Yasmina Khadra | Worauf die Affen warten

Yasmina Khadra | Worauf die Affen warten

„Wir würden gerne Monsieur Hamerlaine sprechen.“
„Sind ihre Vorgesetzten informiert?“
„Warum stellt man uns nur immer dieselbe Frage?“, wundert sich Zine.
„Das ist die normale Vorgehensweise“, antwortet der junge Mann. „Monsieur Hamerlaine ist einer der Gründerväter der Nation. Es ist das Mindeste an Korrektheit, den Umweg über ihr Ministerium zu machen, bevor sie bei ihm vorstellig werden. Normalerweise kommen die Minister persönlich vorbei. Untergebene zu schicken wird als schwerer Verstoß gegen das Protokoll gewertet.“
„Wovon redet der nur?“, fragt Zine die Kommissarin.
„Wie auch immer, Monsieur Hamerlaine ist in seinem Heim in Hydra. Dies ist eine seine Zweitresidenzen. Wenn sie einen Rat wollen, informieren sie vorab Ihre Vorgesetzten über ihre Pläne. Die amtliche Rückendeckung federt so manchen Sturz ab“
Er winkt ihnen lässig zu und verschwindet. (Auszug Seite 127)

Auf einer Waldlichtung in der Nahe von Algier wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Attraktiv und auffällig wie eine Braut geschminkt. Todesursache ist eine Verstümmelung, ihr wurde ein Busen abgebissen. Kommissarin Nora Bilal und ihr Team haben zunächst wenig Anhaltspunkte. Doch dann führt sie eine Spur zu Hadsch Saad Hamerlaine, dem inoffiziellen Herrscher über Algier.

Die lesbische Kommissarin Nora Bilal und der impotente Inspektor Zine als Vertreter des liberalen, traumatisierten und integren Algieriens müssen in diesem Fall schnell ihre Grenzen erkennen. In Algerien gibt es neben den offiziellen Strukturen ein Netzwerk der „rboba“, der mächtigen Schattenherrscher, die im Verborgenen die Fäden ziehen und ein Netzwerk basierend auf Macht, Gewalt, Unterdrückung und Angst aufgebaut haben. Sie sind unantastbar. Einer von ihnen ist der uralte Hamerlaine. Nora und Zine werden bei ihren Ermittlungen schnell in die Schranken gewiesen, der Fall irgendwann gar vom Staatsschutz entzogen (zur großen Erleichterung ihres Chefs). Dennoch bleiben sie am Ball und lösen damit eine Kettenreaktion der Gewalt aus.

Yasmina Khadra ist das Pseudonym des algerischen Schriftstellers Mohammed Moulessehoul. Der Autor war Offizier in der algerischen Armee und begann dann mit dem Schreiben. Internationale Bekanntheit erlangte er durch die 1997 und 1998 erschienene „Algier-Trilogie“ um den Kommissar Llob. In zahlreichen Romanen setzt er sich mit der jüngeren algerischen Geschichte auseinander: Korruption, Bürgerkrieg, Islamismus, Gewalt und Massaker. Ich hatte bislang vom Autor das Buch „Wovon die Wölfe träumen“ gelesen, ein beeindruckendes Buch um einen unpolitischen, jungen Mann, der schleichend und unmerklich in die Fänge der Islamisten gerät und sich am Ende in einem Killerkommando der Fundamentalisten wiederfindet.

Worauf die Affen warten ist natürlich ein Kriminalroman im Stile des französischen Roman noir. Der Autor schreibt in einer sehr ansprechenden Mischung aus nüchterner Härte, Poesie und Emotionalität. Aber der Roman ist darüber hinaus ein Abgesang, ein Klagelied auf das Heimatland des Autors, dass Khadra in der Hand von „Hundesöhnen“ wähnt.

„Der böse Wille ist ihnen in die Wiege gelegt, und die Trias, auf die sie schwören, dekliniert sich wie folgt:
Von Geburt an lügen,
aus Prinzip betrügen,
anderen aus Berufung Schaden zufügen.
Und dieser Roman ist ihre Geschichte.“ (Seite 7)

Der Autor schreibt sich seinen Frust, seine Enttäuschung von der Seele. Bitterböse lässt er seine Figuren die algerischen Zustände kommentieren. Fast fünfzehn Jahre nach dem Bürgerkrieg hat das Land sein Trauma nicht überwunden, kein Aufschwung in Sicht, Korruption und Machterhalt bremsen jegliche Form von Modernität und Liberalität. Der Arabische Frühling entlockt Khadra nur ein müdes Lächeln. Wo Oliver Bottini in seinem Politthriller Ein paar Tage Licht die Hoffnung auf eine liberale Opposition in Algerien nährt, hat Khadra hierfür nur ein paar zynische Zeilen übrig. Eine rabenschwarze, hoffnungslose Sicht der Dinge, teilweise schon arg pathetisch, aber dennoch eindrucksvoll vorgetragen.

Mohammed Moulessehoul lebt seit 2000 im französischen Exil, aber er versucht weiterhin, sich politisch in seiner Heimat zu engagieren. Bei der Präsidentenwahl 2014 wollte er sich zur Wahl stellen, bekam aber nicht genügend Unterstützer zusammen. Es gewann zum 4. Mal hintereinander der 78-jährige, gesundheitlich stark angeschlagene Abd al-Aziz Bouteflika.

„Sieh sie dir doch an, unsere Führungskräfte, Parlamentarier, Milliardäre. Von denen hatten viele noch nie ein Buch in der Hand. Aber es hat sie nach oben geschwemmt in einem Land, in dem fast alle bestechlich sind, wo das Mittelmaß auf Kosten echter Kompetenzen reüssiert, und wo man das Gewissen vieler Leute kastriert, nur damit alles, was hässlich und unschön ist, so bleibt, wie es ist. Wie soll man sich sonst erklären, dass Algerien trotz seines unermesslichen Reichtums so wenig Träume und Ambitionen hat? Und bis heute das traurige Schlusslicht der Nationen bildet.“ (Seite 100)

Yasmina Khadra ist hier ein überzeugender politischer Kriminalroman gelungen, eine Anklage und Abrechnung mit den korrupten Eliten, die Algerien herunterwirtschaften. Das Ende des Romans gipfelt in einer archaischen Gewalttat, die mich sehr zum Nachdenken gebracht hat. Wer immer den Roman liest (und ich kann ihn nur empfehlen), über den Schluss würde ich gerne mal diskutieren.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Worauf die Affen warten1

Worauf die Affen warten | Erschienen am 1. März 2015 im Osburg Verlag
ISBN 978-3-955100728
340 Seiten | 20,- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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