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Stephen King | Mr. Mercedes Bd. 1 ♬

Stephen King | Mr. Mercedes Bd. 1 ♬

Bill-Hodges-Serie Band 1

In einer Kleinstadt im Mittleren Westen der USA haben sich schon vor Sonnenaufgang Hunderte Arbeitssuchende vor der Stadthalle versammelt. Jeder will der erste sein, wenn das Jobcenter öffnet. Da passiert das Unvorstellbare: Ein grauer Mercedes SL 500 rast ohne Vorwarnung in die Menge, setzt sogar noch mal zurück und nimmt erneut Anlauf. Es gibt jede Menge Schwerverletzte und acht Tote, darunter eine Mutter und ihr Baby. Der Wagen wird später gefunden, während der Fahrer unerkannt entkommen kann.

Der fette Excop

Monate später ist der kaltblütige Terrorakt immer noch nicht aufgeklärt und belastet den inzwischen pensionierten Detective Bill Hodges. Der übergewichtige Rentner verbringt seine Zeit in trostloser Stumpfsinnigkeit mit TV-Talkshows, Alkohol und zu fettem Essen. Ein einsamer Mann, der nach seiner Scheidung mit Depressionen dahinvegetiert, seine Dienstwaffe immer in Reichweite.

Das ändert sich, als Hodges plötzlich einen Brief vom Täter erhält, der sich mit dem grausamen Blutbad brüstet und ihn mit Hohn und Spott überschüttet. Er nennt sich Mr. Mercedes und weiß über diverse Einzelheiten der Tat Bescheid. Er erwähnt zum Beispiel Olivia Trelawney, von der er den Mercedes gestohlen hat. Die rechtmäßige Besitzerin hatte aufgrund von Schuldgefühlen kurz darauf Selbstmord begangen. Ziel des Briefes ist es, den Excop zu verunsichern und auch in den Suizid zu treiben. Doch Hodges münzt die Provokationen um und lässt endlich die Fernbedienung fallen. Aus seiner Apathie erwachend nimmt er die Herausforderung an. Anstatt seine ehemaligen Kollegen zu informieren, ermittelt er auf eigene Faust. Es entbrennt ein spannendes Katz- und Mausspiel über ein Chat-Forum, denn Mr. Mercedes lädt ihn ein, über eine Internetseite namens „Under Debbies Blue Umbrella“ mit ihm zu kommunizieren.

Der harmlose Eismann

Der Mörder bleibt für den Hörer kein Geheimnis, sondern wird in einem zweiten Handlungsstrang präsentiert. Brady Hartsfield ist ein junger unauffälliger Mann, der sich und seine Mutter mit zwei Jobs über Wasser hält. Als Servicemitarbeiter in einem Elektroladen ermöglicht ihm die Arbeit den Zugang zu vielen Wohnungen und zu Computern in vielen Haushalte. Zusätzlich fährt er als Verkäufer in einem kleinen bunten Eiswagen unbehelligt durch die Straßen, wobei er unbemerkt Hodges und seine Nachbarn beobachten kann. Immer darauf achtend, dass seine Verachtung und sein Hass für die zumeist junge Kundschaft nicht bemerkt wird. Im Keller hat sich der psychisch kranke und gestörte Mann einen Raum voller Computer und Elektronik eingerichtet. Mit seiner Mutter Debby, einer Alkoholikerin, verbindet ihn eine inzestuöse Hassliebe. Die Reaktion von Bill Hodges macht ihn ungeheuer wütend und dadurch nimmt sein krimineller Wahnsinn immer mehr Fahrt auf, bis er vollständig die Kontrolle verliert. Verschiedene Rückblenden erlauben Einblicke in Bradys seelische Abgründe inklusive gruseliger und verstörender Bilder.

Die Underdogs

Bill Hodges, unbeholfen im Umgang mit elektronischen Geräten, holt sich Hilfe bei einem Computer-affinen Nachbarsjungen. Jerome, ein aufgeweckter Jugendlicher, der ihm regelmäßig für ein Taschengeld den Rasen mäht, steht ihm nicht nur in Fragen des Internets zur Seite. Während seiner Recherchen lernt Hodges die Familie der verstorbenen Olivia Trelawney kennen und insbesondere die depressive, verhaltensgestörte Nichte Holly ist bald ein wichtiges Mitglied des Teams.

Fazit

Trotz einiger Zufälle, die die Geschichte weiterbringen und trotz einiger Klischees, an denen sich Stephen King bedient, hat mir der Thriller großen Spaß gemacht. Das liegt einmal an der tollen Schreibweise des Autors und an der durchgängigen Spannung, denn immer wieder sorgt Unvorhergesehenes für Überraschung und es kommt zu einigen Verwechslungen mit Todesfolge.

