Jørn Lier Horst | Wisting und der fensterlose Raum Bd. 2

Jørn Lier Horst | Wisting und der fensterlose Raum Bd. 2

Wisting verstärkte den Griff um das Lenkrad. Geld war meistens die Ursache von allem, was nach Korruption, Habgier und Machtmissbrauch roch. Die Ermittlungen würden sich auf einem Niveau abspielen, das Wisting bislang nicht näher kannte. Aber dafür hatte er den besten Ausgangspunkt: Er hatte das Geld. Geld hinterließ immer Spuren. Sie mussten nur bis zum Ursprung zurückverfolgt werden. (Auszug Seite 14/15)

Im zweiten Band der Cold-Cases-Reihe um William Wisting wird der norwegische Kommissar vom Generalstaatsanwalt mit einem brisanten Fall betraut. Der ehemalige Außen- sowie Gesundheitsminister Bernhard Clausen ist im Alter von 68 Jahren einem plötzlichen Herztod erlegen. Nichts deutet auf Fremdeinwirkung hin. Clausen hatte keine direkten Angehörigen mehr. Nach dem Krebstod seiner Frau vor vielen Jahren hatten er und sein Sohn sich voneinander entfernt und das hatte sich bis zum Unfalltod seines Sohnes auch nicht geändert. Dieser hinterließ eine schwangere Freundin und Clausen hatte auch zu ihr und seinem Enkelkind keinerlei Kontakt gehabt.

Millionenfund im Ferienhaus
Im Wochenendhäuschen des pensionierten Spitzenpolitikers findet ein Parteifreund eine große Menge Bargeld. In mehrere Kartons liegen Geldscheine in unterschiedlichen Währungen im Wert von umgerechnet 80 Millionen Kronen. Es ist fast undenkbar, dass der angesehene Politiker Parteigelder unterschlagen hat. Die Ermittlungen nach der Herkunft der Banknoten sollen erst mal vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Kommissar Wisting wird verdeckt ermitteln und installiert eine Sonderkommission in seinem Privathaus. Kurz nachdem er zusammen mit Kriminaltechniker Espen Mortensen das Geld aus dem fensterlosen Raum geholt und bei sich im Keller deponiert hat, geht die Holzhütte in Flammen auf. Wisting bittet auch seine Tochter Line, eine freischaffende Journalistin und alleinerziehende Mutter zu dem kleinen Team zu stoßen. Für sie ist es leichter, ohne großes Aufsehen das soziale Umfeld von Bernhard Clausen zu durchleuchten und so bei den Recherchen zu helfen.

Der Flugzeugraub
Es ergeben sich Hinweise darauf, dass das Geld möglichweise aus einem fast 20 Jahre stammenden Flugzeugraub stammen könnte. Bei einem Überfall auf einen Geldtransport am Osloer Flughafen im Jahr 2003 war das dabei erbeutete Geld nie wieder aufgetaucht. Und hier kommt wieder Adrian Stiller ins Spiel. Der Ermittler der Osloer Cold-Case-Unit, den der Leser schon aus Band 1 „Wisting und der Tag der Vermissten“ kennt, befasst sich mit dem ungeklärten Verschwinden von Simon Meier. Der junge Angler war genau an dem Tag des Überfalls 2003 an einem See spurlos verschwunden.

Die Krimis von Jørn Lier Horst sorgen bei mir immer für eine völlige Entspannung. Und das ist gar nicht negativ gemeint, auch wenn sich das für einen Spannungsroman erst mal befremdlich anhört. Als Leser verfolgt man die schrittweisen Ermittlungen. Man ist hautnah dabei, wenn Spuren und Informationen ausgewertet werden und man sich langsam der Auflösung nähert und kann miträtseln und sich fast wie ein Mitglied des Teams fühlen. Auch weil man nie mehr weiß als die Protagonisten. Der norwegische Autor war früher selbst als Hauptkommissar tätig und die geschilderte Polizeiarbeit wirkt realistisch und die Ermittlungen werden nachvollziehbar und schlüssig dargestellt. Insbesondere die Recherchen zum Ursprung der Geldnoten sind ausgesprochen interessant, aber natürlich auch sehr kleinteilig und detailliert beschrieben. Das muss man mögen. Liebhaber von Actionszenen werden nicht auf ihre Kosten kommen.
Zum Schluss steigert sich das Tempo und es kommt zu einer dramatischen Situation, aber da konnte ich nur den Kopf schütteln, denn wirklich jeder Leser bemerkt im Gegensatz zu Wisting, dass Line sich mit Volldampf in eine offensichtlich lebensgefährliche Situation begibt.

Charaktere wie aus dem richtigen Leben
Durch die Möglichkeit einer Sonderkommission im eigenen Haus, gelingt es, die Betreuung der kleinen Enkeltochter besser zu organisieren. So kann auch Line tiefer in die Nachforschungen einsteigen, während sich William Wisting um Amalie kümmert. Das wirkt alles sehr menschlich und sympathisch, war mir aber in der Häufigkeit der beschriebenen Alltagssituationen zu viel. Die Protagonisten wie der bodenständige Kommissar Wisting und seine intelligente Tochter Line wirken lebensecht sowie authentisch und prägen diesen Krimi sehr. Das weitere Figurenpersonal blieb diesmal blass und farblos. Ein wenig enttäuscht war ich von Adrian Stiller und hatte mir hier mehr Entwicklung und Tiefgang erhofft. Im vorherigen Band noch eine undurchsichtige Figur, ehrgeizig und durchtrieben, ist er hier durchweg sympathisch, nett und dadurch total austauschbar und unwichtig.

Fazit
„Wisting und der fensterlose Raum“ ist für mich durchaus ein lesenswerter Krimi, in dem wieder mehrere, lange zurückliegende, ungelöste Kriminalfälle miteinander verknüpft werden und handfeste Polizeiarbeit im Vordergrund steht. Die Begegnung mit den bekannten Figuren hat mir wieder Freude gemacht. Aus den vorgenannten Gründen hat es mich nicht ganz so überzeugt wie Band 1 der norwegischen Krimireihe. Der zweite Band ist nicht ganz so vielschichtig und die Erzählweise noch bedächtiger.

Wisting und der fensterlose Raum | Erschienen am 3. Januar 2020 im Piper Verlag
ISBN 978-3-492-06142-1
432 Seiten | 15,- Euro
Originaltitel: Det innerste rommet
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezension von Andy zu Band 1 der Cold-Cases-Reihe um Kommissar Wisting, „Wisting und der Tag der Vermissten“

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