Kategorie: Gunnar Wolters

Deutschsprachige Politkrimis (Teil 1)

Deutschsprachige Politkrimis (Teil 1)

In den letzten Jahren gab es bei den deutschsprachigen Krimis gefühlt vor allem zwei Trends. Historische Kriminalromane und Regionalkrimis, die im Ausland spielen, aber von deutschen Autor:innen geschrieben wurden, die sich aber lieber eines fremdländischen Pseudonyms bedienten. Kriminalromane, die sich aktuellen politischen und gesellschaftskritischen Themen annehmen, waren in der Wahrnehmung zumindest etwas unterrepräsentiert. Keine Ahnung, ob sich daran nun etwas ändert, allerdings hatte ich plötzlich gleich vier solcher Romane gleichzeitig in den Händen und dachte mir, dass man daraus einen Doppelbeitrag machen könnte. Beginnen möchte ich mit einem fast schon Veteranen in diesem Genre: Wolfgang Schorlau begann seine Krimis mit dem Stuttgarter Privatermittler Georg Dengler bereits 2003.

Wolfgang Schorlau | Kreuzberg Blues

Dengler begleitet seine Freundin Olga nach Berlin zu einer Freundin, die in Kreuzberg in einer Spekulations-Immobilie lebt. Der Vermieter versucht, die Mieter zur Kündigung zu bewegen, um anschließend teuer neu zu vermieten. Dabei schreckt er scheinbar auch vor drastischen Mitteln nicht zu zurück, denn irgendjemand hat Ratten im Hausflur ausgesetzt, die dann ein Baby angegriffen haben. Dengler erklärt sich bereit, sich die Sache näher anzusehen und lässt sich sogar vom großen Immobilienunternehmen Kröger engagieren, um denen von innen heraus auf den Zahn zu fühlen. Doch er muss schnell erkennen, dass noch viel größere und gefährliche Kräfte im Hintergrund agieren.

„Ich heiße Georg Dengler. Das ist Olga. Wir sind Privatermittler. Wir sind entschlossen, Michael Bertram ins Gefängnis zu bringen.“
„Wisst ihr, mit wem ihr euch da anlegt?“
„Das wissen wir.“ Dengler beugte sich näher zu ihr hinüber. „Ich bin jemand“, sagt er, „wenn ich wählen muss zwischen Recht und Gerechtigkeit, wähle ich Gerechtigkeit.“ (Auszug S. 385)

„Kreuzberg Blues“ ist inzwischen der zehnte Band um Georg Dengler. Die Reihe hat es ja sogar schon ins Fernsehen geschafft, auch die Verfilmung dieses Bands ist bereits abgedreht. Als langjähriger Leser der Reihe muss ich natürlich vorweg eines zugeben: Ein Literaturnobelpreisträger wird Wolfgang Schorlau nicht mehr. Er neigt zu zur üppigen Faktenvermittlung auf Kosten der literarischen Eleganz. Seine Figuren lassen sich oft klar einer Seite zu ordnen. Er neigt auch zur Drastik und zu plakativen Aussagen.
Aber ich hätte die Reihe nicht schon so lange verfolgt, wenn es mich nicht auch trotzdem gut unterhalten würde. Denn eines muss man Schorlau lassen: Er transportiert seine Themen mit großem Verve und Engagement. Das Tempo ist rasant, schnelle Szenenwechsel, viel Action. Und er ist äußerst politisch, bezieht klar Stellung im sehr aktuellen Kampf um bezahlbaren Wohnraum. Das ist alles kein literarischer Hochgenuss, aber ein unhaltsamer und auch wichtiger politischer Krimi.

 

Kreuzberg Blues | Erschienen am 08.10.2020 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-00079-5
416 Seiten | 22,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5,0
Genre: gesellschaftskritische Krimis

Weiterlesen: Weitere Rezensionen von Gunnar zu Krimis von Wolfgang Schorlau

 

Sunil Mann | Das Gebot

Zum deutschsprachigen Krimi gehört selbstverständlich die Krimiszene der deutschsprachigen Schweiz, die von mir leider tendenziell etwas vernachlässigt wird. Fester Bestandteil dieser Szene ist der Autor Sunil Mann. Der Sohn indischstämmiger Einwanderer begann seine Karriere als Krimiautor mit der Reihe um den Privatdetektiv Vijay Kumar. Nun hat er eine neue Reihe begonnen: Die ehemalige Flugbegleiterin Marisa Greco und der Ex-Sicherheitsmann Bashir Berisha betreiben in Zürich eine Detektei mit dem interessanten Namen „Agentur für unliebsame Angelegenheiten“. „Das Gebot“ ist ihr zweiter Fall.

