Autor: Nora

Nikos Milonás | Kretische Feindschaft

Nikos Milonás | Kretische Feindschaft

Wenn der Sommer vor der Tür steht, haben Urlaubskrimis bei deutschen Lesern Konjunktur. Sie bedienen Sehnsüchte. Sei es, weil die Handlung am zukünftigen Urlaubsziel verortet ist, oder man Erinnerungen an Gegenden zurückholen möchte, in denen man bereits schöne Urlaubstage verbracht hat. Mittlerweile deckt dieses Genre fast alle europäischen Urlaubsziele ab, in der Regel von deutschen Autoren unter jeweiligem landestypischen Pseudonym geschrieben. Ein cleverer Schachzug, soll dies doch suggerieren, dass hier jemand schreibt, der Land und Leute wie seine Westentasche kennt.

In diese Kategorie fällt auch Nikos Milonás, wobei dies das offene Pseudonym des Fernsehschaffenden Frank D. Müller ist. Dieser ist Kreta-Fan und schließt mit seinem Erstling Kretische Feindschaft eine Lücke, denn die griechische Insel war bisher ein weißer Fleck auf der Karte der Urlaubskrimis.

Ausgangspunkt der Handlung ist der vermisste Bürgermeister von Kolymbari. Und da die Polizei vor Ort offenbar weder willens noch in der Lage ist, sich angemessen und engagiert um den Fall zu kümmern, werden Michalis Charisteas und sein Kollege Koronaios (beide Mordkommission Chania) auf Anweisung des Gouverneurs mit dem Fall betraut. Der Vermisste wird gefunden, tot. Offenbar ist er mit seinem Auto von der Straße abgekommen und einen Abhang hinabgestürzt. Fall abgeschlossen, obwohl Michalis große Zweifel an der Version der Kollegen aus Kolymbari hat, weshalb er die Ermittlungen auf eigene Faust und entgegen jeder Anweisung weiterführt. Und schnell wird ihm klar, dass dieser Fall weitaus komplexer als angenommen ist und weit in die Vergangenheit reicht.

Keine Frage, die Story ist spannend und schlüssig aufgebaut, überrascht mit unvorhersehbaren Wendungen. Hier gibt es nichts zu meckern, auch wenn mir zum Ende hin die eine oder andere Erklärung/ Motivation nicht schlüssig erscheint und eher lapidar in einem Nebensatz oder gar nicht abgehandelt wird.

Die Personen haben Potenzial, wobei hier Michalis Kollege Koronaios wesentlich interessanter und mit mehr Konturen als dieser daherkommt. Die Love-Story zwischen Michalis und seiner deutschen Freundin Hannah ist unaufdringlich, hätte ich jetzt aber nicht unbedingt benötigt. Sie dient letztendlich nur dazu, die Gegensätze zwischen Kretern und Deutschen aufzuzeigen. Und damit habe ich meine Probleme, denn damit werden Vorurteile zementiert. Kretischer Schlendrian, Mauscheleien in Behörden, Vorteilnahme im Amt…und…und…und.

Chania und Umgebung als Handlungsorte, speziell die Nordküste, scheint mir nicht die beste Wahl, da dieser Teil der Insel mittlerweile viel von seinem Charme und seiner Ursprünglichkeit verloren hat. Was Kreta wirklich ausmacht, findet man eher in den abgelegenen Gegenden.

Der Autor arbeitet in seinen Beschreibungen mit sehr vielen Stereotypen, ganz so, wie der deutsche Urlauber sich die Insel und ihre Menschen vorstellt: der venezianische Hafen (zugegeben, der ist wunderschön), Meeresrauschen, Olivenhaine, wilden Thymian, Orangenbäume und, weil jeder Kreta-Urlauber zum Schluchtenwandern dorthin möchte, die Samaria. Die Kreter trinken jede Menge Frappé, Ellinikós und Raki und essen die köstlichen Gerichte ihrer Heimat (hier bekommt der deutsche Leser natürlich die Übersetzung geliefert) rauf und runter. Ein bisschen zu viel von allem, aber dennoch unterhaltsam mit guten Ansätzen.

