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Robert McCammon – Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal (Band 1+2)

Robert McCammon – Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal (Band 1+2)

„Die Hexe hat so gut wie zugegeben, dass sie an den Morden an Reverend Grove und ihrem Mann beteiligt gewesen ist. Sie trägt die Merkmale und kann nicht das Vaterunser aufsagen. Sie hat den bösen Blick und – was am meisten verrät – unter einem Fußbodenbrett in ihrem Haus sind eine Anzahl Strohpuppen gefunden worden, die sie gebastelt hat, um ihre Opfer zu verhexen. Rachel Howarth ist mit Sicherheit eine Hexe, und ihr und ihrem schwarzschwänzigen Meister ist es fast gelungen, meine Stadt zu zerstören.“ (Auszug Seite 91)

Wir begleiten im Jahr 1699 den fahrenden Richter Isaac Woodward und seinen jungen Gerichtsdiener Matthew Corbett auf ihrer Reise nach Fount Royal, um einen Prozess durchzuführen. Einen Hexenprozess! Im 17. Jahrhundert siedeln viele Europäer in den Kolonien Nordamerikas an. Engländer und Spanier kämpfen um das Land und vor allem viele Briten wollen sich in Carolina ein neues Leben aufbauen. Während die Wirtschaft in den Hafenstädten bereits floriert, haben es die Kolonien in den Sumpflandschaften noch schwer. In dem neu gegründeten Örtchen Fount Royal scheint jedoch die „Neue Welt“ bereits in Gefahr. Zwei Morde, diverse Brände und etliche Missernten ließen schon einige Einwohner die aufstrebende, kleine Stadt wieder verlassen. Die verbliebenen knapp 100 Bewohner haben schon eine Schuldige gefunden. Rachel Howarth soll nicht nur für die unerklärlichen Tragödien in ihrem Dorf verantwortlich sondern auch mit dem Teufel im Bunde sein. Die Dorfbewohner mitsamt ihrem umtriebigen Bürgermeister und Gründer Robert Bidwell verlangen, dass die schöne Witwe vor Gericht gestellt und wegen Hexerei hingerichtet wird. Der seit einigen Wochen im Gefängnis sitzenden Angeklagten droht bei einer Verurteilung die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen.

Was für ein Auftakt!
Bereits auf ihrer Kutschfahrt über schlammige Straßen durch die nebelige Sumpflandschaft kommen der Richter und sein Gehilfe zu einem verkommenen, kleinen Wirtshaus und geraten an den zwielichtigen Wirt und seine Familie. Hier geraten sie in einen Hinterhalt, kommen nur knapp mit dem Leben davon und müssen sich auf ihrer Flucht durch den Wald halbnackt und ohne Gepäck bis nach Fount Royal durchschlagen. Mich hatte die Geschichte nach wenigen Seiten, ach nach wenigen Worten bereits in den Bann gezogen. Mit seinem bildgewaltigen, intensiven Schreibstil nimmt Robert McCammon den Leser an die Hand und man fühlt sich in die Epoche vor circa 300 Jahren zurückversetzt. Das historische Setting ist einfach mitreißend angelegt. Man spürt den Dreck und die feuchte Schwüle, riecht die ungewaschenen Körper und den Gestank der Sümpfe. Der Autor versteht es, eine düstere sowie bedrohliche Atmosphäre zu schaffen, auch die Sprache, im Besonderen die Dialoge sind der damaligen Zeit angepasst.

Danach wird das Tempo erst mal gedrosselt und McCammon verliert sich in ausführlichen Beschreibungen der Umgebung sowie umfangreichen Figurenzeichnungen. Er nimmt sich richtig viel Zeit, die vielen Personen einzuführen. Auch die Nebenfiguren sind präzise und interessant gezeichnet, mit zahlreichen Facetten ausgestattet und bringen eine Vita mit. Das erinnert mich tatsächlich ein bisschen an Stephen King und genau wie er versteht es McCammon den Leser in die Geschichte hereinzuziehen.