Ben raucht den letzten Zug seiner Zigarette, schnippt sie auf den Waldboden, erstickt die Glut mit der Schuhspitze. Sie würden Augen machen, seine Schulkameraden, wenn sie wüssten, wozu er es in der Zwischenzeit gebracht hat. Mit wie viel Eifer er glernt hat, als er endlich den richtigen Lehrer gefunden hatte. Aber sie werden von ihm hören, schon bald, sein Name wird auf allen TV-Sendern erwähnt werden, die Newssendungen werden von ihm berichten. (Auszug S. 72-73).

Während der Pandemie hat das Geschäft von Marisa und Bashir gelitten, sodass sie froh sind, endlich wieder einen ordentlichen Auftrag zu erhalten. Sie werden vom Ehepaar Bodmer engagiert, ihren Sohn Erich zu finden, der vor vier Jahren zu einer Weltreise aufgebrochen sein soll und sich seitdem nur noch einmal mit einer Weihnachtskarte gemeldet hat. Nun hat er offenbar von einem Geldautomaten am Zürcher Flughafen Geld abgehoben. Marisa und Bashir finden allerdings schnell heraus, dass Erich mitnichten auf Weltreise war, sondern in den Dschihad nach Syrien gezogen ist und als Kriegsverbrecher gesucht wird. Sie bleiben auf seiner Spur und werden gewarnt: Sollte Erich in die Schweiz zurückgekehrt sein, hat das nichts Gutes zu bedeuten.

Zwischen drei Perspektiven wechselt dieser Roman: Neben Marisa und Bashirs Ermittlungen verfolgt der Autor auch den IS-Heimkehrer Ben (seine Identität wird erst im Laufe des Buches gelüftet), der mit einer tödlichen Mission nach Zürich zurückgekehrt ist, wie bald deutlich wird. In Rückblicken wird von den Erlebnissen Bens beim islamischen Staat berichtet. Die Porträtierung Bens ist aus meiner Sicht auch der ganz starke Pluspunkt des Romans, denn diese ist sehr differenziert gelungen. Ebenfalls begleitet wird im Roman Andrea Graf, Politikerin der Rechtspopulisten (eine Fortführung aus Band 1, vermute ich). Graf will ihre Partei modernisieren, hat sich allerdings erpressbar gemacht und wird nun von ihrem skrupellosen Wahlkampfberater zu einem stramm konservativ-rechten Kurs gezwungen. Diesen Strang (der zum Ende mit dem anderen kollidiert) fand ich sehr interessant, allerdings war dieser im Vergleich zu Geschichten um Ben etwas unterrepräsentiert und für meinen Geschmack nicht ganz zufriedenstellend aufgelöst. Dennoch insgesamt ein überzeugender Roman mit guter Mischung aus Spannung, Politik und gesellschaftlichem Hintergrund. Die Agentur für unliebsame Angelegenheiten kann man durchaus weiterverfolgen.

 

Das Gebot | Erschienen am 30.03.2021 im Grafit Verlag;
ISBN 978-3-894-25774-3
352 Seiten | 13,- €
Bibliografische Angaben

Wertung: 4 von 5;
Genre: Thriller

Foto und Rezensionen von Gunnar Wolters.

Graham Greene | Der dritte Mann

Graham Greene | Der dritte Mann

Das Vorwort des Buches beginnt mit folgenden Worten:

Der dritte Mann wurde nicht geschrieben, um gelesen, sondern um gesehen zu werden. (Auszug S.9)

Mit dieser Bürde beginnt die Lektüre eines Werkes, dessen Verfilmung sicherlich zu den bekanntesten Thrillern oder Film noir zählt. Greene führt sogar noch im Vorwort weiter aus, dass der Film „sogar besser als die Erzählung“ sei, eine Art Endfassung. Und letztlich mag man ihm am Ende kaum widersprechen, auch wenn man versucht hatte, diese Worte im Vorwort erst einmal beiseite zu schieben.

Doch zunächst zur Handlung. Ins zerstörte Wien nach dem zweite Weltkrieg kommt der britische Autor von Western-Groschenromanen Rollo Martins, eingeladen von seinem alten Freund Harry Lime, mit Aussicht auf einen Job. Doch als Martins eintrifft, wird ihm berichtet, dass Harry bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Bei der Beerdigung kommt Martins in Kontakt zum britischen Major Calloway. Dessen Enthüllung, dass Harry ein krimineller Schieber gewesen sei, ruft bei Martins Empörung hervor. Er weigert sich, Wien direkt wieder zu verlassen und unternimmt eigene Ermittlungen.

