Kategorie: Spannungsroman

Stephen King | Frühling, Sommer, Herbst und Tod

Stephen King | Frühling, Sommer, Herbst und Tod

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich alles andere als ein Stephen King-Experte bin. Verfilmungen von King habe ich zwar schon mehrere gesehen. Aber als Leser habe ich tatsächlich erst einmal etwas von King gelesen (die Kurzgeschichten-Sammlung „Der Fornit“) – und noch nicht mal beendet, so weit ich mich erinnern kann. Dieses Übernatürliche, wofür King ja immer steht, war einfach nicht so reizvoll für mich. Doch von vielen Seiten wurde mir versichert, dass King vor allem auch ein starker Spannungsautor ist und durchaus mehr im Repertoir hat als nur Mysteriöses. In dieser Hinsicht empfehle ich den Essay Stephen King: Crime Writer von Max Booth III bei crimereads.com. Hier gibt es eigene Unterpunkte wie „The Hard-Boiled Stephen King“, „Domestic Noir“ oder „Serial Killers“. Es wurde also endlich Zeit, den Krimiautor Stephen King zu entdecken. Begonnen habe ich dabei mit der Novellensammlung Frühling, Sommer, Herbst und Tod (im Original „Different Seasons“).

Frühlingserwachen: Pin Up

Die erste Geschichte dieses Bands ist „Pin Up“ und gleichzeitig äußerst bekannt, lieferte sie doch die Vorlage für den Film Shawshank Redemption – Die Verurteilten. Der Film mit Tim Robbins und Morgan Freeman in den Hauptrollen ist beim Publikum einer der beliebstesten Filme aller Zeiten. So belegt er seit langer Zeit Rang 1 in der populären Rangliste IMDb.

Die Geschichte spielt im Shawshank-Gefängnis in Maine. Ich-Erzähler ist Red, ein wegen Mordes einsitzender Häftling und so etwas wie ein Lieferant, der für seine Mithäftlinge fast alles „organisieren“ kann. Red erzählt rückblickend die Geschichte um seinen Mithäftling Andy Dufresne. Dufresne ist wegen des Mordes an seiner Frau und ihres Liebhabers inhaftiert, beteuert aber weiterhin seine Unschuld. Im Gefängnis wird er von den Wärtern und den Mithäftlingen schikaniert. Doch Andy, ein Bankmanager, verschafft sich Respekt und Schutz, in dem er für die Gefängnisangestellten Steuererklärungen und Finanzangelegenheiten bearbeitet. Als Andy von einem möglichen Entlastungszeugen hört, der ebenfalls in Shawshank einsitzt, bittet er den Gefängnisdirektor um Hilfe. Doch dieser lässt den Zeugen verlegen und signalisiert Andy, dass er nicht auf Freilassung hoffen darf.

Eine klassische Gefängnisstory, etwas klischeehaft mit einem unschuldig Verurteilten, fiesen Mithäftlingen und noch fieseren Gefängniswärtern. Dennoch war es spannend und bewegend erzählt, wenn auch der allwissende Ich-Erzähler etwas zu viele Andeutungen macht. Oder ich war durch den Film schon zu sehr beeinflusst. Dies hier ist nämlich einer der Fälle, in denen es sich im Nachhinein als ungünstig herausstellt, wenn man die Pointen und den Twist schon aus dem Film kennt.

Sommergewitter: Der Musterschüler

Todd Bowden, ein 13-jähriger Schüler, hat ein großes Interesse am Dritten Reich und liest sehr viel zu dem Thema. Eines Tages konfrontiert er einen Nachbarn, Mr. Denker, damit, dass er ihn als gesuchten Kriegsverbrecher Dussander identifiziert hat. Er erpresst Denker/Dussander, der ihm aus erster Hand seine Geschichte und seine Gräueltaten berichten soll. Dussander ziert sich, hat die Vergangenheit ruhen lassen, um nicht weiter aufzufallen. Doch schließlich beginnt er zu erzählen, holt Dinge wieder hervor, die ihn und Todd allmählich verändern.

