppt sich schnell als schwer verdaulicher Mischmasch aus allen möglichen Genres der populären Unterhaltung, ein Durcheinander aus Kriminal- und Horror-Roman, Fantasy- und Geistergeschichte, Actionthriller, Heimat- und Familienroman. Frau Kolb glaubt offenbar „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“, und so macht sie einiges anders, aber nichts besser. Dabei versucht die Autorin wahlweise Spannung oder Gänsehaut zu erzeugen, zu schockieren oder zu rühren, cool zu sein oder auch komisch, aber das ist ein bisschen viel gewollt und wenig gekonnt, deshalb gelingt es nicht. Wenn man ohne Witz schreibt, wird es nicht komisch, und oberflächlicher Grusel löst keine Spannung aus, ebenso wie die immer gleichen Schock-Elemente auf die Dauer nicht mehr verstören, sondern nur noch verärgern.
Die „starken Charaktere“ sind in Wahrheit stark überzeichnet, und, ehrlich gesagt, lassen sie sowohl Witz als auch Verstand zum großen Teil vermissen. Mehr als zwanzig Figuren bedienen unterschiedlichste Klischees, da bleibt die eine oder andere naturgemäß recht blass. Die Hauptdarsteller hingegen fallen allesamt aus dem Rahmen, sind auffallend anders, haben Schrullen und Ticks, oder, wie Kathi sagt, „einen an der Waffel“. Kathi ist Bedienung im örtlichen Wirtshaus „Küchlein“, zu ihrer Mutter hat sie ein herzliches, aber etwas distanziertes Verhältnis. Sie sieht den missionarischen Eifer kritisch, mit dem „Tara“, wie sich Gertrud Mühlbauer nennt, nicht nur ihre Tochter zu einem besseren, vor allem gesünderen Leben bekehren will. Sie betreibt im Ort eine Bioladen, in dem sie auch allerlei esoterischen Krimskrams verhökert. So wie sie sind viele Figuren ausgesprochen plakativ gezeichnet. Das macht sie, obwohl gar nicht unsympathisch, zunehmend unglaubwürdig, unwirklich.Wohl hat man hat ein Bild, kann aber keine Beziehung aufbauen, dazu sind die Personen nicht echt genug. Ihr Verhalten bleibt häufig unbegreiflich, es passiert zu viel Unerklärliches, Unerklärtes. Sie sollen dem Leser näher gebracht werden, indem ständig ihre Gedanken und Vorstellungen vermittelt werden, der innere Monolog ersetzt in diesem Buch fast vollständig den Dialog. Leider, denn es ist tatsächlich oft mühsam, den zudem häufig abschweifenden Überlegungen zu folgen, weil sie den Fortgang des sich mühsam fortschleppenden Plots immer wieder hemmen.
Der beginnt mit einer beispielhaften Szene: Die Frau des „Brezn-Barons“ Bertram Bachinger kommt ums Leben, auf höchst seltsame, spektakuläre Weise. Der Leser erlebt ihren Tod hautnah mit, kann das Geschehen aber nicht deuten, ebenso wenig ihr Gatte, und auch die Polizei steht vor einem Rätsel. Daher gerät für kurze Zeit Kathi in ihr Blickfeld, hinter vorgehaltener Hand munkelt man auf dem Revier von Psychosen und schlimmer Kindheit. „Komplett durchgeknallt“, heißt es. Sie hörte schon als Kind Stimmen, sie unterhielt sich stundenlang mit allen Tieren und Pflanzen, und sie sah… Dinge. Es begann, als sich ihre Eltern trennten, zu ihrem Vater hat sie seither keinen Kontakt. Der ist geistiger Führer einer Sektenkommune und nennt sich „Shiva Sonnensohn“, als Kind stand Kathi unter seinem unheilvollen Einfluss. Als Folge ihres Aufenthaltes bei den „Sonnenjüngern“ leidet sie an einer Borderline-Störung. Und zwar mit sämtlichen bekannten Symptomen, da lässt Frau Kolb kaum etwas aus. Kathi hat wiederholt versucht, sich umzubringen, hat sich eine Zeit lang geritzt, leidet unter Depressionen und Wahnvorstellungen. Viele Jahre lang war sie in verschiedenen Kliniken, dank der Behandlungen und hochdosierter Medikamente waren die Stimmen leiser geworden, die ihr befahlen, sich zu töten. Schließlich glaubte sie, geheilt zu sein, aber nun sind die Stimmen wieder da. Als ihr Auto streikt und sie in der Dunkelheit querfeldein nach Hause laufen muss, wird sie von einer Kuh angesprochen. Kathi bekommt Angst.
Am nächsten Morgen stehen Polizisten vor ihrer Wohnung beim fiesen Vermieter-Ehepaar Mollinger. Sie ermitteln im Fall der toten Frau Bachinger, an deren Anwesen ist Kathi Kathi auf ihrem nächtlichen Heimweg vorbei gelaufen. Sie ist empört über die Nachfragen der Ermittler, ihr Freund Joshi, ein schwuler Punk, ist hingegen entzückt von Andreas Doldinger, einem Kommissar aus Darmstadt, der die hiesige Dienststelle seit neuestem verstärkt. Andi hat eine etwas spleenige Herangehensweise an seine Ermittlungen: Er sucht die „Seele“ des Tatorts und meint damit ein diffuses Gefühl, das er bekommt, wenn er einen unbekannten Raum betritt, eine Mischung aus der „Energie“ und dem Geruch darin. Gesichter offenbaren ihm, was sich zum Tatzeitpunkt zutrug. Seltsam genug. Ansonsten ist er bemüht, ruhig und professionell zu arbeiten, aber in der Villa des Brezn-Barons:
Ein Schritt in den Raum, und dieser begann sich zu drehen. Mittig lag die Tote in grotesk verrenkter Haltung, so wie sie in ihren letzten Lebenssekunden gekämpft hatte. Die Gegner waren überall. Klein und gemein, von Rache beseelt und mit der Absicht, ihr kein leichtes und schnelles Ableben zu gönnen. Er konnte es beinahe sehen… Die Szenerie floss in ihn hinein, erklärte sich ihm auf eine Art, die er verstand, aber nicht erklären konnte. Angst, Zorn, Trauer, Rache… Ein Mord aus Rache. Sühne! (Zitat)
Die kursiv gesetzten Passagen geben die Gedanken der Handelnden wieder, wird es laut oder besonders emotional, kommen Majuskeln zum Einsatz. Und beides ist ständig der Fall, denn es wird sehr viel geschrien, gekreischt, gequiekt, auch in Gedanken, denn es herrscht ständig eine Atmosphäre von Angst und Schrecken, von Grauen und Terror. Die wird hervorgerufen durch das Auftauchen von allerlei Monstern und Ungeheuern, von Untoten und Wiedergängern, plötzlich haben auch einige Personen aus Kathis Umfeld seltsame Erscheinungen, geraten in Panik vor Furcht einflößenden Gestalten, sehen Tiere, die tot sind und nicht tot, wilde Tiere aus dem Wald, wie sie in der Hütte von Kathis Großmutter präpariert an der Wand hängen oder ausgestopft auf den Vitrinen standen, Trophäen des Großvaters, eines passionierten Jägers.
Lore Mühlbauer lebt in ihrer Forsthütte mit der alternden Schäferhündin Frau Schmitt, liebevoll „Schmidi“ genannt. Mit dem Tierarzt Valentin Müller hat sie schon seit Jahren eine heimliche Beziehung. Ebenso lange veranstaltet sie für Leichtgläubige rituellen Hokuspokus wie Liebeszauber, blickt in die Zukunft, legt die Karten, dazu präsentiert sie eine Menge Räucherstäbchen und angeblich magische Gegenstände. Auch Oberkommissar Gustl Schallhuber, Andis Vorgesetzter, holt sich, um seine Fälle zu klären, heimlich Rat bei ihr. Als eine Bekannte sie schließlich drängt, Verbindung mit dem Jenseits aufzunehmen, um in Kontakt mit ihrem verstorbenen Dackel Erwin zu treten, erweisen sich die Folgen ihres Rituals als fatal!
Frau Schmitt bemerkt als erste die beunruhigenden Veränderungen. Wer immer schon wissen wollte, wie Tiere denken und fühlen, bei Alexandra Kolb erfahren wir es. Ganz genau können wir miterleben, wie die liebenswerte Schäferhündin in den unheilvollen Strudel von Hexerei, schwarzer Magie und ihren bösen Ergebnissen hineingezogen wird, weil sie uns ihre sämtlichen Gedanken, Überlegungen und, ja, Gefühle mitteilt. Auch Anne Bonny, mit der Kathi sich jetzt öfter unterhält, ist im Bilde. Ihren Namen hat sie nach der legendären Piratin. Als einzige scheint sie besonnen und reflektiert, während alle anderen zunehmend hektisch und hysterisch reagieren.
Sind das lediglich Hirngespinste, bilden sich all diese mündigen Personen die beunruhigenden Phänomene nur ein oder geschieht hier etwas übersinnliches, ist wirklich Hexerei im Spiel? Ist der Leser zunächst ratlos, im Unklaren darüber, was nun Wirklichkeit ist und was Illusion, so scheint bald klar zu sein, dass ein Plan hinter den mysteriösen Vorkommnissen steckt, eine böse Absicht: Andi ist offenbar auf der richtigen Spur, denn dass die Ermittler im Fall Bachinger mangels anderer Erklärung offiziell von einem Unfall mit Todesfolge ausgehen, erweist sich als vorschneller Schluss. In schneller Folge gibt es eine Reihe von Todesfällen, die wie Unfälle aussehen, aber es sieht auch so aus, als habe da jemand nachgeholfen mit dem Ziel, Rache zu nehmen an Menschen, die in der Vergangenheit Schuld auf sich geladen haben. Was folgt, kann man ahnen: Immer mehr Schock-Momente, immer krassere Effekte, immer dicker aufgetragen, einfach „drüber“ und deshalb wenig wahrhaftig oder wirklich. Auch die ständig neuen „Rätsel“ sind dem Leser gar nicht mehr so rätselhaft, nach und nach ist das Strickmuster klar, der immer gleiche Horror wird allmählich durchschaut, auch wenn die reichlich wirren Gedankengänge der Protagonisten, häufig bruchstückhaft, oft auch abschweifend und irreführend, den Leser eigentlich in Atem halten sollen. Tatsächlich ist diese Erzählweise aber nicht geeignet, die Spannung hoch zu halten, sondern zeugt nur von Schwächen bei der Konstruktion der Geschichte.
Dabei ist die auf ihre Art sogar recht plausibel, ja, man darf sagen stringent, wenn man sich denn einlässt auf den bizarren Ansatz der Autorin, wenn man die schaurigen Kreaturen, die Dämonen, Untoten und Wiedergänger, wenn man den ganzen haarsträubenden Unsinn annimmt, dann wird man finden, dass der Plot tatsächlich Hand und Fuß hat, in sich schlüssig ist, vollkommen logisch, wenn nicht der ganze Hokuspokus immer wieder unbegründet, unmotiviert, vor allem uninspiriert stattfände, lediglich als billiger Effekt. Man kann einfach nicht glauben, was da passiert, oder besser, man kann es nicht ernst nehmen! Wäre all das wirklich unwirklich, unheimlich, könnte die Geschichte funktionieren, aber so will sich der Grusel nicht einstellen, die Schreckensbilder und Horror-Szenen wirken unfreiwillig komisch. Vielleicht hätten sie mit einem kleinen Augenzwinkern besser funktioniert, aber die Autorin nimmt ihre Gruselgestalten ernst, sie will offenbar wirklich erschrecken, nur gelingt ihr das mit derart überzogenen und gleichzeitig sich wiederholenden und abnutzenden Effekten nicht. Dazu bleibt die Erzählung zu sehr an der Oberfläche, zu wenig subtil und nuanciert, nicht hintergründig genug, zu eindimensional und monothematisch.
