
Vor 24 Jahren: 2001 in Crime Fiction (Teil 1)
Vor zwei Jahren haben uns schon einmal in einem Doppelbeitrag einem Krimijahr gewidmet. Damals war es 1998, nun springen wir drei Jahre weiter auf das Jahr 2001. Inzwischen hatte das Harry Potter-Fieber die ganze Welt erfasst, was sich auch auf die Literatur-Bestsellerlisten auswirkte (und auf die Leinwand, doch dazu später). So tauchten bei den Verkäufen aus dem Krimigenre nur Henning Mankell (mit gleich zwei Wallandern) und der Altmeister Ken Follett (mit „Das zweite Gedächtnis“) ganz vorne auf.
Wenn man einen Trend im Genre ausmachen will dann vielleicht von Forensic oder Medical-Thrillern. Das war zwar natürlich nicht völlig neu, man denke z.B. an Patricia Cornwell oder Michael Crinchton, doch zu Beginn des neuen Jahrtausends nahm dieses Subgenre immer mehr Fahrt auf. Auffällig ist, dass dabei sehr oft Frauen als Autorinnen eine Rolle spielten und auch Protoganistinnen in den Vordergrund stellten. Kathy Reichs startete ihre Reihe um die forensische Anthropologin Temperance Brennan einige Jahre früher. 2001 folgten dann mit großem Erfolg Karin Slaughter, die mit „Blindsighted“ (dt. „Belladonna“) ihre Serie um Dr. Sara Linton startete, und Tess Gerritsen (die freilich schon mit früheren Werken dieses Genre belebt hatte) mit ihrer Combo aus Polizistin Jane Rizzoli und Gerichtsmedizinerin Maura Isles („The Surgeon“, dt. „Die Chirurgin“).
Schon seit längerem einen Namen gemacht hatte sich ein Autor aus Boston, Massachusetts. Bereits 1990 verfasste Dennis Lehane seinen ersten Thriller, der 1994 dann auch endlich veröffentlicht wurde. „A Drink Before The War“ war der erste Band der Serie um die beiden Privatdetektive Patrick Kenzie und Angela Gennaro. Eine exzellente Serie, die bis heute nichts an Reiz verloren hat. Lehane stieg dann in die Bestsellerriege auf, als Präsident Clinton sich als Leser von „Prayers For Rain“, dem vierten Band der Reihe, outete. 2001 unterbrach Lehane die Reihe und legte erstmals einen Stand Alone vor.
Dennis Lehane | Mystic River – Spur der Wölfe
Namensgeber für den Roman „Mystic River“ des US-Amerikaners Dennis Lehane aus dem Jahr 2001 ist der Fluss Mystic River in Massachusetts in den USA. Er handelt von drei Jugendfreunden, deren Kindheit von einem Verbrechen überschattet wird. Während Jimmy Marcus, Dave Boyle und Sean Devine 1975 in East Buckingham, einem fiktiven rauen Arbeiterviertel in Boston auf der Straße spielen, locken zwei Männer, die sich als Ordnungshüter ausgeben, Dave in ihr Auto. Tagelang wird der 11-Jährige gefangen gehalten und missbraucht, bis er endlich seinen Peinigern entfliehen kann. Danach ist Dave wie gebrandmarkt und trägt für immer das Stigma des Opfers mit sich herum.
25 Jahre später haben alle drei Familien gegründet, treffen aber selten aufeinander. Jimmy, der ehemalige Kriminelle, führt nach dem Krebstod seiner ersten Frau einen Tante-Emma-Laden und wacht über das Privatleben seiner ältesten Tochter, der bildhübschen, lebenslustigen Katie. Sean ist Polizist geworden, lebt getrennt von seiner schwangeren Frau und versucht nach einer Suspendierung wieder im Morddezernat Fuß zu fassen. Dave, der nie über das Verbrechen in seiner Kindheit spricht, ist schwer gezeichnet, mit Jimmys Cousine verheiratet und hat einen Sohn.
Als eines Tages Katies Leiche in einem Park gefunden und Sean mit der Aufklärung des brutalen Mordes beauftragt wird, deuten einige Indizien auf Dave als Täter. Dieser war die Nacht davor blutüberströmt nach Hause gekommen und hatte seiner Frau eine unglaubwürdige Geschichte von einem Räuber erzählt, den er erschlagen hätte. Jimmy, der noch beste Kontakte zur kriminellen Unterwelt hat, schwört Rache und Sean versucht alles, Jimmy davon abzuhalten, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen.
„Mystic River“ ist kein Action-Thriller, sondern punktet mit exakten Milieuschilderungen und psychologisch äußerst nuancierten Charakterbeschreibungen der Menschen der Arbeiterklasse. Lehane schildert eindringlich die Welt zwischen den „Flats“ und dem „Point“, in der eine Straße die Grenze zwischen den Arbeitern und den besseren Leuten markiert und Herkunft eine große Rolle spielt. Der fesselnde Thriller rollt langsam an, um etwa ab der Hälfte so richtig Fahrt aufzunehmen und in einem spannenden Showdown zu enden. Durch den ganzen Roman zieht sich eine Trostlosigkeit, die das Sozialdrama zu einem extrem deprimierenden Roman macht.
Zwei Jahre später verfilmte Clint Eastwood den Roman unter dem Titel „Mystic River“, der mit 2 Oscars prämiert wurde.
Apropos Film, das Filmjahr 2001 wurde dominiert durch den Start zweier Filmreihen, die auch in den Folgejahren die Einspielergebnisse in die Höhe treiben werden. „Harry Potter und der Stein der Weisen“ und „Der Herr der Ringe – Die Gefährten“ zählen bis heute zu den hundert erfolgreichsten Filmen aller Zeiten. In Deutschland startete außerdem „Der Schuh des Manitu“ und nach diesen dreien kam 2001 lange nichts. Bei den Oscars 2001 gewann nur ein Genrefilm eine renommierte Kategorie, nämlich für die beste Regie Steven Soderberghs episodischer Drogenthriller „Traffic – Macht des Kartells“ aus dem letzten Jahr.
Ansonsten haben wir uns beim Recherchieren zu den Kriminalfilmen und Thrillern aus dem Jahr 2001 etwas schwer getan. Erwähnenswert ist sicherlich die Verfilmung von Jean-Christoph Grangés „Die purpurnen Flüsse“ von Mathieu Kassovitz mit Jean Reno und Vincent Cassel in den Hauptrollen. Der Film kam zwar 2000 in Frankreich heraus, aber erst 2001 in die deutschen Kinos. Bei den deutschen Filmen stehen zwei zum Thema Linksterrorismus heraus: Zum einen der Dokumentarfilm „Black Box BRD“, der die Biografien und Alfred Herrhausen und Wolfgang Grams nebeneinanderstellt und zum anderen „Die innere Sicherheit“ von Regisseur Christian Petzold (Erscheinungsjahr 2000, aber Kinostart erst 2001) über ein terroristisches Ehepaar, dessen Leben im Untergrund durch die Teenagertochter in Frage gestellt wird. Ein Thriller eher alter Schule ist hingegen Tony Scotts „Spy Game“.
Spy Game | Der finale Countdown
Im Jahr 2001 kam der spannende Agenten-Thriller „Spy Game“ vom britischen Regisseur Tony Scott in die Kinos. Robert Redford spielt den verdienten CIA-Agenten Nathan D. Muir am letzten Tag vor seinem Ruhestand. Während sein Büro bereits leer geräumt wird, erfährt der Altgediente, dass sein ehemaliger Schüler Tom Bishop bei einer Befreiungsaktion in China verhaftet wurde und binnen 24 Stunden hingerichtet werden soll. Um ein kurz vor dem Abschluss stehendes Handelsabkommen zwischen den USA und China nicht zu gefährden, entscheidet sich die Führung der CIA, nicht einzugreifen und Bishop zu opfern, zumal dieser eigenständig aus unbekannten Gründen handelte.
Der erfahrene Muir berichtet seinen Vorgesetzen in der CIA-Zentrale von seinem Verhältnis zu Bishop. Dadurch will der Spionage-Profi Zeit und Möglichkeit gewinnen, Bishop doch noch zu retten. In ausschweifenden Rückblenden wird geschildert, wie Muir den von Brad Pitt gespielten Hitzkopf, einen Scharfschützen der US-Marines in den 70ern im Vietnamkrieg rekrutierte und ihm im geteilten Berlin der 80er sowie im zerstörten Beirut in den 90ern alle Kniffe beibrachte.
Tony Scott, auch als König der Werbeästhetik bekannte jüngere Bruder von Ridley Scott entführt uns in die Welt der verdeckten Missionen, Verschwörungen und Intrigen, präsentiert sich hier aber ruhig, abgeklärt und besonnen. Die Inszenierung ist zurückhaltend, die wenige Action fällt verhalten aus, es geht um die Beziehung zwischen dem ausgefuchsten CIA-Pensionär, einem Veteran alter Schule und dem ungestümen, hochmoralischen Nachwuchs-Spion sowie um Verrat und Loyalität. Dabei werden die Zuschauer die ganze Zeit auf eine unpersönliche Distanz zum Schicksal der Figuren gehalten. Dafür bleiben die Charaktere einfach die ganze Zeit zu unnahbar und spröde. Gleichwohl nahm mich der charismatische Ausnahmeschauspieler Robert Redford vollständig für mich ein, wenn er souverän den mit allen Wassern gewaschenen Muir mimt, wie er taktierend die eigenen Leute überlistet und dabei für seine Zwecke instrumentalisiert. In einem fesselnden Katz- und Maus-Spiel bietet er all seine Raffinesse auf, um den jugendlichen Heißsporn vom Tode zu retten. Der zentrale Konflikt des Films ist der Widerstreit des angehenden Ruheständlers Muir mit dem eigenen System.
Mystic River | Das Original erschien im Februar 2001 bei William Morrow and Company
Das TB erschien am 29. Oktober 2014 bei Diogenes
ISBN 978-3-257-24300-0
624 Seiten | 14,00 Euro
Originaltitel: Mystic River | Übersetzung aus dem Englischen von Sky Nonhoff
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Spy Game | Kinostart (US) am 21. November 2001 (in Deutschland am 12. März 2002)
Die Blu-ray erschien am 07. Februar 2013
Laufzeit 2 Std. 5 Min. | FSK 12 | 10,79 €