Kategorie: Asservatenkammer

Historische Rückblicke im Bereich Crime fiction

Vor 25 Jahren: 1998 in Crime Fiction (Teil 2)

Vor 25 Jahren: 1998 in Crime Fiction (Teil 2)

Im Jahr 1998 haben uns auch einige Autor:innen für immer verlassen. So im April Francis Durbridge im Alter von 85 Jahren. Durbridge war für mich wie auch Edgar Wallace immer mit dem Begriff „Straßenfeger“ verbunden. Meine Eltern erzählten mir, dass die Straßen wie leer gefegt waren, wenn eine Krimiverfilmung von Durbridge in den 1960ern im Fernsehen lief. Was mich mit hochgezogenen Augenbrauen in den 1980ern oder 1990ern zurückgelassen hat, war man doch inzwischen anderes von Tempo und Inszenierung gewohnt. Ich muss allerdings gestehen, dass ich noch nie einen Roman von Durbridge gelesen habe.

Das ist beim zweiten Todesfall ganz anders. Am 22.10.1998 verstarb Eric Ambler 89-jährig, einer meiner Lieblingsautoren unter den Klassikern. Ambler gilt bis heute als einer der versiertesten Autoren von Politthrillern und durch seine lange Schaffensphase von Mitte der 1930er bis in die Mitte der 1980er als Chronist des 20.Jahrhunderts. In seiner ersten Phase in den 1930ern war er noch stark links unterwegs mit unverkennbaren Sympathien für den Kommunismus, dies änderte sich mit der zweiten Phase ab 1951 als er in seinen Thrillern allen Seiten ihr Fett weg bekommen. Sein bekanntestes Werk ist sicherlich „Die Maske des Dimitrios“. Mein bisheriger Favorit von ihm ist „Doktor Frigo“, ein feiner, zynischer Roman, wie eine Großmacht einen Putsch in einer Banenenrepublik organisiert.

Was gibt es sonst noch für bemerkenswerte Kriminalromane des Jahres 1998, die bisher nicht genannt wurden? „Komm, süßer Tod“, der dritte Brenner-Krimi von Wolf Haas, in dem der Brenner sich unter die Rettungssanitäter mischt. Der Roman gewann später den Deutschen Krimi Preis 1999. In den USA erscheinen „Die Trying“ („Ausgeliefert“), der zweite Thriller von Lee Child über den Veteranen und Einzelgänger Jack Reacher sowie „Gone Baby Gone“ von Dennis Lehane aus der sensationellen Kenzie/Gennaro-Reihe, in Großbritannien „On Beulah Height“ („Das Dorf der verschwundenen Kinder“) von Reginald Hill, einer der erfolgreichsten Dalziel/Pascoe-Romanen.

Daneben gibt es auch eine Reihe Debüts, zum einen generell von neuen Autor:innen, zum anderen von Reihen, die teilweise bis heute laufen. So etwa Jörg Juretzkas Ruhrpott-Privatdetektiv Kristof Kryszinski, dessen erster Fall „Prickel“ 1998 erschien. Genau wie Friedrich Anis „Die Erfindung des Abschieds“, der erste Roman mit Tabor Süden. Ebenfalls neu war Alfred Komareks melancholischer Inspektor Simon Polt mit „Polt muss weinen“.

International trat zum einen der Detroiter Autor Steve Hamilton mit „Ein kalter Tag im Paradies“ zum ersten Mal in Erscheinung, der ersten Roman einer Serie um den Privatdetektiv und Ex-Cop Alex McKnight. Der Roman gewann mehrere Preise als bestes Debüt. Ebenso ausgezeichnet wurde 1998 das Debüt einer schottischen Autorin. Denise Mina ist heute eine der renommiersten Krimiautor:innen ihrer Heimat, gewann in den letzten fünf Jahren dreimal den Deutschen Krimipreis. Im Jahr 1998 erschien ihr Erstling „Garnethill“.

Denise Mina | Garnethill (Deutscher Titel: Schrei lauter, Maureen)

Das Jahr 1998 war auch der Beginn der Karriere einer jungen schottischen Schriftstellerin. Denise Mina, Juristin mit einem Lehrauftrag für Kriminologie veröffentlichte mit Garnethill ihren ersten Kriminalroman und erhielt dafür direkt den „Dagger“ für den besten Debütroman. Mit ihrem ersten Roman der Garnethill-Trilogie knüpft sie auch an einen persönlichen Interessenschwerpunkt an: Der Umgang mit Frauen im Strafvollzug, Forensik und Psychiatrie.