Der Auftakt ist, wenn auch schwer zu ertragen, ungeheuer fesselnd und aufwühlend, denn Stephen King hat ein feines Gespür für die Abgründe einer Gesellschaft. Er nimmt sich sehr viel Zeit um seine Geschichte ruhig und gemächlich aufzubauen und seine Figuren und deren ganz gewöhnliche Leben dem Hörer näher zu bringen. Seine große Stärke sind für mich die authentischen Figurenbeschreibungen, wobei er besonders mit dem Sympathieträger Bill Hodges punktet.

Die Beschreibungen der Menschen in der Arbeitslosenschlange in einer von der Wirtschaftskrise gebeutelten Stadt sind beklemmend genau. Indem King zwei Opfer des wahnsinnigen Anschlages heraus nimmt, um sie detailliert mit ihren Hoffnungen und Sehnsüchten auf den langersehnten Arbeitsplatz zu skizzieren, ist man als Hörer oder Leser sehr nah an den Figuren dran und fiebert mit ihnen mit. Sehr unterhaltsam fand ich auch die kleinen Anspielungen des Autors auf frühere Werke, wenn zum Beispiel auf dem Beifahrersitz des leeren Mercedes eine Clownsmaske gefunden wird. King erfindet den Thriller nicht neu, es ist ein klassischer, fast altmodischer Krimi aber auf die gute altmodische Art.

Mr. Mercedes ist der Auftakt zu einer Trilogie rund um den Ermittler Bill Hodges. Und die Szenen sind derart bildhaft beschrieben, dass es mich gar nicht verwundert hat, dass es tatsächlich eine Verfilmung gibt. Basierend auf Kings Vorlage Mr. Mercedes wurde eine gleichnamige Fernsehserie mit bisher zwei Staffeln ausgestrahlt. Die Geschichte hat mich sehr in den Bann gezogen und die Charaktere werden durch die hervorragende Lesung von David Nathan unglaublich lebendig.

Der Autor

Für die meisten Fans ist Stephen King der Meister des Horrors, bekannt und geliebt dafür, dass in seinen Werken immer viel Übersinnliches und Geisterhaftes geschieht und viel Blut fließt. Dennoch hat er nicht zum ersten Mal, so wie in diesem Thriller, das klassische Horror-Genre verlassen.  Der Vielschreiber legt einen Bestseller nach dem anderen vor und ist mit einem weltweiten Verkauf von über 400 Millionen verkauften Exemplaren einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. 2003 bekam er den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 ehrte ihn der damalige Präsident der Vereinigten Staaten Barack Obama mit der National Medal of Arts. Mr. Mercedes gewann im Mai 2015 den „Edgar Allan Poe Award“.

Das war mein erster richtiger King und es wurde wirklich Zeit, dass ich mich intensiv mit diesem Ausnahmeschriftsteller beschäftigt habe!

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Mr. Mercedes |Das Hörbuch erschien am 8. September 2014 bei RandomHouse Audio
ISBN 978-3-8371-2639-6
1 mp3 CD | 19.99 Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesung: 16 Stunden 30 Minuten
Original-Titel: Mr. Mercedes
Sprecher: David Nathan
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Mini-Spezials Stephen King.

Gabriella Wollenhaupt | Grappas Gespür für Schnee

Gabriella Wollenhaupt | Grappas Gespür für Schnee

Grandi musterte mich neugierig. Ich machte keinerlei Anstalten, mich vorzustellen. Leider wusste Kleist, was sich gehörte, und nannte meinen Namen. „Sie sind Frau Grappa?“ Sie lachte. Es klang, als würde sich eine Katze erbrechen. (Auszug Seite 46)

Maria Grappa ist rasende Investigativ-Reporterin beim örtlichen Brierstädter Tageblatt, dort hauptsächlich mit kommunalpolitischer Berichterstattung betraut. Ihr zur Seite steht der Pressefotograf Pöppelbaum, der ihre scharfzüngigen Artikel bebildert. Jansen, der Chef der Tageszeitung, weiß um Marias Verbissenheit und journalistischen Qualitäten. Sie selbst zweifelt etwas an ihrem Lebensentwurf, ist sie doch inzwischen in den Fünfzigern, nicht verheiratet und kinderlos und offiziell auch in keiner Beziehung. Allerdings hat sie eine nicht näher definierte intime Beziehung zum Bierstädter Hauptkommissar der Mordkommission, Dr. Friedemann Kleist, mit dem sie auch beruflich eng zusammenarbeitet.

Grappas Gespür für Schnee (aus dem Jahr 2009) ist bereits der 19. Band dieser gerade erst von mir zufällig bei einem Bücherflohmarkt entdeckten Krimireihe. Ich war ganz schön erstaunt ob der Schreibfreudigkeit der Autorin Gabriella Wollenhaupt, hat sie doch von 1993 bis dato immerhin 30 Teile dieser hervorragend spitzbübischen Krimis veröffentlicht, dazu alle im selben Verlag. Doch ich war auch erfreut, denn ich muss sagen, dass ich von der ersten bis zur letzten Seite ausgezeichnet unterhalten wurde. Gabriella Wollenhaupt tut sich humoristisch nicht durch derbe Plattitüden und abgedroschene Phrasen hervor, sondern hat einen augenzwinkernden, intelligenten Blick auf die Spezies Mensch und vermag es, Ihren Figuren Leben einzuhauchen, so dass sie für den Leser Gestalt annehmen. Ich vermute, dass, liest man weitere Bände, sich ein sukzessiv verfeinernder Eindruck der wiederkehrenden Charaktere einstellen wird.