Aschgrau im Gesicht sah Dussander ihn an. „Ich wußte“, sagte er, „daß es auf Erpressung hinauslaufen würde.“
„Heute will ich über die Verbrennungsöfen hören“, sagte Todd. „Wie ihr die Juden gebraten habt.“ Er lächelte strahlend. „Aber setzen Sie sich vorher Ihre Zähne ein. Dann sehen Sie besser aus.“ (Seite 154)

Eine ungewöhnliche Konstellation für einen Psychothriller: Die Novelle beginnt mit dem Musterschüler Todd, der ein „perfektes“ Leben im American Dream lebt, und nun einen Kriegsverbrecher erpresst. Denker/Dussander ist ein alter, einsamer Mann, der – immer noch in Furcht vor dem Mossad – alle Kontakte abgebrochen hat und in einem amerikanischen Suburb vor sich hin lebt. Es entsteht eine ungewöhnliche und letztlich gefährliche Beziehung und Abhängigkeit zwischen den beiden. Anfangs ist Todd der Dominantere, doch mit der Zeit merkt Dussander, dass der Junge eine solche (ungesunde) Faszination entwickelt hat, dass das Verhältnis wieder kippt. Schließlich stehen beide an dem Punkt, in dem sie von außen niemanden mehr involvieren können. Und die Monströsitäten, die Dussander wieder an die Oberfläche bringt, tun beiden alles andere als gut. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Eine vielleicht überspitzte, aber psychologisch intensiv erzählte, fast noireske Geschichte mit einigen Seitenhieben auf den amerikanischen Traum.

Herbstsonate: Die Leiche

Auch diese Novelle ist dank einer sehr beliebten Verfilmung äußerst bekannt. Unter dem Titel Stand By Me verfilmte Rob Reiner die Geschichte. In der Novelle erzählt der Ich-Erzähler Gordon Lachance, ein erfolgreicher Autor, die Geschichte eines Abenteuers in seiner Kindheit im Alter von 12 Jahren. Im Sommer des Jahres 1959 wird in Maine ein Junge als vermisst gemeldet. Gordons Freund Vern belauscht seinen größeren Bruder und dessen Freund, dass diese die Leiche des gesuchten Jungen gefunden haben, aber überrascht und schockiert das Weite gesucht haben. Vern erzählt Gordon, Teddy und Chris von der Sache. Die vier Jungen beschließen, sich heimlich auf den Weg zu der Leiche zu machen, um zum ersten Mal einen echten Toten zu sehen und um sich als Finder zu präsentieren. Sie starten eine zweitägige Wanderung zum Fundort, die für sie mit vielen Prüfungen verbunden ist.

Aber er sagte:“Die Freunde ziehen dich runter, Gordie. Weißt du das denn nicht?“ Er zeigte auf Vern und Teddy, die stehengeblieben waren und auf uns warteten. Sie lachten über etwas; besonders Vern. Er hielt sich den Bauch vor Lachen.“Es sind immer die Freunde. Sie klammern sich an deine Beine, als müßten sie ertrinken. Du kannst sie nicht retten. Du kannst nur mit ihnen zusammen ersaufen.“ (Seite 464)

