Mathijs Deen | Der Holländer

Mathijs Deen | Der Holländer

„Und haben Sie Ihren Freund nicht gesucht?“, fragt Hans.
„Oder versucht, ihn zu retten“, ergänzt Jürgen.
Peter schweigt und schaut die beiden abwechselnd an. „Sie sind wohl noch nie im Watt unterwegs gewesen“, sagt er schließlich. „Sie haben offensichtlich keine Ahnung.“ (Auszug E-Book Pos. 413)

Zwei Männer gehen ins Watt, zu einem Rekordversuch vom Festland nach Borkum in einer Tour, der heilige Gral der Wattwanderer. Doch nur einer von beiden kommt in Borkum an und erzählt davon, wie der andere in einem Priel weggerissen wurden, er das Verbindungsseil verlor, der Freund abgetrieben wurde. Doch Peter Lattewitz steht unter Schock, ist offenbar auch etwas verwirrt. Hat es sich genau so abgespielt? Die Leiche seines Wattpartners, Klaus Smyrna, wird jedenfalls ein Stück entfernt auf einer Sandbank in der Ems gefunden und von einem niederländischen Patrouillenboot weggenommen. Erste Ermittlungen widerlegen die Unfallthese nicht. Doch da hat der Fall eine ganz andere Wendung genommen, wird plötzlich zum Politikum.

Der örtliche Chef der niederländischen Marechaussee hat nämlich nicht vor, den Leichnam an die deutsche Bundespolizei zu übergeben. Die deutsch-niederländische Grenze in der Emsmündung ist nicht eindeutig definiert. Seiner Meinung nach wurde die Leiche in den Niederlanden gefunden, daher soll es eine niederländische Ermittlung geben. Das sehen die Deutschen völlig anders und es kommt zum Kompetenzgerangel, leichten Verstimmungen und Provokationen. Derweil sendet die Bundespolizei Liewe Cupido, deutsche Mutter, niederländischer Vater, nach Delfzijl, um dort heimlich erste Ermittlungen aufzunehmen und mit bereitwilligen Kollegen auf der anderen Seite zusammenzuarbeiten. Und je mehr Cupido sich mit diesem Fall befasst, desto mehr Unklarheiten ergeben sich. Eigentlich waren die Wattwanderer ein Trio, doch zufällig bei dieser Tour, die man akribisch vorbereitet hat, war der dritte Mann, Aron Reinhard, in England im Urlaub. Einiges rund um dieses Trio kommt Cupido merkwürdig vor. Waren Lattewitz und Smyrna wirklich alleine im Watt?

Er weiß genau, was er tut, obwohl es unmöglich ist, alle Risiken zu vermeiden. Ein Wattwanderer geht ungebahnte oder vom Meer ausgelöschte Wege. Es ist eine Umgebung voller Unwägbarkeuten, in der die Natur das Sagen hat. (Auszug E-Book Pos. 37)

Eine faszinierende Welt, dieses Watt. Aber auch unheimlich und gefährlich. Und diese Extrem-Wattwanderer sind Extremsportler, die die Grenzen ausreizen und Risiken eingehen. Absolut vergleichbar mit Bergsteigern, die sich akribisch auf eine Tour vorbereiten, Routen vorausplanen und auf die optimalen Wetterbedingungen warten. Das Wattenmeer der Nordsee mit seinen vorgelagerten Inseln birgt einige sehr herausfordende Watttouren und die Strecke vom Festland bei Manslagt (Gemeinde Krummhörn) bis nach Borkum ist mit mehr als 25km definitiv so etwas wie die Besteigung eines 8.000ers. Die Wattfläche nach Borkum läuft nie vollständig trocken, seichte Wasserflächen und mehrere Priele, die nur bei Nipptide und weiteren optimalen Windverhältnissen gerade so für Profis passierbar sind, müssen durchquert werden. Die Lektüre hat mich dazu gebracht, dieses Extrem-Wattwandern mal etwas zu recherchieren. Die Route Borkum-Festland ist wohl tatsächlich wohl nur von einer Handvoll Gruppen bis heute tatsächlich geschafft worden.

Mathijs Deen ist in seiner Heimat ein bekannter Autor und Rundfunkproduzent, mehrere seiner Werke sind auch ins Deutsche übersetzt worden. Mit „Der Holländer“ wagt er sich explizit ins Krimigenre, gleichwohl liegt sein Fokus weniger auf dem eher solider Plot als auf den Figuren. Liewe Cupido als einsamer, eher schweigsamer Ermittler passt in die friesische Landschaft. Die weiteren Figuren werden ebenfalls sorgsam beschrieben. Generell ist die Stimmung melancholisch, es geht um gekränkte Eitelkeit, Einsamkeit und Verlust. Der Roman ist auch direkt mit dem Schauplatz verbunden, das Watt und die Orte drumherum spielen eine zentrale Rolle. Deen vermeidet aber bewusst die Klischees touristischer Regionalkrimis. Ein bisschen schade für den geübten Krimileser ist die Tatsache, dass zumindest ich früh ahnte, in welche Richtung die Auflösung gehen würde. Dennoch insgesamt ein stimmungsvoller und mit interessanten Figuren bestückter Roman von der friesischen Küste.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Der Holländer | Erschienen am 15.02.2022 im Mare Verlag
ISBN 978-3-86648-674-4
272 Seiten | 20,- €
als E-Book: ISBN 978-3-7517-1003-9 | 12,99 €
Originaltitel: De Hollander (Übersetzung aus dem Niederländischen von Andreas Ecke)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

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