Wie es scheint ist Kretische Feindschaft der Auftakt einer Reihe mit Michalis Charisteas, dessen Entwicklung, gerade wenn man Kreta kennt und liebt, im Auge behalten sollte. Luft nach oben ist allemal. Und vielleicht gibt es ja auch einmal einen Ausflug in die kretisch-deutsche Geschichte. Ein Verhältnis, das jede Menge Krimistoff bietet.

 

Wir bedanken uns für diese schöne Gastrezension und das Foto bei Elke Heid-Paulus. Weitere Rezensionen von Elke findet ihr auf ihrem Instagram-Account satzbehaelter.

Kretische Feindschaft | Erschienen am 17. April 2019 bei Scherz im Fischer Verlag
ISBN 978-3-651-02580-6
400 Seiten | 14.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Natasha Korsakova | Tödliche Sonate

Natasha Korsakova | Tödliche Sonate

Tödliche Sonate ist der Debütroman der international bekannten Violinistin Natasha Korsakova, welcher in Rom spielt. Der Roman ist eine Mischung aus Kriminalroman und historischer Erzählung über den wohl bekanntesten Geigenbauer – Antonio Stradivari, dessen Instrumente einen Millionenwert darstellen. Man spürt in dem Buch die Begeisterung der Autorin für die Geige, sozusagen „ihrem“ Instrument.

Commissario Di Bernardo ermittelt in dem Mord an der bekannten Musikagentin Cornelia Giordano, die in ihrem Büro brutal niedergestochen wurde. Gefunden wurde sie von ihrer Sekretärin, die das Haus nur kurz für Einkäufe verlassen hatte. Diese erzählt dem Commissario, dass es an dem Abend kurz vor dem Mord einen Streit gab zwischen Cornelia und ihrer Nichte Arabella Giordano, einer bekannten Geigerin. Bei der Befragung von Arabella erfährt Di Bernardo, dass es wohl auch Auseinandersetzungen der Toten mit ihrem jüngeren Sohn Boris gab, der wegen Drogenhandel eine Gefängnisstrafe abgesessen hatte. Im weiteren Verlauf der Handlung ergeben sich weitere Verdächtige – die mächtige Konzertagentin war wohl alles andere als beliebt. Ein Überfall auf Arabella macht die Ermittlungen für Di Bernardo auch nicht einfacher und die Hinweise verdichten sich, dass ein Geheimnis um eine Stradivari eine Rolle spielen könnten.

Die Autorin Natasha Korsakova hat in Ihrem Roman zwei Handlungsstränge verknüpft: die Mordermittlungen in der Jetzt-Zeit und der in der Vergangenheit spielenden, gut ausgedachten Geschichte um eine geheimnisvolle Stradivari. Dies vermittelt einen Einblick in die Welt der berühmten Geigenbauer und sorgt gleichzeitig für die für einen Krimi nötige Spannung. Auch die Personen sind gut gezeichnet, allen voran die des Commissario Di Bernardo (der sich aus Kalabrien nach Rom versetzen ließ, um den blutigen Mafia-Morden zu entgehen). Der Schauplatz Rom plus Umgebung kommt in der Geschichte auch nicht zu kurz, die Atmosphäre ist deutlich zu spüren.

Fazit: Sowohl für Krimifans als auch Musikliebhaber ein Lesevergnügen; ein gelungenes Debüt!

Natasha Korsakova, spielt seit dem fünften Lebensjahr Violine, sie studierte zunächst am Moskauer Konservatorium, später dann auch in Nürnberg und Köln. Bereits in jungen Jahren erhielt sie mehrere Preise, ab 1994 folgten ihre Debüts u. a. an der Berliner und Kölner Philharmonie und dem Leipziger Gewandhausorchester. Auch international wurde sie bekannt, u. a. wurde sie 1998 in Chile als Künstlerin des Jahres ausgezeichnet.

 

Rezension und Foto von Monika Röhrig.