King erzählt eine fast schon altmodische, sehr amerikanische Coming-of-Age-Geschichte, die allerdings sehr berührt. Die zwei Tage, die sie auf dem Weg zur Leiche zurücklegen, sind emotional sehr aufgeladen. Zum einen durch die Gefahren, die unterwegs auf die Jungen warten, zum anderen durch die Probleme, die sie mit sich herumschleppen.Gordon (offensichtlich ein Alter Ego von King) will Schriftsteller werden (und trägt seine ersten Geschichten als Geschichte in der Geschichte vor), aber leidet darunter, dass er von seinen um den verstorbenen älteren Bruder trauernden Eltern ignoriert wird. Chris ist ein cleverer Kerl, der allerdings befürchtet, aufgrund seiner verrufenen Familie abgestempelt zu werden. Vern ist als ängstlicher dicklicher Junge dem Spott der anderen (auch seiner Freunde) ausgesetzt. Und Teddy ist unberechenbar und neigt zur Gewalt, ähnlich wie sein Vater, der nach dem Krieg nicht mehr ins normale Leben zurückfand und nun in der Psychiatrie lebt. „Die Leiche“ ist übrigens eine der Geschichten aus dem sogenannten „Castle Rock-Zyklus“. Die fiktive Kleinstadt in Maine taucht in zahlreichen Romanen und Kurzgeschichten Kings auf und auch einige der Personen haben Auftritte in mehreren Bücher.

Ein Wintermärchen: Atemtechnik

Man könnte sagen, daß es eine Geschichte ist, die nicht in die Weihnachtszeit paßt (obwohl ihre letzte Szene am Weihnachtsabend spielt). Sie ist sicherlich grauenerregend; dennoch kommt es mir so vor, als käme in ihr zum Ausdruck, was für erstaunliche Kräfte in unserer unglücklichen, zum Untergang verdammten Spezies schlummern. Ich sehe in dieser Geschichte das Wunder unseres Willens… und auch seine schreckliche dunkle Kraft. (Seite 563)

Erst in der letzten, kürzesten Novelle zeigt sich Stephen King von der mysteriösen, unheimlichen Seite. Konzipiert als Geschichte in der Geschichte erzählt David Adley, ein älterer Herr, von einem ungewöhnlichen Herrenclub in New York, in den ihn eines Tages unvermittelt sein Chef mitnimmt. Mittelpunkt des etwas altmodischen und snobistischen Clubs ist die umfangreiche Bibliothek nebst Lesezimmer, Bar und Kamin. Vor diesem finden sich in unregelmäßigen Abständen die Mitglieder ein, um selbst verfasste Geschichten egal welcher Art vorzutragen. Eine etwas mysteriöse Aura verbreitet der Club, was sich bei David Adley noch verstärkt, als er entdeckt, dass in der Bibliothek Bücher stehen, die in keinen Literaturverzeichnissen vermerkt sind.

Die Geschichte in der Geschichte wird an einem Abend kurz vor Weihnachten vom Klubmitglied McCarron erzählt. Dieser erzählt eine Geschichte aus den 1930er Jahren, die er als praktizierender Arzt erlebt haben will. Eine junge Frau kommt in seine Praxis, die von ihm die Bestätigung erhält, dass sie schwanger ist. Doch sie ist wieder alleinstehend und sieht sich dadurch großen Problemen ausgesetzt. Sie beschließt jedoch, das Kind zu behalten und meistert die Probleme des Alltags mit großer Würde und Klugheit. Der Arzt McCarron ist hiervon sehr berührt und wird zum Ratgeber der jungen Frau. Er ist außerdem ein moderner Arzt, der seine Patientin unter anderem mit der neuen Atemtechnik während der Geburt vertraut macht. Eine Technik, die dann im weiteren (unheimlichen) Verlauf der Geschichte eine zentrale Rolle spielen wird.

In dieser Geschichte kommt dann endlich das zum Vorschein, was man bei King immer erwartet: Gruseliges, Unheimliches, Übernatürliches. Aber es kommt auf leisen Sohlen daher. Die Rahmengeschichte ist einfach nur ein bisschen schräg, leicht mysteriös. Und auch die Geschichte um den Arzt und seine schwangere Patientin beginnt normal, erst zum Schluss sorgt King dann mit einem Knall für den Grusel. Aber ich kann die Zartbesaiteten beruhigen, denn dieser Grusel beinhaltet letztlich wie oben im Textauszug beschrieben neben der dunklen Kraft auch ein Wunder.