Das Abenteuer beginnt
Der Richter holte den damals 15-jährigen Corbett aus einem Waisenhaus heraus und nahm ihn zu seinem Büttel. Er hegt fast väterliche Gefühle für Matthew, was der aber nicht so wahr haben will. Woodward ist ein kluger, fortschrittlicher Jurist, dem die Wahrheit sehr wichtig ist und der Rachel Howarth auf jeden Fall einen fairen Prozess machen will. Allerdings beruht das gesamte Wissen der englischen Rechtsprechung zum Teil immer noch auf mittelalterlichem Glauben. Die Hexenprozesse von Salem haben erst kurz vorher in den USA stattgefunden und trotz vieler Zweifel in Fachkreisen an der Existenz von Hexen auch Richter Woodward sehr beeindruckt. Matthew ist ein intelligenter, noch sehr junger Mann, in vielen Dingen vielleicht etwas unbedarft, was er jedoch durch einen scharfen Verstand wieder wettmacht. Eigentlich besteht seine Aufgabe lediglich darin, den Prozess zu protokollieren, aber er kann dem Drang, Dinge zu hinterfragen nicht unterdrücken. Er muss einfach überall seine Nase reinstecken und jedes Geheimnis ergründen. Schon im Waisenhaus galt er aufgrund seines Wissensdurstes als Außenseiter, vergrub sich in seinen Büchern anstatt an den rauen Spielen der anderen Knaben teilzunehmen.

Kurz nach der Ankunft in Fort Royal wird der Richter durch eine schwere Krankheit, die er sich auf der beschwerlichen Reise zugezogen hat, ans Bett gefesselt. Das zwingt Matthew zu vielen Alleingängen. Denn er zweifelt schon nach der ersten Begegnung an der Schuld der schönen Portugiesin, fragt sich sogar, ob es Hexerei überhaupt gibt. Die Beweise für Rachels Schuld scheinen erdrückend zu sein, es gibt mehrere glaubhafte Zeugenaussagen, die auch in den Details völlig übereinstimmen. Corbett versucht hinter die Fassaden der Dorfbewohner zu gucken und deckt dabei so einige Geheimnisse auf. Bei seinen Recherchen stößt er auf einigen Machenschaften, die ihn immer mehr in Gefahr bringen und kommt der Lösung langsam immer näher. Die Handlung entwickelt sich immer fesselnder und weiß mit vielen Wendungen zu überraschen. Auch Verdächtige gibt es zu genüge.

Meine Meinung
Die Geschichte wird auktorial mit Blick auf Matthew Corbett erzählt. Robert McCammon hat für seinen Roman ein noch unverbrauchtes Setting gewählt. Jedenfalls hatte ich noch nichts aus der Frühzeit der Besiedelung des amerikanischen Kontinents gelesen. Die mitunter grausame Kolonialzeit fand ich spannend dargestellt. Ich konnte völlig in der Atmosphäre versinken und in die vom Autor aufgebaute Welt mit seinen skurrilen Figuren abtauchen. Für mich ist es immer ein toller Lesegenuss, wenn ich mich als Teil der Geschichte fühle. Der historisch umfangreich recherchierte Kriminalroman ist für mich ein deftiges Leseabenteuer mit weniger gruseligen jedoch schaurigen und auch brutalen Aspekten.

Die Geschichte ist im Original in einem Buch erschienen, während der Luzifer-Verlag sie in zwei Bänden veröffentlicht hat. Das sollte einem klar sein, denn man muss dann schon beide Bände lesen, um in den Genuss der ganzen Geschichte zu kommen. Das ist der Grund, warum ich nur eine Rezension verfasst habe.