Diese bringen einige Merkwürdigkeiten zum Vorschein. Harry wurde offenbar direkt vor seinem Haus in Begleitung zweier Bekannter überfahren, sein Hausarzt kam kurze Zeit später hinzu und stellte Harrys Tod fest. Als Martins bei Harrys Bekanntem Kurtz die Ereignisse erfährt, legt auch Kurtz ihm nahe, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Auch der Arzt Dr. Winkler bestätigt Kurtz‘ Aussage.

Wie ich es sehe, wenn ich meine Akten, die Gesprächsnotizen, die Aussagen diverser Leute durchgehe, wäre es Rollo Martins in diesem Zeitpunkt immer noch möglich gewesen, Wien wohlbehalten zu verlassen. Er hatte eine ungesunde Neugier an den Tag gelegt, aber der Krankheit war zu jedem Zeitpunkt Einhalt geboten worden. Niemand hatte irgendetwas preisgegeben. Die glatte Wand der Täuschung hatte seinen rastlosen Fingern bisher keinen echten Riss offenbart. Als Rollo Martins das Haus von Dr. Winkler verließ, schwebte er nicht in Gefahr. (Auszug S.72)

Doch Martins ist nicht zufrieden und erfährt kurze Zeit später von einem Nachbarn von Harry, dass der Überfahrene nicht von zwei Männern von der Straße getragen wurde, sondern dass es noch einen dritten Mann gab. Harry versucht vergeblich, den Mann zu einer Aussage bei der Polizei zu bewegen. Als er ihn später am Abend nochmal treffen will, wurde der Mann ermordet aufgefunden. Somit wird Martins endgültig in die Geschichte um kriminelle Schmugglerbanden und die Machtverhältnisse zwischen den Besatzungsmächten hineingezogen. Verstärkt wird dies noch, als Martins sich in Harrys Freundin Anna Schmidt verliebt, die mit falschen Papieren in Wien lebt und ständig in Angst lebt, von den Sowjets festgenommen zu werden. Martins geht letztlich weiter der entscheidenden Frage nach: Wer ist der dritte Mann?

Erzähler der Geschichte ist Major Calloway, der die Geschichte aus den Gesprächen mit Martins und anderen Dokumenten für den Leser rekonstruiert. Calloway verfolgt aber natürlich auch eigene Interessen, wie sich besonders zum Ende des Romans herausstellt. Die Erzähltechnik macht den Roman für meinen Geschmack etwas sperrig, nicht so leicht zugänglich. Der Sog, der sich bei den Bildern der Verfilmung einstellt, ist beim Lesen nicht da, nur selten kommt wirklich eine Art von Spannung auf.

Er ging rasch weg. Er machte sich nicht die Mühe, festzustellen, ob er verfolgt wurde, oder das mit dem Schatten nachzuprüfen. Doch als er die Mündung einer Straße passierte, schaute er zufällig zur Seite, und genau um die Ecke, gegen eine Wand gedrückt, um nicht bemerkt zu werden, stand eine dicke, kräftige Gestalt. […] Zwanzig Meter entfernt stand Martins da und starrte die stumme, reglos auf der dunklen Straße stehende Gestalt an, die zurückstarrte. Ein Polizeispitzel vielleicht oder ein Handlanger jener anderen Männer, der Männer, die Harry zuerst korrumpiert und dann umgebracht hatten – womöglich sogar der dritte Mann? (Auszug S.135)

Solche intensiven Szenen finden sich auch ein paar im Roman, allerdings noch mehr im Film, der bis heute ein fast schon ikonisches Werk ist. Regisseur Carol Reed fragte bei Graham Green nach dem bereits gemeinsam gedrehten „Kleines Herz in Not“ nach einem Drehbuch an und Greene verfasste die Erzählung „Der dritte Mann“, die dann in der Filmproduktion noch an einigen Stellen leicht verändert wurde. Was den Film aber bis heute so herausragen lässt, sind beispielsweise der Drehort im immer noch zerstörten Wien 1948, die extravagante Kameraführung von Robert Krasker, die Schatteneffekte, die schauspielerischen Leistungen insbesondere von Orson Welles, der insgesamt nur wenig zu sehen ist, dann aber mit seiner Präsenz dominiert, bis hin zum markanten „Harry Lime Theme“ auf der Zither von Anton Karas.