Fazit

Für mich war es ein sehr gelungener (Wieder-)Einstieg ins King-Universum. Vier sehr unterschiedliche Geschichten, Thriller, Noir, Mystery, Coming of Age. Auffallend war für mich, dass King hier neben ausgefeilten Plots auch immer sehr viel Wert auf die Figuren legt, die trotz der relativen Kürze der Storys sehr gut und nicht etwa oberflächlich beschrieben werden. Insgesamt ist Frühling, Sommer, Herbst und Tod eine sehr lesenswerte Zusammenstellung. Bemerkenswert ist auch das Nachwort des Autors, in dem er erwähnt, dass er zu Beginn seiner Karriere nicht glauben wollte, dass er dauerhaft mit Horrorromanen erfolgreich sein würde. Zusätzlich zu den längeren Romanen schrieb King nämlich immer schon gerne kürzere Novellen aus anderen Genres. Allerdings waren diese nun deutlich schwieriger zu veröffentlichen, auch aufgrund ihres begrenzten Umfangs. So entstand der Idee, vier Geschichten in einem Buch zu sammeln und mit dem Titel „Different Seasons“ einen Hinweis an den Leser zu geben, dass man hier etwas anderes vom Autor zu erwarten hat.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Frühling, Sommer, Herbst und Tod | Erstmals erschienen im Jahr 1982
Die gelesene Ausgabe erschien 1992 im Wilhelm Heyne Verlag und umfasst 620 Seiten
Die aktuelle Taschenbuchausgabe ist ebenfalls im Heyne Verlag erschienen
ISBN: 978-3-453-43688-6
720 Seiten | 11.99 Euro
Originaltitel: Different Seasons
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Mini-Spezials Stephen King.

Simone St. James | Die schwarze Frau

Simone St. James | Die schwarze Frau

„Fiona blieb wie angewurzelt stehen, als sie die Gestalt sah. Es war eine Frau, klein und schmal – wahrscheinlich ein junges Mädchen. Sie trug ein schwarzes Kleid, das lang und schwer war, eine Kluft aus längst vergangener Zeit. Sie hielt das Gesicht abgewandt, blickte irgendwo auf das Feld hinaus, völlig unbewegt.“ (Auszug Seite 179)

Fiona ist Journalistin bei einer Zeitung und hat vor zwanzig Jahren ihre Schwester Deb verloren. Deb wurde von ihrem damaligen Freund umgebracht und ihre Leiche auf dem Gelände des ehemaligen Mädcheninternats Idlewild Hall gefunden. Obwohl Debs Mörder verurteilt ist und immer noch hinter Gittern sitzt, hat Fiona den Verlust nie überwunden. Nun soll Idlewild restauriert werden und Fiona möchte einen Artikel darüber schreiben. Bei den Arbeiten auf dem Grundstück wird eine weitere Leiche gefunden. Fiona beginnt nach der Identität zu recherchieren und deckt dabei mehrere Schicksale und Geheimnisse der ehemaligen Internatsschülerinnen auf, aber auch der Mord an ihrer Schwester wird erneut aufgerollt und was Fiona zu Tage fördert, ist schockierend.

Überraschend und fesselnd

Die schwarze Frau von Simone St. James hat mich außerordentlich überrascht und extrem gefesselt. Den Klappentext fand ich interessant: Die Erlebnisse um 1950 von Mädchen in einem Internat, die sich Schauergeschichten erzählen, dann eine weitere Leiche und eine Journalistin, die darüber berichtet und recherchiert. Ich habe das Buch ohne Erwartungen aufgeschlagen und konnte es nicht mehr schließen, bis ich die letzte Seite gelesen hatte. So müssen Romane sein und ich bin wirklich begeistert!