Robert McCammon wurde 1952 in Birmingham, Alabama geboren, wo er heute noch lebt. Der mehrfach ausgezeichnete Autor prägte in den 1980er Jahren zusammen mit Stephen King die Hochzeit der Horrorliteratur. Nach einer längeren Auszeit von über 10 Jahren meldete er sich 2002 mit dem ersten Roman der „Matthew Corbett“-Reihe zurück. Die historische Krimireihe ist auf neun Bände angelegt.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal | Band 1 erschien am 23.März 2017 im Luzifer-Verlag
ISBN 978-3-958-35197-4
516 Seiten | 19,95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Band 2 erschien am 31. Oktober 2017 im Luzifer-Verlag
ISBN 978-3-958-35230-8
500 Seiten | 19,95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Originaltitel: Speaks the Nightbird (Übersetzung aus dem Englischen von Nicole Lischewski)

 

Charlotte Link | Ohne Schuld (Band 3)

Charlotte Link | Ohne Schuld (Band 3)

“Also ging Sascha nicht mehr in den Kindergarten, sondern blieb zu Hause bei Alice. Die wirkte inzwischen so depressiv, dass ich mir immer größere Sorgen um sie machte. Sie schlich wie ein Schatten durch den Tag. In einer völlig mechanisch wirkenden, freudlosen Form der Pflichterfüllung suchte sie mit Sascha weiterhin Logopäden, Osteopathen, Heilpraktiker aller Art auf, aber sie wirkte dabei wie jemand, der nichts Gutes vom Leben mehr erwartet.” (Seite 191)

Auf eine Frau wird in einem Zug geschossen, Sergeant Kate Linville ist zufällig auch anwesend und kann sie in letzter Minute retten. Zwei Tage später stürzt eine andere Frau mit ihrem Fahrrad über einen dünnen Draht, wird bewusstlos und hört den darauf folgenden Schuss nicht mehr. Beide Frauen stehen in keinem Zusammenhang, aber die Tatwaffe ist die gleiche. Kate Linville beginnt zu ermitteln, stößt auf ein unfassbares Geheimnis und begibt sich in tödliche Gefahr…

Neuer Fall für Kate Linville
“Ohne Schuld” von Charlotte Link empfand ich als gewohnt sehr spannend, sodass ich mich kaum von der Geschichte lösen konnte. Es handelt sich um den dritten Fall um Kate Linville, kann aber auch unabhängig von den vorherigen gelesen werden. Auch der zweite Fall, „Die Suche“, hat mich absolut überzeugt.

Frustrierende Ermittlungen
Die Ermittlungen beginnen zunächst ohne jegliche Erfolgserlebnisse für die Polizisten und man spürt beim Lesen ihre Frustration, weil einfach überhaupt nicht klar wird, was diese beiden Frauen gemeinsam haben, warum auf beide mit derselben Pistole geschossen wurde. Als dann aber doch endlich der Durchbruch folgt, nimmt die Ermittlung schnell an Fahrt auf und schon bald geht es bei mehreren Personen um Leben und Tod. Insgesamt vielleicht ein bisschen zu spektakulär für meinen Geschmack, aber durchaus fesselnd. Das Geheimnis ist wirklich schrecklich und ich kann den Rachegedanken fast nachvollziehen. Das Ende lässt mich dann allerdings etwas unbefriedigt zurück, da es offen bleibt.

Die Protagonistin
Sergeant Kate Linville ist 44 Jahre alt, hat gerade von Scotland Yard zur North Yorkshire Police gewechselt und zieht damit in das Haus ihrer verstorbenen Eltern zurück nach Scalby. Kates Kollegen beschreiben sie als verschlossen, introvertiert und undurchschaubar. In Wirklichkeit hat sie aber nur kein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Sie leidet darunter, dass sie allein mit ihrer Katze lebt, also keinen Partner und Kinder hat und ihre Gedanken und Gefühle werden oft sehr ausführlich beschrieben, wo ich an manchen Stellen schon etwas ungeduldig wurde, weil die Handlung, die gerade an Spannung gewinnt, dadurch aufgehalten wird.

Fazit: Gewohnt spannender Kriminalroman der Autorin, in dem ein unglaubliches Geheimnis gerächt werden soll und bei dem es am Ende um Leben und Tod geht.

 

Foto & Rezension von Andrea Köster.

