Kategorie: Regionalkrimi

Anna Johannsen | Das Mädchen am Strand

Anna Johannsen | Das Mädchen am Strand

„Der Strandabschnitt war weiträumig abgesperrt und wurde auf jeder Seite von einem Polizisten überwacht. Im Laufen hob Lena ihren Ausweis, der Kollege nickte und hob das Absperrband für sie hoch. Um die Leiche, die in einer windgeschützten Mulde am Rand des Strandes lag, standen Arno Brandt und drei Polizisten der Suchmannschaft. Die Szene wirkte merkwürdig friedlich: Das Mädchen sitzend und leicht zur Seite geneigt, die Augen geschlossen, die Arme locker auf dem Schoß.“ (Auszug Seite 44)

Hauptkommissarin Lena Lorenzen macht eigentlich einen Kurzurlaub auf Amrum, wird dann aber gebeten, die Suche nach einem vermissten Mädchen auf der Nachbarinsel Föhr zu unterstützen. Die 14-jährige Maria ist von zu Hause verschwunden und wird am zweiten Tag der Suchaktion tot am Strand gefunden, mit aufgeschlitzten Pulsadern. Alles deutet also auf einen Suizid hin, auch die Tatsache, dass Marias Familie in einer streng religiösen Glaubensgemeinschaft lebt. Lena bleibt allerdings von Anfang an skeptisch und trifft bei ihren Befragungen auf großes Schweigen. Warum ist Maria weggelaufen? Wollte sie einfach nur den festen Regeln ihrer Religion entkommen oder steckt etwas ganz anderes dahinter?

Das Leben neben dem Beruf

Lena ist Mitte dreißig und arbeitet in Kiel beim LKA. Sie lebt im Moment in einer Fernbeziehung mit Erck, einem Freund aus Schultagen, dem sie vor kurzem wieder begegnet ist und der jetzt auf Amrum lebt. Erck stört es, dass beide sich nicht so oft sehen und wenn, dann trotzdem Lenas Job dazwischen funkt, wie in dieser Vermisstensache. Erck möchte eine Zukunft und Familie, Lena ist sich jedoch unsicher. Und dann ist einer der Flensburger Kollegen, die mit in dem Fall ermitteln, auch noch Ben, mit dem sie nach einem Seminar im Bett gelandet ist… Hier sind Grübeleien vorprogrammiert.

Viel Ermittlungsarbeit

Das Mädchen am Strand von Anna Johannsen ist der zweite Roman um die Kommissarin Lena Lorenzen. Bisher ermittelte die Protagonistin in fünf Fällen. Die Geschichte ist ein klassischer Kriminalroman, in dem es hauptsächlich um die Ermittlungen in dem Todesfall geht. Außer den Kollegen vor Ort bekommt Lena schnell noch weitere Unterstützung aus Flensburg und so koordiniert sie insgesamt drei Teams über die Insel. Es werden viele Befragungen geführt, mit den meisten Personen auch mehrmals, da sich eine Hülle des Schweigens um die Menschen im Umfeld von Maria bildet. Immer wieder zieht Lena sich auch mit Johann, einem Kollegen aus Flensburg, mit dem sie bereits in einem früheren Fall gut zusammengearbeitet hat, zurück und reflektiert die bisherigen Ergebnisse. Es dauert lange, bis es so etwas wie einen Verdächtigen gibt, doch dann kommt alles auf einmal!

Leichter Lesegenuss

Mir hat dieser Krimi Lesefreude bereitet, da eben nicht so sehr viel drum herum erzählt wird, sondern wirklich der Fall im Vordergrund steht. Lena ist für mich als Protagonistin eher flach geblieben, ich kann mich nicht besonders gut mit ihr identifizieren, richtig unsympathisch ist sie mir allerdings auch nicht. Ein bisschen Liebesgeschichte und Familienprobleme geben der Geschichte noch etwas Abwechslung. Das ist nichts wirklich Neues, stört aber auch nicht. Zweimal hatte ich erst das Gefühl, dass doch etwas zu viel Zufall eingewebt wurde, hat sich dann aber doch nicht bestätigt. Beim Ende habe ich ebenfalls erst vermutet, dass der Täter doch recht früh feststeht, aber glücklicherweise änderte sich auch das nochmal und es blieb bis zum Schluss spannend. Insgesamt liest sich die Handlung flüssig und schnell und ich konnte immer gut folgen. Außerdem kommt ein wunderschöner Schauplatz dazu und oftmals sortiert Lena ihre Gedanken im Watt oder im Strandkorb.

Fazit: Leichter, aber keinesfalls langweiliger Krimi mit bester Kulisse!

Anna Johannsen lebt seit ihrer Kindheit in Nordfriesland. Sie liebt die Landschaft und Menschen der Region, besonders verbunden ist sie den nordfriesischen Inseln, auf denen die Krimireihe »Die Inselkommissarin« spielt.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Das Mädchen am Strand | Erschienen am 6. Februar 2018 bei Edition M (Selfpublishing)
ISBN 978-1-50390144-0
350 Seiten | 9.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Krischan Koch | Flucht übers Watt

Krischan Koch | Flucht übers Watt

„Aus Angst, der Polizei ins Netz zu gehen, hatte er sich heute Morgen im Bauwagen entschlossen, dem Festland den Rücken zu kehren und über die Nordsee zu fliehen. Er war im Morgengrauen regelrecht berauscht von dieser Idee gewesen. Statt auf schnellsten Weg nach Hamburg zu kommen, wo vermutlich eher nach dem Täter gefahndet wurde als in Nordfriesland, wollte er eine Weile auf einer der Inseln untertauschen, um dann später über Hamburg möglichst schnell nach New York zu kommen.“ (Auszug Seite 41)

Harry Oldenburg hat vier wertvolle Nolde-Gemälde aus einer Ausstellung geklaut und ist damit nach Amrum geflüchtet, um vorerst unterzutauchen. Auf der beschaulichen Insel ist das aber nicht so einfach, wie Harry dachte, denn die Inselbewohner sind misstrauisch und er bekommt einige Probleme. Außerdem kommt es zu einigen, mehr zufälligen, Todesfällen bei dem Versuch unentdeckt zu bleiben. 18 Jahre später reist Harry mit seiner Freundin Zoe erneut nach Amrum. Sind die Noldes noch an Ort und Stelle?