Tödliche Sonate | Erschienen am 8. Oktober 2018 im Heyne Verlag
ISBN 978-3-453-42267-4
448 Seiten | 12.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Judith Winter | Finsterwald

Judith Winter | Finsterwald

„Und das stimmte! Trotz aller Strapazen fühlte sich Em mit einem Mal hellwach und so frisch, als sei sie gerade erst aus der Dusche gestiegen. Endlich gab es sie, die heiß ersehnte Spur! Endlich hatten sie etwas, wo sie ansetzen konnten! Endlich…“ (Auszug Seite 444)

In einem abgelegenen Wald wird eine ermordete Prostituierte gefunden. Emilia Capelli und Mai Zhou haben noch gar nicht ganz mit den Ermittlungen dazu begonnen, als es eine zweite Tote gibt: Eine Lehrerin, die in ihrem Bett erstochen wurde. Das auffällige an dem zweiten Opfer ist, dass der Mörder ein Zeichen auf ihrem Bauch hinterlassen hat, das zu einer Mordserie gehörte, deren Täter seit vielen Jahren verurteilt und auch immer noch in einer psychiatrischen Klinik untergebracht ist. Ein Nachahmungstäter? Und gehören beide Morde zusammen, obwohl sie so unterschiedlich sind?

Das vierte Buch der Serie

„Finsterwald“ von Judith Winter ist der vierte Fall der Ermittlerinnen Capelli und Zhou. In dieser Reihe ist es das erste Buch, das ich lese und man kann problemlos mittendrin starten. Auf die vorangegangen Fälle wird in dieser Geschichte nur minimal eingegangen und der Leser benötigt keine „Vorkenntnisse“, denn der Fall ist in sich abgeschlossen.

Wissensvorsprung für den Leser

Die Geschichte liest sich sehr flüssig und ist in Kapitel und kurze Unterkapitel gegliedert. In den ersten zwei Dritteln des Buches geht es hauptsächlich um die klassische Ermittlungsarbeit, also Zeugenbefragungen, Recherche und Zusammenhänge erkennen und herstellen. Dabei kommen aber nicht nur die beiden Protagonisten und ihr Team zu Wort, sondern immer wieder gibt es auch Kapitel aus Sicht von Opfern und Tätern, was dem Leser einen Wissensvorsprung verschafft und die Handlung zusätzlich spannend macht.

Lange kein roter Faden

Im Grunde tappen Capelli und Zhou ziemlich lange sehr im Dunkeln und die einzige Verbindung ist, dass unmöglich zwei so brutale Morde in so kurzer Zeit ohne Zusammenhang sein können. Ansonsten finden die beiden noch eine Tat in den Akten, die auch dazu passen könnte und es gibt einen zusätzlichen Vermisstenfall. Alles hat scheinbar nichts miteinander zu tun, es gibt keine Parallelen, außer dass es sich bei allen Opfern um brünette Frauen handelt. Ich habe mich wirklich lange gefragt, wo hier der rote Faden zu finden sein soll und wie sich die Ermittlungen am Ende auflösen, aber auf den letzten einhundert Seiten gibt es dann endlich den entscheidenden Hinweis und auch mir ging gemeinsam mit den Kriminalhauptkommissarinnen ein Licht auf.

Zwei unterschiedliche Kommissarinnen

Zhou und Capelli sind grundverschieden, arbeiten aber sehr gut miteinander, was laut Kontext allerdings nicht immer der Fall war. Mai Zhou ist Halbchinesin, hat einen Freund, von dem sie sich aber selbst nicht ganz sicher ist, dass sie ihm wirklich so viel Platz in ihrem Leben gewähren will, macht Karate und Ballett und ist in ihrer Arbeitsweise akribisch gründlich. Emilia Capelli hat italienisch-sizilianische Wurzeln und ist entsprechend temperamentvoll und aufbrausend. Beide Charaktere werden aber nicht bis zur Vollendung stilisiert, bei Befragungen beispielsweise kommt es eher unterschwellig zum Vorschein. Aus dem Privatleben der beiden Protagonisten wird auch nicht übermäßig viel preisgegeben, es wird eher etwas angerissen, was dann in sich aber nicht abgeschlossen ist und vielleicht im nächsten Buch weiter geschildert wird. Ich bin ehrlich gesagt mit beiden nicht so richtig warm geworden, was meinem Lesevergnügen aber keinen Abbruch tat.

Fazit: Ein gut zu lesender und gerade zum Ende hin wirklich packender Thriller mit nicht ganz so sympathischen Ermittlerinnen.