Maureen O’Donnell lebt im Stadtteil Garnethill in Glasgow. Die junge Frau hat aufgrund eines sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater psychische Probleme und ist in Behandlung. Sie lebt in einer undefinierten Beziehung mit Douglas, ein Therapeut (nicht ihr Therapeut) aus einer Klinik, in der sie war. Allerdings zweifelt Maureen an der Sinnhaftigkeit der Beziehung und erhält schließich Gewissheit, dass Douglas ihr verschwiegen hat, dass er verheiratet ist. Am selben Abend nach dieser Information lässt sich Maureen mit ihrer Freindin Leslie vollaufen, kommt irgendwann spät nach Hause und stürzt nur noch betrunken ins Bett. Am nächsten Morgen findet sie Douglas in ihrem Wohnzimmer – an einen Stuhl gefesselt und brutal ermordet. Relativ klar, wen die Polizei und die Presse als Hauptverdächtige einstuft.

Der Roman erhält seinen besonderen Reiz dadurch, dass über lange Zeit Maureen selbst bzw. ihr Bruder Liam als Verdächtige gelten. Maureen stellt daraufhin eigene Nachforschungen an und stösst auf einen Abgrund von sexuellem Missbrauch in einer psychiatrischen Einrichtung. Traumatisierte Frauen, voller Ängste, die in einer vermeintlich sicheren Umgebung erneut Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind. Schon in ihrem ersten Roman spielt Denise Mina ihre Fähigkeiten aus, die auch in der Folgezeit in ihren Romanen beeindrucken: Ausgefeilte Psychogramme, das Analysen von Beziehungen und Familienkonstellationen und lebensnahe, auch durchaus unbequeme Figuren. Ein empfehlenswertes Debüt.

 

Im internationalen Film gab es 1998 ein paar Krimis, Thriller oder Gangsterfilme, die im Gedächtnis geblieben sind. Allen voran sicherlich der nächste Coup der Coen-Brüder: „The Big Lebowski“, ein wunderbar skurilles Werk mit deutlichen Anleihen an Raymond Chandler mit Jeff Bridges in der Rolle seines Lebens als der Dude. Bei mir ebenfalls sehr hoch im Rennen ist „American History X“, ein verstörendes Drama über die amerikanische Neonaziszene mit Edward Norton in oscarreifer Form (er verlor allerdings gegen Roberto Benigni). Bis heute verstört mich diese Brutalität mit dem „Bordsteinbashing“.

1998 war ich noch sehr häufig im Kino und kann mich noch an einige Filme gut erinnern. „Cop Land“ etwa war für mich die beste schauspielerische Leistung von Sylvester Stallone bis heute, „Ronin“ mit Jean Reno, Natasha McElhone und Robert de Niro zeigte großartige Autoverfolgungsjagden durch Paris und „Out of Sight“, die Verfilmung eines Elmore Leonard-Romans mit George Clooney und Jennifer Lopez, war eine äußerst lässig-charmante Gangsterkomödie. Deutlich brutaler und schwarzhumoriger war hingegen das Kinodebüt des britischen Regisseurs Guy Ritchie: Im August kam in Großbritannien „Lock, Stock & Two Smoking Barrels“ in die Kinos.

Bube, Dame, König, grAS (Originaltitel: Lock, Stock & Two Smoking Barrels)

Die vier Kumpels Eddy, Tom, Soap und Bacon fristen ein überschaubares Dasein als Kleinganoven, hoffen jedoch auf einen großen Gewinn, in dem sie 100.000 Pfund zusammenbringen und der talentierter Pokerspieler Eddy sich damit bei einer illegalen Pokerrunde des lokalen Gangsterbosses und Pornokönig „Hackebeil“ Harry einkaufen kann. Doch es kommt natürlich anders, Eddy wird beim Spiel gelinkt und steht plötzlich mit einer halben Million bei Harry in der Kreide, der das Geld innerhalb einer Woche wiedersehen will. Durch einen Zufall hört Eddy durch die dünnen Wände ihrer Wohnung, wie ihr Nachbar, der Gangster Dog einen Raubüberfall auf ein paar Marihuana-Züchter mit einer Menge Gras und eine Menge Geld planen. Das könnte eine Chance sein, die Schulden zu begleichen. Währenddessen gibt „Hackebeil“ Harry den Raub von zwei antiken Flinten in Auftrag, die im Verlauf der Geschichte noch eine Rolle spielen werden.