Recherchen bis in den zweiten Weltkrieg

Fiona ist 37 Jahre alt und seit einem Jahr mit dem acht Jahre jüngeren Polizisten Jamie liiert. Sie schreibt als freie Journalistin eher über typische Lifestyle-Themen, bis es zu dem Artikel über Idlewild Hall kommt. Als die Leiche gefunden wird, ist Fiona ganz besessen davon, ihre Identität herauszufinden, denn es handelt sich um eine Schülerin und ihr toter Körper liegt seit über sechzig Jahren auf dem Grundstück. Bei der Suche findet sie schnell Personen, die ihr helfen können und über Informationen verfügen; ihre Recherchen gehen bis in den zweiten Weltkrieg hinein.

Grusel von 1950 bis heute

Die Geschichte wird in kurzen Kapiteln in zwei Zeitebenen geschildert: Heute aus Sicht von Fiona und 1950 abwechselnd von vier Schülerinnen. Ich fand beide Ebenen sehr interessant zu lesen und nach dem ersten Drittel haben mich die ganzen Geheimnisse, die es aufzudecken galt, so gefesselt, dass ich das Buch nicht mehr weglegen konnte! Besonders spannend fand ich den Schulalltag damals und die Verbindung der zweiten Leiche zum Krieg. Die Schauergeschichten der Internatsbewohnerinnen um die schwarze Frau fand ich aus deren Sicht nett zu lesen, aus der Perspektive von Fiona eher unrealistisch. Gerade zum Ende hin hat das meiner Faszination für das Buch einen kleinen Abbruch getan. Allerdings wird die Geschichte dadurch auch etwas schaurig und gruselig, was mal etwas anderes ist und das man mögen muss.

Fazit: Große Empfehlung, aber bitte genug freie Zeit zum Lesen einplanen!

Simone St. James schrieb schon in der Highschool ihre erste Geistergeschichte. Später war sie 20 Jahre in der Filmbranche tätig, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Spannungsromanen widmete. Mit ihrem Mann und ihrer verwöhnten Katze lebt sie in der Nähe von Toronto, Kanada.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Die schwarze Frau | Erschienen am 18. Februar 2018 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3442488223
448 Seiten | 10.- Euro
Originaltitel: The Broken Girls
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Susanne Kliem | Lügenmeer

Susanne Kliem | Lügenmeer

„… haben“, fuhr Magnus mit erhobener Stimme fort. „Ich räume Stück für Stück mit diesem Haufen Lügen auf, den ihr, du und Mechthild Wagemann, in die Welt gesetzt habt. Am Ende werdet ihr als das dastehen, was ihr seid. Feige Intriganten.“ (Auszug Seite 111)

Vor 19 Jahren ist die Schülerin Milla vom Sprungturm im Hallenbad gefallen und dabei ums Leben gekommen. Neben Milla standen auch noch Svenja und Magnus auf dem Turm. Damals haben alle Magnus verdächtigt, sie gestoßen zu haben. Er wurde dafür angeklagt, aber freigesprochen und verließ daraufhin den Ort, um dieses Geschehen hinter sich zu lassen. Nun kehrt er zurück, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, denn er weiß ganz genau, dass er Milla nicht umgebracht hat, er kann sich nur nicht mehr erinnern, was genau damals auf dem Turm geschehen ist…

Eine Kleinstadt am Meer

Lügenmeer von Susanne Kliem ist der sechste Roman der Autorin. Er spielt an dem fiktiven Ort Schambek, einer Kleinstadt in der Nähe von Kiel, direkt am Meer. Laut Nachwort gibt es diese Stadt wirklich, nur eben unter einem anderen Namen. Den Schauplatz finde ich sehr schön gewählt, er wird als eine beschauliche Ortschaft beschrieben, in der das ehemalige Hallenbad direkt am Strand mit Blick aufs Wasser steht.

