Léo Malet | Spur ins Ghetto
In einem Atelier wird die Leiche einer jüdischen Frau gefunden. Der Maler beauftragt den mit unkonventionellen Methoden arbeitenden Privatdetektiv Nestor Burma, den Täter zu finden. Die Spur führt ins Ghetto von Paris.
Der Roman erschien zuerst 1957 und gehört nach meiner Meinung zu den besten der Reihe. Gerade diese Geschichte ist atmosphärisch äußerst dicht, hat viel Flair und besonders malerische Kulissen. Malet schickt seinen Helden diesmal in das vierte Arrondissement, Hotel-de-Ville, das Ghetto der jüdischen Bevölkerungsgruppe. Burma taucht ab ins Milieu der einfachen Handwerker, Mützenschneider, Schneider, Tuchhändler, von denen es hier wimmelt. Dort sucht er einen jüdischen Kriminellen, einen Betrüger in großem Stil, der im Marais-Viertel untergetaucht ist und sich vor mehreren unterschiedlichen Gruppen versteckt.
Widerstandskämpfer und Kollaborateure, Antisemiten und Araberfeinde (es ist die Zeit des Algerien-Krieges), Polizisten und Ganoven treten auf den Plan, es herrscht heilloses Durcheinander wie oft bei Malet und es gibt viele Tote, wie immer bei Malet.
Die erste Leiche findet Burma im Atelier eines bekannten Malers. Der wacht nach einer wüsten Party schwer verkatert auf und entdeckt ein unbekanntes junges Mädchen, erstochen! Um einen Skandal zu vermeiden, ruft er nicht die Polizei, sondern bittet Burma um Hilfe. Der findet heraus, dass es sich bei der Frau um Rachel handelt, ein Mitglied der jüdischen Lebensgemeinschaft – die Spur führt ins Ghetto.
Und dort verlieren sich die Spuren wieder, verwirren sich die Handlungsfäden, verstricken sich immer mehr Personen in die undurchsichtigen und unübersichtlichen Geschehnisse. Als Leser verliert man zwischenzeitlich genauso die Übersicht wie der Detektiv und der Flic. Macht aber nichts, am Ende Hat Burma etwas plötzlich vielleicht alles wieder im Griff, der Fall ist wie immer gelöst, die Täter entlarvt, die Opfer gesühnt, die Welt oder wenigstens Paris für zumindest kurze Zeit wieder einmal in Ordnung.
Ich habe das Buch in einer sehr schönen gebundenen Ausgabe des Elster-Verlages gelesen, mit einem farbigen alten Plan des vorgestellten Arrondissements und mit einem „Nachgang“ des Herausgebers Peter Stephan durch eben dieses Viertel, damals schon gut dreißig Jahre nach Malet und Nestor Burma. Die schwarz-weiß-Bilder, die seinen Spaziergang illustrieren, zeigen die gewaltigen Veränderungen im Stadtbild. Wie mag es heute, weitere dreißig Jahre später wohl aussehen? „Man sollte seine Erinnerungen nicht zerstören!“
Rezension und Foto von Kurt Schäfer.
Spur ins Ghetto | Die gelesene Ausgabe erschien 1986 im Elster Verlag
ISBN 978-3-89151-026-8
197 Seiten | nur noch antiquarisch erhältlich
Bibliographische Angaben & Leseprobe
Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17specials Klassiker.