Guy Ritchies Kinofilmdebüt ist eine rabenschwarze Gangsterkomödie, die den Regisseur und Drehbuchautor direkt zu einem der Hoffnungsträger des britischen und europäischen Films machte. Eine Rolle, die Ritchie bis heute nur teilweise erfüllen konnte. „Bube, Dame, König, grAS“ war allerdings als Independentfilm ein großer Erfolg, brachte Ritchie außerdem einen Edgar Award für das beste Drehbuch ein.

Der Film steht in der Tradition britischer Gangsterfilme und natürlich umweht auch so ein wenig Tarantino die Szenerie. Viele skurrile Figuren, parallele Handlungsstränge, (w)irre Wendungen, lässige Sprüche und schwarzer Humor machen den Film trotz der enormen Gewaltausbrüche äußerst sehenswert. Der katholische Filmdienst beschwerte sich zwar über das vermittelte „fatalistische Weltbild“ – aber so what? Vor allem hat der Film einen durchgängigen Style, der überzeugt. Sepiatöne, Slomo, Einfrieren des Bildes und so weiter sowie einen lässigen Erzähler (in der deutschen Synchronisation von Martin Semmelrogge gesprochen – eine exzellente Wahl): Guy Ritchie macht in Visualisierung und Gesamtkomposition sehr vieles richtig. Dazu ein abwechslungsreicher Soundtrack zwischen Soul, Funk und Britpop (Besonders begeistert war ich vom Sirtaki zur Szene, als beide Gangsterclans aufeinandertreffen). Außerdem ein hervorragender Cast (u.a. mit Sting!) mit dem Highlight Fußballer Vinnie „The Axe“ Jones als Geldeintreiber Big Chris. Auch nach 25 Jahren ist „Bube, Dame, König, grAS“ ist immer noch eine gute Wahl für einen kurzweiligen Gangsterfilm.

 

Fotos, Rezensionen und Begleittext von Andy Ruhr und Gunnar Wolters.

Schrei lauter, Maureen | Im Original erschienen 1998 bei Bantam Press
Die gelesene Ausgabe erschien 2001 im Knaur Verlag
ISBN 978-3-426-61926-1
427 Seiten | 8,90 €
Originaltitel: Garnethill | Übersetzung aus dem Englischen von Doris Styron

Bube, Dame, König, grAS | Kinostart (UK) am 28. August 1998
Die Blue-Ray erschien am 19. März 2011 | 10,99 €
Laufzeit 1 Std. 47 Min. | FSK 16

Vor 25 Jahren: 1998 in Crime Fiction (Teil 1)

Vor 25 Jahren: 1998 in Crime Fiction (Teil 1)

Wir öffnen wieder die Asservatenkammer und werfen einen Blick auf die Kriminalliteratur und den Kriminalfilm im Jahr 1998. Wo fängt man da am besten an? Vielleicht bei den Bestsellerlisten? Die Spiegel-Bestsellerliste bringt für das Jahr Erstaunliches zu Tage. Nur vier Bücher waren in diesem Jahr ganz oben auf der Verkaufsliste – und mit der Ausnahme von Marianne Fredriksson waren es nur Kriminalautor:innen. Alle bis heute sehr erfolgreich, wenngleich es für John Grisham (1998 mit „Der Partner“) und Ingrid Noll (mit „Röslein rot“) die vermutlich erfolgreichste Phase ihrer Karriere war. Für Donna Leon mit „Sanft entschlafen“, dem sechsten Fall von Commissario Brunetti, war es hingegen die erste Nummer Eins der Liste, der allerdings noch eine Menge folgen sollten.

Ein weiterer Trend im Genre, der ab Ende der 1990er langsam aufkam, ist der sogenannte „Nordic Noir“, früher salopp und unpräzise „Schwedenkrimi“ getauft. 1998 markiert dabei einen Meilenstein, denn erstmal erschien ein Roman Henning Mankells in einem großem Publikumsverlag („Die weiße Löwin“ bei dtv). Zuvor war Mankell beim kleinen Berliner Verlag edition q erschienen, einem Imprint des Quintessenz Verlags, der eigentlich auf Fachliteratur zur Zahnheilkunde spezialisiert ist. Damit stieg Mankell mit seinen Wallander-Krimis in den Folgejahren zum meistverkauften Krimiautor in Deutschland auf. Interessant zum Jahr 1998 ist außerdem des Erscheinen weiterer nordischer Krimis, etwa der Debütromane von Arne Dahl oder Liza Marklund sowie von „Kakerlaken“, des zweiten Harry-Hole-Romans von Jo Nesbø.

