Michal Viewegh | Die Mafia in Prag

Michal Viewegh | Die Mafia in Prag

Der Oberst dachte nach.
„In einem amerikanischen Film“, sagte er nach einer kurzen Pause, „kommt zu den sympathischen Detektiven, die in einem Mord ermitteln, ein unsympathischer Idiot vom FBI und nimmt ihnen den Fall weg. Die Detektive ermitteln dann entweder ohne ihn weiter, womit seine Beschränktheit noch deutlicher wird, oder es stellt sich heraus, dass er doch kein Idiot war, und sie lösen den Fall gemeinsam.“
Er machte eine Pause. Saša wartete.
„Hierzulande werden uns die Ermittlungen von irgendwelchen Affen aus dem Ministerium entzogen – und der Minister weist uns für alle Fälle neue Untersuchungsbereiche zu, gestohlene Autos oder Antiquitäten. Keiner löst was, und wir stehen alle als Idioten da.“ (Auszug Seite 81-82)

Der Lobbyist Darek Balík ist in einem Zeugenschutzprogramm untergebracht, um dort der Justiz seine Mafiaverbindungen aufzudecken. Doch seine gesammelten Beweise können nicht nur dem einheimischen Paten und der Russenmafia, sondern auch zahlreichen hochrangigen Politikern gefährlich werden. Da entzieht ihm der Innenminister den Zeugenschutz und gibt ihn damit zum Abschuss frei. Der zuständige Einsatzleiter sucht Kontakt zum investigativen Reporter Alexandr Lounský und Balík wird von dessen Zeitung versteckt. Doch die Häscher sind bereits auf der Jagd.

Prag, Tschechien, die goldene Stadt. Touristenhochburg, barockes Stadtbild. Nicht unbedingt das, was man als Mafiahochburg erwartet. Doch bereits nach den ersten Seiten dieses Buches ergibt sich das Bild einer völlig korrumpierten Bananenrepublik. Der Innenminister, der stellvertretende Verteidigungsminister, der Oberbürgermeister, zahlreiche Bezirksbürgermeister – alle unter der Knute des Paten Tom Mort, der sie aber freilich fürstlich entlohnt. Mort hat ein sehr lukratives Netzwerk aus Immobiliengeschäften, illegalen Firmenübernahmen und EU-Subventionsbetrug geschaffen. Neuestes Spekulationsobjekt: Das Naherholungsgebiet Dreifeldereck soll einem millionenschweren Immobilienprojekt Morts zum Opfer fallen. Der ehemalige Netzwerker Balík droht allerdings die gute Geschäftslage empfindlich zu stören und somit wird auch gleich ein Profikiller auf ihn angesetzt.

Auf der anderen Seite bildet sich eine bunte Truppe, die die Korruption mit Hilfe von Balíks kompromittierenden Papieren aufdecken will. Neben dem paralysierten Balík sind dies unter anderem die motivierten Reporter Lounský, Konwicki und der Chefredakteur der Zeitung MF DNES, Balíks vernachlässigte Tochter Diana, die als Börsenmaklerin selbst Besuch der Russenmafia bekommt und der integre Oberst der Polizeiabteilung Organisiertes Verbrechen.

Diese Zutaten rührt der tschechische Autor Michal Viewegh zu einem wilden und überzeichneten Politthriller zusammen. Vor allem das Killer-Duo Schmister und „der Chemiker“ bringen Pulp-Fiction-Elemente in den Roman. Doch bei allem Sarkasmus und offensichtlicher Fiktion bleibt die Intention Vieweghs klar: Die Bloßstellung der korrupten Verhältnisse in Tschechien. Tatsächlich wird die tschechische Politik seit Jahren von Skandalen erschüttert, mit dem Höhepunkt 2013, als der Ministerpräsident Nečas wegen einer Bespitzelungs- und Bestechungsaffäre zurücktreten musste.

Insgesamt ist Die Mafia in Prag für mich eine gelungene Überraschung: Der von Titel und Cover ein wenig bieder wirkende Roman entpuppt sich als spritziger, schwungvoller Thriller, der gleichzeitig mit Witz, aber auch durch Spannung überzeugt und dabei die politische Elite unseres Nachbarlands genüsslich durch den Kakao zieht.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Die Mafia in Prag

Die Mafia in Prag | Erschien am 28. Juli 2014 bei Deuticke im Paul Zsolnay Verlag
ISBN 978-3-552-06258-0
318 Seiten | 19,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17specials Osteuropa.

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