Ohne Schuld | Erschienen am 02. November 2020 im Blanvalet Verlag
ISBN: 978-3-764-50738-1
544 Seiten | 24,00 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Andreas Rezension zu Band 2 der Reihe („Die Suche“)

Deon Meyer | Fever

Deon Meyer | Fever

Ich will euch vom Mord an meinem Vater erzählen. Ich will euch erzählen, wer ihn ermordet hat und warum. Denn dies ist die Geschichte meines Lebens. Und es ist auch die eures Lebens, ihr werdet sehen. (Auszug Anfang)

Deon Meyer, eigentlich bekannt für seine gesellschaftskritischen Südafrika-Krimis, hat 2017 eine Dystopie geschrieben. Wobei das viel zu kurz greift. Es ist eher eine Mischung aus postapokalyptischen Endzeitroman, Coming-of-Age-Roman, Roadmovie und Abenteuerroman. Deon Meyer bedient sich eines für Dystopien klassischen Ausgangspunktes: Durch eine Fieberepidemie wurde in rasanter Geschwindigkeit 95 % der Weltbevölkerung ausgelöscht. Man vermutet, dass durch die Verschmelzung eines menschlichen Virenstammes mit dem einer kranken Fledermaus das Fieber erstmals in Afrika ausgebrochen ist.

Der dreizehnjährige Nicolaas Storm und sein Vater Willem sind einige der wenigen Überlebenden. Am Anfang des Buches sind die beiden in ihrem großen Truck in einer unwirtlichen Landschaft unterwegs. Das Land befindet sich in einem Zustand der Gesetzeslosigkeit, es gibt keinen Strom, keine Geschäfte mehr und sie sammeln alles, was sie an Nahrungsmitteln (ganz wichtig ist Kaffeepulver) und anderen Versorgungsgütern finden können in ihren Anhänger. Auch Treibstoff existiert nur noch begrenzt und beim Tanken werden sie von einer wilden und hungrigen Hundemeute angegriffen. Ein hochdramatischer, packender Anfang, der mich an „The Walking Dead“ erinnerte und unwiderruflich in die Geschichte hineinzog.

Amanzi wird gegründet
Nico und sein Vater sind auf der Suche nach einem Fleckchen Erde und in dem verlassenen Ort Vanderkloof finden sie den idealen Ort, um sich niederzulassen. Denn Willem Storm hat eine Vision: Er will eine neue Gemeinschaft gründen. Unbeirrt hält er an diesem Plan einer neuen Zivilisation fest. Flugblätter werden verteilt, um in dem weiten Land noch andere Überlebende zu finden. Doch lange tut sich nichts. Als die beiden schon fast alle Hoffnungen aufgegeben haben, setzt endlich ein Strom von Menschen ein. Aus allen Himmelsrichtungen, und das war für mich ein Gänsehautmoment, kommen große und kleine Gruppen. Immer mehr Menschen werden in die Gemeinschaft, die sich ab jetzt Amanzi nennt, aufgenommen und durch ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Talente entsteht eine Insel der Zivilisation in dem verlassenen Land. Völlig authentisch wirken die Herausforderungen, die aufgrund des Zusammenlebens der unterschiedlichen Charaktere entstehen. Viel Konfliktpotenzial ergibt sich wegen diverser Ansichten über Religion, Politik und ein Ringen um die alle zufrieden stellenden Strukturen und Regeln entsteht. Diesen mühsamen Wiederaufbau mit vielen Rückschlägen und internen Spannungen ist wie ein gesellschaftliches Experiment spannend und interessant zu verfolgen.

Dabei sind wilde Tiere nur eine Gefahr, die größere Bedrohung sind die Menschen und ihre Abgründe selbst. Es gibt plündernde Gangs auf Motorrädern und diese marodierenden Banden ziehen mordend und raubend durch das ganze Land und auch Amanzi wird zu ihrem Ziel. So beschließen die Einwohner von Amanzi Verteidigungsanlagen und eine eigene Sicherheitstruppe unter der Führung des ehemaligen Soldaten Domingo aufzubauen. Auch Nico lernt schießen und schließt sich gegen den Willen seines Vaters dieser Armee an.