Kommen wir zu weiteren markanten Autoren, die die Kriminalliteratur 1990er mit ihren Werken dominierten (teils bis heute). Dazu zählt neben John Grisham, Tom Clancy (1998 mit „Rainbow Six“ Nr. 1 der NYT-Bestsellerliste), Stephen King (1998 erschien „Bag of Bones“, in deutscher Übersetzung später „Sara“ ) und James Lee Burke (gewann 1998 sowohl den Edgar als auch den Dagger mit zwei unterschiedlichen Büchern) auch Michael Connelly, der ab 1992 mit seiner Harry-Bosch-Serie große Erfolge feierte. Neben Bosch etablierte Connelly weitere Hauptfiguren, etwa den Journalisten Jack McEvoy ab 1996 und später den Anwalt Mickey Haller. In seinem Roman 1998 erschienenen 7. Roman „Blood Work“ ist der FBI-Profiler Terry McCaleb der Protagonist.

Michael Connelly | Blood Work (Deutscher Titel: Das zweite Herz)

Nach einer Herztransplantation lebt der einst ausgesprochen erfolgreiche FBI-Agent Terry McCaleb auf einem Boot im Hafen von Los Angeles. Als Graciela Rivers ihn bittet, den Mord an ihrer Schwester Gloria Torres zu untersuchen, die bei einem Raubüberfall erschossen wurde, lehnt er das rundweg ab. Erst als er erfährt, dass in seiner Brust das Herz der ermordeten Gloria schlägt, ändert er seine Meinung. Die ermittelnden Polizisten vom LAPD sind alles andere als begeistert, dass sich ein Privatschnüffler einmischt. Einzig Jaye Winston vom County-Sheriff-Büro ist Terry noch was schuldig und besorgt ihm alle Unterlagen sowie Videos des Falls. Durch mühselige Aktendurchsicht findet McCaleb tatsächlich Verbindungen zu ähnlich gelagerten Fällen und glaubt nicht an einen schlichten Raubüberfall. Seine Vermutung, dass ein Serienkiller am Werk ist, bringt wiederum das FBI auf den Plan und auch die wollen McCaleb nur ausbooten.

Den Thriller habe ich vor Jahren gelesen, konnte mich aber nicht mehr so richtig daran erinnern. Also habe ich mir noch mal das Hörbuch vorgenommen. Blood Work ist durchgehend spannend inszeniert, zu Beginn haben wir richtig emotionale Momente, wenn Terry den kleinen Sohn der ermordeten Gloria kennenlernt, ihn und Graciela auf sein Boot einlädt und ihm Angeln beibringt. Der Mittelteil verfängt sich ein bisschen in dem Dienstgerangel zwischen LAPD, Sheriff und FBI. Wir begleiten Terry bei der Spurensuche und Verfolgung der einzelnen Indizien. Terry, der durch die schwere Operation noch gehandicapt ist, lässt sich dabei von seinem Nachbarn und gutem Freund Buddy zu den einzelnen Zeugen fahren, um die Hinweise zusammen zu setzen. Die Auflösung ist dann wieder eine große Überraschung. Richtige Old-school-Vibes entstehen, wenn McCaleb in Telefonzellen telefoniert oder wichtige Anrufe verpasst, weil er vergisst, den Anrufbeantworter abzuhören. Überrascht wurde ich durch den Einsatz von Hypnose bei der Vernehmung, die ausführlich beschrieben wurde. Meiner Meinung nach schreibt Connelly inzwischen authentischer mit mehr Gewicht auf der glaubwürdigen Beschreibung des Polizeialltages, aber unterhaltsam war Blood Work allemal.

2002 wurde der Stoff unter der Regie von Clint Eastwood verfilmt, der auch die Hauptrolle übernahm, allerdings in wichtigen Teilen vom Roman abweicht.

