Tag: 16. Februar 2021

Stuart Turton | Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle

Stuart Turton | Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle

Ein Mann wacht morgens orientierungslos und leicht verletzt in einem Waldstück auf. Er trägt einen Smoking, ist völlig verdreckt und hat keine Erinnerung an die letzte Nacht. Er kann sich nicht mal an seinen eigenen Namen erinnern und selbst sein Körper ist ihm fremd. Als er eine Frau um Hilfe schreien hört und Zeuge einer Verfolgung mit Schusswechseln wird, kommt ihm der Name Anna in den Sinn. Völlig verwirrt schleppt er sich zu einem naheliegenden Herrenhaus, um Hilfe zu holen.

Mord in Endlosschleife
Hier auf dem Anwesen Blackheath House lädt die Familie Hardcastle am Abend zu einem Maskenball ein. Und auf diesem Fest soll die Tochter des Hauses, Evelyn Hardcastle, sterben. Darüber wird unser Protagonist von einem seltsamen Typen, der das Kostüm eines Pestdoktors trägt, informiert. Er teilt ihm auch mit, dass er diesen Mord aufklären soll und dafür sieben Tage Zeit hat. Jeden Tag erwacht er in einen anderen Körper und erlebt aus dessen Sicht immer wieder in einer Endlosschleife den gleichen Tag, an dessen Ende immer wieder der Tod der jungen Frau steht. Schafft er es nicht, innerhalb der sieben Tage den Mörder zu benennen, werden seine gesamten Erinnerungen gelöscht und das Spiel fängt wieder von vorne an. Ein perfides Spiel, in dem es noch andere Mitspieler mit der gleichen Aufgabe gibt. Aber nur einer dieser Rivalen kann diesem Ort und der Zeitschleife entkommen.

Im weiteren Verlauf erfährt der Ich-Erzähler, dass sein richtiger Name Aiden Bishop ist. Wer er ist oder wie er an diesen Ort gekommen ist, bleibt weiter im Dunkeln. Da die Geschichte in der Ich-Perspektive erzählt wird, ist man als Leser immer ganz nah bei ihm und seinen schrittweisen Bemühungen, die Zusammenhänge zu ergründen. Nie weiß man mehr als Aiden und genau wie er wird man von einigen Wendungen überrascht. Er weiß nie, wem er vertrauen kann und einige Figuren trachten ihm nach dem Leben. Es bleibt auch nicht bei dem einen Todesfall. Das Hin- und Herspringen zwischen den Wirten und das mühselige Entdecken, in welchem Körper er jetzt wieder steckt, ist natürlich maximal verwirrend, macht aber den großen Reiz des Kriminalromans aus. Dabei beeinflussen ihn seine verschiedenen Wirtskörper durch ihre Charaktereigenschaften. Ob es das körperlich hohe Gewicht des einen oder die Wollust und Aggressivität des anderen oder wieder die Cleverness eines weiteren sind. Um den Kreislauf zu durchbrechen und aus Blackheath zu entfliehen, muss er sich die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten seiner Wirte zu Nutze machen. Teilweise behindern sie ihn auch und verfügen nicht über Eigenschaften, die er in speziellen Momenten dringend benötigt. Faszinierend beschrieben wird, wie seine eigene Persönlichkeit sich mit denen seiner Wirte vermischt und er dagegen ankämpfen muss, dass sie mehr oder weniger untergeht. Um das Chaos perfekt zu machen, begegnet Aiden sich, wie es sich für einen Zeitreisenden gehört, selbst in den anderen Körpern.

Origineller Genremix
Ich habe das ungekürzte Hörbuch über Audible gehört und der Schauspieler und Hörbuchsprecher Frank Stieren macht das mit seiner angenehmen, unaufgeregten Stimme auch sehr gut. Trotzdem würde ich bei diesem Krimi vielleicht eher das Printexemplar empfehlen. Aufgrund ständiger Perspektiv- und Zeitenwechsel bedarf es einer großen Konzentration, um am Ball zu bleiben. Im Buch hätte man zwischendurch mal zurückblättern können. Auch serviert uns Turton ein wirklich großes Personal-Tableau mit Lords und Ladys, Dienerschaft und Gästen und ich kann mir Namen auch besser merken, wenn ich sie schwarz auf weiß lese.

Wenn man sich einfach darauf einlässt, macht die raffiniert konstruierte Geschichte großen Spaß. Trotz großer Komplexität des Inhalts hatte ich nie den Eindruck, der Autor hätte seine Handlungsfäden nicht mehr im Griff. Zum Schluss sitzen alle Puzzleteile an der richtigen Stelle und er bietet eine nachvollziehbare Auflösung.

Stuart Turton hat einen ganz klassischen Kriminalroman geschrieben, der im Erzählstil, im Setting und atmosphärisch an die typisch englischen Rätselkrimis à la Agatha Christie erinnert. Das Besondere ist das phantastische Element und mich hat der originelle Genremix mit einer Vielzahl an spektakulären Einfällen hervorragend unterhalten. Als großer Fan der amerikanischen Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ konnte ich mir das nicht entgehen lassen. Einzig der Maskenball kam ein bisschen kurz und spielte gar keine so große Rolle.

„Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ ist das Romandebüt des britischen Schriftstellers und Reisejournalisten Stuart Turton. Der Kriminalroman wurde nach seinem Erscheinen in Großbritannien zum großen Publikumserfolg und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Inzwischen hat sich Netflix die Rechte gesichert und arbeitet an einer siebenteiligen Serienadaption.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle | Erschienen am 24. August 2019 bei Tropen
ISBN 978-3-608-50421-7
605 Seiten | 24.- Euro (Die Taschenbuchausgabe erscheint im März im Heyne Verlag)
Originaltitel: The Seven Deaths of Evelyn Hardcastle (Übersetzung aus dem Englischen von Dorothee Merkel)
Bibliografische Angaben & Leseprobe