Die Katastrophe
Der siebenundvierzigjährige Nico erzählt die Geschichte im Nachhinein und verrät gleich, dass es zu einer großen Katastrophe kommt und sein Vater ermordet wird. In weiteren Erzählperspektiven werden die Aufzeichnungen anderer Überlebender hineingestreut, die in dem von Willem Storm gegründetem Amanzi-Geschichtsprojekt Gehör finden. Storm sammelte unermüdlich Eindrücke und Erfahrungen seiner Mitmenschen und nach seinem Tod wird dieses Projekt von anderen weitergeführt. Dadurch bekommt man ein umfassendes Bild des Überlebenskampfes.

Glaubhaft und verständlich wird auch der Konflikt zwischen dem Teenager Nico und seinem Vater herausgearbeitet. Nico empfindet seinen sanftmütigen, liebevollen Vater als schwach, interpretiert seine Menschenfreundlichkeit als Manko. Der liberale Storm glaubt an das Gute im Menschen und Bildung und Wissen sind für ihn sehr wichtig. Der pubertierende Nico ist dagegen von dem düsteren, martialischen Ex-Soldaten Domingo fasziniert. Als er seinen Fehler einsieht und er und Willem sich wieder annähern, ist es fast schon zu spät.

Deon Meyer versteht es, seine Figuren mit Leben zu füllen. Alle Charaktere sind wunderbar mit viel Empathie herausgearbeitet und der südafrikanische Autor hat jedem eine Geschichte mitgegeben. Es gab so viele berührende Momente. Trotzdem folgt die Geschichte einem stabilen Aufbau, in der durch die geschickte Dramaturgie Spannung erzeugt und der rote Faden nie verloren wird. Düstere Landschaftsbilder erzeugen Atmosphäre und mit seiner bildhaften sowie poetischen Sprache wird alles vorstellbar und fesselnd geschildert.

Hastiges Ende
Selten hat mich eine Geschichte so bewegt und sind mir die Charaktere so ans Herz gewachsen. Ich habe auch auf meinem Arbeitsweg das Hörbuch, wunderbar interpretiert von Martin Bross, gehört und wollte einfach nicht aus dem Auto aussteigen und aus Amanzi auftauchen.
Bis zum Ende ist der Plot realistisch und vorstellbar. Das Zusammenbrechen der Infrastruktur, das Aufbauen einer neuen Zivilisation, das Ringen um eine neue politische und wirtschaftliche Ordnung. Zum Schluss mündet der Roman in einem actiongeladenen Finale und es kommt noch zu einem Twist, mit dem ich nicht gerechnet und den es für mich auch nicht gebraucht hätte. Auch geht alles dann sehr schnell und wird hastig abgehandelt. Deshalb muss ich ein halbes Pünktchen abziehen. Trotzdem war das Buch für mich ein Highlight, das auch nach der Lektüre noch lange im Gedächtnis blieb. Wie die Welt an den Rand einer Apokalypse gerät, wie langsam eine Siedlung entsteht, die Konflikte in der Vater-Sohn-Beziehung, das hat der Ausnahmeschriftsteller Deon Meyer in eine tiefgründige und genre-übergreifende Geschichte packend zusammengefügt.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Fever | Erschienen am 09. Oktober 2017 bei Rütten & Loening
ISBN 978-3-352-00902-0
702 Seiten | 29,99 Euro
Taschenbuchausgabe im Aufbau Verlag:
ISBN 978-3-7466-3536-1 | 12,- €
Originaltitel: Fever (Übersetzung aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezensionen zu Meyers Romanen aus der Bennie-Griessel-Reihe: Icarus, Die Amerikanerin, Beute

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2020

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2020

Unsere Kurzrezensionen zum Ende Dezember 2020

 

