
Stuart Turton | Der letzte Mord am Ende der Welt
In einer fernen Zukunft ist die Welt durch einen giftigen Nebel unbewohnbar geworden und die Menschheit nahezu ausgerottet. Nur eine kleine Gruppe von Menschen hat auf einer winzigen griechischen Insel überlebt. Nach der globalen Katastrophe leben hier 122 Dorfbewohner friedlich in einfachen Verhältnissen. Als Arbeitskräfte sorgen sie für Nahrung, kümmern sich um das Vieh und bewirtschaften die Felder. Sie leben in einer perfekten Ordnung, Aufwach- und Schlafenszeit sind reglementiert, selbst das Ableben an ihrem 60. Geburtstag ist festgelegt. Dann gibt es noch einige uralte Wissenschaftler*innen, die für den komplexen Abwehrmechanismus verantwortlich sind, der den tödlichen Nebel fern hält und das Überleben auf der Insel sichert. Die Dorfbewohner folgen den Ältesten ohne diese zu hinterfragen. Geleitet wird die Welt von einer KI namens Abi, die mit den Gehirnen der Bewohner von Geburt an vernetzt ist und alle ihre Fragen beantwortet. Dadurch bekommt sie alle Gedanken und Geschehnisse auf der Insel mit und ist quasi der Kopf der Insel. Diese „artifizielle biologische Intelligenz“ fungiert auch als Ich-Erzähler.
Die fragile Ordnung gerät ins Wanken, als ein Mord geschieht und die älteste Wissenschaftlerin, die Lehrerin Niema, eines Morgens brutal ermordet aufgefunden wird. Durch diesen Mord wurden die Abwehrmechanismen, die eine Barriere zum alles zerstörenden Nebel bildeten, heruntergefahren. Es bleiben noch 107 Stunden, bis dieser die Insel zu verschlucken droht. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Ausgerechnet Emory, eine Schülerin Niemas, wird beauftragt herauszufinden, was passiert ist. Emory war im Gegensatz zu den anderen Dorfbewohnern immer schon renitenter, neugieriger und hatte immer wieder unangenehme Fragen zur Situation auf der Insel gestellt. Aber sie ist aufgeweckt und eine gute Beobachterin. Ein großes Problem ist, dass sich niemand an die letzte Nacht erinnern kann, als wäre die Erinnerung aus allen Köpfen, selbst von den anderen Wissenschaftler*innen gelöscht worden.
„Wenn du die Ermittlungen übernimmst, dann will ich nicht, dass du durch Loyalität oder fehlende Fakten geblendet wirst. Du musst unvoreingenommen sein. Fang bei Adil an. Er hat vor fünf Jahren die Wahrheit über eure Existenz erfahren und sich sofort mit einem Skalpell auf Niema gestürzt. Ich bin mir sicher, dass er es noch einmal versucht hätte, wenn man ihm die Gelegenheit dazu gegeben hätte“ (Auszug E-Book Pos. 2676 von 6279)
Schnell wird klar, dass auf der Insel nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Zusammen mit Emory und ihrer Tochter Clara entschlüsselt man Rätsel um Rätsel, düstere Geheimnisse kommen ans Licht und man blickt tief in die Abgründe der Menschen. Der nahende Zusammenbruch des Schutzwalles und der damit verbundene Zeitdruck erzeugen eine beklemmende Spannung, die sich über weite Strecken des Thrillers zieht. Die Geschichte steckt voller unvorhersehbarer Wendungen und verblüffender Plot-Twists.
„Der letzte Mord am Ende der Welt“ ist kein klassischer Kriminalroman. Wie schon in seinen vorherigen Romanen hat Stuart Turton eine Mischung aus verschiedenen Genres kreiert. Der Mix aus Science Fiction, ein wenig Abenteuer und eine Portion Dystopie machen den Roman besonders. Dazu ein klassischer Whodunnit-Spannungsbogen in einem begrenzten Raum, sehr dicht und fesselnd erzählt.
Wenn man sich auf den wilden Mix einlassen kann, Logik sowie Ungereimtheiten an einigen Stellen und auch das teilweise nicht nachvollziehbare Verhalten der Figuren außer Acht lässt, macht der dystopische Krimi mit Locked-Room-Atmosphäre in einer postapokalytischen Zukunft einfach Spaß. Einmal angefangen, entwickelt der Roman direkt einen Lese-Sog.
Stuart Turton schreibt in seiner Danksagung, dass er seine Karriere mit dem Vorsatz begonnen hätte, lauter von Grund auf verschiedene Bücher zu schreiben, weil ihm das den meisten Spaß versprach. Das ist ihm bis jetzt jedenfalls gelungen, nach dem „Und-täglich-grüßt-das-Murmeltier-Krimi“ und der historischen Gespensterschiff-Geschichte nun also einen Sciencefiction-Apokalypse Roman. Was sie alle gemein haben, ist ein komplexes Plotgeflecht, in das der Autor sich trotzdem nicht zu verheddern droht.
Foto und Rezension von Andy Ruhr.
Der letzte Mord am Ende der Welt | Erschienen am 15. Februar 2025 bei Tropen
ISBN 978-3-608-50261-9
464 Seiten | 25.- Euro
Originaltitel: The Last Murder at the End of the World | Übersetzung aus dem Englischen von Dorothee Merkel
Bibliografische Angaben & Leseprobe
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