Apropos Film, unser Rückblick soll sich ausdrücklich auch auf Crime Fiction auf der Leinwand erstrecken. Hier fällt auf, dass der Trend zu Krimi-/Actionkomödien gerade wohl auf dem Höhepunkt war. „Rush Hour“ und „Lethal Weapon 4“ zählten zu den meistgesehensten Filmen des Jahres. Einziger Genrefilm, der bei den Oscars 1998 etwas Zählbares mitnahm (mehr war gegen „Titanic“ nicht drin), war „L.A.Confidential“ aus dem Vorjahr (Kim Basinger als beste weibliche Nebenrolle und Curtis Hanson und Brian Helgeland für das beste adatierte Drehbuch nach dem Roman von James Ellroy).

Bemerkenswert bei den deutschen Filmen waren aus unserer Sicht vor allem zwei Werke. Zum einen Hans-Christian Schmids Film „23 – Nicht ist so wie es scheint“ um einen Gruppe westdeutscher Hacker, die irgendwann Spionage für den KGB betreiben. Herausragend das Spiel von August Diehl in der Figur des zunehmend paranioden Karl Koch. Zum anderen der wahrscheinlich auch internation bekannteste deutsche Film des Jahres: „Lola rennt“ von Tom Tykwer.

Lola rennt

In dem spannenden Film muss Lola drei Mal durch die Straßen von Berlin rennen, um ihrem Freund Manni aus der Patsche zu helfen. Der Kleinganove, gespielt von Moritz Bleibtreu sollte als Geldkurier für einen Autoschieber jobben, doch nach der Geldübergabe hatte er die Plastiktüte mit den 100.000 DM in der U-Bahn liegen gelassen. Verzweifelt ruft er aus einer Telefonzelle Lola an, denn sein Chef will in 20 Minuten das Geld abholen. Und mit Gangsterboss Ronny, gespielt von Heino Ferch, ist nicht zu spaßen. Zwecks Geldbeschaffung will der verzweifelte Manni einen Supermarkt überfallen. Lola hat 20 Minuten Zeit, das Geld anderweitig zu besorgen und das Leben ihres Geliebten zu retten. Ein Lauf gegen die Zeit um Leben und Tod.

Das Filmplakat mit der rennenden Franka Potente als rothaarige Lola habe ich immer noch vor Augen. Als der Thriller vor 25 Jahren in die Kinos kam, überraschte er durch seine Originalität sowie innovativen Ideen. Ähnlich einer Zeitschleife wird dreimal dieselbe Zeitspanne von 20 Minuten gezeigt, jedes Mal mit minimalen Unterschieden, die zu alternativen Abläufen führt. Schmetterlingseffekt sozusagen! Dabei ändert sich nicht nur Lolas eigene, sondern auch die Zukunft aller Personen, auf die sie während ihres Laufs trifft. Deren Zukunft wird in sekundenkurzen Sequenzen von Fotostrecken in den verschiedenen Varianten wiedergegeben.

Der kommerziell äußerst erfolgreiche Film wurde auch im Ausland extrem gefeiert und bedeutete für Regisseur und Produzent Tom Tykwer den großen Durchbruch. Der Film ist gespickt mit visuellen Spielereien, die man so zu dieser Zeit noch nicht gesehen hatte. Realfilmszenen wechseln sich mit kurzen Zeichentrickpassagen ab. Rasante Schnitte im Stakkato-Rhythmus und die dazu passende treibende Techno-Musik geben dem Film ein ungeheures Tempo. Und grade mit dieser Dynamik fängt der Film das Lebensgefühl der damaligen Zeit ein. Dazu die ausdruckstarke Franka Potente in der Titelrolle, die auch für sie der Durchbruch zum Star bedeutete.

Ein actiongeladener Thriller und eine Gangsterballade, in der es um die Macht des Schicksals und um die Liebe geht.

 

Fotos, Rezensionen und Begleittext von Andy Ruhr und Gunnar Wolters.

