Der Tel Aviv Krimi | Tod in Berlin ►
Über die Reihe:
Es soll weiter gedreht werden in Israel, die Fortsetzung des „Tel Aviv Krimis“ in der ARD wird in der Reihe der Donnerstags-Serien, laufen, für die man sich seit geraumer Zeit immer mehr Tatorte überall in Europa ausgedacht hat, nun also mit der ebenso modernen wie traditionsbeladenen, quirligen, hitzigen Mittelmeerstadt einen wirklich ungewöhnlichen, exotischen, neuen Schauplatz. Aber Tel Aviv ist auch ein Schmelztigel verschiedener Nationen, Kulturen und Religionen – und ein Pulverfass: Der Dreh der ersten Folge der neuen Krimireihe musste abgesagt werden, da wieder einmal kriegerische Auseinandersetzungen um den Gaza-Streifen aufflammten.
Kurzerhand wurde in Berlin gedreht, eine Art Vorgeschichte, die Kommissarin Sara Stein (Namen sind Schall und Rauch) bei ihrer Arbeit und im Privatleben in ihrem Kreuzberger Kiez zeigt. Sie hat jüdische Wurzeln, was aber keine Rolle spielt, nicht für sie, die diesen Umstand eher achselzuckend als gegeben hinnimmt, nicht für ihr Umfeld, das von dieser Tatsache gar nichts weiß, und erstaunlicherweise auch nicht für das Drehbuch, das keinen Gebrauch macht von den Möglichkeiten, die eine solche Konstellation böte.
Zum Film „Tod in Berlin“:
Sara Stein ist Berliner Kriminalkommissarin jüdischer Abstammung, die sich unabhängig von allen und allem fühlt. Religion spielte in ihrem Leben bislang keine Rolle, bis sie den Mord an der israelischen DJane Tamar aufklären muss. Dabei rückt die Familie von Tamars palästinensischem Freund, Khalid, immer mehr in den Fokus. Ist Tamar Opfer des israelisch-palästinensischen Konflikts geworden? Obwohl Khalids Vater den Mord gesteht, spürt Sara, dass etwas nicht stimmt. Beharrlich ermittelt sie weiter und verbeißt sich regelrecht in den Fall.
Die Eingangssequenz zeigt Sara beim abendlichen Jogging rund um den Bahnhof Kottbusser Tor. Unversehens stolpert sie auf dem Hinterhof einer Disco über eine sterbende junge Frau: es ist die bekannte DJane Tamar, eine Israelin, die in den Berliner Szene-Clubs einiges Ansehen genießt und die ihre Beliebtheit in vielerlei Hinsicht ausnutzt und auskostet. Mit ihrem Freund hat sie sich kurz zuvor noch heftig gestritten, jetzt schleudert sie Khalid, der zufällig am Tatort auftaucht, wütend die letzten Worte „fuck off!“ entgegen.
Khalid ist Palästinenser und furchtbar verliebt, aber auch sehr enttäuscht: Tamar hat gerade ein Kind abgetrieben, sein Kind. Seine Eltern waren immer unmissverständlich gegen diese Verbindung, und dass wir nun Khalids Vater mit einem blutverschmierten Hemd fluchtartig die Szene verlassen sehen, hat bestimmt etwas zu bedeuten. Tamars Schwester Ronit ist nach Berlin gekommen, um die undenkbare Beziehung zu einem Palästinenser zu beenden, ebenso wie ihren unakzeptablen Lebensstil. Und dann fällt Sara auch noch ein junger Mann auf, der gerade den Club verlässt: er trägt eine Kippa!
Nun hat Sara also ihren Fall, von den Drehbuchautoren Martin Kluger und Maureen Herzfeld notgedrungen rasch für einen Berliner Tatort zusammengestoppelt, mit einem Team, das so nicht vorgesehen war und das mit entsprechend haarsträubenden Figuren aufwartet.
Da ist Steins Kollegin Anne Rodeck (Katharina Marie Schubert), ist auf absurde Weise unfähig, Außendienst zu leisten, sie verweigert sich stur entsprechenden Anweisungen, und wenn sie gezwungenermaßen Sara doch begleiten muss, bringt sie diese durch ihre Unfähigkeit, in der bedrohlichen Draußenwelt irgenwie zu handeln, ständig in Gefahr. Kollege (und Ex-Liebhaber) Max Schreiberger (Aljoscha Stadelmann), ein wenig trottelig, macht eher Dienst nach Vorschrift, er scheint weder auffallend engagiert, noch besonders helle. Schließlich die Chefin, Kriminalrätin Vera Schubert (Kirsten Block), ein nervliches Wrack seit ihre Ehe gescheitert ist. In diesem Umfeld scheint Sara (Katharina Lorenz) tatsächlich die einzig professionelle Polizistin zu sein, und gleichzeitig hat sie die bei weitem glaubwürdigste Rolle: die „waschechte Berlinerin“ (die erfreulicherweise nicht berlinert) nimmt man ihr ab, wenn sie sich selbstverständlich und selbstbewusst in der Kreuzberger Szene und in den schmuddeligen Nischen und Winkeln des Kiezes bewegt. Cool, tough, oder zu gut Deutsch beherrscht und beherzt, energisch und entschlossen, kumpelhaft und weiblich zugleich macht sie in jeder Situation eine gute Figur.
