Martin Suter | Montecristo

Martin Suter | Montecristo

Als sein Intercity gewaltsam zum Stehen kommt, ahnt Jonas Brand noch nicht, in welches Abenteuer er gerade gerät. Die Weiterfahrt ist blockiert, draußen liegt ein Toter.

Brand schultert die Kamera, hält die beklemmende Situation fest und befragt die Mitreisenden. Er ist freischaffender Videojournalist, der allerdings von Höherem träumt: Er möchte Filme machen, und sein Projekt »Montecristo«, eine Geschichte über Verrat, Betrug und späte Rache, hat Blockbuster-Potenzial – wenn ihm nur jemand eine Chance geben würde.

Als er sich in Marina Ruiz verliebt und sie ihm seine Träume entlockt, rücken diese erneut in den Vordergrund. Knapp drei Monate später spielt ihm der Zufall wieder etwas Seltsames in die Hände: zwei Hundertfrankenscheine mit identischer Seriennummer – beide, wie man ihm bei der Bank verblüfft bestätigt, eindeutig echt.

Und dann wird Brands Wohnung durchwühlt und er selbst auf offener Straße zusammengeschlagen und beraubt. Jemand soll offenbar eine Ungereimtheit aus der Welt schaffen – und damit zugleich Zweifel an der Glaubwürdigkeit einiger staatstragender Persönlichkeiten.

„Ein Ruck ging durch den Zug.“ So beginnt Martin Suters aktueller Roman Montecristo. Und damit ist der Leser schon mittendrin im Getümmel des Bordrestaurants, von wo aus die Reisenden den Todessturz eines Passagiers miterleben. Unter ihnen ist Jonas Brand, Videojournalist, Anfang vierzig und bisher wenig ambitioniert, aus seiner einstmals vorübergehenden Tätigkeit als Videojournalist – und das auch noch für das Magazin Highlife – mehr zu machen. Nur ein Traum hält ihn gefangen: Montecristo – sein eigenes Filmprojekt, welches bisher jedoch keine Fürsprecher und Jonas somit keine Mittel zur Umsetzung fand.

Ganz in seinem Beruf verhaftet, zückt Jonas seine Kamera und filmt den Vorfall beziehungsweise die Personen, die sich zum Zeitpunkt des Ereignisses in der Nähe und im Speisewagen befanden. Da jedoch kein sehr vielversprechender Beitrag zustande kommt, landet das Videomaterial in einem Fach mit begonnenen Reportagen und Projekten.

Nur drei Monate nach diesem Ereignis gelangt per Zufall nachts in einer Kneipe mittels Wechselgeld ein Hundertfrankenschein in seinen Besitz, der – so stellt Jonas zuhause fest – eine identische Seriennummer hat, wie ein Hundertfrankenschein, den er bereits besitzt. Ganz davon abgesehen, dass zwei echte Geldscheine niemals die selbe Seriennummer haben können, ist es quasi unmöglich, dass ausgerechnet eine Person beide Banknoten in Händen hält und ihr dies auch noch auffällt. Jonas ist sich dessen im Grunde auch bewusst und für ihn ist klar, dass wenigstens einer der beiden Geldscheine eine Fälschung sein muss. Schon wittert er eine Story über Geldwäsche, bestätigt ihm sein Bankberater die Echtheit beider Scheine. Und damit wissen nun mindestens zwei Personen um die Existenz dieser Scheine im Besitz von Jonas Brand.

Jonas Brands journalistisches Interesse ist mehr als geweckt und er trifft mehrere Personen in verantwortlichen und höchsten Banker-Positionen, die er mit seiner Entdeckung konfrontiert. Man ahnt: So ganz spurlos wird die Sache nicht unter den Teppich gekehrt werden können. Einer Eingebung folgend, sichtet Jonas daraufhin sein Videomaterial des Personenschadens erneut. Die Erkenntnis darum, bei wem es sich um den Toten handelt (was er recherchiert) und wie die letzten Wochen dessen Lebens verliefen, verfestigen Jonas Brands wilde Entschlossenheit um Aufklärung nur noch mehr, koste es, was es wolle.

Martin Suter erzählt in Montecristo die spannende Entdeckung des Geschilderten und ebenso eine Liebesgeschichte. Mir gefiel die Geschichte von Jonas und Marina, die sich bei einem Job kennen lernten und schon bald darauf ein Paar wurden. Im Gegensatz zu manchen Reaktionen und Handlungen Brands war diese für mich auch plausibel. Martin Suter hat dem Videojournalisten einen Hauch zu viel Naivität auf den Leib geschrieben. Doch ohne diese gäbe es vermutlich die ganze Geschichte nicht.

Selbstverständlich wäre es kein „Suter“, wenn nicht wenigstens einiges an Kunstverstand, Weinkenntnis und ähnlichem erzählt würde. Es gehört dazu, auch wenn sein Protagonist dieses Mal eine Erscheinung abgibt, der ich auch im Nachgang zur Geschichte noch nicht so ganz nachspüren konnte. Ergo: Ich konnte ihn nicht so recht einordnen, mir noch nicht einmal vorstellen. Dies gepaart mit einem Ende, das für mich wie ein zusammengefallenes Soufflé war, begründet meine nicht vollste Leseempfehlung.

Nichtsdestotrotz erzählt Martin Suter eine sehr spannende Geschichte mit einer hoch aktuellen und anspruchsvollen Thematik, die seinen Roman für mich zu einem Pageturner machte, den ich in zwei Zügen las. Die Hauptthemen sind Finanzkrisen, Börsenspekulationen, Bankenmacht, politisches Kalkül und was daraus folgen kann, wenn ein großer Fehler geschieht.

 

Montecristo

Montecristo | Erschienen am 25. Februar 2015 bei Diogenes
320 Seiten | 23,90 Euro
Leseprobe

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