Dagegen kann das Buch nicht ganz ankommen, gleichwohl ich das Glück hatte, die illustrierte Ausgabe der Büchergilde Gutenberg zu lesen. Die in Sepiatönen gehaltenen Illustrationen von Annika Siems geben ein wenig das Flair des Verfilmung wieder. Generell ist es nie ratsam, zuerst den Film zu sehen und damit die komplette Handlung des Romans vorwegzunehmen. Doch auch wenn der Film den Roman etwas überstrahlt, bleibt „Der dritte Mann“ eine interessante Geschichte über Freundschaft und Liebe im Konflikt mit der menschlichen Gier.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Der dritte Mann | Erstmals erschienen 1950
Die gelesene Ausgabe erschien 2017 als Lizenzausgabe für die Edition Büchergilde
ISBN 978-3-86406-076-2
206 Seiten | 25,- €
Originaltitel: The Third Man (Übersetzung aus dem Englischen von Nikolaus Stingl)
Bibliografische Angaben

S.A. Cosby | Blacktop Wasteland

S.A. Cosby | Blacktop Wasteland

Beauregard umklammerte das Lenkrad, als wäre es ein Rettungsring. Er konnte die Vibrationen des Motors durch das Steuer bis zu den Schultern spüren. Sein Herz aber trommelte nicht. Er vermutete, das es nicht mehr als siebzig Mal pro Minute schlug. Dies war sein Platz. Er war in seinem Element. (Auszug S.134)

Beauregard „Bug“ Montage ist vermutlich der beste Fluchtwagenfahrer südlich der Mason-Dixon-Linie. Allerdings hat sich Bug seit längerem zur Ruhe gesetzt und versucht nun, sein Leben als treusorgender Familienvater und Inhaber einer eigenen Autoreparaturwerkstatt zu bestreiten. Doch spätestens seitdem ein Konkurrent mit Dumpungpreisen die Kunden aus Bugs Werkstatt abzieht, mehren sich die Geldprobleme und Bug gute Vorsätze gehen langsam, aber sicher zum Teufel.

Der Roman beginnt mit einem illegalen Autorennen, an dem Bug mit seinem Cousin Kelvin teilnimmt, um wenigstens die wichtigsten Rechnungen bezahlen zu können. Doch obwohl Bug gewinnt, werden sie von Betrügern abgezogen. Bug kann sich zwar einen Teil des Geldes wiederholen, doch der Abend war letztlich ein Fiasko, hat die erhoffte Trendwende nicht gebracht. Da meldet sich mit Ronnie ein Bekannter von Bug und will ihn bei einem todsicheren Überfall auf einen Juwelier dabei haben. Bug zögert. Zum einen, weil Ronnie und sein Kumpel Quan nicht den Eindruck erwecken, die Sache so glatt durchziehen zu können. Zum anderen aufgrund seines schlechten Gewissens gegenüber seiner Frau Kia und den beiden Söhnen. Doch er braucht das Geld und macht mit. Natürlich geht die Sache alles andere als glatt. Es gibt einen Toten bei Überfall. Und die Diamanten im Safe stammten aus illegalen Geschäften, sodass die Cops nun ihr geringstes Problem sind.

Wenn du fährst, als hättest du Angst, wirst du verlieren. Wenn du fährst, als würdet du befürchten, anschließend die ganze Maschine erneuern zu müssen, wirst du verlieren. Du musst fahren, als würde nichts anderes zählen, als so schnell wie möglich diese Linie zu erreichen. Du musst fahren, als wäre der Teufel hinter dir her. (Auszug S.13)

Die Worte seines Vater klingen Bug immer noch oft im Ohr. Generell handelt der Roman von nicht überwundener Vergangenheit. Schon Bugs Vater war eine Legende im Fluchtwagen, schon er hat seine Familie für manch riskanten Job vernachlässigt. Als es eines Tages zum Äußersten kam, war Bug dabei. Der Vater verschwand daraufhin spurlos, Bus selbst musste ins Jugendgefängnis. Diese Geschichte wird in Rückblenden erzählt. Bug hat dies niemals verdaut oder gar damit abgeschlossen. Er eifert seinem Vateridol immer noch hinterher, im Wissen, dass er seine Familie damit genauso zerstören könnte wie sein Vater damals.