Im vorliegenden Titel geht es zuerst nur um ein Gerücht, nämlich dass im Rathaus, insbesondere im Umfeld des Oberbürgermeisters Nagel, gekokst wird. Grappa begibt sich auf Spurensuche und stolpert ziemlich rasch unverhofft über die Tote Jessica Brühl, die im Büro des OBs Dienst tat, bis sie zwei Wochen zuvor entlassen wurde. Auf dem Handy der Toten finden sich eindeutige Fotos der Bierstädter Politprominenz bei ausgelassenen Orgien mit leicht bekleideten Damen in eindeutigen Posten und es stellt sich die Frage, ob im Rathaus von Bierstadt freizügige Orgien auf Staatskosten abgehalten wurden. Als kurz darauf ein junges Brautpaar unmittelbar nach der Trauung vor dem Rathaus erschossen wird und sich herausstellt, dass die tote Braut Sekretärin im SPD-Parteibüro war und hoch abgefunden wurde, ist Grappa nicht mehr zu bremsen. In einem Wettlauf mit der schräg aufgedonnerten und unmöglich wirkenden Milva Grandi – Konkurrentin bei der BILD – folgt sie ihren Instinkten und beißt sich an der Story fest.

Als Tatortermittler kommt Dr. Friedemann Kleist ins Spiel und ich muss sagen, dass ich die Scharmützel der beiden ziemlich amüsant fand. Es gibt, wie schon gesagt, die berufliche und die private Ebene zwischen den beiden. Und es wird deutlich, dass beide sich aus Angst in Zurückhaltung üben, wobei die Hintergründe in diesem Buch nicht offenbart wurden. Doch ich hatte den deutlichen Eindruck, dass Dr. Kleist nicht erst in Band 19 installiert wurde. Für gewöhnlich finde ich all zu ausufernde private Nebenschauplätze lässlich bis störend, aber es gelingt der Autorin, dass die Gemengelage homogen aufgeht.

Gabriella Wollenhaupt glänzt durch Wortwitz, Menschenkenntnis, Recherchevermögen und einem sehr angenehmen flüssigen Schreibstil. Kategorisieren würde ich den Krimi als humorvolle Geschichte, komischen Krimi. Aber er zeichnet auch ein sehr bekanntes Bild von lokalpolitischem Filz, weshalb man als Politikinteressierter einmal mehr auf seine Kosten kommt. Grappas Gespür für Schnee ist ein leichter Krimigenuss, der nicht durch Blödeleien und Flachwitze langweilt und dessen Auflösung man entgegenfiebert! Für mich ist „Grappa“ eine wunderbare Entdeckung, die ich gerne weiterempfehle.

 

Rezension und Foto von Nora.

Grappas Gespür für Schnee | Erschienen am 19. Mai 2009 im Grafit Verlag
ISBN 978-3-89425-359-2
252 Seiten | 8.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Don Winslow | Jahre des Jägers Bd. 3

Don Winslow | Jahre des Jägers Bd. 3

Art Keller hat den größten Teil seines Lebens in einem Krieg auf der anderen Seite der Grenze gekämpft, und jetzt ist er zu Hause. Der Krieg ist mit ihm gekommen. (Auszug Seite 10)

Winslows letzter Teil der Trilogie über den Drogenkrieg in Mexiko ist nicht nur inhaltlich ein Schwergewicht. Bei fast Tausend Seiten Hardcover und einem Gewicht von über einem Kilo sehnte ich mich nach meinem E-Book-Reader.
Jahre des Jägers knüpft nahtlos an Band zwei mit dem Verschwinden von Adán Barrera im guatemaltekischen Dschungel an. Rückblick: Nach zwanzig Jahren hatte Art Keller Barrera endlich in den USA hinter Gitter gebracht, nur um dann hilflos mit ansehen zu müssen, wie dieser in ein mexikanisches Hochsicherheitsgefängnis verlegt wurde, aus dem ihm prompt die „Flucht“ gelang. Als Pate des Sinaloa-Kartells gelang er anschließend zu mehr Macht als je zuvor.