Das zweite Herz | Im Original erschienen 1998 bei Little, Brown and Company
Das Hörbuch erschien am 01. April 2008 im audio media verlag | Gekürzte Lesung von Engelbert von Nordhausen
ISBN 978-3-86804-471-3
6 Audio-CDs (Gesamtspielzeit: ca. 473 Minuten) | 7,98 €
Originaltitel: Blood Work | Übersetzung aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb

Lola rennt | Kinostart am 20. August 1998
Die Blue-Ray erschien am 27. Mai 2011
Laufzeit 1 Std. 19 Min. | FSK 12 | 6,22 €

Vor 10 Jahren: Krimibestenliste Februar 2013 & Reginald Hill | Rache verjährt nicht

Vor 10 Jahren: Krimibestenliste Februar 2013 & Reginald Hill | Rache verjährt nicht

Eine neue Rubrik möchten wir dieses Jahr auf dem Blog einführen. Unter dem Motto „Asservatenkammer“ holen wir in unregelmäßigen Abständen bestimmte Momente in Bereich „Crime fiction“ hervor, öffnen die Box und schauen mal was drin. Zum Anfang schaue ich auf eine Institution in der deutschen Krimilandschaft. Seit nunmehr fast zwanzig Jahren stellt eine Riege von Krimikriteriker:innen unter der Leitung von Tobias Gohlis ihre monatliche Bestenliste zusammen. Die Liste weicht dabei wohltuend von den Bestsellerlisten ab und stellt – abweichende Meinungen zu einzelnen Titeln eingeschlossen – sicherlich für den anspruchsvollen Krimileser eine Referenz dar. Nun werfen wir aber mal einen Blick zurück auf eine konkrete Liste, nämlich auf die Februarliste vor genau zehn Jahren.

KrimiZeitBestenliste Februar 2013:

Platz 1 | Reginald Hill | Rache verjährt nicht
Platz 2 | Friedrich Ani | Süden und das heimliche Leben
Platz 3 | Mike Nicol | Killer Country
Platz 4 | Åsa Larsson | Denn die Gier wird euch verderben
Platz 5 | Nick Stone | Todesritual
Platz 6 | Roger Smith | Stiller Tod
Platz 7 | Merle Kröger | Grenzfall
Platz 8 | Håkan Nesser | Am Abend des Mordes
Platz 9 | Rick DeMarinis | Götterdämmerung in El Paso
Platz 10 | Nicci French | Eisiger Dienstag

Ich musste feststellen, dass ich von dieser Liste lediglich Platz 7 gelesen habe. „Grenzfall“ von Merle Kröger ist aber auch heute noch unbedingt eine Empfehlung wert, ist dieser Kriminalroman (und Road Movie) um Flüchtlinge und speziell Roma immer noch aktuell und politisch relevant.

Ansonsten eine interessante Liste mit einigen Autoren, die auch in letzter Zeit noch auf der Krimibestenliste standen. Åsa Larssons Rebecka-Martinsson-Reihe reicht bis heute, genauso Inspektor Gunnar Barbarotti von Håkan Nesser. Friedrich Ani ist nach wie vor eine Referenz im deutschen Krimi, auch wenn man von Tabor Süden schon ein paar Jahre nichts mehr gelesen hat. Neben Schweden bildet auch der Schauplatz Südafrika mit Mike Nicol und Roger Smith einen kleinen Schwerpunkt. Während letzterer zuletzt unter seinem Pseudonym James Rayburn veröffentlichte, hat man von Nick Stone nach diesem letzten Band der Voodoo-Trilogie um Max Mingus nicht mehr allzuviel gehört. Das Autoren-Duo Nicci Gerrard und Sean French sind nach wie vor produktiv. „Eisiger Dienstag“ war der zweite Band der erfolgreichen achtbändigen Reihe um die Psychotherapeutin Frieda Klein.

Zwei Autoren sind inzwischen verstorben. Im Juni 2019 verstarb Rick DeMarinis. Bereits vor dieser Liste war zudem Reginald Hill im Januar 2012 verstorben. Bekannt vor allem durch seine Reihe um den griesgrämigen Detective Superintendant Dalziel war „Rache verjährt nicht“ ein Stand Alone. Hill war für mich bislang ein weißer Fleck in meiner Leseliste, sodass ich aus diesem Anlass mir die Nr.1 der Februarliste aus 2013 auch vorgenommen habe.