Immer wenn Bug „on the road“ ist, spielt der Roman seine Stärken aus: Tempo, Spannung, Adrenalin. Spektakuläre Verfolgungsjagden funktionieren nicht nur auf der Leinwand. Zudem passt auch das Setting des ländlichen Virginias zwischen tiefen Wäldern, Trailerparks, Schrottplätzen und Hinterwäldlerkaffs. Ein kleiner Wermutstropfen für mich war, dass die anderen Momente, insbesondere die familiären diese Intensität immer wieder brechen. Dieses klassische Motiv des vom Leben nicht gerade begünstigten Underdogs, hin und hergerissen zwischen Bad Boy und Familienglück, wird für meinen Geschmack etwas zu sehr ausgereizt.

Was ich bisher noch gar nicht erwähnt hatte: Bug ist schwarz. Ich finde aber, dass das gar nicht so vordergründig von S.A. Cosby ausgespielt wurde. Natürlich kommt der Alltagsrassismus zur Sprache, kommt es hier und da zum Clinch mit Rednecks (Sehr amüsant, als ein Typ Bug nicht in einen Sexclub lassen will, mit den Worten: „Können wir nicht wenigstens einen Ort haben, an dem ihr nicht eure Visage reinsteckt? Verdammt, ihr habt doch schon das Weiße Haus.“ Auszug S. 285) Aber letztlich hätte Bug auch mit wenigen Strichen „White Trash“ sein können – der Plot hätte trotzdem funktioniert. Da bringt beispielsweise die Autorenkollegin Attica Locke mit ihren Kriminalromanen einen viel tieferen afroamerikanischen Blick ein.

Dennoch ist „Blacktop Wasteland“ keine Enttäuschung, eher im Gegenteil. Der Krimiplot ist straff und zeitweise in High Speed erzählt. Da gibt es nichts zu meckern. Aber ein paar Abzüge in der B-Note muss ich machen, da Cosby zu offensiv auf ein Ende zusteuert, das dem gepflegten Noir-Leser etwas widerstrebt. Nichtsdestotrotz eine gut unterhaltende, stellenweise packende Lektüre.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Blacktop Wasteland | Erschienen am 26.03.2021 im Ars Vivendi Verlag
ISBN 978-3-7472-0220-3
320 Seiten | 22,- €
Originaltitel: Blacktop Wasteland (Übersetzung aus dem Englischen von Jürgen Bürger)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Michael Connelly | Night Team (Band 2/21)

Michael Connelly | Night Team (Band 2/21)

Der Mann öffnete und schloss einen weiteren Schub. Ballard nutzte das Scheppern, um das Knarzen ihres Stuhls zu überdecken, als sie aufstand. […] Sie legte die Hand auf den Griff der Pistole und blieb drei Meter hinter dem Mann stehen.
„Was machen Sie da?“
Der Mann erstarrte. Dann nahm er langsam die Hände aus dem Schub, den er durchsucht hatte, und hielt sie so hoch, dass Ballard sie sehen konnte.
„So ist es gut“, sagte sie. „Und würden Sie mir jetzt vielleicht erklären, wer Sie sind und was Sie hier suchen?“
„Bosch der Name“, sagte der Mann. „Ich wollte mich mit jemand treffen.“ (Auszug S.19)

Den Mann, den Detective Renée Ballard bei Durchstöbern von Akten in ihrer Dienststelle überrascht, ist also kein geringerer als der legendäre Harry Bosch. Er ist inzwischen nicht mehr beim LAPD, sondern als Reserve-Officer beim San Fernando Police Department. Obwohl sich Bosch herausreden kann, forscht Ballard nach, in welchem Fall Bosch Nachforschungen anstellt. Dabei wird ihr Interesse an dem Fall ebenfalls geweckt.

Vor neun Jahren wurde die Leiche der 15jährigen Ausreißerin und Prostituierten Daisy Clayton in einem Müllcontainer gefunden, sexuell missbraucht, gefoltert und stranguliert. Die Leiche wurde anschließend ausgiebig mit Bleichmittel behandelt, so dass keine verwertbaren Spuren zu finden waren. Der Täter wurde nicht ermittelt, der Mordfall ist ein Cold Case. Bosch hat ein privates Interesse an dem Fall. Ballard bietet ihm an, den Fall gemeinsam und auch offiziell zu bearbeiten. Doch das muss neben ihrer eigentlichen Arbeit stattfinden, denn beide haben noch weitere Fälle zu bearbeiten. So ermittelt Ballard in einem Todesfall einer alleinstehenden Frau, der zunächst wie ein Mord aussieht. Bosch hingegen hat einen weiteren Cold Case, der aber ungleich brisanter ist. Vor vierzehn Jahren wurde ein ranghohes Gangmitglied hingerichtet, der Täter (auch mangels Interesse) nie gefasst. Nun treibt Bosch einen Zeugen auf, der ihm widerwillig wichtige Hinweise liefert. Doch damit tritt Bosch in ein Wespennest von sehr gefährlichen Gangstrukturen und begibt sich einmal mehr in eine brenzliche Situation.

