Janwillem van de Wetering | Eine Tote gibt Auskunft
„Wenn sie Ihre Freundin war und auf Ihrem Hausboot wohnte, dann dürfen wir annehmen, dass sie auch für ihren Unterhalt aufkamen.“
„Ja“, sagte Drachtsma, „ich gab ihr jeden Monat Geld.“
„Wussten sie, dass sie andere Liebhaber hatte?“
„Ja. Es kümmerte mich wenig. Ich habe mich immer telefonisch mir ihr verabredet. Oft hat sie mich im Büro angerufen.“
„Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich es sage, aber ihr Tod scheint Sie nicht sehr zu beeindrucken“, sagte der Commissaris.
Drachtsma gab keine Antwort.
„Finden Sie nicht schlimm, dass sie tot ist?“
„Ist ihr Tod nicht eine Tatsache?“, fragte Drachtsma. „Tatsachen, die man nicht ändern kann, muss man akzeptieren. Alles geht einmal zu Ende.“
Dem Commissaris verschlug es den Atem. Es dauerte eine halbe Minute, bis er die nächste Frage formulieren konnte. (Auszug Seite 78)
Auf einem Hausboot in Amsterdam wird eine junge Frau erdolcht aufgefunden. Maria von Buren wurde offenbar von einem reichen Industriellen ausgehalten. Doch nebenher empfing sie noch zwei weitere exklusive Liebhaber auf ihrem Boot: Einen belgischen Diplomaten und einen amerikanischen Offizier. Doch alle Männer haben Alibis. So begibt sich der Commissaris auf eine Reise in die Vergangenheit der Toten nach Curaçao, während seine beiden Mitarbeiter Grijpstra und de Gier eine Spur auf die Nordseeinsel Schiermonnikoog verfolgen.
Janwillem van de Wetering zählt zu den bekanntesten niederländischen Krimiautoren, insbesondere durch die 15bändige Reihe um die „Amsterdam Cops“. Van de Weterings Biografie selbst ist äußerst interessant. Anfang der 1950er arbeitete er in Südafrika, später auch in Kolumbien, Peru und Australien. Ende der 50er Jahre studierte er unter anderem Philosophie in London und lebte auch achtzehn Monate in einem japanischen Zen-Kloster. Er kehrte Mitte der 1960er nach Amsterdam zurück und arbeitete dort nebenher im Polizeidienst als Ersatz für seinen bis dato nicht geleisteten Wehrdienst. Ab 1975 bis zu seinem Tod 2008 lebte van de Wetering in Maine/USA und schrieb viele seine Bücher zweimal: in Englisch und Niederländisch, teilweise mit einigen Abweichungen.
Seine „Amsterdamer Polizisten“ sind Adjudant Grijpstra und Brigadier de Gier mit ihrem namenlosen vorgesetzten Commissaris. Grijpstra ist verheirateter Familienvater und scheinbar so ein wenig in der Midlife Crisis, de Gier ist ein junger Single, der mit einer etwas dominanten Katze zusammenlebt. Die Lebenssituationen der beiden werden in den Dialogen gerne auch spöttisch kommentiert, doch insgesamt arbeiten beide freundschaftlich-kollegial zusammen. Die Arbeit wird durchaus auch mal für persönliche Vorlieben unterbrochen, so spielen Grijpstra und de Gier im Büro Schlagzeug und Flöte oder fahren zu einer verlängerten Mittagspause in de Giers Wohnung, um sich eine Schallplatte anzuhören. Uneingeschränkte Respektsperson ist jedoch der ältere, väterliche Commissaris. Die Kriminalfälle lösen sie in einer ruhigen, gelassenen Atmosphäre. Verhöre und Zeugenbefragungen spielen eine große Rolle. Philosophische Betrachtungen kommen zur Sprache. Insgesamt erinnerte mich die Atmosphäre ein wenig an Simenons Maigret, den van de Wetering wohl in der Tat verehrte.
Eine Tote gibt Auskunft ist der zweite Band der Reihe und interessant an diesem Band sind vor allem die Gegensätze zwischen den Schauplätzen und Kulturen innerhalb des Königreichs der Niederlande. Die Tote stammte aus Curaçao und hatte durchaus einen Hang zum Zauber- und Hexenkult der Karibik. Der Commissaris lässt sich auf seiner Dienstreise vom dortigen Flair treiben. Auf der anderen Seite steht die (relative) Beschaulichkeit der Niederlande, exemplarisch der westfriesischen Insel Schiermonnikoog.
Wenn ich schon Maigret als Referenz nenne, sollte dem erfahrenen Krimileser klar sein, dass hier kein spannungsgeladener Actionreißer (wobei der Showdown auf Schiermonnikoog doch etwas überrascht) erwartet werden sollte. Man erhält allerdings einen etwas altmodischen, aber immer noch lesenswerten philosophisch-psychologischen Kriminalroman.
Rezension und Foto von Gunnar Wolters.
Eine Tote gibt Auskunft | Erstmals erschienen 1975, die gelesene Ausgabe erschien 2002 bei Rowohlt, aktuell nur noch antiquarisch und als eBook erhältlich
ISBN 978-3-49923-328-9
224 Seiten | 7,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
Diese Rezension erscheint im Rahmen des Mini-Spezials Ein langes Wochenende mit … Spannungsliteratur aus den Niederlanden und Flandern.
2 Replies to “Janwillem van de Wetering | Eine Tote gibt Auskunft”
Hallo,
danke für den Tipp. Ein Autor, den ich vor Jahren immer mal lesen wollte (ich glaube, in der schwarzen rororo-thriller-Reihe wurden die Krimis schon mal veröffentlicht) und irgendwie aus den Augen verlorgen habe. Als Maigret-Fan scheint das ja wohl meinen Geschmack zu treffen 😉
Viele Grüße
Thomas
Hallo Thomas,
ich bin jetzt auch nicht der große Maigret-Experte, aber von der Art her kann man sie schon etwas vergleichen, denke ich.
Viele Grüße
Gunnar