Tom Hillenbrand | Die Erfindung des Lächelns

Tom Hillenbrand | Die Erfindung des Lächelns

1911 wurde das berühmteste Gemälde der Welt, die „Mona Lisa“ von Leonardo da Vinci, aus dem Pariser Louvre gestohlen. Es ist die Zeit der Belle Époque, die Blütezeit von Kunst und Kultur. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg dominiert in den Großstädten, besonders in Paris , das mondäne Leben der tonangebenden Pariser Bohème. Es findet auf den Boulevards, in den Cafés und Cabarets, in den Ateliers und Galerien, in den Konzertsälen und Salons statt.

Die Ermittlungen der Pariser Polizeipräfektur gingen ins Leere, der Diebstahl der Joconde blieb auch nach Aussetzung großer Summen als Belohnung mehr als zwei Jahre lang ungeklärt. Für die stolzen Franzosen, besonders für den Louvre, ein Riesenskandal. Der Museumsdirektor wurde entlassen, wochenlang beherrschte die Geschichte die Titelseiten der Zeitungen und das weltweit. Viele Bürger gingen in den Louvre, um sich die leere Stelle an der Wand anzusehen. Und erst danach, wurde aus da Vincis Ölgemälde „La Joconde“, dessen geheimnisvolles Lächeln und das Rätsel um die wahre Identität der Dargestellten bis dahin nur Kunstinteressierte betörte, das weltbekannte und meistbesuchte Kunstwerk.

Picasso in Nöten
Auch der spanische Künstler Pablo Picasso und sein Freund, der Schriftsteller Guillaume Apollinaire, gerieten unter Verdacht, da beide mit Géry Pieret, einem Kleinkriminellen, in Verbindung standen. Und tatsächlich hatte der aufstrebende Picasso sich von Pieret verschiedene Statuetten und Masken aus dem Louvre „besorgen“ lassen. Apollinaire wurde sogar verhaftet, musste aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen werden.

„Es muss logischerweise die sein, die da Vinci seinerzeit mit nach Frankreich genommen hat, an den Hof von Francois I. Oder glaubst du etwa, er hätte die zweitklassige eingepackt?“ „Wieso denn nicht? Vielleicht brauchte er Geld für die Reise. Er hat die gute Lisa in Florenz meistbietend verkauft. Und die mit dem schiefen Lächeln hat er mitgenommen, weil ihr Franzosen den Unterschied eh nicht bemerkt.“ (Auszug Position 6483)

Neben dem jungen Picasso und Apollinaire, die schon einen großen Raum im Roman einnehmen, werden noch viele andere historische Persönlichkeiten vorgestellt. Das sind beispielsweise die Ausdruckstänzerin Isadora Duncan und ihr Guru, der Satanist Aleister Crowley. Oder die gewalttätigen Anarchisten der Bonnot-Bande, die mit schonungsloser Brutalität ganz Paris in Angst und Schrecken versetzten. Und wieder stand die Pariser Polizei stümperhaft da, kann den Revoluzzern, die nach den Raubüberfällen schnell mit Hilfe gestohlener Kraftwagen entkamen, nicht habhaft werden, da ihnen Automobile noch nicht zur Verfügung standen. Wir begleiten Commissaire Juhel Lenoir von der Sureté Générale bei seinen schwierigen Ermittlungen, der auch nach Einstellung der Suchaktion an der Sache dranblieb.

Satanische Séancen und Opiumräusche
Tom Hillenbrand, der sich als Schriftsteller in unterschiedlichen Genres bewegt, hat einen der größten Kunstraube der Geschichte und seine späte Aufdeckung als Rahmenhandlung genommen, hat historisch verbriefte Fakten und Fiktion miteinander verbunden und rausgekommen ist eine launige und sehr unterhaltsame Story. Es ist aber auch ein wilder Ritt, der die damalige Faszination für Okkultismus mit satanischen Séancen und Halluzinationen ausgelöst durch viel Opium porträtiert.

Ich hatte etwas Mühe in das Buch hineineinzufinden. Das lag an der Vielzahl der Akteure, aber auch an dem episodenhaften Schreibstil. In jedem Kapitel wechseln Schauplätze, Handlungsstränge und Personen und zahlreiche Themen, wie das Entstehen des Kubismus, das Leben der Pariser Künstlerszene sowie die politischen Umtriebe der Anarchisten werden ausführlich beschrieben. Der vielschichtig konstruierte und glänzend recherchierte Roman lässt seine Leser tief in das historische Paris eintauchen. Dass diese brodelnde, pulsierende Stadt voller Umbrüche und rasantem Fortschritt damals das Zentrum der modernen Welt darstellte, kann man intensiv zwischen den Zeilen spüren.

Ausführlich schreibt Hillenbrand von den Diskussionen der Künstler in den Cafés, auf privaten Festen, in der Oper und beim Ballett. Eine hohe Konzentration ist gefordert, aber für Kunst- und Geschichtsinteressierte bietet der Roman eine Fülle an Informationen. Das Finale ist dann wieder ein spektakulärer sowie spannender Showdown mit einer augenzwinkernden Theorie und die Leser können darüber grübeln, was wahr und was erfunden ist.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Die Erfindung des Lächelns | Erschienen am 07. September 2023 bei Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-00328-4
512 Seiten | 25,- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

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