Anja Behn | Stumme Wasser

Anja Behn | Stumme Wasser

„Johanna folgte dem kleinen Trampelpfad durch den Schnee hinunter zur ‚Ruhnke-Werft‘. Auf dem abschüssigen Hang konnte sie die schneeverhangenen Wolken über der grauen Ostsee treiben sehen. Ihr Großvater hatte diese trüben, dunklen Wintertage geliebt… Die Einsamkeit am Strand, das wilde Tosen der Ostsee, der graue, weite Himmel… Er sagte immer, seine Seele schöpfe Kraft aus der rauen, unbezwingbaren Natur. Nach einem langen Spaziergang in dieser Abgeschiedenheit steckte er immer voller neuer Ideen und unermüdlichem Tatendrang, während das triste Wetter bei ihr stets ein Seelentief hervorrief.“ (Auszug Seite 113)

Richard Gruben wird von einem alten Bekannten gebeten, ihn in Fahrenende an der Ostsee zu besuchen. Richard hat Friedrich Semmering vor rund 16 Jahren auf einer Vernissage in Hamburg kennengelernt. Den Sommer danach hat er bei dem alten Semmering in der Kunstscheune verbracht. Seitdem schreiben sie sich gelegentlich oder telefonieren. Die Bitte um den Besuch und einen Rat stand in einem Brief. Nachdem Richard am Bahnhof in Fahrenende auf Friedrich wartet, der ihn abholen wollte, aber nicht kommt, entschließt er sich zu Fuß durch den Ort zu gehen, bis zum ehemaligen Pfarrhaus, das zur Kunstscheune umfunktioniert wurde und bei dem Friedrich seit zehn Jahren Vereinsvorsitzender ist. Auf dem Weg trifft er auf den örtlichen Polizisten Bert Mulsow. Dieser nimmt ihn in seinem Streifenwagen mit. Als sie bei Friedrich ankommen, brennt Licht und die Tür ist offen, aber von Friedrich keine Spur. Dann finden sie ihn erschlagen in seinem Atelier. Der ganze Ort ist geschockt, vor allem Friedrichs Nichte Johanna Trestorf. Richard kommt vorübergehend bei der Tante von Mulsow unter, die eine Pension führt. Jetzt möchte Richard natürlich trotzdem wissen, warum er so dringend gebeten wurden, an die Ostsee zu reisen. Er erkundigt sich etwas bei den Bewohnern und denen, die Friedrich kannten. Dabei lernt er auch Johanna immer besser kennen. Zusammen finden sie das Bild „Meeresschönheit“ im Atelier. Richard ist Kunstexperte und erkennt sofort, dass sich der kleine Verein dieses Bild für seine Ausstellung gar nicht leisten kann. Der Kaufbeleg bestätigt, dass das Bild unter Wert erstanden wurde. Richard lässt die „Meeresschönheit“ in Hamburg bei einem Freund untersuchen und der findet heraus, dass es eine Fälschung ist, die erst vor wenigen Wochen angefertigt wurde. Und vor wenigen Wochen ist auf Friedrichs Konto eine beachtliche Summe eingegangen, die schon eher dem Wert des Bildes entspricht. Ist Friedrich ein Kunstfälscher?

Richard Gruben ist 42 Jahre alt und arbeitet als Kunstexperte und -historiker vor allem für englische Kunst. Außerdem ist er Dozent an einer Universität. Die Beziehung mit seiner Freundin Charlotte läuft gerade nicht so harmonisch und deshalb sieht er die Reise nach Fahrenende auch als eine Auszeit, um sich über seine Gefühle klar zu werden. Bei den Recherchen um die „Meeresschönheit“ kommt Richard Johanna immer näher. Da er wegen dem Tod von Friedrich länger bleibt, als ursprünglich geplant, verbringt er auch die Weihnachtsfeiertage in dem Ort. Johanna lädt ihn zu sich und ihrem Bruder Michael ein. Auf dem Rückweg bringt er sie bis zur Haustür und davor küssen sie sich.

Waltraud Muslow, die Pensionsbesitzerin und Tante des Polizisten, und Holger Ruhnke, der Inhaber einer Bootswerft, ist gar nicht wohl dabei, dass Richard bei der Suche nach dem Grund von Friedrichs Tod an der Vergangenheit kratzt, von der seit vielen Jahren keiner mehr gesprochen hat. Als Richard dann auf dem Weg nach Hause im Wald niedergeschlagen wird und kurz danach das Haus von Johanna brennt, wird klar, dass es um viel mehr als um eine Kunstfälschung gehen muss.