Judith Winter, 1969 in Frankfurt am Main geboren, studierte Germanistik und Psychologie in Berlin und Wien und arbeitete viele Jahre in einem renommierten wissenschaftlichen Institut, bevor sie sich selbständig machte. Nach Aufenthalten in Mailand und Paris lebt sie heute mit ihrer Familie in Konstanz.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Finsterwald | Erschienen am 31. Januar 2019 bei dtv
ISBN 978-3-423-21748-4
496 Seiten | 9.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Anmerkung: Wir verlinken in jeder Rezension auf die Verlagsseite zu dem jeweiligen Titel und zu den Autoreninformationen. Leider scheint der Titel schon jetzt (1. Mai 2019) nicht mehr beim Verlag gelistet zu sein, denn wir bekamen nur den Hinweis, der Titel sei nicht mehr lieferbar.

Christine Grän & Hannelore Mezei | Glück in der Steiermark

Christine Grän & Hannelore Mezei | Glück in der Steiermark

Chefinspektor Martin Glück ist gerade aus Wien in der Steiermark eingetroffen und darf im Landeskriminalamt Graz, wo zur Zeit erheblicher Personalmangel herrscht, ganz offiziell wieder in Sachen Mord ermitteln, nachdem er zuletzt nur noch Bagatellfälle zu bearbeiten hatte. Nach einem Zwangsurlaub am Wörthersee hatte man ihn in ein Kellerbüro des Präsidiums verbannt, weil er ausgerechnet seinen Vorgesetzten Arm in Arm mit seiner Frau Larissa entdeckte und aus Eifersucht verprügelte. Mit Aggressionen anderer kann er ganz gut umgehen, nur nicht mit seinen eigenen, aber das ist nach einer Therapie schon besser geworden. Mittlerweile ist er geschieden und hat in seinem befristeten Urlaub Lily Prokop kennengelernt, eine Kollegin, die es ihm angetan hat. Allerdings scheint sich ihre Beziehung langsam einem Ende zu nähern, auch wenn das keiner der beiden zugeben mag. Sie verabreden sich stattdessen auf ein Wochenende in der Südsteiermark, um die Weinstraßen zu erkunden. Vielleicht eine Wiederbelebung der Beziehung. Oder das Ende.

Die neuen Kollegen sind nett und nehmen ihn herzlich auf, aber ausgerechnet Felix Wagner, der ihm als Partner zugedacht ist, hat einen Hass auf alle Wiener, seit seine Frau mit einem Hauptstädter auf und davon ist. Nur langsam finden Martin mit seinem Wiener Schmäh und Felix, den der etwas rauen Charme der Steiermärker auszeichnet, bei ihrer gemeinsamen Arbeit zu eine Team zusammen. Aber es hilft nichts, sie müssen sich zusammenraufen, haben sie doch gleich zwei spektakuläre Mordfälle an der Hacke, die für reichlich Gesprächsstoff sorgen in der Landeshauptstadt. Graz macht es einem leicht, friedlich und unbehelligt zu leben. Man trifft immer jemanden, den man kennt, ein wundervolles großes Dorf. Viele junge Leute, eine Universitätsstadt von bezaubernder Gemütlichkeit. Die von den Autorinnen Christine Grän und Hannelore Mezei, die beide in Graz geboren wurden, kenntnisreich und liebevoll inszeniert wird, so ausführlich und innig zum Teil, dass man sich den Reiseführer sparen kann, wenn die Lust auf einen Besuch oder Urlaub geweckt ist.