 

Reginald Hill | Rache verjährt nicht

Wilfried, genannt Wolf, Hadda hat es geschafft. Der Mann aus einfachen Verhältnissen, Sohn eines Forstverwalters im nordenglischen Cumbria, hat die attraktive Tochter des lokalen Lords geheiratet, ist Vater einer inzwschen Teenagertochter, hat eine äußerst erfolgreiche Investmentfirma aufgebaut und ist sogar zum „Sir“ geadelt worden. Doch eines frühen Morgens steht die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür. Zu Haddas großem Entsetzen sind sie nicht nur auf der Spur nach nicht ganz sauberen Finanztransaktionen, sondern findet umfangreiches kinderpornografisches Material, scheinbar mit Hadda als Akteur. Dieser ist außer sich, beteuert seine Unschuld, flieht vor einem Haftprüfungstermin aus dem Gericht – und wird vor der Tür vom einem Bus angefahren. Er erwacht neun Monate später als Krüppel und im Gesicht entstellt wieder auf. Die Würfel sind inzwischen längst gefallen. Er wird zu einer langen Haftstrafe verurteilt, wenig später lässt sich seine Frau vor ihm scheiden und heiratet seinen Anwalt.

Im Gefängnis isoliert er sich zunehmend, doch irgendwann akzeptiert Hadda die Besuche der jungen Psychologin Dr. Alva Ozigbo. Hadda besteht weiterhin auf seine Unschuld, versucht darzulegen, dass er das Opfer eines Komplotts wurde. Doch Dr. Ozigbo glaubt, dass er sich nicht mit seinen Taten auseinandersetzen will. Hadda ist aber vollkommen klar: Eine positive Einschätzung der Psychologin ist essentiell für eine vorzeitige Haftentlassung.

Alva machte eine Notiz, dem nachzugehen, und nahm dann den Rest der Zelle in Augenschein. Nur ihre Leere sagte etwas über die Persönlichkeit ihres Bewohners aus. Er war, als hätte Hadda beschlossen, keine Spur seines Daseins zu hinterlassen. Sie entdeckte allerdings ein einziges Buch, eine zerlesene Taschenbuchausgabe von Der Graf von Monte Christo. Als Proctor sah, dass sie das Buch musterte, sagte er sarkastisch: „Keine Sorge, Miss. Wir suchen regelmäßig alles nach Tunneln ab.“ (Auszug S.102)

Ohne zu viel zu spoilern, kann ich verraten, Hadda kommt irgendwann frei und natürlich will er wissen, wer ihn ins Gefängnis gebracht und sein Leben zerstört hat. Der Graf von Monte Christo lässt grüßen. Überhaupt lässt Reginald Hill immer wieder Verweise auf Dumas, Dickens und andere Literaturgrößen aufblitzen. Die Geschichte ist also ganz klassisch verwurzelt mit den großen Themen Freundschaft, Liebe, Verrat, Schuld, Rache sowie als Mantra immer wieder die „grimmige Notwendigkeit“ unliebsame Dinge unsentimental zu erledigen.

Der Autor erweist sich als sehr versierter Erzähler, beginnend im Prolog mit drei kurzen Episoden, die einige Hintergründe einzelner Figuren beleuchten, ohne dem Leser vorweg zu viel zu verraten, und im Weiteren in verschiedenen Erzählebenen vor, während und nach Haddas Haft. Besonders reizvoll dabei das Aufeinandertreffen Haddas mit seiner Psychologin, wie überhaupt für mich die Dialoge aus dem Roman herausstechen. Hervorzuheben ist natürlich die Skizzierung der Figur Wulf Hadda, ein impulsiver, sehr intelligenter Mann, ein Wolf of the Wall Street, aber ein liebender Ehemann und Vater. Oder doch nicht? Der Leser kann sich nie ganz sicher sein. Dass ihm übel mitgespielt wurde, deutet sich an, aber Wolf scheint kein Kind von Traurigkeit zu sein. Wie weit wird seine Rache gehen, was ist ehrlich gemeint und was täuscht er nur vor?

Der Roman, im Original „The Woodcutter“, war tatsächlich der letzte zu Lebzeiten veröffentlichte Roman Reginald Hills. Seine vierzigjährige Karriere als Krimiautor war äußerst erfolgreich, vor allem mit der Serie um Andrew Dalziel und Peter Pescoe aus Yorkshire. Mit „Rache verjährt nicht“ schrieb er zuletzt nochmal einen, trotz seiner Länge sehr süffig zu lesenden und niemals langweiligen klassischen Stand Alone, der immer hin zwei Monate auf der Nummer 1 der Krimibestenliste stand.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Rache verjährt nicht | Erschienen am 21.01.2013 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-46473-1
686 Seiten | 9,99 €
Originaltitel: The Woodcutter | Übersetzung aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Bibliografische Angaben & Leseprobe