Stumme Wasser von Anja Behn hat mir gut gefallen. Bevor ich das Buch gelesen habe, war ich auf einer Lesung im Ostseebad Wustrow, bei der Anja Behn ihren Küsten-Krimi vorgestellt hat. Bei der Lesung hat sie nicht nur aus dem Buch vorgelesen und darüber gesprochen, sondern sie hat den Gästen auch etwas über die Entstehung ihres Debütromans erzählt. So zum Beispiel, dass alles mit einem Drehbuch begonnen hat, für das sie sich einen Schluss ausgedacht hat. Das hat ihr so viel Freude bereitet, dass die Idee eines eigenen Buches nicht mehr weit war. Da Anja Behn schon in ihrer Kindheit mit ihrer Mutter gerne Krimis wie „Derrik“ oder „Tatort“ im Fernsehen gesehen hat und noch lieber Krimis gelesen hat, war das Genre auch schnell klar.

Die ersten Kapitel hat ihr 15jähriger Sohn gelesen, der ihr größter Kritiker, aber auch ihr größter Fan ist. Außerdem hat sie den Besuchern auch davon erzählt, wie ihre Zusammenarbeit mit dem emons-Verlag abläuft. Dass der Lektor beispielsweise Vorschläge zu den Texten macht, der Autor aber am Ende entscheidet. Und dass über die Geschichte unzählige Male drüber gelesen wird und sich bei der letzten Korrektur trotzdem noch Schreibfehler eingeschlichen haben. Und das Buch hatte auch nicht von Anfang an den jetzigen Titel, der Arbeitstitel war „Sturmbruch“. Als Autor wurde Anja Behn viel mit einbezogen, auch bei der Gestaltung des Buchcovers, es fand eine familiäre Zusammenarbeit statt. Besonders überraschend fand ich, dass nach allen getroffenen Entscheidungen und dem eigentlichen Druck des Buches ein Jahr vergeht. Im Emons-Verlag erscheinen übrigens durchschnittlich 250 Krimis im Jahr.

Die Autorin hat außerdem verraten, dass die Pensionsbesitzerin Waltraud Mulsow ihre Lieblingsfigur ist. Am Anfang sollte sie gar nicht so viel Raum bekommen, das hat sich dann beim Schreiben aber so entwickelt. Dann hat sie erklärt, dass sie mit Fahrenende bewusst einen fiktiven Ort verwendet hat, da jeder Leser unterschiedliche Orte auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst bevorzugt und so sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Jeder Leser kann aus Fahrenende seinen Lieblingsort machen. Anja Behn hat gesagt, dass sie jahrelang in Ahrenshoop im Urlaub war und durch die Lesung bemerkt hat, dass Wustrow eigentlich viel schöner ist. Nur den Resthof, in dem das Vereinsmitglied Ute Grams ihre Keramikwerkstatt hat, gibt es wirklich. Der Bauernhof, der typisch für Mecklenburg ist, liegt eigentlich ca. zehn Kilometer südlich von Rostock, also ganz in der Nähe des Wohnortes der Autorin. Sie ist dort hingezogen, als der Hof noch nicht ganz fertig war und hat so seine Entstehung mitbekommen. Jetzt ist er ein beliebtes Ausflugsziel mit Café und selbstgebackenem Kuchen. In der Geschichte wird beschrieben, dass Richard mit dem Zug anreist und am Bahnhof wartet. Das kann allerdings nicht sein, da es auf der gesamten Halbinsel nur Busverbindungen gibt, also auch nur Haltestellen.

Anja Behn arbeitet gerade an ihrem zweiten Küsten-Krimi Küstenbrut, der am 18. August 2016 erscheint. Der Dorfpolizist Bert Mulsow wird auch wieder darin vorkommen. Unter dem Pseudonym Jule Vesterland veröffentlicht die Autorin am 20. Juli 2016 einen Liebesroman, der auf Hiddensee spielt.

Rezension und Foto von Andrea Köster.

 

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Stumme Wasser | Erschienen am 15. Oktober 2015 bei Emons
ISBN 978-3-95451-710-7
176 Seiten | 9,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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