Hier leitet im Hilmteichviertel der berühmte und höchst erfolgreiche Schönheitschirurg Prof. Dr. Fridolin Leitner eine renommierte Privatklinik. Und ausgerechnet dort hat jemand die Journalistin Stephanie Hütter erstickt. Sie lag nach einer Nasenkorrektur noch mit Schmerz- und Schlafmitteln betäubt auf dem Krankenzimmer, als man ihr ein Kissen aufs Gesicht drückte. Steffi schrieb an einer Biographie über Leitner, Memoiren eines Schönheitschirurgen. Ob dort auch Privates eingeflossen war? Der Professor arbeitet jedes Jahr einen Monat für Ärzte ohne Grenzen. Er hatte den Beruf eigentlich ergriffen, um Unfall- oder Kriegsopfern mit plastischer Chirurgie zu helfen. Die vier Wochen in Krisengebieten bauen ihn jedes mal moralisch auf. Und lassen ihn der ehelichen Hölle entkommen. Claudia, seine kunstsinnige Ehefrau, betrügt ihn mit einem Maler, den sie für ein Genie hält und ausstellt. Sein Sohn nennt sich Banker und ist vor allen Dingen Porschefahrer. Seine Tochter, Yogalehrerin, ruht so in sich selbst, dass sie andere Menschen gar nicht wahrnimmt. Seinen Plan, auszuziehen und ein Zimmer in der Klinik einzurichten, verschiebt er ein ums andere Mal.

Die zweite Tote wird in der Garderobe des Grazer Theaters gefunden, wo gerade die letzten Proben für die diesjährige Aufführung beim steirischen Herbst über die Bühne gehen, eine skandalträchtige Inszenierung des „Lumpazivagabundus“ von Nestroy, von Emanuel Prader mit bewusstem Kalkül auf einen Eklat eingerichtet. Die mäßig begabte Schauspielerin Mara Sibelius hat in dem Stück eine kleine Rolle ergattert, indem sie sich dem alternden Regiestar hingibt. Nun liegt sie in einer Blutlache am Boden, mit einer schweren Kopfverletzung. Als Martin den Tatort betritt, zuckt er kurz zusammen. Er kennt die Tote, war dabei, als sie in einem Lokal von Praders eifersüchtiger Gattin mit Olivenöl übergossen wurde. Er selbst hatte das Handgemenge der beiden Furien beendet, welches natürlich ein gefundenes Fressen für die Skandalpresse war. Es stellt sich heraus, dass die Sibelius wohl gestürzt ist, weil sie mit Atropin vergiftete Pralinen gegessen hat. Und noch etwas ergeben die ersten Untersuchungen: sie hatte vor kurzem eine Vaginalstraffung, und zwar in der Klinik des Professor Leitner!
Den Eingriff hat der Meister persönlich vorgenommen, obwohl der Unterleib eigentlich das Spezialgebiet seiner „Oberärztin“ Dr. Olga Markovitz ist, seiner einzigen chirurgischen Mitarbeiterin. Sie war zuvor Hautärztin in München, seit der Trennung von ihrem Mann praktiziert sie nun seit zwei Jahren in Graz und führt außerdem unterschiedlichste Schönheitsoperationen in Leitners Klinik durch. Als Martin sie zu den jüngsten Ereignissen in der Klinik befragt, erfährt er, dass in der Tatnacht eine weitere bekannte Schauspielerin in der Klinik weilte, inkognito selbstverständlich. Und plötzlich steht sie leibhaftig vor ihm: Alma Zoppot! Martin kennt sie aus einem früheren Fall, in dem er Erbschaftsmorde aufklärte. (Im ersten Roman der Reihe Glück in Wien). Nun erfährt er, dass auch sie mit Prader liiert war, ihn aber verlassen hat. Auch ihren Freund Edgar, einen Spieler, der auf ihr geerbtes Vermögen aus war, hat sie in die Wüste geschickt. Nun ist ihr Bestreben, sich den Professor Leitner zu schnappen. Sie erzählt Martin, dass sie dabei ist, eine „MeToo“-Kampagne gegen Prader anzuschieben, darüber hatte sie auch mit Mara Sibelius gesprochen.

Eine weitere alte Bekannte taucht auf, Romana Petuschnigg, seine erste Liebe, inzwischen eine ältere Dame, deren treuer Begleiter das kleine Hündchen Alex ist. Ihr Nachbar ist der reichste Mann am Wörthersee, ihre große Liebe, der sie fast jeden Tag auf ein Glas Wein besucht. Dass er sie einmal heiraten wollte, ist längst kein Thema mehr, dazu ist es auch mittlerweile zu spät, findet Romana, die nach Graz gekommen ist, um sich die Hüfte operieren zu lassen. Sie war eine der Begünstigten der Erbschaftsangelegenheit, an ihrer Miterbin Alma Zoppot lässt sie kein gutes Haar. Welche Rolle spielen die beiden im aktuellen Fall? Und wie passt Sascha Prinz ins Bild? Er ist der Star des Grazer Schauspielhauses, mit einigem Einfluss, allerdings säuft er zu viel. Dann spielt er aber auch sensationell, das Publikum betet ihn an. Auch er hat ein Verhältnis mit Mara, weshalb ihn seine Frau – vorläufig – verlassen hat. Und zu Martins Verwunderung und Verärgerung stellt sich heraus, dass diese Frau Gigi Altenbacher ist, der er gerade etwas näher gekommen ist, denn sie ist Nachbarin in der gerade bezogenen Unterkunft.