Un-Su Kim | Heißes Blut

In der Hafenstadt Busan in Südkorea sind Anfang der 1990er die Machtbereiche der Verbrecherorganisationen klar abgegrenzt. Im Hafenviertel Guam herrscht der alte Gangsterboss Vater Son, der das Alltagsgeschäft unter anderem Haisu überlässt. Haisu steckt in sowas wie einer Midlife Crisis. Er ist mittlerweile Anfang 40, in der Hierarchie auf der zweithöchsten Ebene angekommen und allgemein respektiert. Dennoch blickt er verbittert auf sein Leben: er lebt einsam in einem Hotelzimmer und hat nur Schulden angehäuft. Haisu sucht wieder die Nähe zu seiner Jugendliebe und deren Sohn, der ebenfalls ein kleiner Gangster geworden ist und gerade wieder aus dem Gefängnis frei gekommen ist. Da bietet ein anderer Gangster Haisu ein Chance für eine Veränderung: Ein Lizenzvertrieb für Spielautomaten, auch nicht ganz legal, aber scheinbar doch ein Sprung heraus aus der Knochenmühle. Doch Haisu tritt letztlich – ohne es zu wollen – eine Kette von Ereignissen in Gang, die das Gleichgewicht der Mafiaclans in Busan vollkommen durcheinander bringt.

Nachdem lange Zeit Krimis aus dem asiatischen Raum eher selten den Weg nach Deutschland fanden, werden in den letzten Jahren, auch dank einiger engagierter kleinerer Verlage, einige interessante Kriminalromane vor allem aus dem japanischen und koreanischen Raum ins Deutsche übersetzt (teilweise noch nicht aus dem Original, wie auch in diesem Fall). Autor Un-Su Kim hat bereits mit dem Roman „Die Plotter“ für Aufmerksamkeit gesorgt, nun hat der Europa Verlag mit „Heißes Blut“ einen weiteren Roman des Koreaners vorgelegt.
Der Roman erzählt die Geschichte aus Haisus Blickwinkel. Er ist ein Waise, unter sehr schwierigen Bedingungen aufgewachsen, von Gangstern unter die Fittiche genommen worden und in der Organisation aufgestiegen. Dennoch zerrinnt ihm sein Geld und sein Leben unter den Fingern. Schauplatz der Geschichte ist der fiktive Stadtteil Guam von Busan mit Strand, kleinem Hafen, Bars, Restaurants, Stundenhotels und seinen Gangs, die von Schutzgeld, Schmuggel und Zuhälterei leben. „Heißes Blut“ ist ein waschechtes Gangsterepos, brutal und rau, aber gleichtzeitig auch melancholisch, mit einem traurigen und einsamen Helden. Dabei erinnert es durchaus an bekannte europäische Mafiaepen, bleibt dabei aber dennoch im koreanischen Milieu behaftet. Insgesamt eine anregende, überzeugende Lektüre.

Heißes Blut | Erschienen am 11.09.2020 im Europa Verlag
ISBN 978-3-95890-238-1
584 Seiten | 24,- €
Originaltitel: 뜨거운 피 Tteugeoun Pi
Bibliografische Angaben

Wertung: 4,5 von 5,0
Genre: Noir/Hardboiled

 

James Lee Burke | Dunkler Strom

Billy Bob Holland, ehemaliger Texas Ranger, ist inzwischen Anwalt in der texanischen Stadt Deaf Smith. Er übernimmt einen schwierigen Fall: Der junge Lucas Smothers wird beschuldigt, die junge Roseanne Hazlitt ermordet zu haben. Viele Indizien sprechen auch gegen Lucas. Besondere Bedeutung erlangt der Fall für Billy Bob, weil Lucas sein Sohn ist, zu dem er sich allerdings nie bekannt hat.
Der Fall Roseanne wird aber schon bald von weiteren Ereignissen überlagert. Ein Mörder entkommt aus dem örtlichen Gefängnis, wird aber kurz darauf umgebracht. Ein weiterer Psychopath muss ebenfalls entlassen, weil eine Zeugin ums Leben kommt. Zudem scheint es Aktivitäten mehrerer Bundesbehörden in Deaf Smith zu geben. Und Billy Bob stößt bei seinen Bemühungen um Entlastung für Lucas auf Darl Vanzandt, einen örtlichen Halbstarken und Tunichtgut aus reicher Familie, der in Verbindung zu Lucas und Roseanne steht.