In Bosch weckte das Hubschraubergeräusch am Himmel Hoffnung. Aber der Mann, der ihn bewachte, versetze es in Panik. Bosch hatte die ganze Nacht versucht, eine Beziehung zu ihm herzustellen. Er hatte ihm nach seinem Namen gefragt und gebeten, seine Fesseln zu lockern und ihn aus dem Käfig zu lassen, um seine verkrampfte Beine zu dehnen. Und er hatte ihn gefragt, ob er sich wirklich mit der Ermordung eines Cops belasten wollte. (Auszug S.311)

Nachdem im letzten Roman „Late Show“ Renée Ballard als neue Figur eingeführt wurde und ihre Vorgeschichte sowohl privat (traumatischer Tod des Vaters beim Surfen, Abkehr von ihrer Mutter) als auch beruflich (abgewiesene Dienstbeschwerde gegen ihren Vorgesetzten wegen sexueller Nötigung und Versetzung zur Nachtschicht) großen Raum in der Story einnahmen, ist dies diesmal eher ein wenig kleiner und dosierter gesetzt. Dafür ist Boschs Privatleben etwas stärker im Fokus, auch weil es einen direkten Fallbezug hat. Während einer verdeckten Ermittlung hatte Bosch Elizabeth Clayton kennengelernt, die Mutter der ermordeten Daisy. Elizabeth hat den Tod ihrer Tochter nie überwunden und war in die Drogenabhängigkeit und Obdachlosigkeit abgeglitten. Nach einem Entzug hatte Bosch ihr angeboten, bei ihm im Haus unterzukommen. Dies ist nun schon mehrere Monate her und seitdem versucht Bosch, den Tod Daisys aufzuklären, um für Elizabeth einen Abschluss zu finden.

Die Kombination von mehreren Serienfiguren eines Autors ist nichts Neues. Michael Connelly hat dies selbst schon vorgemacht, so hatten seine weiteren Figuren Michael Haller und Terry McCaleb schon gemeinsame Auftritte mit Bosch. Seine äußerst erfolgreiche Reihe um den Ermittler Hieronymus „Harry“ Bosch besteht nun schon seit 1992, in dieser Reihe wäre „Night Show“ der 21.Band mit Harry Bosch. Einen weiteren Roman mit Bosch und Ballard („The Night Fire“) hat Connelly bereits im Original veröffentlicht.

Die Kombination der beiden Figuren funktioniert wirklich gut. Trotz gewisser Eigenarten sind sich beide Ermittler schon ähnlich, beider Leben sind stark auf ihren Beruf ausgerichtet. Bosch verzögert sogar ärztliche Behandlungen, weil er die Dienstunfähigkeit fürchtet. Sowohl Bosch als auch Ballard sind akribisch, engagiert und mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit ausgestattet, dem sie manche Regeln unterordnen. In ihrer moralischen Integrität kommen sie dabei auch ein wenig unnahbar rüber und lassen es auch auf Konflikte ankommen.

Insgesamt ist „Night Team“ ist ein klassischer Polizeikrimi, der mehrere Ermittlungen begleitet, die Vorgänge bei der Polizei beleuchtet und die Polizisten bis in ihr Privateben folgt. Connelly macht dies zwar nicht überdingt spektakulär, aber enorm souverän in Figuren, Setting und Plotentwicklung. Einziger Wermutstropfen für mich war, dass er es erfahrenen Krimilesern zu einfach macht, auf den Täter im Mordfall Daisy Clayton zu kommen. Aber das lässt sich verschmerzen, „Night Team“ ist ein im besten Sinne routinierter Kriminalroman.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Night Team | Erschienen am 25.03.2021 im Kampa Verlag
ISBN 978-3-311-12536-5
446 Seiten | 19,90 €
Originaltitel: Dark Sacred Night (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Sepp Leeb)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu „Late Show“ von Michael Connelly

Ian Rankin | Black And Blue (Band 8)

Ian Rankin | Black And Blue (Band 8)

