Monat: Januar 2021

Jahreshighlights 2020

Jahreshighlights 2020

Auch in diesem merkwürdigen Jahr 2020 haben wir nichtsdestotrotz viele Krimis gelesen und nun möchten wir euch unsere Krimis des Jahres präsentieren. Andy, Andrea und Gunnar haben jeweils ihre Top 3 zusammengesucht. Mit einem Klick auf den Titel gelangt ihr außerdem zur ausführlichen Rezension.

Andys Krimis des Jahres

Wenn ich etwas Positives über das vergangene Jahr 2020 sagen müsste, dann: Ich habe mehr gelesen und gehört als sonst. Es waren viele gute Bücher dabei, allerdings auch viel Mittelmäßiges. Meine Top 3 beschäftigen sich alle mit den USA und geben ein differenziertes Bild dieses Landes wieder.

Jeanine Cummins | American Dirt
In Acapulco werden 16 Familienmitglieder der Buchhändlerin Lydia erschossen, nachdem ihr Ehemann, ein engagierter Journalist eine Enthüllungsgeschichte über ein ansässiges Drogenkartell veröffentlicht hatte. Wie durch ein Wunder überleben Lydia und ihr 8-jähriger Sohn das Massaker und auf der Flucht vor dem Kartellboss beschießt Lydia illegal die Grenze zur USA zu überqueren.

In den USA löste der Roman der Autorin Jeanine Cummins einen wahren Shitstorm aus. Man warf der weißen US-Amerikanerin unter anderem Überheblichkeit und kulturelle Aneignung vor, da sie sich einem Milieu und einer Kultur bedient, der sie nicht selbst angehört. Ich kann diese Kritik in Ansätzen nachvollziehen. Aber für mich war die Geschichte einer dramatischen Flucht ins gelobte „El Norte“ fesselnd und voller Emotionen. Die Szenen auf dem berüchtigten Güterzug „La Bestia“, auf dem jedes Jahr Hunderttausende von Mexiko in die USA flüchten, waren für mich atemberaubend und filmreif erzählt. Auf der weiteren Flucht durch die Sonora-Wüste lernen sie andere Flüchtlinge und Geschichten kennen und die Schicksale berühren und man fiebert mit ihnen mit.

Ein mitreißender Unterhaltungsroman, der das Migrationsthema sichtbar macht. Eine kritische Rezension von Gunnar findet sich auf dem Blog.

Tawni O’Dell | Wenn Engel brennen
Eine absolute Überraschung war dieser wendungsreiche, spannende Kriminalroman im Setting einer ehemaligen Bergbauregion in Pennsylvania. Schon seit langem verrotten hier die Maschinen, während unter der Erde seit Jahrzehnten noch etliche Kohleflöze brennen und dadurch ganze Regionen unbewohnbar gemacht wurden. In dieser verwüsteten Landschaft wird eine brutal ermordete 17-Jährige in einer glühenden Erdspalte gefunden. Auf der Suche nach dem Täter bekommt es die unkonventionelle Polizeichefin Dove Carnahan mit der dysfunktionalen Familie des Opfers zu tun, Redneck-Unterschicht der schlimmsten Sorte.

Die amerikanische Autorin erzählt pointiert und empathisch von diesem heruntergewirtschafteten Landstrich, dem sogenannten „Rust Belt“ und dessen Einwohnern, die keine Hoffnung auf eine Zukunft mehr haben. Der intelligent geplottete Country Noir punktet mit einem literarischem Erzählstil und lebt dabei von seinen Kleinstadtfiguren, die Tawni O’Dell mit einem messerscharfem Blick porträtiert. Und mit der 50-jährigen Polizeichefin hat sie einer der coolsten Protagonistinnen geschaffen, die teilweise abgebrüht und zynisch wirkt, sich aber Mitgefühl und Selbstironie beibehalten hat.