Svenja, Magnus & Annik

Die Geschichte wird abwechselnd aus Sicht der drei Protagonisten Svenja, Magnus und Annik geschildert. Ab und zu gibt es Sequenzen aus der Zeit des Unfalls. Magnus ist nun Anwalt, hat sich gerade von seiner Frau getrennt und hat ein Kind. Svenja ist Physiotherapeutin, verheiratet und ihr Sohn macht gerade ein Auslandsjahr in den USA. Annik ist nach einer gescheiterten Ehe ebenfalls wieder nach Schambek zurückgekehrt und übernimmt nun mehr oder weniger die Buchhandlung ihrer Tante. Alle drei sind mir nur so mäßig sympathisch, wobei Svenja sich wirklich merkwürdig verhält und ich kam nicht so wirklich dahinter, was sie damit bezweckt. Magnus und Annik nähern sich etwas an und nach einer gemeinsam verbrachten Nacht empfinde ich ihre Beziehung eher als Teenie-Geplänkel mit klischeehaften Missverständnissen, beleidigt sein und sich nicht melden und nicht als etwas, das fast vierzigjährige, gestandene Leute haben.

Kaum Spannung

Die Handlung ist meiner Meinung nach etwas unrund geraten. Der rote Faden ist die Rückkehr von Magnus, der die Vergangenheit wieder aufrollen möchte und einige Personen, die damals in den Fall verwickelt waren, dazu befragt. An diesen „Faden“ werden die Schicksalsschläge der Protagonisten geheftet, aber irgendwie nicht richtig mit in die Beschreibung der Geschichte eingebunden. Zudem kommen plump hinzugefügte Geheimnisse, die auf einmal und scheinbar aus dem Nichts gelüftet werden, ohne dass die gesamte Handlung schlüssig dahin geführt wird. Die Spannungskurve ist leider auch nicht gelungen, in der Mitte des Buches hatte ich nicht wirklich den Drang, die Auflösung zu erfahren. Und das Ende konnte mich ebenfalls nicht überraschen.

Fazit: Mich hat der Spannungsroman nicht überzeugt, obwohl der Schauplatz genau meins ist und die Geschichte sich flüssig liest.

Susanne Kliem wurde am Niederrhein geboren und lebt heute mit ihrer Familie in Berlin. Sie ist gelernte Buchhändlerin und arbeitete u.a. als Pressereferentin beim Fernsehen sowie für das größte deutsche Theaterfestival »Theater der Welt«. Seit 2009 schreibt sie Krimis, zuletzt erschienen ihre Spannungsromane Trügerische Nähe (2015) und Das Scherbenhaus (2017).

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Lügenmeer | Erschienen am  11. März 2019 im Verlag C. Bertelsmann
ISBN 978-3-570-10353-1
320 Seiten | 15.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Mattias Edvardsson | Die Lüge

Mattias Edvardsson | Die Lüge

„Ich hatte es nicht geplant. Ich war zur Vernehmung gekommen, um zu erzählen, was ich wusste. Kein einziges Mal hatte ich in Betracht gezogen, auch nur das kleinste bisschen von der Wahrheit abzuweichen.“ (Auszug Seite 66)

Eines Abends bekommen Ulrika und Adam einen Anruf, dass ihre 19-jährige Tochter Stella in Untersuchungshaft sitzt. Ihr wird vorgeworfen Chris Olsen mit mehreren Messerstichen ermordet zu haben. Doch kann das sein? Vorher kannte sie den wesentlich älteren Geschäftsmann und welchen Grund sollte sie gehabt haben?

Eine ganz normale Familie

Die Lüge von Mattias Edvardsson ist in drei Teile gegliedert. Nacheinander werden der Prozess und einige Aspekte des Familienlebens aus Sicht von Adam, Stella und Ulrika geschildert. Es handelt sich hier um eine scheinbar ganz normale Familie: Adam ist Pastor, Ulrika Anwältin und Stella arbeitet nach ihrem Schulabschluss in einem Ferienjob, um sich Geld für eine Asienreise zu verdienen. Ich konnte mich in alle drei Personen gut hineinversetzen und ihre Beweggründe und Gedanken nachvollziehen. Nur Adam ist mir zum Ende hin etwas zu hysterisch geworden, wobei ich das in seiner Situation trotzdem verstehen kann. Besonders interessant zu lesen fand ich den Teil von Stella, speziell ihr Leben in der Untersuchungshaft.