Im Dschungel verschollen

Barrera wollte als Chef der Sinaloaner die verhassten Zetas mit einem vermeintlichen Versöhnungsvorschlag in einem kleinen zentralamerikanischen Dorf in eine Falle locken und liquidieren. Die Operation ging allerdings komplett schief und das Oberhaupt des Sinaloa-Kartells ist seither verschollen. Anfang 2014 lässt sich Keller, der mit Politik nie viel am Hut hatte, überreden und nimmt den Posten des Direktors der DEA an. An der Spitze der Drug Enforcement Administration will der Idealist alles daransetzen um besonders die Heroin-Epidemie einzudämmen. Denn durch den mutmaßlichen Tod von Adán Barrera ist der Zustrom an Drogen keinesfalls ins Stocken geraten. Besonders der Import von Heroin hat sich vervielfacht und so viele Amerikaner wie noch nie sind opiatabhängig. Während die Zahl der Drogentoten massiv ansteigt, werden auch immer ausgeklügeltere Transportwege gefunden.

Derweil Keller und seine Lebensgefährtin Dr. Marisol Cisneros heiraten und nach Washington ziehen, entbrennt ein Kampf um die Nachfolge und damit auch um den Aufstieg und Verfall mehrerer mexikanischer Mafiafamilien. „Du hast den Wolf getötet und die Kojoten treiben ihr Unwesen“ denkt Keller, denn es wird schlimmer als vorher. Ein nie dagewesenes, unüberschaubares Hauen und Stechen mit immer größer werdender Gewalt-Spirale sorgt für Chaos in der Bevölkerung und bringt so durchgeknallte Typen hervor wie „La China“, die sadistisch-irre Sicherheitschefin eines Kartells. Sie liebt es, ihre Opfer zu massakrieren und die abgetrennten, farblich angesprühten Gliedmaßen zu verteilen, um ihr Revier zu markieren.

Mullen spricht das Offensichtliche aus. Als nur Schwarze in Brooklyn starben, hat sich bei Entertainment Tonight niemand dafür interessiert. Eine Epidemie haben wir erst, seitdem weiße Jugendliche in den Vorstädten und berühmte Schauspieler in Manhattan sterben. (Seite 212)

Los Hijos

Die verwöhnten Söhne der Drogenbarone, die alle als potenzielle Thronanwärter antreten, wollen die Gebiete neu aufteilen und ringen skrupellos um die Macht mit den anderen Clans. Winslows stimmige Beobachtungen dieser verzogenen, gelangweilten Jungs sind genau und total auf dem Punkt. Man sieht sie vor sich in ihren Schnellbooten, auf wilden Partys feiernd oder mit vergoldeten Maschinenpistolen in Youtube-Videos posierend. Sie sind noch nicht trocken hinter den Ohren, scharren aber schon mit den Hufen, um in die blutigen Fußstapfen ihrer Väter zu treten.

Die brutalen Kämpfe fordern zahlreiche Opfer und einige Schilderungen sind wirklich schwer zu ertragen. Dabei wird das Morden und Foltern nur knapp beschrieben und nie voyeuristisch ausgebreitet. Tatsächlich beruhen die schlimmsten Passagen auf wahren Begebenheiten, wie zum Beispiel das Massaker von Iguala. 2014 verschwanden vierzig ahnungslose Studenten in der mexikanischen Kleinstadt. Später wurden die unschuldigen Jugendlichen teilweise verscharrt auf einer Müllkippe gefunden. Reale Verbrechen werden von Don Winslow kunstvoll fiktional ergänzt und in eine Geschichte geformt. Die Grenzen sind dabei fließend.

Jahre des Jägers ist viel politischer als die beiden vorherigen Bände. Ein wesentlicher Teil des Thrillers spielt in den USA, wo ein neuer US-Präsident gewählt wird. Der Kandidat der Republikaner ist John Dennison, der früher als Reality-TV-Star, Immobilientycoon und auf Twitter aufgefallen und unschwer als Donald Trump zu erkennen ist. Ausgerechnet Dennisons Schwiegersohn Jason Lerner fädelt einen 280 Millionen US-Dollar-Deal um eine Großimmobilie ein und schreckt dabei auch nicht vor dem Einsatz von Drogengeldern zurück. Keller will dieses betrügerische Syndikat-Manöver verhindern und schleust einen Undercover-Agenten ein. Bei der DEA findet er kaum noch Unterstützung und er ahnt, dass er nach der Amtseinführung Dennisons seinen Posten räumen muss. Diese hochdramatischen Szenen werden spannend und überzeugend erzählt.

Wenn der Teufel kommt, denkt Keller, dann kommt er nicht mit leeren Händen. Er stellt dir ein „größeres Gutes“ zur Wahl, damit du das Böse rational begründen kannst. Solche Deals bin ich mehr als einmal eingegangen. Das ist genial, weil verlockend – denk doch mal, was du alles Gutes bewirken könntest, wenn du Lerner vom Haken lässt. (Seite 599)

Flucht im Todeszug

Der Thriller setzt sich aus vielen verschiedenen Storylines zusammen, wobei Keller zwischen Junkies, Polizisten, Dealern, Kleinkriminellen und Mafiabossen fast in den Hintergrund rückt. Winslow nimmt wieder die Position des neutralen Erzählers ein. Bei dem ausufernden Personentableau kann man leicht den Überblick verlieren. Vielleicht war das aber auch die Absicht des Autors und es soll genau die Realität widerspiegeln. Bei den täglichen Gräueltaten vergisst man auch schnell wieder einzelne Opfer. Es gibt so viele tragische Schicksale und Don Winslow will von allen erzählen. Er legt damit den Finger in die Wunde, denn der fast 50 Jahre dauernde nicht in den Griff zu kriegende Drogenkrieg ist ein großes Trauma für viele Amerikaner.

