
Jake Lamar | Viper’s Dream
„Also Viper“, sagte die Baroness, „was sind deine drei Wünsche?“. (Auszug S. 9)
Mit dieser ungewöhnlichen Frage beginnt dieser historische Jazz-/Gangsterroman und setzt stilistisch und strukturell die Vorgabe für diesen vom Umfang zwar schmalen, aber inhaltlich sehr prallen Kriminalroman. Die Frage stellt die Baroness Pannonica de Koenigswarter, eine reiche, adlige Europäerin und Mäzenin der New Yorker Jazzszene der 1950er bis 1980er Jahre, an Clyde Morton, genannt Viper, einflussreicher Gangster und Geschäftsmann in Harlem und eng mit der Jazzszene verbandelt. Wir sind im November 1961 im sogenannten Cathouse, einem Refugium der Jazzszene und hunderter Katzen in Newark. Wir erfahren auf den ersten Seiten, dass Viper vor Kurzem seinen dritten Mord begangen hat und sich ins Cathouse zurückgezogen hat, anstatt die Flucht zu ergreifen, wie ihm sein Geschäftspartner und Kontaktmann Detective Carney beim NYPD nahegelegt hat. Stattdessen raucht Viper Marihuana, wie die meisten im Cathouse, und grübelt über sein Leben. Die Baroness stellt ihm diese Frage und Viper wird diese im Laufe des Buches beantworten. Allerdings stellt die Baroness am Ende fest:
„…du wünscht dir nichts, du bereust.“ „Wo ist der Unterschied?“, sagte Viper. „Gute Nacht, Nica.“ (Auszug S.201)
Über einen unbekannten Erzähler wird nun abwechselnd aus dem Cathouse 1961 und von der Vergangenheit von Clyde Morton alias Viper erzählt. Clyde beschließt 1936 als junger Mann Alabama und seine schwangere Freundin Hals über Kopf zu verlassen, weil ihm sein Onkel in den Kopf gesetzt hat, er könne in New York als Trompeter Geld verdienen. In Harlem angekommen betritt er den nächsten Nachtclub und erhält sofort die Rückmeldung, dass er sich eine Karriere als Musiker abschminken kann. Doch er wird quasi direkt in die Welt des Marihuanas eingeführt, daher erhält Clyde vom zischenden Geräusch des Zugs am Joint auch den Spitznamen Viper. Wenig später wird Viper dem jüdischen Geschäftsmann, Clubbesitzer und Drogenhändler Orlinsky vorgestellt, der in seiner Organisation auch direkt einen Platz für ihn findet.
Clyde war begeistert. Fühlte sich mächtig. Noch nie in seinem Leben hatte er einem Weißen ins Gesicht geschlagen. Falls das der Job war, für den ihn Mr. O angeheuert hatte… daran konnte er sich gewöhnen. Und noch etwas kam hinzu. Nach langer Zeit hatte Clyde Morton sich endlich für den Mord an seinem Vater gerächt. (Auszug S. 43)
Und so begleiten wir Clyde Morton, wie er sich in der Gangster- und Jazzszene in Harlem bewegt und sein Einfluss immer weiterwächst, bis er eines Tages mit der richtigen Mischung aus Geschäftssinn und Härte an der Spitze der Nahrungskette angekommen und zum wichtigsten Händler von Dope aufgestiegen ist. Doch die Luft ist rau in Harlem, zudem kommt der Krieg dazwischen und außerdem gibt es da noch diese unglaublich attraktive Jazzsängerin Yolanda, Vipers große, aber äußerst tragisch verlaufende Liebe.
Autor Jake Lamar hatte im letzten Jahr seinen Durchbruch im deutschsprachigen Raum, als er mit „Das schwarze Chamäleon“ den deutschen Krimipreis gewann. Lamar lebt seit 1993 in Paris und ist dort Dozent für Kreatives Schreiben. „Viper’s Dream“ erschien tatsächlich zunächst 2021 in der französischen Übersetzung, erst zwei Jahre später im Original und gewann 2024 den Dagger für den besten historischen Kriminalroman.
Bei Jazz bin ich wahrlich kein Experte. Und dennoch war ich sehr begeistert, wie Lamar hier eine Geschichte der New Yorker Jazzszene der 1930er bis Anfang der 1960er Jahre im einem Gangsterroman erzählt. Immer wieder betreten ganz natürlich Jazzgrößen wie Miles Davis, Charlie Parker und Thelonious Monk die Szene. Großes Thema ist unter anderem die Drogenszene rund um die Jazzmusiker und die Bedrohung des Jazz durch das aufkommende Heroin. Viper versucht mit aller Macht die Verbreitung dieses tödlichen Gifts in seinem Revier zu verhindern. Vergeblich.
Und auch die Anfangsfrage von Baroness „Nica“ de Koenigswarter hat einen historischen Hintergrund. Tatsächlich stellte die Baroness den Jazzkünstlern in den 1960ern diese Frage mit den drei Wünschen, verwahrte ihre Antworten und schoss zudem zahlreiche Polaroids, um diese Jahre zu dokumentieren. Zu ihren Lebzeiten wurde das Projekt allerdings nicht mehr umgesetzt. Erst 2006 veröffentlichte ihre Großnichte die Dokumentation „Die Jazzmusiker und ihre drei Wünsche“.
„Viper’s Dream“ ist ein historischer Gangsterroman, in dem der Autor sowohl visuell als auch musikalisch den Schauplatz Harlem auferstehen lässt. Jake Lamar hat eine umfangreiche Playlist am Ende des Romans ergänzt, die in den einschlägigen Streamingplattformen ebenfalls gefunden werden kann. Dabei gerät die Verbindung zwischen Krimi und Jazz niemals gezwungen, sondern wirkt sehr organisch. Dieser Kriminalroman ist eine sehr lesenswerte Mischung aus flirrendem Jazz, melancholischer Nabelschau eines grübelnden Gangsters und hartgesottener Erzählung von den rauen Straßen von Harlem. Große Leseempfehlung.
Foto und Rezension von Gunnar Wolters.
Viper‘s Dream | Erschienen am 03.09.2025 bei der Edition Nautilus
ISBN 987-3-96054-470-8
205 Seiten | 20,- €
Originaltitel: Viper’s Dream | Übersetzung aus dem Englischen von Robert Brack
Bibliografische Angaben & Leseprobe