Die Autorinnen lassen sich Zeit bei der Entwicklung des Plots, immer wieder werfen sie Seitenblicke auf das Leben und Treiben der vielen Beteiligten. Dabei ist das Tempo gemächlich, fast gemütlich, für einen typischen Whodunit, wie er hier vorliegt, allerdings nicht ungewöhnlich und ebenso nicht unpassend. Auch ist Hochspannung in diesem Genre nicht unbedingt Voraussetzung für gute Unterhaltung und literarische Qualität. So fließt bei den beiden Autorinnen kein Blut (außer vielleicht bei den Schönheitsoperationen), dafür hat ihr Krimi andere Qualitäten. Wie die beiden sich die Arbeit an ihren Büchern teilen, ist beim Lesen nicht zu bemerken, das Ergebnis ist jedenfalls ausgesprochen homogen und liest sich wunderbar locker. Der Stil ist sehr direkt und ausgesprochen witzig, allerdings ist der Humor zum Teil sehr speziell, strotzt vor bitterem Sarkasmus, ja Zynismus. Wer sich für diesen boshaften, beißenden Spott mit seinen wohl dosierten, gut gezielten Seitenhieben auf die Schickimicki und Bussi-Bussi-Gesellschaft erwärmen kann, wird viel Spaß haben mit den vielen richtig spaßigen Passagen rund um das befremdliche Treiben im Steirischen Herbst, dem „obszönen Kasperltheater“, mit den intelligenten Spitzen gegen die Kultur im Allgemeinen und die Kulturschaffenden im Besonderen.

Während die Hauptcharaktere liebevoll, fast zärtlich behandelt werden, bekommen es die Angehörigen der „besseren Gesellschaft“, allesamt eher Karikaturen, knüppeldick ab: Böse, aber treffend nehmen die Autorinnen zum Beispiel das Gehabe des Starregisseurs Emanuel „Mani“ Prader aufs Korn, der gern überall Hof hält. Auch seine völlig überdrehte, zuweilen hysterische und ständig eifersüchtige Gattin bekommt ihr Fett weg. Nicht zu vergessen die Riege der Schauspielerinnen wie die alternde Ex-Diva Alma Zoppot, die mit gekünstelten Gesten jede Gelegenheit für einen großen Auftritt nutzt. Herrlich die gallige Charakterzeichnung der bösartigen Ehefrau des „Skalpellmeisterlein“ Leitner. Die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.

Kein Wunder, dass einige dieser Figuren auch auf der Liste der Verdächtigen auftauchen, und die ist lang. Zu viele könnten ein Interesse haben, zu viele hatten die Gelegenheit. Jeder hätte die Ampullen mit dem giftigen Atropinsulfat aus dem Suchtmittelschrank der Klinik entwenden können. Aber auch wenn die Ermittler eine Menge Spuren verfolgen, haben sie doch keine konkreten Anhaltspunkte oder gar Beweise. Während sie versuchen, die Fäden zusammenzuknüpfen und passende Theorien zu konstruieren, drehen sie sich nur im Kreis. Sie diskutieren hin und her ohne sich zu einigen. Irgendwann, so spürt Felix, führen alle Spuren ins Theater. Martin tippt eher auf das Umfeld Dr. Leitners, aber er kann keine Verbindung seines Hauptverdächtigen Emanuel Prader zur Hilmteichklinik erkennen. Der entscheidende Mangel bei all ihren Überlegungen: Es fehlt das Motiv. Als dann auch bei Alma Zopott eine Schachtel mit vergifteten Pralinen abgegeben wird und sie ebenfalls eine Atropin-Vergiftung erleidet, ist Martin sicher: Drei Frauen, die sich zur gleichen Zeit in der Schönheitsklinik aufhielten, werden ermordet, oder doch fast, da muss es einen Zusammenhang geben.

An dieser entscheidenden Stelle treten die Autorinnen dann gehörig auf die Bremse. Martin nimmt sich eine Auszeit in der „Toskana der Steiermark“. Nachdem sich der Ausflug mit Lily zerschlagen hat und ihre Beziehung definitiv beendet ist, findet sich schnell Ersatz: Gigi Achenbacher will zufällig nach Hause, um ihre Eltern zu besuchen, die dort ein kleines Weingut besitzen. Da liegt es nahe, dass die beiden ein gemeinsames Wochenende verbringen und sich natürlich ein neues Verhältnis anbahnt. Aber die kurze Auszeit, bei der Martin eigentlich nur abschalten wollte, bringt ihm unverhofft auch einen wichtigen Hinweis, der den stockenden Ermittlungen wieder neue Dynamik verleiht und zudem in eine gänzlich unerwartete Richtung lenkt. Und endlich ist sich das Ermittlerduo einig und entwickelt gemeinsam eine schlüssige Rekonstruktion der wahrscheinlichen Tathergänge, wobei sie mit ihren Vermutungen (fast) richtig liegen. Was folgt, ist ein Geständnis und dann doch noch eine unerwartete Wendung und Pointe, eine Auflösung, die etwas locker gestrickt ist, aber immerhin glaubwürdig. Durch einen glücklichen Zufall stößt Martin schließlich auf die lange gesuchte Verbindung zur Schönheitsklinik. Nicht der einzige etwas weit her geholte Zusammenhang, nur ein weiterer eher unwahrscheinliche Zufall, der nicht nur die Ermittler überrascht, sondern auch den Leser etwas ratlos zurücklässt.

Glück in der Steiermark endet angesichts der vorhergehenden tragischen Ereignisse ein wenig zu harmonisch, entlässt den Leser aber mit einem guten Gefühl und der Frage, in welchem Bundesland und in den Armen welcher Frau Martin bei seinem nächsten Abenteuer landet.

 

Rezension und Foto von Kurt Schäfer.

Glück in der Steiermark | Erschienen am 7. Februar 2019 im Verlag ars vivendi
ISBN 978-3-86913-997-5
250 Seiten | 14.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Ellen Sandberg | Der Verrat (mit Verlosung)

Ellen Sandberg | Der Verrat (mit Verlosung)

„In Nane brach etwas zusammen. Für einen Moment glaubte sie, ihr Herz habe keine Kraft weiterzuschlagen. Im nächsten Augenblick explodierte sie. Sie sprang auf und schrie: „Dieses verdammte Miststück! Nichts gönnt sie mir! Alles muss sie mir nehmen!“ Sie brüllte ihre Wut über diesen doppelten Verrat heraus, und Birgit gelang es erst, Nane zu beruhigen, als die Nachbarn klingelten und fragten, ob alles in Ordnung sei.“ (Auszug Seite 323)

Nane saß zwanzig Jahre im Gefängnis, weil sie durch Manipulation am Auto ihrer Schwester Pia den Tod von Henning, dem Sohn von Pias Mann Thomas, herbeigeführt hat. Nun ist ihre restliche Strafe auf Bewährung ausgesetzt und sie kann sich ein neues Leben aufbauen. Aber auch nach so langer Zeit lässt ihr der Unfallabend keine Ruhe: Sie ist sich ganz sicher, dass sie nach Ablassen der Bremsflüssigkeit Thomas angerufen und ihn gewarnt hat. Warum hat er vor Gericht etwas anderes ausgesagt? Sie muss unbedingt nochmal mit ihm reden… So und durch andere Begebenheiten wird nach und nach der Tathergang noch einmal aufgedröselt und ein ganzes Familienschicksal erzählt.