Geschildert werden nicht nur die Machtkämpfe der Drogenkartelle und auf der anderen Seite die Arbeit der Ermittlungsbehörden, sondern auch die Aktivitäten der Konsumenten sowie die Verstrickungen der Politiker. Es gibt Erzählstränge über die Situation Drogenabhängiger oder die eines verzweifelten Undercover-Cops. Bewegend auch die Geschichte eines südamerikanischen Flüchtlingskindes. Der zehnjährige Nico, wegen seiner Schnelligkeit Nico Rapido genannt, kämpft in Guatemala-City auf einer Müllhalde ums Überleben. Auf über fünfzig Seiten verfolgen wir seine abenteuerliche Flucht ins gelobte Land mit dem Güterzug, den alle nur „La Bestia“ nennen. Nico Rapido schafft es, aber nur um dann in die Fänge von Banden zu geraten.

Fazit: Ein Pageturner

Fast 1000 Seiten aber kein Satz zu viel in diesem hochkomplexen, intelligenten Thriller. Durch ständigen Perspektivwechsel entsteht eine Rasanz und man liest gebannt weiter, weil man wissen will wie es mit den Figuren weitergeht. Man trifft auch einige Bekannte wie den ehemaligen Killer Sean Callan wieder und da hätte ich gerne noch mehr erfahren, denn der verschwindet dann auf einmal sang- und klanglos in der Versenkung. Das ist auch schon mein einziger kleiner Kritikpunkt. Und dann ist da natürlich der unbarmherzige Jäger „Arturo“ Keller, der angeschlagene Held, der seinen Kampf jetzt verbissen vom Schreibtisch aus führt.

Mit erzählerischer Wucht arbeitet sich der amerikanische Autor schonungslos an dem Wahnsinn des mexikanischen Drogenkriegs und an der US-Politik ab. Präzise recherchiert und mit vielen pointierten Dialogen macht er deutlich, dass die USA selbst am meisten vom Drogenhandel profitieren. Er plädiert für eine Legalisierung aller Drogen, denn er sieht das Problem eher als soziales und gesundheitliches an. Mir fällt kein passender Superlativ ein. Einfach ganz großes Kino und ein würdiger Abschluss der Trilogie!

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Jahre des Jägers | Erschienen am 27. Februar 2019 bei Droemer Knaur
ISBN 978-3-426-28219-9
992 Seiten | 26.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Rezension zu Corruption von Don Winslow sowie dem ersten Band der Kartell-Trilogie, Tage der Toten und die Fortsetzung Das Kartell (Bd. 2).

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Mini-Spezial Die Kartell-Trilogie von Don Winslow.

Don Winslow | Das Kartell Bd. 2

Don Winslow | Das Kartell Bd. 2

Der sogenannte Krieg gegen die Drogen ist ein Karussell. Fliegt einer raus, steigt sofort der Nächste ein. Und solange die Gier nach Drogen unersättlich ist, bleibt das so. Der gierige Moloch aber lauert auf dieser Seite der Grenze.
Was die Politiker nie verstehen oder auch nur zur Kenntnis nehmen: Das sogenannte mexikanische Drogenproblem ist nicht das mexikanische Drogenproblem, es ist das amerikanische Drogenproblem.
Ohne Käufer kein Geschäft.
Die Lösung liegt nicht in Mexiko. (Auszug Seite 33)

Sechs Jahre hat sich Don Winslow Zeit genommen und für seine Fortsetzung von Tage der Toten akribisch recherchiert und rausgekommen ist eine wuchtige Fortsetzung seines Meisterwerks. Die Geschichte beginnt im Jahr 2004, Art Keller, US-Drogenfahnder und der Held aus Tage der Toten hat sich in ein Kloster zurückgezogen. Als sein Todfeind, der von ihm ins Gefängnis gebrachte mexikanische Drogenbaron Adán Barrera, einst sein bester Freund, allerdings ausbricht und eine Belohnung auf seinen Kopf aussetzt, ist es mit der Ruhe vorbei. Kellers Ruf in Washington ist zwar arg ramponiert, doch man glaubt noch, ihn bei der Jagd auf Barrera gebrauchen zu können und gibt ihm einen Job als Verbindungsoffizier in Mexico City zu einer Taskforce mit zwei mexikanischen Behörden. Keller hat zwar keine weiteren Befugnisse, nutzt seine Kontakte aber weidlich aus. Die beiden hochrangigen mexikanischen Beamten in dieser Taskforce machen einen engagierten Eindruck, doch kann Keller ihnen trauen, wo der mexikanische Staat doch weitgehend von den Narcos korrumpiert scheint?

