Christine Grän & Hannelore Mezei | Glück in der Steiermark

Christine Grän & Hannelore Mezei | Glück in der Steiermark

Chefinspektor Martin Glück ist gerade aus Wien in der Steiermark eingetroffen und darf im Landeskriminalamt Graz, wo zur Zeit erheblicher Personalmangel herrscht, ganz offiziell wieder in Sachen Mord ermitteln, nachdem er zuletzt nur noch Bagatellfälle zu bearbeiten hatte. Nach einem Zwangsurlaub am Wörthersee hatte man ihn in ein Kellerbüro des Präsidiums verbannt, weil er ausgerechnet seinen Vorgesetzten Arm in Arm mit seiner Frau Larissa entdeckte und aus Eifersucht verprügelte. Mit Aggressionen anderer kann er ganz gut umgehen, nur nicht mit seinen eigenen, aber das ist nach einer Therapie schon besser geworden. Mittlerweile ist er geschieden und hat in seinem befristeten Urlaub Lily Prokop kennengelernt, eine Kollegin, die es ihm angetan hat. Allerdings scheint sich ihre Beziehung langsam einem Ende zu nähern, auch wenn das keiner der beiden zugeben mag. Sie verabreden sich stattdessen auf ein Wochenende in der Südsteiermark, um die Weinstraßen zu erkunden. Vielleicht eine Wiederbelebung der Beziehung. Oder das Ende.

Die neuen Kollegen sind nett und nehmen ihn herzlich auf, aber ausgerechnet Felix Wagner, der ihm als Partner zugedacht ist, hat einen Hass auf alle Wiener, seit seine Frau mit einem Hauptstädter auf und davon ist. Nur langsam finden Martin mit seinem Wiener Schmäh und Felix, den der etwas rauen Charme der Steiermärker auszeichnet, bei ihrer gemeinsamen Arbeit zu eine Team zusammen. Aber es hilft nichts, sie müssen sich zusammenraufen, haben sie doch gleich zwei spektakuläre Mordfälle an der Hacke, die für reichlich Gesprächsstoff sorgen in der Landeshauptstadt. Graz macht es einem leicht, friedlich und unbehelligt zu leben. Man trifft immer jemanden, den man kennt, ein wundervolles großes Dorf. Viele junge Leute, eine Universitätsstadt von bezaubernder Gemütlichkeit. Die von den Autorinnen Christine Grän und Hannelore Mezei, die beide in Graz geboren wurden, kenntnisreich und liebevoll inszeniert wird, so ausführlich und innig zum Teil, dass man sich den Reiseführer sparen kann, wenn die Lust auf einen Besuch oder Urlaub geweckt ist.

Hier leitet im Hilmteichviertel der berühmte und höchst erfolgreiche Schönheitschirurg Prof. Dr. Fridolin Leitner eine renommierte Privatklinik. Und ausgerechnet dort hat jemand die Journalistin Stephanie Hütter erstickt. Sie lag nach einer Nasenkorrektur noch mit Schmerz- und Schlafmitteln betäubt auf dem Krankenzimmer, als man ihr ein Kissen aufs Gesicht drückte. Steffi schrieb an einer Biographie über Leitner, Memoiren eines Schönheitschirurgen. Ob dort auch Privates eingeflossen war? Der Professor arbeitet jedes Jahr einen Monat für Ärzte ohne Grenzen. Er hatte den Beruf eigentlich ergriffen, um Unfall- oder Kriegsopfern mit plastischer Chirurgie zu helfen. Die vier Wochen in Krisengebieten bauen ihn jedes mal moralisch auf. Und lassen ihn der ehelichen Hölle entkommen. Claudia, seine kunstsinnige Ehefrau, betrügt ihn mit einem Maler, den sie für ein Genie hält und ausstellt. Sein Sohn nennt sich Banker und ist vor allen Dingen Porschefahrer. Seine Tochter, Yogalehrerin, ruht so in sich selbst, dass sie andere Menschen gar nicht wahrnimmt. Seinen Plan, auszuziehen und ein Zimmer in der Klinik einzurichten, verschiebt er ein ums andere Mal.