Familiengeschichte mit Geheimnissen

Der Verrat von Ellen Sandberg ist der zweite Spannungsroman der Autorin. Es ist am ehesten eine Familiengeschichte mit Geheimnissen, in der sich die Prophezeiung der Mutter der drei Schwestern Nane, Birgit und Pia bewahrheitet: Denn schon seit Generationen stürzen sich Frauen der Familie durch Liebe und Leidenschaftlich unweigerlich ins Verderben.

Komplexe Verhältnisse innerhalb der Familie

Im Kern des Buches geht es um den Unfall von Henning, der durch die Manipulation am Auto von Nane verunfallt und dabei ums Leben gekommen ist. Die Geschichte wird abwechselnd in zwei Zeitebenen erzählt, vor zwanzig Jahren und heute. Dabei kommen viele handelnde Personen zu Wort, wobei in der ersten Hälfte erst mal ausführlich alle Familien- und Personenverhältnisse erläutert werden. Das stellt sich als relativ komplex dar und es werden viele Namen genannt, aber ich habe den Überblick nicht verloren. Außerdem verschwimmen die Zeitebenen etwas, da die Personen von heute sich auch an die Vergangenheit erinnern. Hier bin ich dann schon einige Male ins Straucheln geraten, das hat meinen Lesefluss aber nur sehr kurz beeinträchtigt.

Unaufgeregtes Lesevergnügen

In der zweiten Hälfte wird es dann so richtig interessant, denn immer wieder werden Andeutungen gestreut, dass es außer dem Warn-Anruf noch weitere Ungereimtheiten und Geheimnisse zu diesem Unglücksabend gibt. Insgesamt hat sich die Geschichte für mich unaufgeregt, aber stetig interessant gelesen. Ich habe gern von der Familie gelesen und mich insgeheim gefreut, dass ich nicht selbst solche komplizierten Verhältnisse zu meiner eigenen habe. Meine Sympathien zu den handelnden Personen wechselte etwas, am ehesten kann ich mich aber mit Pia identifizieren, da sie sehr darauf bedacht ist, auch in der Liebe einen klaren Kopf zu behalten, um alles in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen. Nane hingegen finde ich tatsächlich einfach durchgeknallt, wobei ich sie in einigen Passagen auch verstehen kann. Diese beiden Schwestern sind im Roman als Protagonisten anzusehen, auch wenn viele andere Personen zu Wort kommen. Das Ende konnte mich dann schon überraschen, haut mich aber nicht völlig von den Socken.

Fazit: Ein Familien-Spannungsroman ohne besondere Höhen oder Tiefen, der sich flüssig lesen lässt.

Ellen Sandberg ist das Pseudonym der Autorin Inge Löhnig. Sie wurde 1957 geboren, studierte Grafikdesign und arbeitete zunächst in verschiedenen Werbeagenturen. Das ursprüngliche Hobby Schreiben wurde nach und nach zum Hauptberuf. Die Autorin schreibt vor allem Ermittlerkrimis um den Protagonisten Konstantin Dühnfort, aber auch Jugendthriller und eben Spannungsromane.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Der Verrat | Erschienen am 27. Dezember 2018 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10090-4
480 Seiten | 15.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Andreas Rezension zum ersten Spannungsroman der Autorin, Die Vergessenen.

 

Verlosung!

Wer sich nun selbst einen Leseeindruck verschaffen möchte, hat bei uns die Gelegenheit, den ersten Band Die Vergessenen zu gewinnen. Alles was ihr dafür tun müsst, ist uns bis zum 30. April 2019 einen Kommentar unter dieser Rezension zu hinterlassen, in dem ihr uns euren Lieblingshandlungsort für Krimis verratet, z. B. Skandinavien, Japan, Südstaaten etc.

Nach der Gewinnbenachrichtigung bitten wir den Gewinner, uns innerhalb einer Woche seine Postadresse an hallo-at-krimirezensionen.de mitzuteilen. Diese wird nicht gespeichert und nur für den Versand des Gewinnes verwendet. Der Versand erfolgt per Büchersendung ausschließlich an Postanschriften in Deutschland; dem Gewinner entstehen keine Kosten. Ein Versand an Packstationen ist leider nicht möglich.

Eine Barauszahlung des Gewinnes ist ausgeschlossen, ebenso wie der Rechtsweg.

Viel Glück wünscht euch das Kaliber.17-Team!