Erwartungen werden nicht erfüllt

Die Geschichte liest sich meiner Meinung nach sehr flüssig und ich bin gut und in kürzester Zeit durch die Seiten gekommen, nichtsdestotrotz wurde ich nicht völlig gefesselt. Wie unter dem Klappentext bereits angekündigt wird, weiß man bis zur letzten Seite nicht, wer der Täter ist. Die Protagonisten reden in dieser Hinsicht keinen Klartext, es wird drum herum geschildert und der Leser kann sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Das fand ich ziemlich gut, habe dann zum Ende hin aber mit einer grandiosen Wendung gerechnet, die leider ausblieb. Ich habe das Ende gern gelesen, aber im Grunde wird der Prozess lediglich zum Abschluss geführt, die Beweg- und Hintergründe werden aufgedröselt, doch die Überraschung blieb für mich aus. Es war für mich insgesamt eher ein Einblick in das Rechtssystem.

Fazit: Die Lüge ist ein interessanter Roman, aber leider ohne die versprochene Überraschung am Ende. Ich bleibe etwas enttäuscht zurück.

Mattias Edvardsson lebt mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Töchtern außerhalb von Lund in Skåne, Schweden. Wenn er keine Bücher schreibt, arbeitet er als Gymnasiallehrer und unterrichtet Schwedisch und Psychologie.

Anmerkung: Der zweite Roman des Autors – Der unschuldige Mörder – wird voraussichtlich am 4. November 2019 bei Limes erscheinen.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Die Lüge | Erschienen am 25. März 2019 bei Limes
ISBN 978-3-8090-2705-8
544 Seiten | 15.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Ellen Sandberg | Der Verrat (mit Verlosung)

Ellen Sandberg | Der Verrat (mit Verlosung)

„In Nane brach etwas zusammen. Für einen Moment glaubte sie, ihr Herz habe keine Kraft weiterzuschlagen. Im nächsten Augenblick explodierte sie. Sie sprang auf und schrie: „Dieses verdammte Miststück! Nichts gönnt sie mir! Alles muss sie mir nehmen!“ Sie brüllte ihre Wut über diesen doppelten Verrat heraus, und Birgit gelang es erst, Nane zu beruhigen, als die Nachbarn klingelten und fragten, ob alles in Ordnung sei.“ (Auszug Seite 323)

Nane saß zwanzig Jahre im Gefängnis, weil sie durch Manipulation am Auto ihrer Schwester Pia den Tod von Henning, dem Sohn von Pias Mann Thomas, herbeigeführt hat. Nun ist ihre restliche Strafe auf Bewährung ausgesetzt und sie kann sich ein neues Leben aufbauen. Aber auch nach so langer Zeit lässt ihr der Unfallabend keine Ruhe: Sie ist sich ganz sicher, dass sie nach Ablassen der Bremsflüssigkeit Thomas angerufen und ihn gewarnt hat. Warum hat er vor Gericht etwas anderes ausgesagt? Sie muss unbedingt nochmal mit ihm reden… So und durch andere Begebenheiten wird nach und nach der Tathergang noch einmal aufgedröselt und ein ganzes Familienschicksal erzählt.

Familiengeschichte mit Geheimnissen

Der Verrat von Ellen Sandberg ist der zweite Spannungsroman der Autorin. Es ist am ehesten eine Familiengeschichte mit Geheimnissen, in der sich die Prophezeiung der Mutter der drei Schwestern Nane, Birgit und Pia bewahrheitet: Denn schon seit Generationen stürzen sich Frauen der Familie durch Liebe und Leidenschaftlich unweigerlich ins Verderben.