Liz Moore | Long Bright River
Ein weiteres Highlight des letzten Jahres führt in ein Viertel nach Philadelphia, das sich mittlerweile zum Zentrum der amerikanischen Opioid-Krise entwickelt hat. In Kensington wird die Streifenpolizistin Michaela Fitzpatrick zu einem weiblichen Leichenfund am Bahndamm gerufen. Mickey denkt sofort an ihre heroinsüchtige Schwester, die als Prostituierte auf der Straße lebt. Weitere Opfer werden gefunden, immer drogensüchtige Prostituierte und Mickey sitzt die Angst um ihre Schwester im Nacken. Als sie einen Hinweis von der Straße bekommt, dass ein Polizist in die Morde verwickelt sein könnte, geht sie der Sache auf eigene Faust nach.

Dieser Roman ist zwar auch ein spannender Krimi mit überraschenden Wendungen, aber mehr noch ein emotionales Familiendrama und erschütterndes Psychogramm eines heruntergekommenen Stadtteils der amerikanischen Ostküste, in dem Liz Moore auf eine dichte Beschreibung der verwahrlosten Szenerie setzt. Moore veranschaulicht sehr beeindruckend wie die Drogensucht Familien über Generationen hinweg zerstört. Dadurch zieht sich eine deprimierende Hoffnungslosigkeit durch den Roman.

Die amerikanische Autorin erzählt mitreißend und sehr ergreifend mit einer sprachlichen Kraft und Schonungslosigkeit, die manchmal weh tut. Ein tiefgründiger Roman mit lebendigen Charakteren, der mich sehr bewegt hat. Die ausführliche Rezension erschien in unserer Sommerpause in den Sozialen Medien.

Gunnars Krimis des Jahres

Lesetechnisch kann ich gegen das vergangene Jahr nicht viel sagen, allerdings war es für mich so ein wenig das Jahr der Altstars, was sich auch in meiner Liste widerspiegelt. Nebn meinen Top 3 möchte ich auf jeden Fall auch noch Attica Locke mit „Heaven, My Home“, Horst Eckert mit „Im Namen der Lüge“, Sara Paretsky mit „Altlasten“ und Max Annas mit „Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit“ erwähnen.

Don Winslow | Broken
In den letzten Jahren waren die Meinungen etwas geteilt über Don Winslow. Wenngleich er mit „Jahre des Jägers“, dem Abschluss seiner Kartell-Trilogie, durchaus wieder an alte Zeiten anknüpfen konnte. Mit seiner Novellensammlung „Broken“ hat er für mich aber wieder vollends überzeugt. In den sechs Novellen tauchen zum einen viele bekannte Protagonisten aus alten Winslow-Romanen wieder auf, zum anderen sind sie teilweise als Hommage angelegt, beispielsweise die Story „Crime 101“ an steve McQueen oder „The San Diego Zoo“ an Elmore Leonard.

Sechs Geschichten über Gewalt, Drogen, Loyalität und Moral, von hartgesotten, lässig bis berührend. Diese Storys bieten eine faszinierende Bandbreite und beste Unterhaltung. Absolutes Highlight ist die letzte Novelle „The Last Ride“, in der der Grenzschützer Cale Strickland ein Mädchen aus einem Auffanglager gegen die Vorschriften mit seiner Mutter wieder vereinen will. Eine großartige Story mit einem starken Statement des überaus politischen Winslow.

Garry Disher | Hope Hill Drive
Eigentlich hatte Garry Disher ausgeschlossen, nach „Bitter Wash Road“ weitere Bücher mit Constable Harry Hirschhausen zu schreiben. Wie gut, dass er sich nicht daran gehalten hat, bescherte ihm „Hope Hill Drive“ (oder „Peace“ im Original) seinen bislang größten Publikumserfolg (zumindest in seiner Heimat). Ein knappes Jahr nach den Vorkommnissen in „Bitter Wash Road“ scheint Hirsch endlich so ein wenig in Tiverton angekommen zu sein. Beruflich hat er kurz vor Weihnachten allerhand zu tun: Kupferdiebstahl, verschwundene Hunde, Trunkenheit am Steuer, obszöne Graffitti oder ein Kleinkind in einem überhitzten Auto. Das ganz normale Leben eines Landpolizisten. Doch dann werden einige Ponys auf dem Hof von Nan Washburn von einem Unbekannten verletzt und sogar getötet. Das sorgt für Aufruhr in Tiverton, sogar die überregionale Polizei kommt vorbei. Das Massaker auf dem Ponyhof ist aber nur der Auftakt für weitere Gewalt im vermeintlich beschaulichen Outback.

Garry Disher ist für mich ein Meister des Plots und der Authentizität. Glaubhafte Figuren in einer präzise beschriebenen südaustralischen Landschaft. Verschiedene Stränge und Entwicklungen, die er meisterhaft zusammenführt und dazu auch ein stetig steigender Spannungsbogen. „Hope Hill Drive“ ist ein weiterer Beweis: Disher ist ein absoluter Könner in all seinen verschiedenen Werken. Ob Challis, ob Wyatt, ob Hirschhausen.

Dominique Manotti | Marseille.73
Die Meisterin des politischen Kriminalromans greift sich wieder eine Episode der französischen Geschichte heraus, um daraus einen waschechte Noir mit Gegenwartsbezügen zu schreiben. Im Jahr 1973 greift das Gespenst des Rassismus in Südfrankreich um sich: Das Ziel der Attacken sind die zahlreichen nordafrikanischen, meist algerischen, Migranten. Nach dem Mord an einem Busfahrer durch einen geisteskranken Algerier explodiert die Gewalt. Ein junger Algerier wird ermordet und offenbar hat die Polizei wenig Interesse an einer Aufklärung. Zumindest ein Teil der Polizei. Aber Commissaire Daquin und sein Team lassen nicht locker und sind auch bereit, den Kampf gegen die Vertuschung im eigenen Hause aufzunehmen.

Ich bin als Fan der Autorin voreingenommen, aber Dominique Manotti hat mich auch diesmal absolut überzeugt. Insgesamt ist für mich „Marseille.73“ ein enorm vielseitiger Krimi noir voller Finesse und Brillanz. Zwar fiktiv, aber auf historischen Fakten basierend und – wie bereits oben erwähnt – voller Bezüge zur Gegenwart.

Andreas Krimis des Jahres

Julia Bruns | Eiskalte Ostsee
Im Ostseebad Sellin wird eine Leiche an den Strand gespült. Hauptkommissarin Anne Berber beginnt mit den Ermittlungen und zieht Pensionsbesitzer Sören Hilgert, der noch vor kurzem beim LKA gearbeitet hat, ins Vertrauen. Gemeinsam finden sie die Lösung in der DDR-Vergangenheit des Opfers.

Fazit: Toller Schauplatz, tolle Ermittler, toller Krimi. Gern mehr davon! (Mit Freude erwarte ich den zweiten Band, “Ostseeglut”, der im März 2021 erscheint.)

Corinna Kastner | Fischland-Lügen
Auf dem Fischland will Immobilienhai Falk Clasen eine Hotelanlage bauen, außerdem wird sein Sicherheitschef vermisst. Für Pensionswirtin Kassandra Voß genügend Gründe, um eigene Ermittlungen anzustoßen, womit sie sich in Gefahr begibt…

Fazit: Viel Ostsee-Gefühl, noch mehr Spannung und andere Liebe als erwartet.

Elsa Dix | Die Tote in der Sommerfrische
1912, Sommerfrische auf Norderney. Aus der Ostsee wird eine Leiche gefischt und die Polizei geht von Selbstmord aus. Die angehende Lehrerin Viktoria Berg und der Journalist Christian Hinrichs sind allerdings anderer Meinung und ermitteln auf eigene Faust.

Fazit: Eine unterhaltsame Mischung aus Krimi und Liebesgeschichte und eine kleine Reise in die Vergangenheit, angesiedelt im schönen Seebad Norderney. Ich freue mich auf weitere Fälle.