Ken Bruen | Kaliber
HUUUIIIII, es tut mir leid, dass ich so lange weg war. Leute umbringen kostet Zeit. Echt, damit möchte ich nicht meinen Lebensunterhalt verdienen müssen, wie ätzend wäre das denn! Zum Glück ist es nur Freizeitspaß. (Auszug Seite 77)
Im Londoner Südosten treibt ein Serienkiller sein Unwesen. In seinem Visier sind allgemein unbeliebte, unangenehme Mitbürger. In einem Brief an den zuständigen Superintendent enthüllt er seine Motivation: „Die Mission, die ich auf mich genommen habe, ist es, den Bewohnern unseres Fleckens Erde eine Lektion zu erteilen. Eine Lektion in puncto Manieren.“ Doch der „Manners Killer“ hat nicht damit gerechnet, dass das zuständige Polizeirevier ebenfalls eine beträchtliche Zahl Gestörter beherbergt, allen voran Detective Sergeant Brant.
Direkt zu Beginn erhält der Leser in Form eines Tagebucheintrags einen Einblick in die Gedankenwelt des „Manners Killer“. Spöttisch macht er sich über das typische Profiling über sich lustig (Weiß (stimmt), […] isoliert (nee, nee), […] narzisstisch (gut, das lass ich durchgehen), […] Single (wieder daneben), Seite 14). Er nennt sich selbst Ford, nach dem psychopathischen Deputy in Jim Thompsons Der Mörder in mir (welches ich leider bislang noch nicht gelesen habe).
Die Tagebucheinträge wechseln mit den Kapiteln, in dem die verschiedenen Polizisten des Reviers begleitet werden. Die vermeintlichen Hüter des Gesetzes stellen sich ein Haufen Egomanen, Desorientierte und Asoziale heraus. Unabhängig vom Dienstgrad ist Detective Sergeant Brant der König des Reviers. Ein eiskalter, berechnender, aggressiver, manipulativer Rohling und Zyniker. Die Herausforderung durch den „Manners Killer“ nimmt er nur allzu gerne an.
Autor Ken Bruen ist vielen vor allem durch seine Jack-Taylor-Romane bekannt. Kaliber hingegen ist der sechste (und erste auf Deutsch erschienene) Roman der Serie um Detective Sergeant Tom Brant und Chief Inspector James Roberts. Wo Bruen draufsteht, ist natürlich Noir drin, aber das Buch hier, holla, ist schon richtig dunkel und schwarz wie die Nacht. Eine wahrer Fundus an Destruktivität, Zynismus, Sarkasmus und Ironie, äußerst lesenswert und amüsant verpackt.
Sehr interessant bringt Bruen das übergeordnete Thema „Kriminalliteratur“ in den Roman ein. Kaliber ist nämlich nicht nur der Romantitel, sondern auch der Titel des noch zu schreibenden Krimis von Brant. In seiner Selbstüberschätzung und als Kenner der Ed McBain-Krimis übers 87. Polizeirevier glaubt er, so schwierig kann das mit dem Krimischreiben doch nicht sein. Natürlich weit gefehlt, aber Brant wäre nicht Brant, wenn ihm da nichts einfallen würde.
Gleichzeitig ist der „Manners Killer“ ein wahrer Krimi-Junkie und lässt den Leser vielfach an seinen Vorlieben teilhaben:
Das ganze Zeug von Jonathan Franzen, Salman Rushdie und so in euren Regalen, all die Möchtegern-Booker-Prize-Anwärter, die nur Staub ansetzen, der ganze ernsthafte Mist:
IN DIE TONNE.
Kommt schon. Wenn ihr wissen wollt, wie die Welt tickt, holt euch Andrew Vachss.
Nicht intellektuell genug? Holt euch James Sallis, da brennen euch die Synapsen durch. Oder, fürs wahrhaft Metaphysische, Paul Auster.
Krimis, Bro, sind der neue Rock ’n‘ Roll. (Seite 31)
Wer will solchen Worten ernsthaft widersprechen? Ich jedenfalls nicht. Ken Bruen hat hier einen bitterbösen, grotesken Noir geschrieben, der aufs Beste unterhält und nebenbei noch über seine Antihelden gute Ratschläge über die wahren Perlen der Literatur verteilen lässt. Mir ist vor allem des Killers Statement über Der Mörder in mir noch im Kopf geblieben: LEST DAS GOTTVERDAMMTE BUCH. (Seite 145) – Aye, wird gemacht!
Rezension und Foto von Gunnar Wolters.
Kaliber | Erschienen am 13. Mai 2015 im Polar Verlag
ISBN 978-3-945-13312-5
183 Seiten | 12,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
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