Ihr Team hat es mit aufgeregten Medienvertretern zu tun, die natürlich einen politischen Hintergrund wittern und eine Verschwörungstheorie verfolgen, gleichzeitig gibt es genügend Hinweise auf eine Beziehungstat, auf private, familiäre Verstrickungen, kurzum, eine ganze Riege vordergründig Verdächtige, auf die mit recht plumpen, allzu deutlich falschen Fährten so offensichtlich hingewiesen wird, dass man als Zuschauer diesem Wink gar nicht erst folgt. Schließlich wird eine eher zufällige Auflösung aus dem Hut gezaubert, die dem Film und dem Thema nicht gerecht wird und zudem durch ungeschickt platzierte Andeutungen leicht zu erahnen ist.
Die Atmosphäre im ersten Teil ist kalt, düster und grau, wir sehen schmuddelige Hinterhöfe, verranzte Stiegenhäuser, verlotterte Wohngemeinschaften, der Himmel über Berlin ist immer wolkenverhangen, der Asphalt löchrig und nass. Großstadtästhetik, kühl, glatt und doch rau, mit überall bröckeligen Fassaden, und auch hinter den Kulissen ist alles brüchig. Sara wohnt in einer traurigen Mietskaserne mit Laubengängen zur Straße und zum Bahnhof Kottbusser Tor, von außen ein trauriger Anblick, eine Innenansicht ihrer Wohnung bekommen wir fast nicht. Ihr eigentliches Zuhause ist sowieso eine Dönerbude in der Adalbertstraße, wo sie gewohnt souverän und unaufgeregt das gemischte Publikum und jede heikle Lage im Griff hat und offensichtlich Respekt und Ansehen genießt.
Der Film offenbart eine merkwürdige Diskrepanz zwischen mitunter schnellen, fast hektischen Schnitten und den schnellen Schritten, mit denen Sara ständig durch die Szene rennt, wenn sie nicht gerade mit dem Rad zum Einsatz rast, und einer betulichen, behäbigen Storyline. Die Produktion ist durchaus modern, absolut zeitgemäß, handwerklich gut gemacht, aber die Erzählweise des Films ist altbacken, erinnert in manchen Szenen tatsächlich an die Siebziger, eher an „Derrick“ als „Tatort“. So herrscht bei den Ermittlungen, bei bedächtigen Befragungen und gemächlicher Spurensuche wie auch bei den Szenen auf dem Revier ruhige Routine. Und es gelingt dem Regisseur tatsächlich, sogar die unvermeidliche Actionszene zu entschleunigen.
Hinzu kommen einige Nebengeschichten auf privater, persönlicher oder familiärer Ebene, die den Fluss der Krimihandlung eher verzögern sowie viele lediglich angedeutete, pillepalle Probleme zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Religionen, der gegenseitige Argwohn, das Misstrauen und die Vorurteile auf beiden Seiten werden immer wieder sichtbar, aber nicht thematisiert.
Denn das scheint auch eines der Probleme zu sein: Die Israelis, die Palästinenser, die Araber, das orthodoxe und das weltliche Judentum und der Islam und all die Konflikte, die aus diesem Nebeneinander und Miteinander entstehen, im Film nicht nur irgendwie unterzubringen, sondern dabei angemessen zu beleuchten und zu bewerten. Genau das passiert aber (leider) nicht, stattdessen wird eine Diskussion all dieser im Raum stehenden, unterschwelligen bis offensichtlichen Fragen und Probleme sorgsam umgangen, alle möglicherweise brisanten, religiösen, politischen und natürlich historischen Themen werden tunlichst vermieden und kommen lediglich in Nebensätzen zur Sprache. Natürlich muss ein solcher Donnerstags-Krimi in der ARD, zumal als Serienprodukt, nicht unbedingt gesellschaftskritisch oder sozialaufklärerisch daherkommen, aber wenn man diese Themen anreißt, muss man sie auch ernsthaft beantworten und nicht lediglich instrumentalisieren als fremdartiges Flair.
Da kann man schon eher hinnehmen, dass auch dieser Krimi nicht ohne eine eher oberflächliche und beiläufige Erwähnung der Privaspäre der Kommissarin auskommt, die eigentlich nur dazu dient, die kurze, heftige Romanze vorzubereiten, die nötig ist, um Saras Übersiedlung nach Tel Aviv zu begründen.
Sie poltert in ein Konzert des Pianisten David Shapiro (Itai Tiran), der einen Vortrag von Schuberts „Winterreise“ begleitet. Der schaut den Störenfried an, sie schaut ihn an, Liebe auf den ersten Blick. Eine schnelle Bettszene, ein langer Blick zum kurzen Abschied, und schon ist der Geliebte zurück in Tel Aviv, wo er eine integrative Kinder-Musikschule leitet. Ein Klingeln an der Tür stört den Unterricht – wieder einmal Sara. Sie ist ihm Hals über Kopf nachgereist, um in Israel einen Neuanfang zu wagen, privat und beruflich.
Die Fortsetzung, also die Besprechung des zweiten Films „Shiv’a“, veröffentlichen wir am Sonntag, 17. Juli 2016.
Rezension von Kurt Schäfer.
Der Tel Aviv Krimi | Erschienen am 11. März 2016 bei Edel Germany
2 DVDs | 19,99 Euro
Gesamtlaufzeit: 180 Minuten
Einzelfilm je 90 Minuten
FSK 12
Trailer
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