Autor James Lee Burke ist eine lebende Legende der amerikanischen (Kriminal-)Literatur und bekannt für seine wortgewaltigen Südstaaten-Panoramen. Hier beschreibt er aus der Sicht des Anwalts die Verhältnisse in einer texanischen Kleinstadt, die von Korruption und klaren Machtstrukturen gekennzeichnet sind. Dabei spielt auch immer die Vergangenheit eine große Rolle: Billy Bob liest im Tagebuch seines Urgroßvaters und hält Zwiesprache mit seinem Freund L.Q.Navarro, der bei einem nicht ganz legalen Einsatz gegen Drogendealer versehentlich durch eine Kugel Hollands ums Leben kam.
Insgesamt eine durchaus komplexe und anspruchsvolle Story mit interessanten Figuren, die Burke meiner Meinung nach aber souverän und gekonnt vorträgt.

Dunkler Strom | Erstmals erschienen 1997
Die E-Book-Ausgabe erschien am 03.01.2014 bei Edel Elements
ISBN 978-3-95530-287-0
384 Seiten | 5,99 €
Originaltitel: Cimarron Rose
Bibliografische Angaben

Wertung: 3,5 von 5;
Genre: Noir/Hardboiled

 

Tim McGabhann | Der erste Tote

Carlos und Andrew sind Journalisten einer mexikanischen Zeitung auf dem Rückweg von einem Routineauftrag in der Erdölstadt Poca Riza m Bundesstaat Veracruz. Da finden die beiden eine übelst zugerichtete Leiche am Wegesrand. Kurz darauf taucht eine Polizeistreife auf, bedroht und verjagt die beiden und nimmt die Leiche mit, ohne zu ermitteln. Carlos wittert eine Story, doch Andrew will zurück nach Mexiko City. Die beiden streiten sich, Carlos bleibt in Poca Riza, recherchiert tiefer und findet auch heraus, dass der Tote ein Umweltaktivist war. Doch als er in die Hautptstadt zurückkehrt und noch bevor er Andrew wieder kontaktieren kann, wird er in seiner Wohnung gefoltert und ermordet.

Mexiko ist als Thrillerschauplatz ein gern gewählter Ort, da die Realität dort oftmals noch die kühnsten Thrillerplots übertrifft. Der irische Autor Tim McGabhann lebt seit einiger Zeit in Mexiko und bedient sich hier der sehr mexikanischen Form der Erzählung: der „crónica“, einer Mischform aus Reportage und Romanerzählung, was McGabhann im Nachwort auch erläutert. Reale Recherchen werden fiktionalisiert, um sie überhaupt veröffentlichen zu können. In „Der erste Tote“ geht es zwar diesmal um die Ausbeutung eines Landstrichs durch die Öl- und Frackingindustrie und nicht um Drogen, aber ansonsten trifft man auf die üblichen Dinge in mexikanschen Thrillern: Kartelle, Todesschwadronen, korrumpierte Polizei, ermordete Aktivisten und Journalisten. Das alles verbindet McGabhann mit der Trauer Andrews um Carlos, denn die beiden waren auch privat ein Paar. Insgesamt gibt dieser Thriller durchaus nochmal ein paar interessante Facetten zur Situation in Mexiko, allerdings hat man es bei den bekannten Kollegen McGabhanns schon deutlich packender und eindrücklicher gelesen.

Der erste Tote | Erschienen am 16.11.2020 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-47104-3
276 Seiten | 15,95 €
Originaltitel: Call Him Mine
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5
Genre: Thriller

Rezension 1 bis 3 sowie die dazugehörigen Fotos von Gunnar Wolters.

 

Maren Schwarz | Inselsumpf

Eine Frau erwacht, ohne dass sie sich an ihr bisheriges Leben erinnern kann. Auch nicht daran, dass sie kürzlich ein Kind geboren hat. Rechtsmedizinerin Leona Pirell, die auf der Ostseeinsel Rügen wohnt, nimmt die Frau auf und begibt sich auf Spurensuche zu ihrer Vergangenheit und trifft dabei auf ein tödliches Geheimnis…

„Inselsumpf“ von Maren Schwarz empfand ich als einen sehr kurzweiligen Kriminalroman, der sich sehr gut liest und ein meiner Meinung nach wichtiges Thema aufgreift. Allerdings kam mir an einigen Stellen zu viel Zufall vor, was bei mir dann eher unglaubwürdig ankam. Trotzdem lesenswert!