Die zweite Tote wird in der Garderobe des Grazer Theaters gefunden, wo gerade die letzten Proben für die diesjährige Aufführung beim steirischen Herbst über die Bühne gehen, eine skandalträchtige Inszenierung des „Lumpazivagabundus“ von Nestroy, von Emanuel Prader mit bewusstem Kalkül auf einen Eklat eingerichtet. Die mäßig begabte Schauspielerin Mara Sibelius hat in dem Stück eine kleine Rolle ergattert, indem sie sich dem alternden Regiestar hingibt. Nun liegt sie in einer Blutlache am Boden, mit einer schweren Kopfverletzung. Als Martin den Tatort betritt, zuckt er kurz zusammen. Er kennt die Tote, war dabei, als sie in einem Lokal von Praders eifersüchtiger Gattin mit Olivenöl übergossen wurde. Er selbst hatte das Handgemenge der beiden Furien beendet, welches natürlich ein gefundenes Fressen für die Skandalpresse war. Es stellt sich heraus, dass die Sibelius wohl gestürzt ist, weil sie mit Atropin vergiftete Pralinen gegessen hat. Und noch etwas ergeben die ersten Untersuchungen: sie hatte vor kurzem eine Vaginalstraffung, und zwar in der Klinik des Professor Leitner!
Den Eingriff hat der Meister persönlich vorgenommen, obwohl der Unterleib eigentlich das Spezialgebiet seiner „Oberärztin“ Dr. Olga Markovitz ist, seiner einzigen chirurgischen Mitarbeiterin. Sie war zuvor Hautärztin in München, seit der Trennung von ihrem Mann praktiziert sie nun seit zwei Jahren in Graz und führt außerdem unterschiedlichste Schönheitsoperationen in Leitners Klinik durch. Als Martin sie zu den jüngsten Ereignissen in der Klinik befragt, erfährt er, dass in der Tatnacht eine weitere bekannte Schauspielerin in der Klinik weilte, inkognito selbstverständlich. Und plötzlich steht sie leibhaftig vor ihm: Alma Zoppot! Martin kennt sie aus einem früheren Fall, in dem er Erbschaftsmorde aufklärte. (Im ersten Roman der Reihe Glück in Wien). Nun erfährt er, dass auch sie mit Prader liiert war, ihn aber verlassen hat. Auch ihren Freund Edgar, einen Spieler, der auf ihr geerbtes Vermögen aus war, hat sie in die Wüste geschickt. Nun ist ihr Bestreben, sich den Professor Leitner zu schnappen. Sie erzählt Martin, dass sie dabei ist, eine „MeToo“-Kampagne gegen Prader anzuschieben, darüber hatte sie auch mit Mara Sibelius gesprochen.

Eine weitere alte Bekannte taucht auf, Romana Petuschnigg, seine erste Liebe, inzwischen eine ältere Dame, deren treuer Begleiter das kleine Hündchen Alex ist. Ihr Nachbar ist der reichste Mann am Wörthersee, ihre große Liebe, der sie fast jeden Tag auf ein Glas Wein besucht. Dass er sie einmal heiraten wollte, ist längst kein Thema mehr, dazu ist es auch mittlerweile zu spät, findet Romana, die nach Graz gekommen ist, um sich die Hüfte operieren zu lassen. Sie war eine der Begünstigten der Erbschaftsangelegenheit, an ihrer Miterbin Alma Zoppot lässt sie kein gutes Haar. Welche Rolle spielen die beiden im aktuellen Fall? Und wie passt Sascha Prinz ins Bild? Er ist der Star des Grazer Schauspielhauses, mit einigem Einfluss, allerdings säuft er zu viel. Dann spielt er aber auch sensationell, das Publikum betet ihn an. Auch er hat ein Verhältnis mit Mara, weshalb ihn seine Frau – vorläufig – verlassen hat. Und zu Martins Verwunderung und Verärgerung stellt sich heraus, dass diese Frau Gigi Altenbacher ist, der er gerade etwas näher gekommen ist, denn sie ist Nachbarin in der gerade bezogenen Unterkunft.

Die Autorinnen lassen sich Zeit bei der Entwicklung des Plots, immer wieder werfen sie Seitenblicke auf das Leben und Treiben der vielen Beteiligten. Dabei ist das Tempo gemächlich, fast gemütlich, für einen typischen Whodunit, wie er hier vorliegt, allerdings nicht ungewöhnlich und ebenso nicht unpassend. Auch ist Hochspannung in diesem Genre nicht unbedingt Voraussetzung für gute Unterhaltung und literarische Qualität. So fließt bei den beiden Autorinnen kein Blut (außer vielleicht bei den Schönheitsoperationen), dafür hat ihr Krimi andere Qualitäten. Wie die beiden sich die Arbeit an ihren Büchern teilen, ist beim Lesen nicht zu bemerken, das Ergebnis ist jedenfalls ausgesprochen homogen und liest sich wunderbar locker. Der Stil ist sehr direkt und ausgesprochen witzig, allerdings ist der Humor zum Teil sehr speziell, strotzt vor bitterem Sarkasmus, ja Zynismus. Wer sich für diesen boshaften, beißenden Spott mit seinen wohl dosierten, gut gezielten Seitenhieben auf die Schickimicki und Bussi-Bussi-Gesellschaft erwärmen kann, wird viel Spaß haben mit den vielen richtig spaßigen Passagen rund um das befremdliche Treiben im Steirischen Herbst, dem „obszönen Kasperltheater“, mit den intelligenten Spitzen gegen die Kultur im Allgemeinen und die Kulturschaffenden im Besonderen.