Währenddessen schickt sich Adán Barrera an, seine Machtposition innerhalb der Kartelle wieder auszubauen. Er kontrolliert als Erster unter Gleichen das Sinaloa-Kartell, doch die Sinoloaner haben ihre Vormachtstellung unter den Kartellen eingebüßt. Es beginnt ein hinterhältiger, rücksichtsloser und unfassbar blutiger Kampf der Kartelle, bei denen vor allem das Golf-Kartell und dessen brutale militärische Gang Los Zetas die großen Rivalen Barreras werden (auf der rückseitigen Klappe des Romans findet sich zur Orientierung eine Landkarte von Mexiko, auf der die vier wichtigen Drogenkartelle eingezeichnet und beschrieben sind).

Andys Eindruck

Der Autor schildert den gnadenlosen Kampf der Drogenkartelle über einen Zeitraum von zehn Jahren in seiner bekannten schnörkellosen Art. Hier ist kein Wort zu viel, alles wird genau auf den Punkt gebracht. Durch häufige Perspektivwechsel und eine bildhafte Sprache entwickelt der Roman von Anfang an einen Sog, der einen nicht mehr loslässt. Im Präsens geschrieben fühlt man sich als Leser mitten im Geschehen.

Winslow zeigt auf, mit welcher Macht die unterschiedlichen Drogenkartelle agieren, wie sie staatliche Strukturen durch Korruption unterwandern. Besonders schockierend wird hier beschrieben, wie Tausende Menschen auf brutalste Weise getötet oder vertrieben werden und wie wehrlos der mexikanische Staat dagegen ist. Es lässt einen fassungslos zurück, dass der Kampf gegen die Drogen praktisch nicht zu gewinnen ist und dass das auch gar nicht gewünscht wird, weil zu viele davon profitieren. Der Drogenhandel zwischen den USA und Mexiko ist ein Milliardengeschäft. Man fragt sich während des Lesens mit einem Kloß im Hals, wie weit das alles der Realität entspricht und viele Szenen, sind mir ob ihrer Brutalität noch lange in Erinnerung geblieben.

„Chuy drückt ab. Knipst dem Mann das Lebenslicht aus. Es fühlt sich gut an. Chuy Jesús Barajos ist gerade zwölf geworden.“ (Seite 244)

Der komplexe Roman verlangt einem, nicht nur wegen der Grausamkeiten alles ab. Die Charakterisierungen der zahlreichen Figuren ist Winslow sehr gut gelungen und man fiebert und bangt mit ihnen mit. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse und die einzelnen Protagonisten wirken dadurch sehr authentisch und menschlich, da man teilweise sogar Verständnis für die Beweggründe entwickelt, nicht nur für den korrupten Journalisten.

Winslow widmet seinen Roman den ermordeten oder „verschwundenen“ Journalisten, gleich am Anfang des Buches in einer zweiseitigen Aufzählung von Namen. Und nicht nur hierbei spürt man seine Wut und das Herzblut, mit dem er die Hintergründe beleuchtet und den Leser schonungslos teilhaben lässt am War on Drugs.

„Dies ist kein Krieg gegen die Drogen. Dies ist ein Krieg gegen die Armen und die Ohnmächtigen, Unhörbaren und Unsichtbaren, die ihr von der Straße fegen wollt wie den Dreck, der euch um die Beine weht und eure Stiefel beschmutzt.“ (Seite 786)

Mein Fazit: Don Winslow ist mit seinem Epos ein sprachlich exzellenter, packender Thriller gelungen, der über 800 Seiten den Spannungsbogen hochhält. Chapeau Mr. Winslow!

Gunnars Eindruck

Don Winslows Wut, die er als Antrieb für seinen Roman Tage der Toten angab, war offensichtlich noch nicht verraucht. Warum auch, denn die Situation im Kampf gegen die Drogen hatte sich seitdem nicht wirklich geändert. Und so legte er diesen zweiten Roman nach (was letztlich in einer Trilogie münden sollte), der vor allem die Zeit ab 2006 beschreibt, in der der Drogenkrieg in Mexiko sich zu einer Art Bürgerkrieg ausweitete. Der Konflikt zwischen den Kartellen, zwischen den Kartellen und mexikanischer Polizei oder Militär oder auch zwischen korrumpierten staatlichen Einheiten und loyalen Einheiten erreichte eine Intensität an Gewalt, die den unbeteiligten Beobachter schaudern lässt. Darunter leidet vor allem die Zivilbevölkerung in den umkämpften Herrschaftsregionen der Kartelle. Man muss gar nicht lange recherchieren, um festzustellen, dass die meisten Ereignisse in diesem Thriller authentisch sind, lediglich die Personen sind fiktiv (wobei auch diese echten Personen teilweise nachempfunden sind).