Inselsumpf | Erschienen am 8. April 2020 im Gmeiner Verlag
ISBN: 978-3-839-22577-6
288 Seiten | 12,00 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4 von 5
Regionalkrimi

Foto und Rezension Nr. 4 von Andrea Köster.

Hendrik Berg | Eisiger Nebel (Band 6)

Hendrik Berg | Eisiger Nebel (Band 6)

„Helge blieb stehen und lauschte in die Dunkelheit. In der Ferne war das Rauschen des Meeres zu hören. Ansonsten war es still. Der Mond, der hinter dem Nebel verschwunden war, tauchte alles in ein unwirkliches milchiges Licht.“ (Seite 235)

Aus dem Husumer Hafenbecken wird eine sehr entstellte Leiche gefischt. Kriminalhauptkommissar Theo Krumme und seine Kollegin Pat Reichel beginnen mit den Ermittlungen und stellen schnell fest, dass es sich bei dem Toten um keinen harmlosen Touristen handelt. Die Spur führt zu einem kleinen Dorf auf der Halbinsel Eiderstedt in Nordfriesland, dessen Einwohner eng zusammenhalten. Und genau das bringt sie bald alle in Gefahr…

Fall Nummer sechs
„Eisiger Nebel“ von Hendrik Berg ist bereits der sechste Fall um Kommissar Theo Krumme, aber der erste, den ich gelesen habe. Das ging wunderbar ohne Kenntnisse der vorherigen Bücher, jeder Fall ist in sich abgeschlossen. Die Geschichte wird aus Sicht verschiedener handelnder Personen beschrieben, was dem Leser den einen oder anderen Vorsprung an Wissen in Hinsicht auf die Ermittlungen ermöglicht. Außerdem bekommt gerade das Ende dadurch noch zusätzliche Spannung.

Vom Berliner zum Friese
Theo Krumme ist Mitte Fünfzig, vor drei Jahren von Berlin nach Nordfriesland gezogen, weil seine Ehe gescheitert ist, und nun wohnt er mit seiner neuen Freundin Marianne in einem kleinen Häuschen in Husum. Hier arbeitet er mit der wesentlich jüngeren und wesentlich größeren Pat zusammen. Das Team wird von den Kollegen oft belächelt, aber sie ergänzen sich perfekt. Krumme bewundert am meisten Pats Geschick mit der modernen Technik.

Spannung steigt
Ich kam ein kleines bisschen schwierig in die Geschichte rein. Nicht vom Verständnis her, aber sie hat mich nicht gleich gepackt, weil es etwa dreißig Seiten dauert, bis der Fall besteht, also die Leiche gefunden wird. Vorher werden einige Nebenschauplätze beschrieben, die nur indirekt etwas mit dem Fall zu tun haben und eher für die allgemeine Stimmung im Buch sind. Der Spannungsbogen beginnt dann aber mit den Ermittlungen und bei diesen liegen auch recht schnell Ergebnisse vor, die die Kommissare voranbringen. Dann steigt der Spannungsbogen stetig und zum Ende hin war das Weglegen des Buches fast nicht mehr möglich für mich.

Düster und bedrohlich
Insgesamt werden die Nordfriesische Küste und seine Bewohner für meinen Geschmack gut beschrieben. Auch die Bewohner mit ihren unterschiedlichen Charakteren und Geschichten wirken auf mich authentisch. Durch das aktuelle Wetter im Buch, nämlich eisiger Nebel, und einer Schauergeschichte, wirkt die Geschichte zusätzlich düster und bedrohlich.

Fazit: Sehr spannende Unterhaltung, angesiedelt im nebeligen Nordfriesland. Klare Empfehlung!

Hendrik Berg wurde 1964 in Hamburg geboren. Nach einem Studium der Geschichte in Hamburg und Madrid arbeitete er zunächst als Journalist und Werbetexter. Seit 1996 verdient er seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Drehbüchern. Er wohnt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Köln.

 

Foto und Rezension von Andrea Köster.

Erschienen am 16.03.2020 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-49055-4
352 Seiten | 10,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe