Andreas Pflüger | Geblendet
Ein Finger von Aaron zuckt zu Nachtschattens Drosselgrube, sticht aber in die Luft. Ohne dass sie es wahrnahm, hat die Frau die Position gewechselt und steht jetzt hinter ihr.
Aaron fährt herum. Sie wirft sich der Stimme entgegen, aber fliegt an ihrer Gegnerin vorbei.
Stürzt.
Sie hört ihre gelassene Stimme. „Wie eitel du bist. Du glaubst, dass man in Wäldern nie ein stolzeres Tier gesehen hat als dich.“ (Auszug Seite 178)
Einige Monate sind vergangen, seitdem sich die blinde Elite-Polizistin Jenny Aaron sich dem Terroristen Der Broker in einem vermeintlichem Safehouse stellen musste (Band 2: Niemals). Damals starben einige Männer, die zu ihrem Schutz abgestellt waren. Sie ist seitdem nicht zur Abteilung zurückgekehrt, hält sich in West Virginia bei ihrem Meister in Gōjū-Ryū auf, und versucht, zu sich zu finden. Außerdem bereitet sie sich auf die Therapie bei Professor Reimer auf Rügen vor, die ihr das Augenlicht zurückbringen soll. Doch währenddessen arbeiten ihre Kollegen und Freunde weiter und versuchen, denjenigen zur Strecke zu bringen, der den Standort des Safehouses damals verraten hatte.
Eigentlich wissen sie, wer es war. Doch den Innensenator der Korruption und des Verrats zu entlarven, ist alles andere als einfach, denn dieser ist nicht nur gerissen, sondern hat als Koordinator der Innenminister der Länder auch den politischen Einfluss auf die „Abteilung“. Trotzdem setzt die neue Leiterin Demirci ein Team auf ihn an und sie können tatsächlich ein verräterisches Treffen in Portugal mit mafiösen Geschäftsmännern observieren. Doch ein Beweis bleibt weiterhin aus. Da geschieht in Deutschland plötzlich eine unfassbare Tat und Jenny Aaron muss ihre Therapie unterbrechen, die Wiedererlangung ihrer Sehkraft aufs Spiel setzen, um ihre Freunde und Kollegen bei dieser Bedrohung zur Seite zu stehen.
Dabei hätte Jenny die Atempause dringend nötig. Sie ist innerlich in Aufruhr, schwankt zwischen Loyalität und Eigennutz. Die beginnende Therapie zerrt an ihren Sinnen, ist sie wirklich bereit, ihre herausragenden Fähigkeiten in Gehör und Geruch ein Stück weit einzubüßen, wenn sie dafür wieder sehen kann? Zudem beginnt sie nun endlich ihre Beziehung zu ihrem Vater, dem ehemaligen Leiter der GSG 9, zu hinterfragen. Dabei kommt ihr aber überraschend die Konfrontation mit einer ebenbürtigen Gegnerin zur Hilfe.
Die sieben Samurai, das ist wahr.
„Du weißt, dass nur zwei am Leben bleiben“, sagte Kishō.
„Ein würdiger Tod.“
„So ehrenhaft eine Tat auch erscheinen mag: Manch einer hat mit dem letzten Atemzug anders darüber gedacht.“ (Seite 249)
Andreas Pflüger hat mit der Reihe um Jenny Aaron die Maßstäbe im deutschen Thriller hoch gesetzt, manche Kritiker sind sogar der Ansicht, dies gelte weltweit. Das vermag ich nicht wirklich zu beurteilen, allerdings ist Pflügers Stilistik extrem überzeugend. Tempo, Sprache, Dialoge sind geschliffen und aus einem Guss. Auch als Leser, der eher realistische Stoffe bevorzugt und mit Superhelden- und Superschurkengeschichten so seine Probleme hat, muss ich sagen, dass diese Reihe einfach sehr stark geschrieben ist und absolut rund wirkt. In diesem (letzten?) Band geht es nochmal sehr stark um Jenny Aaron selbst, ihr Selbstbild, wie sie zu dem wurde, was sie ist, und ob sie dies auch selbst einordnen kann. Das hemmt manchmal die Rasanz und Spannung des Plots, aber das ist ein Jammern auf sehr hohem Niveau. Geblendet ist wie seine Vorgänger (die man chronologisch lesen sollte) ein überzeugender Pageturner, die ganze Reihe ein Muss für Thrillerfans.
Rezension und Foto von Gunnar Wolters.
Geblendet | Erschienen am 12. August 2019 im Suhrkamp Verlag
ISBN 987-3-518-42895-5
508 Seiten | 22.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
Auch bei uns: Die Rezensionen zu den Romanen Endgültig und Niemals von Andreas Pflüger.
2 Replies to “Andreas Pflüger | Geblendet”
Na, wenn du es wirklich so dermaßen lobst, komme ich wohl tatsächlich nicht daran vorbei. Werde mir dann mal demnächst den ersten Band zulegen.
Schönen Sonntag (und jeweils einen Sieg für unsere Borussia 🙂 )
Stefan
Sorry, habe deinen Kommentar irgendwie übersehen.
Ich bin sicher, dass du bei dieser Reihe auf deine Kosten kommst. Stilistisch definitiv Champions League…;-)
Viele Grüße
Gunnar