Anita Terpstra | Anders

Anita Terpstra | Anders

„Wie ist es, wieder zurück zu sein?“ Linc war klar, wie einfältig seine Frage klang, doch ihm fiel nichts Besseres ein.
„Anders als ich es mir vorgestellt habe“, räumte Sander ein.
„Besser oder schlechter?“
Es ist, als würde jeder auf Zehenspitzen gehen.“
„Wir bemühen uns alle.“
„Das müsst ihr nicht. Ich bin nicht aus Zucker, sondern halte was aus. Zeigt sich eigentlich schon daran, dass ich die letzten Jahre überlebt habe.“ (Auszug Seite 224)

Bei einer Nachtwanderung im Wald eines Ferienlagers verschwindet der 11-Jährige Sander Meester spurlos. Sein Freund Maarten wird gefunden, tot und mit heruntergezogener Hose. Es war eine Vierergruppe: Sanders Schwester Iris, ihr Freund Christiaan und die beiden Jungen Sander und Maarten. Auf dem Weg zum Ferienlager haben sie sich aus den Augen verloren und den Weg zurück nicht mehr gefunden.

Iris ruft ihren Vater Linc an, der als Betreuer mit auf dem Ausflug ist, und berichtet, dass sie Sander und Maarten verloren haben. Alle anderen Erwachsenen werden informiert, die Suche nach den Jungen beginnt. Als Linc dann den toten Maarten findet, wird auch die Polizei informiert. Das Durchsuchen des Waldes bleibt erfolglos. Sander wird nicht gefunden.

Sechs Jahre später erhält Alma, Sanders Mutter, einen Anruf von der Polizei aus Deutschland. Ein Junge ist bei ihnen auf der Wache und sagt, dass er Sander ist. Er wurde all die Jahre von dem Pädophilen Eelco im Wald festgehalten. Dann ist Eelco vermutlich an einer Alkoholvergiftung gestorben und so konnte Sander entkommen. Per Anhalter ist er zum nächsten Polizeirevier in Stuttgart gekommen.

Alma ist überglücklich! Die ganze Familie holt ihn aus Deutschland ab. Zu Hause angekommen, ist das Verhalten von allen sehr angespannt. Keiner weiß, wie er mit dieser neuen Situation umgehen soll. Sander verkriecht sich zunächst in seinem Zimmer. Seine Mutter will ihn immer wieder in Gespräche verwickeln, am liebsten alles ganz genau erfahren, aber er erzählt nicht viel. Auch einen Psychologen lehnt er strikt ab.

Dann bekommt Alma einen Brief ohne Absender. Ylva, die Mutter von Roel bekommt auch einen und will daraufhin dringend mit Sander sprechen. Roel ist ein Freund von Sander, der bei einem Unfall im See ertrunken ist. Sander war dabei, konnte ihn aber nicht retten. In den Briefen steht, dass nicht alles so ist, wie sie glauben. Außerdem steht Christiaan seit Sanders Wiederkehr auf der Weide neben dem Haus. Er beobachtet Sander und folgt ihm, wenn er mit dem Fahrrad in die Stadt fährt. Als Alma ihn zur Rede stellt, sagt er, dass sein Verhalten zum Schutz von allen ist.

Dann gibt es Unstimmigkeiten mit der Videokamera, die Sander ständig bei sich getragen hat. Es fehlen Filme. Linc hat damals alle digitalisiert, aber zwischendrin fehlen Monate. Zudem kommt die Frage auf, warum Eelco, der zweihundert Kilometer entfernt wohnte, so weit reiste, um einen Jungen zu entführen. Als Iris Sander mit zum Schwimmen an den See nimmt, in dem Roel ertrunken ist, und dieser keine Reaktion zeigt, fragt sich seine Schwester noch, ob er den Vorfall vergessen haben könnte. Doch ihr und auch Alma kommen nach und nach Zweifel, ob das alles seine Richtigkeit hat.

Für Alma war es seit der Entführung das Wichtigste, die Suche nach ihrem Sohn Sander nicht aufzugeben. Immer wieder hat sie mit den Medien geredet, damit diese weiter darüber berichten und er nicht in Vergessenheit gerät. Linc dagegen hat sich völlig zurückgezogen. Er hat seinen Job verloren, sich den ganzen Tag die Videos aus der Kamera seines Sohnes angesehen und Medikamente gegen Depressionen bekommen. Beide Verhaltensweisen haben schlussendlich dazu geführt, dass das Ehepaar sich getrennt hat. Daran konnte auch der kleine Bas nichts ändern, den Alma vor zwei Jahren geboren hat. Alma wohnt weiterhin auf dem Hof, Linc ist in die Stadt in eine notdürftig eingerichtete Wohnung gezogen.

Iris ist zum Studieren nach Amsterdam gegangen. Sie wollte weg aus dem Elternhaus und ihre Freiheit haben. Die damals 15-Jährige hat ein ganzes Jahr nach dem Verschwinden kein Wort gesagt. Sie wollte die freien Sommerwochen eigentlich Urlaub mit ihren Freundinnen machen und arbeiten, um sich das nächste Semester zu finanzieren. Nachdem Sander wiedergekommen ist, verwirft sie diese Pläne und bleibt auf dem Hof ihrer Mutter. Iris ist von Anfang an am misstrauischsten was Sander betrifft. Das hängt auch mit ihren Erfahrungen zusammen, die sie gemacht hat, als Sander noch zu Hause war. Außerdem ist damals tatsächlich noch etwas Anderes passiert, als die Polizei zu Protokoll genommen hat. Aber das muss geheim bleiben. Das erklärt sie auch Christiaan nochmal eindringlich, der in der Nacht ja mit dabei war. Hoffentlich verrät auch Sander nichts.

Anders von Anita Terpstra hat mir sehr gut gefallen. Die Geschichte ist sehr spannend und ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen. Es wird aus Sicht von Alma, Iris und Linc erzählt. Ab und zu gibt es Abschnitte aus der Sicht von Iris, bei denen sie vor Sanders Verschwinden mit ihm zusammen ist und er sich merkwürdig verhält. Die Geschichte ist flüssig und plausibel geschrieben. Das Ende hält eine mehr oder weniger überraschende Wendung bereit, da auf dem Vorschautext der Buchrückseite schon steht, dass es mit Sander seltsam ist und die Fäden in der eigenen Familie zusammenlaufen. Trotzdem wird damit nicht zu viel verraten.

Anita Terpstra ist eine niederländische Schriftstellerin, wurde 1975 geboren, studierte Journalismus und Kunstgeschichte und arbeitete danach als freie Journalistin für einige Zeitschriften. Sie hat in ihrem Heimatland vier Bücher veröffentlicht. „Anders“ ist ihr erster Roman, der auch in Deutschland erscheint.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

 

anders

Anders | Erschienen am 15. August 2016 bei Blanvalet
ISBN 978-3-73410-257-8
384 Seiten | 9,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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