Tag: 14. Oktober 2018

Joseph Knox | Dreckiger Schnee

Joseph Knox | Dreckiger Schnee

Samstag. Ultraviolette Beleuchtung in der Kabine. Ist bei allen Bars im Zentrum so, denn Drogensüchtige können bei diesem Licht ihre Venen nicht finden und sich folglich auch keinen Schuss setzen. Rubik’s war keine Ausnahme. Es gab natürlich ganz Harte, die die Stelle draußen mit einem Filzstift markierten. Wenn sie danach mit marmorierten Augäpfeln wieder rauskamen, sahen die Kreuzchen auf ihren Unterarmen aus wie blutige Küsschen auf einer Karte. (Auszug Seite 101)

Die Sirenen

Der vermeintlich korrupte Detective Aidan Waits wurde vom Dienst suspendiert, da er Drogen aus der Asservatenkammer entwendet hat. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Inoffiziell soll sich Waits undercover in den Kreis von Geschäftsmann und Drogendealer Zain Carver einschleusen. Die Polizei hat den Drogenbaron schon länger im Visier, konnte ihm aber bisher nichts nachweisen und diverse Razzien laufen ins Leere. Waits Aufgabe ist es, Carvers Kontaktmann bei der Polizei ausfindig zu machen. DC Waits hat auch nicht den besten Ruf, konsumiert selbst Drogen und ist auch dem Alkohol nicht abgeneigt, bringt also die besten Voraussetzungen für den Job mit.

Er scheint auch der perfekte Mann zu sein, um Isabelle Rossiter zu suchen. Die 17-jährige Tochter eines prominenten Politikers ist schon vor einem Monat von zu Hause ausgerissen und im Dunstkreis von Zain Carver aufgetaucht. DC Waits findet Isabelle auf Carvers Anwesen in Fairview während einer seiner wilden Partys, für die er berühmt ist.

Der DC findet heraus, dass Carver minderjährige Mädchen als Drogenkuriere einsetzt, sogenannte Sirenen, so auch der englische Originaltitel. Diese jungen Frauen werden als Eintreiberinnen auf die Straßen und in die Bars und Clubs geschickt. Vor zehn Jahren verschwand eine der Sirenen. Der Fall wurde nie aufgeklärt. Noch bevor Waits der psychisch angeschlagenen Isabelle helfen kann, stirbt sie an einer Überdosis von verunreinigtem Heroin.

Gleichzeitig drängt eine andere Drogenbande in Carvers Imperium, um das lukrative Geschäft zu übernehmen. Es kommt zu einem Bandenkrieg und Catherine, eine von Carvers Vertrauten wird entführt und als Geisel genommen. Waits, der sich ein bisschen in die junge Frau verliebt hat, tut alles um ihr Leben zu retten. Der spannende Weg bis zur Auflösung ist übersät mit Gewalt, Sex, Alkohol und Drogen.

Feierwütiges Manchester

Das Debüt von Joseph Knox entführt den Leser nach Manchester. Aber ins düstere Manchester mit den ganz bösen Jungs. Die einstige Industriestadt hat sich zu einer vergnügungssüchtigen Metropole entwickelt. Der Ich-Erzähler Aidan nimmt den Leser mit auf seinen Höllenritt durch die Unterwelt. Angefangen von der Gosse, in der er zu Beginn der Geschichte orientierungslos liegt bis zu dem Beetham Tower, das höchste Gebäude außerhalb Londons mit Glasfront, in dem die Rossiters in einem Luxus-Penthouses wohnen. Wir bekommen einen Einblick in die Feierszene mit den ganzen Bars, Clubs und Kneipen und auch ein Besuch in der schillernden Schwulenszene darf nicht fehlen. In einer der schlimmsten Szenen haben sich Jugendliche auf einer Party in einem Privathaus verunreinigtes Heroin gespritzt und die meisten müssen unter grausamen Schmerzen sterben.

Eine Hauptfigur mit Ecken und Kanten

Der Protagonist Aidan Waits ist ein unangepasster, schwieriger Polizist ohne jegliche Illusionen mit einem Hang zu Drogen und Alkohol. Er kommt aus schwierigen sozialen Verhältnissen und hat kaum Freunde. Er verbeißt sich in den Fall und man leidet und fiebert mit ihm mit. Auf der anderen Seite hat er aber auch eine empfindsame Seele und ist mitfühlend. Um die jungen Frauen ist er sehr besorgt und versucht sie zu beschützen. Er handelt oft am Rande der Legalität und steckt im Laufe der Geschichte selbst oft Prügel ein. Klar ist das alles schon mal dagewesen, aber selten wurde das bis ans Ende so perfekt durchgezogen.

In der Tür fiel mein Blick auf mein Spiegelbild. Getrockneter Schweiß und verklumptes Blut am Kopf machten meine Frisur zu einer wilden Mähne. Aber dank der Handschellen passte ich perfekt hierher. Ich gab dem schwergewichtigen Ladyboy an der Tür fünf Pfund und wurde ohne Weiteres durchgewinkt. (Seite 362)

Joseph Knox lässt in seinem Debüt Dreckiger Schnee seine Hauptfigur sehr schnell in kurzen Kapiteln und kurzen Sätzen erzählen und erzeugt damit ein großes Tempo. Dabei macht die Vielzahl an unterschiedlichen Figuren und ihre Verstrickungen untereinander es manchmal etwas schwierig, durchzusteigen. Der Schreibstil ist nicht besonders gefällig und ich stolperte am Anfang auch über einige phantasievolle Formulierungen und Beschreibungen. Da verkrampfen sich Münder zu faltigen Wutwülsten oder Augen fixieren mit Kreuzblick. Die Atmosphäre ist durchgehend düster, wird nur durch die lakonische Sprache, die sehr cool und oft auch melancholisch rüberkommt, unterbrochen und zieht sich durch das ganze Buch. Die Dialoge sind dem Milieu angepasst. Ich vermute, dass manchem Leser die eindringlichen und schockierenden Einblicke in die Drogenszene und die Gewaltexzesse ein bisschen zu viel sind. Mich hat der Thriller und die authentischen Charaktere, einmal darauf eingelassen, sehr fasziniert.

Punkmusik aus den 80ern

Die Musik von Joy Division zieht sich durch die ganze Geschichte. Die Punkband aus Manchester war berühmt für ihre traurig düstere und verstörende Musik und der depressive Charakter machte den Sound unverwechselbar. Die fünf Teile des Buches sind mit Alben der Band aus den 80er Jahren überschrieben.

Joseph Knox ist in Manchester geboren und aufgewachsen. Der ehemalige Buchhändler lebt mittlerweile in London. Dreckiger Schnee ist sein Thriller-Debüt und der Auftakt zu einer Reihe. Der zweite Teil der Aidan-Waits-Reihe ist bereits in Großbritannien erschienen.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Dreckiger Schnee | Erschienen am 3. September 2018 bei Droemer Knaur
ISBN 978-3-426-522-3
432 Seiten | 14.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe