Autor: Nora

Dror Mishani | Drei

Dror Mishani | Drei

Sie war diejenige, die die Initiative ergriff, die die Sache beschleunigte, die kühn auftrat, ohne das bewusst entschieden zu haben, jedoch aus dem vagen Wissen heraus, dass es nur so klappen konnte, dass sie nur so das Gefühl haben würde, es zu wollen. (Auszug Seite 46)

In Tel Aviv hat die alleinerziehende Lehrerin Orna die Trennung von ihrem Ehemann noch nicht richtig verwunden und fühlt sich nach der Scheidung manchmal einsam und mit der Erziehung von Sohn Eran ein bisschen überfordert. Der introvertierte Neunjährige leidet sehr unter der Trennung von seinem Vater, mit dem er nur hin und wieder skypen kann. Denn Ronen lebt inzwischen weit weg und baut sich mit seiner neuen Partnerin und deren vier Kindern in Nepal ein neues Leben auf.

Dass bereits ein gemeinsames Kind unterwegs ist, bedeutet eine weitere Demütigung für Orna. Sie meldet sich mehr oder weniger enthusiastisch auf einem Dating-Portal an und lernt einen geschiedenen Anwalt kennen. Gil ist nicht unbedingt ihr Traummann, aber ein freundlicher, netter Typ, der gut zuhören kann. Der Vater zweier Mädchen ist geduldig und verständnisvoll und geht auf Orna ein, so dass sie sich tatsächlich langsam näher kommen.

Drei Frauen auf der Suche

Im zweiten Kapitel steht die Lettin Emilia im Mittelpunkt. Aus Riga stammend arbeitet die Neunundvierzigjährige in Israel als Pflegekraft. Zwei Jahre pflegt sie den 80-jährigen Nachum und wohnt bei ihm und seiner Frau Esther. Als der alte Herr stirbt, verliert sie nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Unterkunft. Zwar wird ihr eine schlecht bezahlte Teilzeitstelle in einem Seniorenheim einschließlich Schlafkammer angeboten, doch das Geld reicht hinten und vorne nicht und Emilia, kaum des Hebräischen mächtig, ist unglücklich und einsam. Sie sucht Zuflucht im Glauben, verliert aber langsam den Boden unter den Füßen. Sie würde gerne etwas dazu verdienen und wendet sich rat- und hilfesuchend an Nachums Sohn Gil, der Anwalt ist.

Was Emilia vor Esther zu verbergen suchte und auch vor anderen erfolgreich zu verheimlichen meinte, war, dass sie immer tiefer sank. Dass sie eine Hand brauchte, die ihr hingestreckt wurde und sie vor dem Ertrinken rettete. (Seite 141)

Und dann ist da noch Ella, eine siebenunddreißigjährige gestresste Mutter von drei kleinen Kindern, die noch zusätzlich an der Universität studiert. Um zwischendurch auch mal ohne Störungen an ihrer Masterarbeit schreiben zu können, flüchtet sie regelmäßig in ein kleines Café. Hier lernt sie den Anwalt Gil kennen und es entspinnt sich ein Flirt. Mehr will ich über den Inhalt gar nicht verraten, die Spoilergefahr wäre zu groß.

Der Titel ist Programm

Das Bemerkenswerte an Dror Mishanis Kriminalroman ist die ungewöhnliche dreiteilige Erzählstruktur. Der raffiniert konstruierte Plot ist in drei große Kapitel aufgeteilt, in dem je eine der total unterschiedlichen weiblichen Hauptfiguren im Mittelpunkt steht. Von Beginn an hat mir der literarisch anspruchsvolle Sprachstil gefallen, doch ich wusste lange nicht, wo der Autor hin möchte. Als es mir zum Ende des ersten Teils klar wurde, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen und habe es in einem Rutsch durchgelesen.

Richtig beeindruckt hat mich Mishani mit seinen lebensnahen, authentischen Figurenzeichnungen. Mit präziser Beobachtungsgabe und großer Menschenkenntnis skizziert er die Seelenleben der Charaktere und lässt uns teilhaben an ihren Sorgen, Ängsten und Hoffnungen. An einigen Stellen sind die Verletzlichkeiten und Schwächen praktisch mit den Händen greifbar. Ich denke da zum Beispiel an die sensible Schilderung, als Ornas Exmann Ronen wieder Kontakt zu seinem Sohn aufbauen möchte. Um ihn mit in den Urlaub zu nehmen, schlägt er mit seiner hochschwangeren Ehefrau und der ganzen Familie in Tel Aviv auf und bevölkert Ornas Wohnung und die hält es Eran zuliebe aus.

Sie wahrte die Fassung. Alle Schreie waren schon getan, alle Verwünschungen ausgestoßen, alle Tränen geflossen. Alles war vorüber. (Seite 92)

Man spürt die große emotionale Verbundenheit Mashinis zu seinen Figuren auch in der empathischen Beschreibung der verzweifelten Emilia, die langsam den Halt verliert in einem für sie fremden Land ohne sozialen Anschluss. Dabei sind seine Schilderungen immer sachlich, nüchtern und ohne Larmoyanz. Während ich mich in Orna sehr gut reinversetzen konnte, war ich bei Emilia ziemlich erschüttert von ihrem Schicksal. Der Autor zeigt hier eine Welt, von der ich nicht viel weiß. Ihm scheint es wichtig zu sein, die Menschen um ihn herum zu sehen und wahrzunehmen. Dabei bleibt das Innenleben von Gil bis zuletzt für den Leser bewusst im Dunkeln. Gil scheint über keine eigenen Eigenschaften zu verfügen und kann sich daher perfekt auf die Bedürfnisse seines Gegenübers einstellen. Er ist wie ein Spiegel, der den Frauen genau das projiziert, was sie suchen.

Fazit

Der Roman fasziniert mich mit seinem ruhigen und distanzierten Schreibstil. Er entwickelt eine subtile Spannung, wird immer bedrohlicher und durch unerwartete Wendungen auch sehr fesselnd. Dabei kommt der Krimiaspekt tatsächlich erst zum Schluss zum Vorschein, wobei der Roman hier nicht mehr so stark ist wie in den anderen Teilen.
Der Literaturwissenschaftler Dror Mishani wurde 1975 in Israel geboren und lebt in Tel Aviv. Er beschäftigte sich insbesondere mit der Geschichte, der Definition und der Theorie des Kriminalromans. Berühmt wurde er mit der auch in Deutschland (bei dtv) veröffentlichten Krimireihe um Inspektor Avi Avraham.

Die beiliegende Notiz des Diogenes Verlages, in der inständig gebeten wird, in der Rezension nicht zu viel zu verraten, ist ein toller Marketing-Clou. Das schürt natürlich erst mal Erwartungen, hätte es für mich aber gar nicht gebraucht.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Drei | Erschienen am 28. August 2019 bei Diogenes
ISBN 978-3-257-07084-2
336 Seiten | 24,00 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Corinna Kastner | Bodden-Nebel Bd. 2

Corinna Kastner | Bodden-Nebel Bd. 2

„Schließlich gab ich auf und trat an das geschwungene Gaubenfenster, aus dem ich tagsüber einen wunderbaren Blick in den Garten und auf den Bodden hatte, bis hinüber zum anderen Ufer. Bei besonders klarer Sicht konnte ich sogar die Kirchturmspitze von Ribnitz erkennen, in den letzten Tagen allerdings nicht. Nebelschwaden hüllten das Fischland ein, mal mehr, mal weniger. Sogar jetzt im Dunkeln konnte ich sie ausmachen, es war, als ob sich die Nacht bewegte, schön und etwas unheimlich gleichermaßen.“ (Auszug Seite 9)

Greta Röwers recherchiert für eine Biografie über eine Dichterin, als sie von ihrem Auftraggeber Daniel von dem Tod seiner Tante Gertrud erfährt, die die Schwester der Dichterin war und die Greta ebenfalls für ihr Buch befragt hat. Daniel ist allerdings skeptisch, dass seine Tante auf natürlichem Wege gestorben ist und geht von Fremdverschulden aus, denn er hat in ihren Habseligkeiten eine Kette mit einem eingravierten „T“ und einige Briefe gefunden, die sie vor ihrem Tod noch nicht besaß. In einem Brief geht es darum, dass 1943 in Wustrow vier Royal-Air-Force-Soldaten abgestürzt sind, in allgemeinen Überlieferungen ist aber immer nur von drei Soldaten die Rede. Was ist also mit dem vierten geschehen? Greta und ihr Mann Matthias beginnen zu recherchieren und werden tief auch in die eigene Vergangenheit gezogen.

Die Bodden-Reihe geht in die zweite Runde

Bodden-Nebel von Corinna Kastner ist der zweite Krimi um die Schriftstellerin Greta. In dem ersten Buch schreibt sie für ihren jetzigen Mann Matthias eine Biografie über dessen Großvater. Es ist sinnvoll, Bodden-Tod vorab zu lesen, da so die Zusammenhänge in dieser Geschichte leichter zu erfassen sind, es ist aber nicht zwingend notwendig. Ich habe mich trotz der Vorkenntnisse des vorherigen Krimis zu Beginn dieser Handlung etwas schwer getan mit den ganzen Namen und wer zu wem in welcher Beziehung steht. Ab dem zweiten Drittel wurde es dann für mich aber durchsichtiger.

Tolle Protagonistin

Greta Röwers und ihr Mann Matthias sind die beiden Protagonisten, wobei mir vor allem Greta unheimlich sympathisch ist. Früher hat sie ihr Geld mit Groschenromanen verdient, bis sie mit den Biografien begonnen hat. Ich kann mich sehr gut in Greta hineinversetzen, auch weil die Geschichte in Ich-Form geschrieben wird. Sehr gut vorstellen konnte ich mir beispielsweise, wie sie an ihrem Schreibtisch vor dem Laptop sitzt und über den nebelverhangenen Bodden schaut. Die Stimmung im Buch wird besonders gut erfasst, dadurch dass ununterbrochen dicker Nebel über das Fischland wabert.

Viel Zufall

Insgesamt fand ich die Recherche um den vierten Soldaten mit etwas zu viel Zufall gespickt. Alle beschriebenen Begegnungen und Erinnerungen innerhalb von zwei Wochen haben unweigerlich mit der Ermittlung zu tun und bringen diese natürlich auch weiter. Das Ende der Geschichte und die komplette Auflösung werden mit einem Spannungsbogen gekrönt, der allerdings nicht überladen ist, was mir sehr gefällt.

Fazit: Spannender Krimi mit Blick in die Vergangenheit bei nebelverhangener Bodden-Kulisse und etwas Romantik. Klare Empfehlung!

Corinna Kastner wurde 1965 in Hameln geboren. Sie arbeitet am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung in Hannover und fühlt sich an der Ostsee am wohlsten. Besonders das Fischland inspiriert sie sowohl schriftstellerisch als auch fotografisch. Seit 2005 veröffentlicht sie Schauplatz orientierte Spannungsromane und seit sieben Jahren ihre Küstenkrimis, die auf dem Fischland spielen.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Bodden-Nebel | Erschienen am 25. Juli 2019 im Emons Verlag
ISBN 978-3-74080-644-3
416 Seiten | 12.90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Rezension zu Bodden-Tod, dem ersten Band der Serie, sowie zu den Romanen Fischland-Verrat und Fischland-Angst der Autorin Corinna Kastner.

Peter Heller | Der Fluss

Peter Heller | Der Fluss

Es gibt keinen Ort, an dem ich jetzt lieber wäre, dachte er. Aber auch: Etwas stimmt nicht. Er spürte es in seinem Nacken, wo sich ihm die Härchen aufstellten wie zu Hause, wenn in den Never Summer Mountains ein Gewitter drohte; oder in Montana, wenn er einem Bären vor die Nase lief. Er hatte ihn schon immer gehabt, diesen sechsten Sinn – manche Menschen haben ihn einfach-, und er hatte ihm mehr als einmal den Arsch gerettet. (Auszug Seiten 27-28)

Die beiden Studenten und Freunde Jack und Wynn verbindet das gemeinsame Hobby Outdoor- und Survivaltrips. Diesmal sind sie im Spätsommer auf einer Kanutour auf einem kanadischen Fluss, mehr als 150 Meilen durch die Wildnis bis zu einem Ort kurz vor der Hudson Bay. Mehrere Wochen auf sich allein gestellt, nur mit der allernötigsten Ausrüstung. Doch diesmal bemerken sie schon relativ früh einen großen Waldbrand, zwar noch fern, aber näher kommend. Eine Begegnung mit zwei anderen Kanuten, ein Redneck-Duo, verläuft eher unangenehm. Kurz danach hören die beiden den Streit eines Paares im Wald.

Sie fahren weiter, aber beschließen zurückzukehren, um das Paar vor dem Feuer zu warnen. Doch sie finden das Paar nicht wieder. Einen Tag später, als sie am Ufer angelegt haben, um einen Wasserfall zu umgehen, kommt ein einzelner Mann in einem Kanu auf sie zu. Etwas verstört schildert er, dass seine Frau verschwunden sei, er könne sie nicht mehr finden. Jack und Wynn beschließen zurückzufahren, um die Frau zu suchen. Währenddessen kommt der Waldbrand immer näher. Doch das ist nicht der einzige Alptraum, dem sich die beiden in der Folgezeit stellen müssen.

Wynn machte sich noch etwas vor. Er musste aufwachen und den Tatsachen ins Auge sehen, sonst waren sie erledigt.
Sie brauchten einen besseren Plan. Instinktiv wusste er, dass Verteidigung nichts brachte, nicht so, wie sie es letzte Nacht versucht hatten. Sie mussten auf Angriff schalten. (Seite 118)

Zunächst fällt bei diesem Mix aus Abenteuerroman und Thriller natürlich das Setting auf. Eine wilde Flusslandschaft, abwechselnd durchzogen von Seen und schnelleren Abschnitten mit Stromschnellen und Wasserfällen, umgeben von dunklen Wäldern. Einheimische Tierwelt und das regelmäßige Angeln und Beerenpflücken zur Nahrungssuche inklusive. Das alles beschreibt Autor Peter Heller sehr souverän und eindrücklich. Besonders beeindruckend – so viel darf ich vorwegnehmen – wird es zum Ende des Buches, wenn der Waldbrand, der lange Zeit als Bedrohung im Hintergrund schwelt, seine volle Kraft entfaltet. Und dennoch steht die Naturbeschreibung nicht im Zentrum dieser Geschichte.

Dieses bilden vielmehr die beiden jungen Männer Jack und Wynn. Beide werden intensiv beschrieben, der Erzähler taucht tief in die Figuren ein und verrät auch ihre innersten Gedanken. Sie sind beide durchtrainiert, bestens vorbereitet und dabei verantwortungsbewusst. Bereit, andere zu unterstützen. Jack ist dabei der Dominantere der beiden und gleichzeitig zurückhaltender, misstrauischer. Er hat schon in jungen Jahren einen Schicksalsschlag hinnehmen müssen, als seine Mutter bei einem Familienausritt in einen Fluss stürzte und ertrank. Wynn hingegen ist sanfter, aufgeschlossener, aber auch ein Stück weit naiver. Die Freundschaft der beiden ist sehr eng, aber dieser Trip wird dieses Band auf eine harte Probe stellen. Die Entwicklung der beiden Hauptfiguren und deren Freundschaft gehört zu den absoluten Stärken des Romans.

Männer mit Kanu auf einem Fluss. Dem geübten Leser kommt natürlich fast sofort ein Roman in den Sinn, der sozusagen die Referenz für dieses Genre und Setting bildet: James Dickeys Flussfahrt (im Original: „Deliverance“). Auch in Der Fluss wird auf diesen Roman verwiesen. Bekannt ist ebenfalls die Verfilmung unter dem wenig subtilen (deutschen) Titel Beim Sterben ist jeder der Erste. Flussfahrt überzeugt vor allem durch sein konstant hohes Spannungsniveau und die damit verbundene hohe Intensität. Dieses Intensitätsniveau erreicht Der Fluss nicht ganz, aber das war vermutlich auch gar nicht Peter Hellers Intention. Er dosiert seine Spannungsmomente – ohne, dass zwischendurch die Luft raus wäre – und konzentriert sich mehr auf die Entwicklung seiner Hauptfiguren. Dennoch bleibt es ein packender und wuchtiger Thriller/Abenteuerroman, den ich unbedingt empfehle.

Noch ein paar Worte zur Übersetzung: In seiner Besprechung bei Spiegel Online hat Marcus Müntefering die Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Matthias Strobel deutlich kritisiert. Eine Beurteilung maße ich mir nicht an. Ich kann als Laie lediglich feststellen, dass mir während der Lektüre der Übersetzung sprachlich-stilistische Holperstellen höchstens sporadisch aufgefallen sind und diese mein Lesevergnügen nicht wirklich getrübt haben.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Der Fluss | Erschienen am 19. August 2019 im Verlag Nagel & Kimche
ISBN 987-3-312-01134-6
270 Seiten | 22.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Anna Simons | Verborgen

Anna Simons | Verborgen

In Verborgen wird Eva Korell, die Hauptprotagonistin, erstmals als Gefängnisärztin in München tätig. Hierher gekommen ist sie, um einen Neuanfang zu wagen, der komplett andere Arbeitsbedingungen bietet als in ihrer bisherigen Position als Klinikärztin in der Notaufnahme – aber auch, um Dinge aus ihrer privaten Vergangenheit zu vergessen. Außerdem wohnt sie nun auch näher bei ihrer Freundin Ann-Kathrin, die sie auch zu dem Wechsel nach München ermuntert hat.

An ihrem letzten freien Abend vor dem Beginn ihrer Arbeit als Gefängnisärztin fährt sie nach einem Ausflug ins Umland eine Tankstelle an. Dort fällt ihr eine junge Frau auf, die schwerfällig den Gehsteig entlang läuft, taumelt und dann einfach umkippt. Eva kommt ihr sofort zu Hilfe, doch trotz der Platzwunde am Kopf lehnt die junge Frau, Nicole Arendt, eine Einlieferung ins Krankenhaus ab. Sie verschwindet, als Eva die Rechnung zahlt und ihren Wagen holt, um Nicole nach Hause zu fahren.

Wie sich später herausstellt, ist sie die Frau eines Häftlings, Robert Arendt. Sie hat zu Hause eine Entdeckung gemacht, die sie total verstört, einen Ring, der dem Opfer eines Gewaltverbrechens gehörte. Da sie einerseits nun ihren Mann verdächtigt, ihn andererseits aber trotz häuslicher Gewalt immer noch liebt und total abhängig von ihm ist, sucht sie Hilfe bei Eva. Von deren Dienstantritt als Gefängnisärztin sie aus einer Zeitungsnotiz erfahren hat – und taucht eines Abends bei ihr auf. Die lehnt aber sofort ab, als Nicole mit ihr über ihren inhaftierten Mann sprechen möchte, als Gefängnisärztin will sie sich korrekt verhalten und sich nicht über Insassen äußern, auch nicht der Ehefrau gegenüber. Im Laufe der weiteren Handlung verschwindet Nicole Arendt, nachdem in ihrer Wohnung ein Brand ausgebrochen ist. Eva ist nun doch nachdenklich geworden und beginnt, eigene Ermittlungen anzustellen – und gerät dabei selbst in Lebensgefahr.

Die Autorin Anna Simons hat hier einen guten Start für eine neue Serie auf die Beine gestellt. Im ersten Teil wird ihre Protagonistin Eva Korell und ihre Tätigkeit als Gefängnisärztin ausführlich vorgestellt. Man erfährt einiges über den teilweise durchaus riskanten Arbeitsalltag, schon am ersten Arbeitstag muss sie sich behaupten. Sehr schnell realisiert sie, dass auch das Wachpersonal und Kollegen im Klinikbereich durchaus mit Vorsicht zu genießen sind, lässt sich jedoch nicht einschüchtern.

Auch die private Eva lernt man kennen: einerseits noch verletzlich aufgrund der Erlebnisse in ihrer Vergangenheit (die jedoch nur angedeutet werden). Aber eben auch stark genug, um mit aufsässigen Häftlingen und anderen Anforderungen fertig zu werden und empathisch genug, sich trotz anfänglicher Bedenken um eine junge Frau zu kümmern, die körperlich und seelisch schwer geschädigt ist.

Die Spannung der Handlung baut sich zwar nur langsam, dann aber kontinuierlich auf. Gut dargestellt ist auch die psychische Situation von Nicole Arendt, die trotz allem nicht von ihrem Mann loskommt. Auch diese Protagonistin ist ein wichtiger Bestandteil der Handlung, durchaus lebensnah dargestellt, sie wirkt sowohl bemitleidenswert als auch stark. Insgesamt handelt es sich hier um einen Plot, in dem es nicht direkt zu Anfang schon mit einem Mord beginnt, sich dafür aber stetig steigert und psychologisch gut durchdacht der überraschenden Auflösung nähert.

Fazit: Die Person Eva Korell und ihre berufliche Tätigkeit bietet noch genügend Möglichkeiten für weitere Fälle, man darf gespannt sein!

Anna Simons ist erfolgreiche Sachbuchautorin, studierte Anglistin und Romanistin und schreibt Sachbücher zu zahlreichen Gesundheitsthemen. Sie ist verheiratet und lebt in Berlin.

 

Rezension und Foto von Monika Röhrig.

Verborgen | Erschienen am 8. Oktober 2018 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10289-2
430 Seiten | 10.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Abgehakt | September 2019

Abgehakt | September 2019

Unsere Kurzrezensionen zum 3. Quartalsende 2019

 

Hazel Frost | Last Shot

Auf einem einsamen Parkplatz in den bayrischen Alpen wird eine russische Familie von einer Killerin attackiert. Der Vater Youri, ein Bordellbesitzer, und die erwachsenen Zwillingstöchter sterben. Der Sohn Dima bleibt unversehrt, seine Tochter Mathilda überlebt und wird von der Polizei aufgefunden. Die Killerin namens November nimmt eine Tasche voll Geld und wertvoller Waffensoftware an sich. Doch eigentlich hatte sie es noch auf etwas anderes abgesehen. Die Jagd ist noch nicht zu Ende und es mischen weitere merkwürdige Gestalten mit.

Die Autorin mit dem halbherzigen Pseudonym Hazel Frost (alias Katja Bohnet) erwähnt im Nachwort, dass Last Shot zu Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere entstand. Inspiration für diesen ungewöhnlichen Thriller – das offenbart die Autorin selbst – waren legendäre Filmthriller aus den Neunzigern wie Pulp Fiction oder Leon – Der Profi. Und so beherbergt dieser Roman einige schräge Figuren, einen rasanten und harten Plot und eine Menge Blei und Blut. Das ist vielleicht hier und da etwas „drüber“ und bizarr, aber zumeist durchaus unterhaltsam, kurzweilig und in manchen Momenten sogar melancholisch. Insofern gar nicht übel.

 

Last Shot | Erschienen am 10. September 2019 im Droemer Verlag
ISBN 978-3-426-30642-0
368 Seiten | 14.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Thriller
Wertung: 3.0 von 5.0

 

John Steele | Ravenhill

Jackie Shaw kehrt nach zwanzig Jahren nach Belfast zurück, um am Begräbnis seines verstorbenen Vaters teilzunehmen. 1993 war Jackie Mitglied der loyalistischen Paramilitärs der UDA – und ein verdeckter Ermittler der Polizei. Nach einem Vorfall mit drei Toten wurde auch er für tot erklärt und aus der Schusslinie gebracht. Nun erwartet Jackie bei seiner Rückkehr nicht nur der MI5, sondern auch Rab Simpsons und Billy Tyrie, Jackies ehemalige Chefs der UDA-Sektion. Beide sind inzwischen zu Gangstergrößen aufgestiegen und verlangen von Jackie, den jeweils anderen zu töten.

Belfast oder Nordirland bieten mit den gesellschaftlichen Konflikten ein unglaublich interessantes, intensives und auch vielseitiges Setting. In Ravenhill erzählt der gebürtige Belfaster John Steele die Geschichte auf zwei Zeitebenen. Einmal einige Jahre vor und dann deutlich nach dem Karfreitagsabkommen, das die Situation oberflächlich natürlich erheblich befriedet hat. Allerdings stellt Steele auch unmissverständlich klar, dass die damaligen Protagonisten zwar mit dem Terrorismus aufgehört haben, aber weiterhin Schurken sind, die sich nun in Schutzgelderpressung oder Drogenhandel verdingen. Und die auch kaum angetastet werden, um den Frieden nicht zu stören. Allerdings verlaufen die Fronten nun auch mal innerhalb der ehemaligen Organisationen, was Rückkehrer Jackie Shaw bald feststellt.

Ravenhill ist ein komplexer Noir über Loyalität und Verrat, außerdem eine Hommage an Belfast. Der Autor schreibt hart und realistisch und zeigt auf, wie brüchig der Frieden in Nordirland immer noch ist.

 

Ravenhill | Erschienen am 1. Mai 2019 im Polar Verlag
ISBN 978-3-945133-77-4
352 Seiten | 20.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Noir/Hardboiled
Wertung: 3.0 von 5.0

 

Jutta Profijt | Unter Fremden

Die Syrerin Madiha kommt als Flüchtling nach Deutschland. Zwar ist sie Analphabetin, aber da sie als Kind nach dem Tod ihrer Mutter bei einem Verwandten mit einer deutschen Ehefrau aufwuchs, spricht sie Deutsch. Auf ihrer Flucht half ihr ihr Landsmann Harun. Nun ist dieser aus dem Flüchtlingsheim verschwunden, nicht ohne Madiha den Schlüssel zu seinem Spind mit seinen wenigen Habseligkeiten anzuvertrauen. Madiha will Harun wieder aufspüren, das glaubt sie, ihm nach seiner Hilfe schuldig zu sein. So stellt sie mit den wenigen Anhaltspunkten, die sie hat, ein paar Nachforschungen an. Und ruft damit nicht nur das LKA, sondern auch andere Personen auf den Plan, die kein Interesse an Madihas Suche haben.

Unter Fremden ist ein Roman, der sich vor allem mit seiner Protagonistin und der Erzählperspektive aus der Masse abhebt. Madiha ist eine scheue, junge, gehbehinderte Frau aus einer traditionellen Familie, die es auf der Flucht vom Bürgerkrieg nach Deutschland verschlägt. Was einerseits gut ist, da sie aufgrund eines Zufalls auch Deutsch spricht, aber was sie dennoch auf eine harte Probe stellt, da sie ganz allein nun ihren Weg gehen muss und ihr Deutschland völlig fremd ist. Diese naive, scheue Madiha mausert sich im Verlauf der Geschichte und verfolgt ihr Ziel mit Beharrlichkeit und großem Herz. Ihre Suche nach Harun, der eine andere Vergangenheit hatte, als sie glaubte, führt sie zu einem Netzwerk, das den Krieg aus Syrien bis nach Deutschland trägt. Nebenbei liefert Madiha dem Leser einen Einblick in ihr Inneres und wie die Flüchtlinge unser Land und seine Bewohner empfinden könnten, den gut organisierten, aber immer rastlosen Deutschen mit ihrem faden Essen.

Spannungstechnisch stößt die Erzählperspektive aber auch an ihre Grenzen, zu mühsam ist manchmal Madihas Weg. Und gelegentlich erscheint auch Madihas Entwicklung ein wenig zu schnell zu verlaufen. Dennoch ist Unter Fremden (für den Autorin Jutta Profijt 2018 den Friedrich-Glauser-Preis erhielt) auf jeden Fall ein lesenswerter Kriminalroman mit ungewöhnlicher Perspektive.

 

Unter Fremden | Die Originalausgabe erschien am 8. September 2017,
die Taschenbuchausgabe erschien am 21. Juni 2019, beide im dtv Verlag
ISBN 978-3-423-21774-3
336 Seiten | 10.95 Euro
E-Book: ISBN 978-3-423-43227-6 | 9.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: gesellschaftskritischer Krimi
Wertung: 3.5 von 5.0

 

Remigiusz Mróz | Die kalten Sekunden

Damien Werner macht seiner langjährigen Freundin Ewa am Flussufer einen Heiratsantrag. Doch wenig später treffen sie auf eine Gruppe betrunkener Männer. Diese schlagen Werner nieder und vergewaltigen seine Verlobte. Als Werner wieder aufwacht, ist Ewa verschwunden. Und taucht nicht mehr auf. Zehn Jahre später ist es mit Werners Leben rapide abwärts gegangen, von Ewa gibt es nach wie vor keine Spur. Doch da entdeckt ein Freund von ihm Ewa auf einem Bild bei einem Konzert. Werner engagiert eine Detektei, da die Polizei keine Anstalten macht, ihm zu helfen. Als Werners Freund ermordet wird, begibt sich Werner auf eine Jagd quer durch Polen auf der Suche nach weiteren Hinweisen auf Ewa. Unterstützt wird er aus der Ferne von Kassandra Reimann, Chefin der Detektei, die allerdings diesen Fall auch aus eigenem Antrieb verfolgt.

Remigiusz Mróz ist ein absoluter Bestsellerautor in Polen und ein Vielschreiber. Seit seinem Debüt 2013 sind bis heute 25 (!) Romane von ihm erschienen. Die kalten Sekunden ist der erste auf Deutsch erschienene und ein klassischer Thriller mit einigen üblichen Zutaten, aber auch Unerwartetem. Überzeugend sind in erster Linie die Erzählperspektiven (hier wählt Mróz mit Werner und Kassandra zwei Ich-Erzähler) und die äußerst realistische Darstellung des Hauptthemas des Buches: Häusliche Gewalt. Gerade in Polen noch ein großes Problem nutzt Mróz seine Popularität, um auf dieses Tabuthema aufmerksam zu machen. Das tut er drastisch und schockierend, aber vielleicht ist das auch nötig. Allerdings muss ich auch feststellen, dass der Plot bei mir eine Menge Fragezeichen hinterlässt. Plausibel ist das alles meiner Meinung nach nicht und daher bin ich nur mittelmäßig zufrieden.

 

Die kalten Sekunden | Erschienen am 21. Mai 2019 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-499-27606-4
384 Seiten | 9.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Thriller
Wertung: 2.5 von 5.0

Alle vier Rezensionen und Fotos von Gunnar Wolters.

 

Frank Goyke | Mörder im Chat

Miriam wird mit einer Machete ermordet, einziger Zeuge ist ein Schweizer, der die Tat im Chat auf seinem Computer beobachtet hat. Die Rostocker Ermittler Jonas Uplegger (alleinerziehender Vater eines Teenagers und Ja-Sager, zuletzt hat er einen ehrenamtlichen Vorsitz angenommen, den er nicht wollte) und Barbara Riedbiester (stark übergewichtig, bekämpft gerade nicht besonders erfolgreich ihre Alkoholsucht und lässt sich von Uplegger ständig irgendetwas googeln) ermitteln in dem Fall und treffen bald auf einige Ungereimtheiten im Leben des Opfers.

Mörder im Chat von Frank Goyke liest sich meiner Meinung nach durch umständliche Formulierungen und viele Fremdwörter nicht sehr flüssig. Außerdem werfen die Protagonisten mit viel Fachwissen auf unterschiedlichen Ebenen um sich. Wer sich aber in Rostock auskennt, wird seine Freude haben und an einigen Stellen konnte ich wirklich lachen.

 

Mörder im Chat | Erschienen am 27. März 2013 im Hinstorff-Verlag
ISBN 978-3-35601-574-4
336 Seiten | 12.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Regionalkrimi
Wertung: 3.0 von 5.0

Rezension und Foto von Andrea Köster.

 

Stephan Schad | Der Fall Collini

Bei diesem Hörspiel zur Literaturverfilmung Der Fall Collini führt der Erzähler Stephan Schad souverän und mit sonorer Stimme durch die dramatische Geschichte, unterbrochen durch Original Tonmaterial aus dem Film.

Fabrizio Collini, ein seit Jahrzehnten in Deutschland lebender Italiener, erschießt scheinbar ohne Grund den angesehenen Großindustriellen Jean-Baptiste Meyer in dessen Luxus-Suite eines Hotels und traktiert den sterbenden Greis noch mit brutalen Kopftritten. Collinis Pflichtverteidigung übernimmt der unerfahrene Caspar Leinen. Dieser ist total befangen, weil der Ermordete nicht nur der Großvater seiner Jugendliebe war, auch er selbst hat Meyer viel zu verdanken. Der erfahrene Strafverteidiger Professor Richard Mattinger schlägt ihm einen Deal vor, vorausgesetzt der betagte Collini bekennt sich schuldig. Doch der schweigt eisern und so begibt sich Leinen auf die Suche nach einem möglichen Motiv. In dem italienischen Heimatdorf Collinis kommt er dabei einem großen Justizskandal der deutschen Rechtsgeschichte auf die Spur. Wenn zum Schluss im Gerichtssaal die Wahrheit ans Licht kommt, hat das Hörspiel seine besten – weil emotionalsten – Momente.

Bei meinem ersten Film-Hörspiel hatte ich die Bilder des Kinofilms nach einer Romanvorlage von Ferdinand von Schirach mit Schauspielern wie Elyas M‘Barek und Heiner Lauterbach noch im Kopf. Sonst wären mir die ca. 140 Minuten Laufzeit aufgrund der Handlungsdichte vielleicht etwas zu komprimiert gewesen. So fand ich, auch unter dem Einsatz von entsprechender musikalischer Untermalung, ein gelungenes, lebendiges, durch die Brisanz des Themas aufwühlendes Audio-Erlebnis.

 

Der Fall Collini | Das Original-Hörspiel zum Film erschien am 18. April 2019 im Jumbo Verlag
ISBN 978-3-8337-4024-4
2 Audio CDs | 15.99 Euro
Gesamtspielzeit: ca. 140 Minuten
Erzähler: Stephan Schad
Bibliographische Angaben & Hörprobe | Romanvorlage | Filmtrailer

Genre: Spannungsroman
Wertung: 3.5 von 5.0

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

 

Weitere Kurzrezensionen findet ihr in der Rubrik Abgehakt.