Komplexe Verhältnisse innerhalb der Familie

Im Kern des Buches geht es um den Unfall von Henning, der durch die Manipulation am Auto von Nane verunfallt und dabei ums Leben gekommen ist. Die Geschichte wird abwechselnd in zwei Zeitebenen erzählt, vor zwanzig Jahren und heute. Dabei kommen viele handelnde Personen zu Wort, wobei in der ersten Hälfte erst mal ausführlich alle Familien- und Personenverhältnisse erläutert werden. Das stellt sich als relativ komplex dar und es werden viele Namen genannt, aber ich habe den Überblick nicht verloren. Außerdem verschwimmen die Zeitebenen etwas, da die Personen von heute sich auch an die Vergangenheit erinnern. Hier bin ich dann schon einige Male ins Straucheln geraten, das hat meinen Lesefluss aber nur sehr kurz beeinträchtigt.

Unaufgeregtes Lesevergnügen

In der zweiten Hälfte wird es dann so richtig interessant, denn immer wieder werden Andeutungen gestreut, dass es außer dem Warn-Anruf noch weitere Ungereimtheiten und Geheimnisse zu diesem Unglücksabend gibt. Insgesamt hat sich die Geschichte für mich unaufgeregt, aber stetig interessant gelesen. Ich habe gern von der Familie gelesen und mich insgeheim gefreut, dass ich nicht selbst solche komplizierten Verhältnisse zu meiner eigenen habe. Meine Sympathien zu den handelnden Personen wechselte etwas, am ehesten kann ich mich aber mit Pia identifizieren, da sie sehr darauf bedacht ist, auch in der Liebe einen klaren Kopf zu behalten, um alles in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen. Nane hingegen finde ich tatsächlich einfach durchgeknallt, wobei ich sie in einigen Passagen auch verstehen kann. Diese beiden Schwestern sind im Roman als Protagonisten anzusehen, auch wenn viele andere Personen zu Wort kommen. Das Ende konnte mich dann schon überraschen, haut mich aber nicht völlig von den Socken.

Fazit: Ein Familien-Spannungsroman ohne besondere Höhen oder Tiefen, der sich flüssig lesen lässt.

Ellen Sandberg ist das Pseudonym der Autorin Inge Löhnig. Sie wurde 1957 geboren, studierte Grafikdesign und arbeitete zunächst in verschiedenen Werbeagenturen. Das ursprüngliche Hobby Schreiben wurde nach und nach zum Hauptberuf. Die Autorin schreibt vor allem Ermittlerkrimis um den Protagonisten Konstantin Dühnfort, aber auch Jugendthriller und eben Spannungsromane.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Der Verrat | Erschienen am 27. Dezember 2018 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10090-4
480 Seiten | 15.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Andreas Rezension zum ersten Spannungsroman der Autorin, Die Vergessenen.

 

Verlosung!

Wer sich nun selbst einen Leseeindruck verschaffen möchte, hat bei uns die Gelegenheit, den ersten Band Die Vergessenen zu gewinnen. Alles was ihr dafür tun müsst, ist uns bis zum 30. April 2019 einen Kommentar unter dieser Rezension zu hinterlassen, in dem ihr uns euren Lieblingshandlungsort für Krimis verratet, z. B. Skandinavien, Japan, Südstaaten etc.

Nach der Gewinnbenachrichtigung bitten wir den Gewinner, uns innerhalb einer Woche seine Postadresse an hallo-at-krimirezensionen.de mitzuteilen. Diese wird nicht gespeichert und nur für den Versand des Gewinnes verwendet. Der Versand erfolgt per Büchersendung ausschließlich an Postanschriften in Deutschland; dem Gewinner entstehen keine Kosten. Ein Versand an Packstationen ist leider nicht möglich.

Eine Barauszahlung des Gewinnes ist ausgeschlossen, ebenso wie der Rechtsweg.

Viel Glück wünscht euch das Kaliber.17-Team!