Die Wucht, die Schnörkellosigkeit der Sätze, auch die Spannung aus dem Vorgängerroman – das alles ist weitgehend noch da. Jedoch habe ich das Gefühl, dass Tage der Toten der geradlinigere und präzisere Roman gewesen ist, obwohl auch dieser mit über 600 Seiten nicht unbedingt kompakt war. In Das Kartell will Winslow meines Erachtens zu viel erläutern, anstatt darauf zu vertrauen, dass der Leser die Zusammenhänge in der (durchaus komplexen) Gesamtlage selbst erkennt. Auch die Eleganz des Vorgängers wird nicht ganz erreicht, stellvertretend dafür das Ausmaß an Gewalt, das Winslow (zwar zutreffend) schildert, für mich zum Ende hin aber mehr aufzählenden Charakter hatte und die Story nicht mehr zusätzlich voran brachte.

Trotz der gerade genannten Einschränkungen halte ich Das Kartell aber dennoch für einen guten, überdurchschnittlichen Thriller, der den Leser zu fesseln weiß und dem es über weite Strecken gelingt, die Intensität des Vorgängers fortzuführen.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr und Gunnar Wolters.

Das Kartell | Erschienen am 1. Juli 2017 bei Droemer Knaur
ISBN 978-3-426-30429-7
832 Seiten | 16.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung Andy: 5.0 von 5.0
Wertung Gunnar: 4.0 von 5.0

Auch bei uns: Rezension zu Corruption von Don Winslow sowie dem ersten Band der Kartell-Trilogie, Tage der Toten.

Weiterlesen: Rezension zu Das Kartell auf dem Blog Crimenoir

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Mini-Spezial Die Kartell-Trilogie von Don Winslow.

Don Winslow | Tage der Toten Bd. 1

Don Winslow | Tage der Toten Bd. 1

Art Keller sieht der DC-4 bei der Landung zu.
Sein Auto steht auf einer Anhöhe über dem Flughafen von Guadalajara, neben ihm sitzt Ernie Hidalgo. Nach einer Weile beobachten sie, wie mexikanische Federales beim Löschen der Fracht helfen. […]
„Und was, glaubst du, steckt in den Kisten?“
„Schokokekse?“
„Häschenpantoffeln?“
„Wir wissen nur, was nicht drinsteckt“, sagt Keller. „Nämlich Kokain. Denn…“
Zusammen beenden Sie den Satz: „…es gibt kein Kokain in Mexiko!“ (Auszug Seiten 133-134)

1975: Ex-CIA-Mann Art Keller ist als Neuling in der Anti-Drogenbehörde DEA voller Tatendrang, doch er wird von den Alteingesessenen ausgebremst. Auf seinem Posten in Sinaloa in Mexiko ist er isoliert und wird ignoriert. Doch eines Tages tritt Keller in einer Turnhalle spontan zu einem Sparring gegen einen einheimischen aufstrebenden Boxer an und erwirbt sich den Respekt der Manager des Boxers: Adán und Raúl Barrera. Es ist der Beginn einer kurzen Freundschaft und einer Jahrzehnte dauernden Rivalität.

Schnell kommt Keller auch in Kontakt zu Adáns und Raúls Onkel Tío, Polizeioffizier und rechte Hand des Provinzgouverneurs. Dank Tío erhält Keller endlich Kontakte zu den mexikanischen Behörden. Sie planen eine große Operation als großen Schlag gegen die örtlichen Opiumproduzenten und bringen den regionalen Drogenboss zur Strecke. Ein großer Erfolg für Keller, der endlich in seiner Behörde zu Ansehen gelangt. Offiziell ist der mexikanische Opiumring zerschlagen. Doch Keller weiß, dass die Operation lediglich einen neuen mächtigen Mann an die Spitze des Kartells gespült hat: Tío Barrera.

Don Winslow war in der 1990ern bereits ein erfolgreicher Autor mit seinen Neal Carey-Romanen und „The Death und Life of Bobby Z“. 1999 erschien „California Fire And Life“ (dt. „Die Sprache des Feuers“). Danach nahm sich Winslow mehr als fünf Jahre Zeit für seinen nächsten Roman. Er recherchierte wie ein Besessener in offiziellen Akten, Protokollen, Büchern und führte zahlreiche Interviews über den „War on drugs“, den Krieg der USA gegen Drogen, erstmals postuliert von Richard Nixon im Jahr 1972. Und Winslow selbst meint zur Entstehungsgeschichte:

„Je mehr Informationen ich sammelte, um so größer wurde meine Wut. Da wusste ich dann, dass es ein dickes Buch werden musste, wenn ich der Geschichte gerecht werden wollte.“ (1)

Seine Wut kanalisierte Winslow in dem 700-Seiten-Thriller „Power Of The Dogs“, auf Deutsch Tage der Toten (in Anlehnung an den mexikanischen Feiertag Día de los Muertos). Ein wuchtiger Roman, ein spannender Thriller, gleichzeitig ein Epos, das knapp dreißig Jahre abdeckt. Schon mit den ersten beiden Szenen setzt der Autor den Ton: Im Prolog ein Anwesen in Baja California 1997 mit einer hingerichteten Großfamilie, nach einem Schnitt 1975 ein brennendes Mohnfeld in Sinaloa, „Hieronymus Bosch malt den Drogenkrieg“. Winslow verpflichtet sich zu unbarmherzigem Realismus. Er hat selbst immer erklärt, „praktisch nichts im Roman sei komplett erfunden“ (2).