Während die Hauptcharaktere liebevoll, fast zärtlich behandelt werden, bekommen es die Angehörigen der „besseren Gesellschaft“, allesamt eher Karikaturen, knüppeldick ab: Böse, aber treffend nehmen die Autorinnen zum Beispiel das Gehabe des Starregisseurs Emanuel „Mani“ Prader aufs Korn, der gern überall Hof hält. Auch seine völlig überdrehte, zuweilen hysterische und ständig eifersüchtige Gattin bekommt ihr Fett weg. Nicht zu vergessen die Riege der Schauspielerinnen wie die alternde Ex-Diva Alma Zoppot, die mit gekünstelten Gesten jede Gelegenheit für einen großen Auftritt nutzt. Herrlich die gallige Charakterzeichnung der bösartigen Ehefrau des „Skalpellmeisterlein“ Leitner. Die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.

Kein Wunder, dass einige dieser Figuren auch auf der Liste der Verdächtigen auftauchen, und die ist lang. Zu viele könnten ein Interesse haben, zu viele hatten die Gelegenheit. Jeder hätte die Ampullen mit dem giftigen Atropinsulfat aus dem Suchtmittelschrank der Klinik entwenden können. Aber auch wenn die Ermittler eine Menge Spuren verfolgen, haben sie doch keine konkreten Anhaltspunkte oder gar Beweise. Während sie versuchen, die Fäden zusammenzuknüpfen und passende Theorien zu konstruieren, drehen sie sich nur im Kreis. Sie diskutieren hin und her ohne sich zu einigen. Irgendwann, so spürt Felix, führen alle Spuren ins Theater. Martin tippt eher auf das Umfeld Dr. Leitners, aber er kann keine Verbindung seines Hauptverdächtigen Emanuel Prader zur Hilmteichklinik erkennen. Der entscheidende Mangel bei all ihren Überlegungen: Es fehlt das Motiv. Als dann auch bei Alma Zopott eine Schachtel mit vergifteten Pralinen abgegeben wird und sie ebenfalls eine Atropin-Vergiftung erleidet, ist Martin sicher: Drei Frauen, die sich zur gleichen Zeit in der Schönheitsklinik aufhielten, werden ermordet, oder doch fast, da muss es einen Zusammenhang geben.

An dieser entscheidenden Stelle treten die Autorinnen dann gehörig auf die Bremse. Martin nimmt sich eine Auszeit in der „Toskana der Steiermark“. Nachdem sich der Ausflug mit Lily zerschlagen hat und ihre Beziehung definitiv beendet ist, findet sich schnell Ersatz: Gigi Achenbacher will zufällig nach Hause, um ihre Eltern zu besuchen, die dort ein kleines Weingut besitzen. Da liegt es nahe, dass die beiden ein gemeinsames Wochenende verbringen und sich natürlich ein neues Verhältnis anbahnt. Aber die kurze Auszeit, bei der Martin eigentlich nur abschalten wollte, bringt ihm unverhofft auch einen wichtigen Hinweis, der den stockenden Ermittlungen wieder neue Dynamik verleiht und zudem in eine gänzlich unerwartete Richtung lenkt. Und endlich ist sich das Ermittlerduo einig und entwickelt gemeinsam eine schlüssige Rekonstruktion der wahrscheinlichen Tathergänge, wobei sie mit ihren Vermutungen (fast) richtig liegen. Was folgt, ist ein Geständnis und dann doch noch eine unerwartete Wendung und Pointe, eine Auflösung, die etwas locker gestrickt ist, aber immerhin glaubwürdig. Durch einen glücklichen Zufall stößt Martin schließlich auf die lange gesuchte Verbindung zur Schönheitsklinik. Nicht der einzige etwas weit her geholte Zusammenhang, nur ein weiterer eher unwahrscheinliche Zufall, der nicht nur die Ermittler überrascht, sondern auch den Leser etwas ratlos zurücklässt.

Glück in der Steiermark endet angesichts der vorhergehenden tragischen Ereignisse ein wenig zu harmonisch, entlässt den Leser aber mit einem guten Gefühl und der Frage, in welchem Bundesland und in den Armen welcher Frau Martin bei seinem nächsten Abenteuer landet.

 

Rezension und Foto von Kurt Schäfer.

Glück in der Steiermark | Erschienen am 7. Februar 2019 im Verlag ars vivendi
ISBN 978-3-86913-997-5
250 Seiten | 14.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

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