Immerhin ist der schwer verdauliche Stoff gut lesbar, dafür sorgt ein sehr einfacher, unprätentiöser Stil, man könnte auch sagen, die Ausdrucksweise ist sprachlich einigermaßen dürftig, bieder, mitunter ungewandt, manchmal aber auch mit Bildern, die im Bemühen um den besonders originellen Eindruck über das Ziel hinausschießen und so ungewollt für Heiterkeit sorgen. Die folgenden Zitate mögen stellvertretend als Beispiel für manch ähnliche Entgleisung dienen:
Kurz nachdem sie in den Wald getreten war, beschränkte sich die Sicht bereits auf schwach flackernde Flecken, der Rest bestand aus Schatten und Baumstämmen, die wie finstere Säulen einer Kathedrale des Bösen wirkten, ansonsten herrschte Finsternis.
Gleich einem bösen Karussell kam Kathi der Gedanke wieder und wieder. Bei jeder Wiederholung wurde er lauter und gemeiner.
Vor ihren Augen flimmerte es und in ihren Ohren rauschte es, als ob sie sich inmitten eines Orkans befand. Sie blickte um sich und fühlte die Hoffnungslosigkeit in sich wachsen.
Kathi fühlte, wie sie taumelte. Die Beine gaben nach, das Summen in den Ohren nahm zu und die Welt begann sich zu drehen. Etwas in ihr tat sich auf und brach entzwei.
Während Andi sie voran zog, senkte sich ein bleischwerer Schleier über Kathi. Gleichzeitig öffnete sich etwas in ihr und gab das Erkennen frei auf Dinge, die sie noch mehr ängstigten als sprechende Kühe.
Gleich abertausenden von Wespen brach in einem einzigen großen Schwarm die Erkenntnis hervor, während sich in ihrem Kopf in einem immer wieder kehrenden Echo die Worte wiederholten.
Hier befinden wir uns also bereits in der entscheidenden Schlacht unserer wackeren Helden gegen die Mächte der Finsternis. Gut, dass Andi mittlerweile sein Herz für Kathi und ihre schräge Familie entdeckt hat und sich mächtig ins Zeug legt, um sie zu schützen. Jetzt endlich kommt eine gewisse Spannung auf , auch wenn die verzweifelten Versuche, sich der Attacken der Monster zu erwehren, reichlich ausführlich und reißerisch in Szene gesetzt werden. Zum Thriller wird der Roman deshalb noch lange nicht, dazu wird der grundlegende Konflikt zu vordergründig abgehandelt, eine subtilere Darstellung wäre hier ein Gewinn. Schade, so wurde eine eigentlich interessante Idee verschenkt, weil nicht gut umgesetzt. Aber das kann ja noch werden, eine Fortsetzung scheint nach dem offenen Ende der Rindviehdämmerung jedenfalls möglich, der Albtraum ist offenbar noch nicht zu Ende.
Ich bin sicher, dass nicht wenige Leser sich für diese etwas andere Idee von Krimi begeistern können und auf den nächsten „Heimatthriller“ von Alexandra Kolb warten. Ich kann allerdings wenig anfangen mit diesem merkwürdigen Entwurf. Für den Rinderwahn deshalb von mir lediglich 2 Sterne.
Rezension und Foto von Kurt Schäfer.
Rindviehdämmerung | Erschienen am 3. Juli 2018 im Verlag Edition Tingeltangel
ISBN 978-3-944936-28-4
324 Seiten | 14.90 Euro
Bibliografische Angaben, Leseprobe & Buchtrailer