Winslow vermittelt einen Eindruck vom „schmutzigen“ Drogenkrieg, Stichwort Iran-Contra-Affäre oder School of the Americas. Er zeigt die Instabilität Mexikos auf, eine ungeheure Verflechtung von organisiertem Verbrechen, Staatsmacht und Kirche. Außerdem schildert er die Gnadenlosigkeit der Kartelle und beschreibt eine Brutalität, die mindestens einmal selbst Hartgesottenen das Blut gefrieren lässt (die Szene auf der Brücke in Kolumbien). Doch all die Gewalt wird nicht zum Selbstzweck geschildert, sondern ist quasi nur ein fiktives Abbild der Wirklichkeit.

In den meisten Nächten also leisten ihm die Toten Gesellschaft.
Sie haben immer Zeit für ihn, und sie sind viele. Ernie Hidalgo, Pilar Talavera und ihre zwei Kinder. Juan Parada. Allesamt Opfer seines Privatkriegs gegen die Barreras. Sie besuchen ihn des Nachts, reden mit ihm, fragen ihn, ob es die Sache wert war.
Bis jetzt zumindest lautet seine Antwort nein. (Seite 539)

Im Zentrum der Geschichte steht Art Keller, zu Beginn ein „Company Cowboy“, ein Ex-CIA-Mann, was ihm im Laufe der Zeit doch eher zum Vorteil gereicht. Seine Zusammenarbeit mit den Barreras lässt ihn, obwohl er in der Hierarchie der DEA aufsteigt, verbittert und unzufrieden zurück. So macht er sich mit glühendem Eifer daran, ihnen das Handwerk zu legen. Da sind Kollateralschäden nicht weit, es sterben eine Menge Menschen und auch seine Familie hält Kellers Feldzug nicht aus. Seine Nemesis ist Adán Barrera, der bald seinem Onkel Tío an die Spitze des Kartells folgt. Adán ist ein gemäßigter Mann, ein Stratege, kein Großkotz, ein liebender Vater einer behinderten Tochter. Doch natürlich ist er machtbewusst und weiß, wann Härte vonnöten ist, wenngleich er diese Dinge seinem impulsiven Bruder Raúl überlässt.

„Gott segne dich.“
„Ich glaube nicht an Gott“, erwidert Keller.
„Macht nichts“, sagt Parada. „Er glaubt an dich.“
Dann, denkt Keller, ist er ein ganz schöner Trottel. (Seite 74)

Winslow wählt eine multiperspektivische personale Erzählweise, in der noch mehr Personen ins Blickfeld kommen: Nora Hayden, ein Luxus-Callgirl; Sean Callan, ein irischer Killer in Diensten der New Yorker Mafia; Pater Juan Parada, ein Kirchenmann des Volkes, was nicht nur dem Opus Dei sauer aufstößt. Allen Figuren verleiht Winslow eine authentische Perspektive, vermeidet Schwarz-Weiß-Skizzierungen. So überschreitet der Mann des Gesetzes, Art Keller, nicht nur einmal die Grenze zur Illegalität, der Drogenboss Adán Barrera ist ein treu sorgender Vater und der Ire Callan im Grunde ein ganz netter Kerl.

Tage der Toten ist ein harter Thriller, der die Realitäten schonungslos rekapituliert und den Leser in ziemliche Düsternis führt. Am Ende gibt es zwar einen Funken Hoffnung, die aber allzu trügerisch wirkt. Winslow erzählt im Präsens, mit vielen knappen, prägnanten Sätzen (ohne in das Stakkato eines bekannten Kollegen zu verfallen) und starken Dialogen. Die Spannungskurve flacht eigentlich gar nicht ab. Der Puls des Romans bleibt konstant hoch, auch durch die Perspektivwechsel. Auf den Punkt gebracht ist Tage der Toten ein brillanter Thriller, schon jetzt ein Klassiker, der Autor Don Winslow in den Olymp der Genreschriftsteller katapultierte. Und das völlig zurecht.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Tage der Toten | Erstmals erschienen 2005
Die aktuelle Ausgabe erschien am 16. April 2012 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-46340-6
689 Seiten | 10.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

(1) Interview Christophe Dupuis mit Don Winslow
(2) Artikel von Peter Körte in der FAZ

Auch bei uns: Rezension zu Corruption von Don Winslow.

Weiterlesen: Rezension zu Tage der Toten von Der Schneemann

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Mini-Spezial Die Kartell-Trilogie von Don Winslow.