Die schottische Kriminalliteratur ist vielfältig und vielstimmig – und doch ragt aktuell ein Autor bzw. ein Ermittler noch ein wenig heraus: Ian Rankins John Rebus. Als meine Schwiegereltern vor einigen Jahren zu einer Schottland-Rundreise aufbrachen und fragten, was sie uns als Souvernirs mitbringen könnten, meinte ich relativ schnell: „Black and Blue“ von Ian Rankin. Nun lag es danach noch einige Zeit bei mir herum und als ich es für dieses Schottland-Spezial nun in die Hand nahm, musste ich doch feststellen, dass mir das Lesen im englischen Original nicht mehr so leicht fällt. Besonders die feine Ironie und weitere Andeutungen im Text zu erfassen, ist mir früher besser gelungen. Nichtsdestotrotz ist mir relativ schnell aufgefallen, hier ein exquisites Stück Kriminalliteratur in der Hand zu halten.

Kurz zurück zum Autor und zur Figur. Inzwischen zu 23 Bänden (und einigen Kurzgeschichten) angewachsen ist die Reihe längst fester Bestandteil des literarischen Kanons in der Kriminalliteratur, aber auch in der schottischen/britischen Popkultur allgemein. Autor Ian Rankin schuf den allerersten Rebus-Roman „Knots and Crosses“ bereits 1987, es dauerte aber noch einige weitere Bücher bis zum endgültigen Durchbruch. Dabei war die Figur John Rebus und die Schilderung eines düsteren, von Korruption und organisiertem Verbrechen durchsetzten Edinburgh von Beginn an sehr vielversprechend. Rankin schreibt die Romane mit Rebus als Erzähler in der 3.Person, ab und an durchsetzt mit einer weiteren Perspektive. Die Bücher sind klassische „Police procedurals“ mit klarem Fokus auf der Arbeit des Ermittlers. Die Romane haben zudem einen kontinuierlichen Verlauf, haben Verbindungen untereinander (meist frühere Fälle), die Figuren entwickeln sich weiter. John Rebus ist Detective Inspector in Edinburgh, wo er zumeist in Mordfällen ermittelt. Rebus ist geschieden und hat eine Tochter. Als Polizist ist er verbissen und kompromisslos, er dehnt die Regeln und legt sich auch mit Kollegen ode Vorgesetzten an. Dies bringt ihn mehr als einmal in gehörige Schwierigkeiten. Des Weiteren spielt sowohl Musik (Rebus hört gerne Jazz und klassischen Rock), aber auch der Alkohol eine Rolle in Rebus Leben. Seine Fälle nimmt er nur allzu oft mit nach Hause und er ertränkt seine schlechten Gedanken in Alkohol. Sein Lieblingspub ist die real existierende „The Oxford Bar“ in New Town, Edinburgh.

Foto von Stefan Heidsiek / Crimealleyblog

Der achte Band „Black and Blue“ (in der deutschen Übersetzung: „Das Souvenir des Mörders“) gilt vielen als das Highlight der Reihe. Der Titel bezieht sich auf ein Album der Rolling Stones, das Rebus zu Beginn des Romans hört. „Black and Blue“ gewann 1997 den wichtigsten britischen Krimipreis, den „Gold Dagger“, und war auch auf der Short List des amerikanischen „Edgar“. Dies war letztlich der letzte Schritt von Rankin in die Riege der auflagenstärksten Krimiautoren.

Rebus hadn`t worked the case, but knew men who had; they carried with them the frustration of a job left undone, and would carry it to the grave. The way a lot of them saw it, when you worked a murder investigation, your client was the deceased, mute and cold, but still screaming out for justice. (Auszug S.51).

Der Roman beginnt mit einem Verhör. Rebus verhört einen Mann, der sich als der gesuchte Serienmörder Johnny Bible ausgibt. Allerdings ist der Mann ein Wichtigtuer und kein Mörder, was Rebus schnell entlarvt. Johnny Bible hat bereits drei junge Frauen in Aberdeen, Edinburgh und Glasgow ermordet. Eine der Frauen, eine Prostituierte aus Edinburgh, kannte Rebus sogar. Er hat also ein persönliches Interesse am Fall, allerdings spielt er nur am Rande mit, darf sich mit Falschaussagen herumschlagen. Was ihn am Fall zusätzlich fasziniert: Johnny Bible scheint eine enge Verbindung zu einem Serienmörder namens Bible John Ende 1960er/Anfang 1970er Jahre zu haben. Bible John hatte damals auch drei Frauen ermordet, tauchte dann unter und wurde nie gefasst. Was Rebus noch nicht weiß, der Leser allerdings schon: Die Verbindung zum neuen Serienmörder missfällt Bible John sehr, der befürchtet, dadurch erneut in den Fokus zu geraten. Daher beschließt er, selbst Maßnahmen zu ergreifen.

Eine echte Ermittlung für Rebus kommt aber kurz darauf: Ein Ölarbeiter namens Allan Mitchison ist von Unbekannten entführt und zur weiteren „Behandlung“ in ein heruntergekommenes mehrstöckiges Haus gebracht worden. Dort sprang der gefesselte Mitchison vor Panik aus dem Fenster und starb dabei. Die weiteren Spuren führen Rebus nach Aberdeen und auf die Ölfördertürme bei den Shetlands und überraschend gibt es auch eine Spur zu einer Glasgower Gangstergröße.

Dieser Gangster lebt von der lokalen Polizei aktuell relativ unbehelligt, was Rebus sofort dazu verleitet, einigen Glasgower Polizisten die Annahme von Schmiergeld zu unterstellen. Dumm nur, dass ausgerechnet einer dieser Polizisten, Chief Inspector Ancram, eine interne Ermittlung gegen Rebus leitet. Rebus hatte mit seinem früheren Chef Geddes einen Verdächtigen wegen Mordes verhaftet. Die Verhaftung und der Fund von Beweisen erfolgte unter merkwürdigen Umständen. Auch Rebus verdächtigte seinen Vorgesetzten, die Beweise untergeschoben zu haben, bestätigte aber dessen Version im offiziellen Verfahren. Nun ist der Verurteilte als Autor im Gefängnis zu Ruhm gekommen, hat Selbstmord begangen und mit seiner Hinterlassenschaft der Presse neues Material zugespielt, um die Polizei unter Druck zu setzen.

Jack forced a smile, lifted his glass, ‚John, tell me though, why do you drink?‘
‚It kills my dreams.‘
‚It`ll kill you in the end, too.‘
‚Something´s got to.‘
‚Know what someone said to me? They said you were the world´s longest surviving suicide victim.‘ (Auszug S.310)

Mehrere Stränge mit zwei Serienmördern, einer unangenehmen internen Ermittlung, dazu die Ölförderung als lukrativer Drogenumschlagplatz. Die Ermittlungen führen Rebus weit durchs Land: Edinburgh, Glasgow, Aberdeen, Shetlands. Einiges hatte sich Autor Ian Rankin für diesen achten Rebus-Roman vorgenommen und letztlich muss ich konstatieren, dass er diesen komplexen Plot beeindruckend beherrscht. Es geht um Drogen, Korruption, aber vor allem auch um Integrität und Loyalität. Rebus schont sich wie gewohnt nicht, geht hohe Risiken ein, setzt neben seinem Job auch sein Leben aufs Spiel, um diese Fälle zum Abschluss zu bringen. Rankin bringt Rebus wie gewohnt als unangepassten Einzelgänger in Szene, als einen Mann, der eines wegstecken muss, aber dennoch von seinem Gewissen und seiner Verbissenheit angetrieben wird. Aber Rebus ist nicht ganz der einsame Wolf, Rankin gibt ihm mehrere Figuren an seine Seite, deren Loyalität sich Rebus sicher sein kann

Foto von Stefan Heidsiek / Crimealleyblog

„Black and Blue“ ist inzwischen schon ein Klassiker des Genres. Rankin gelingt es hier beeindruckend, seine starke Ermittlerfigur in ein komplexes, aber dabei durchaus nicht realitätsfernes Setting zu integrieren. Korruption und ökonomische (Fehl-)Entwicklungen, hier bezieht sich Rankin direkt auf die damalige schottische Wirklichkeit. Hierzu kommt, dass er sich mit dem Fall des „Bible John“ auf einen wahren Kriminalfall bezieht, einen der bekanntesten, noch heute ungelösten schottischen Kriminalfälle. Das alles ergibt einen packenden, harten, spannenden und auch heute noch ungemein lesenswerten Kriminalroman.

 

Buchfoto und Rezension von Gunnar Wolters.

Black And Blue | Erstmals erschienen 1997 bei Orion Books
Gelesene Taschenbuchausgabe: ISBN 978-0-7528-8360-1
512 Seiten | £8,99
Aktuelle deutschsprachige Ausgabe im Goldmann Verlag (Übersetzung aus dem Englischen von Giovanni Bandini)
ISBN 978-3-442-48660-1
624 Seiten | 10,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Stefan Heidsieks Rezension des Romans auf Crimealleyblog