Der Anfang einer Karriere

Harry ist bei dem Raub der Noldes Kunststudent, mit seinen eigenen Werken allerdings nicht sehr erfolgreich. Die Noldes sind sein erster Kunstraub und schnell entdeckt er, dass sich auf diese Weise einfach Geld machen lässt. Jetzt lebt er mit Zoe und einer gemeinsamen Tochter in Amerika in einem Leuchtturm und zusammen betreiben sie eine Galerie, die sie am Anfang nur als Tarnung für ihr Geschäft mit geklauten und gefälschten Gemälden brauchten, die aber mittlerweile ebenfalls mit legalem Kunsthandel gut läuft.

Aus Sicht des Täters

Flucht übers Watt von Krischan Koch ist der zweite Krimi, den ich von dem Autor gelesen habe und hatte mich gedanklich auf eine weitere Ermittlung um den Dorfpolizisten Thies Detlefsen eingerichtet, wurde dann aber positiv überrascht, dass das nicht der Fall war und es sich hier auch nicht um einen klassischen Krimi handelt, sondern die Geschichte aus Sicht des Täters geschildert wird.

Eine lange Mitte

Der Roman ist in zwei Zeitebenen unterteilt, einmal in den Kunstraub von vor 18 Jahren und dann die Wiederkehr auf die Insel mit Zoe heute. Dabei finde ich die Abtrennung dieser Ebenen optisch nicht gut gelungen, denn es ist nicht vor Beginn des Kapitels erkennbar, um welche Zeit es sich gerade handelt und dadurch kam bei mir der Lesefluss oft ins Stocken. Den Anfang der Geschichte habe ich gern und zügig gelesen. In der Mitte empfand ich eine Länge, denn Harry trifft auf alte Studienkollegen und wird zu einer Party eingeladen, aber es bringt die Handlung nicht weiter. Zum Ende hin hat dann aber alles einen Sinn. Nach der Mitte liest es sich für mich wieder deutlich spannender, obwohl man durch die Kapitel von heute schon weiß, dass Harry unbeschadet aus der Sache kommt. Allerdings ist mir zum Schluss ein bisschen viel Zufall im Spiel.

Insel-Schauplatz

Der Protagonist ist mir weder sehr sympathisch noch ist er mir unangenehm. Ich habe ihn eher unemotional durch seinen Raub begleitet, was für mich aber kein negatives Ergebnis war. Besonders schön finde ich wieder einmal die Beschreibung des Schauplatzes. Ich war noch nie auf Amrum, konnte aber einen guten Eindruck gewinnen und bin nicht abgeneigt, auch selbst mal Urlaub dort zu machen. Allerdings nur, weil der Autor zu Beginn des Buches darauf hinweist, dass die Bewohner im wahren Leben nicht so unfreundlich sind, wie hier beschrieben.

Fazit: Aus Sicht des Täters geschriebene Krimis sind mal was anderes und wenn sie dann noch vor so schöner Kulisse spielen, sind sie einen Versuch wert. Hier ist der Versuch geglückt und ich hatte kurzweilige Unterhaltung.

Krischan Koch wurde 1953 in Hamburg geboren. Die für einen Autor üblichen Karrierestationen als Seefahrer, Rockmusiker und Kneipenwirt hat er sich geschenkt. Stattdessen macht er Kabarett und Kurzfilme und schreibt seit vielen Jahren Filmkritiken u.a. für die Die Zeit und den Norddeutschen Rundfunk. Koch lebt mit seiner Frau in Hamburg und auf der Nordseeinsel Amrum, wo er mit Blick aufs Watt seine Kriminalromane schreibt.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Flucht übers Watt | Erschienen am 7. April 2017 bei dtv
ISBN 978-3-423-21673-9
304 Seiten | 9.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Andreas Rezension zu Mörder mögen keinen Matjes von Krischan Koch.

Krischan Koch | Mörder mögen keine Matjes

Krischan Koch | Mörder mögen keine Matjes

„Bei der Planung des morgigen Ausflugs nach Hamburg ist es spät geworden. Antje belegt gerade noch einen Croque „Störtebeker“ mit Hering und Krabben. Die Kühltasche mit ein paar Bieren ist bereits fertig gepackt. Die Imbissrunde ist gerade im Aufbruch, als Tadje und ihr Freund Lasse in „De Hidden Kist“ stürmen. Tadje hat den kleinen Affen auf dem Arm.“ (Auszug Seiten 20/21)

Die Tochter von Polizeiobermeister Thies Detlefsen und ihr Freund entdecken im Watt einen Container voll mit Elektroschrott, einem Affen und einer Leiche. Thies nimmt sich sofort der Sache an und findet heraus, dass der Container aus Hamburg stammt. Nur gut, dass die Kriminalhauptkommissarin Nicole Stappenbek, mit der Thies schon in früheren Mordfällen zusammengearbeitet hat, jetzt nicht mehr für Kiel, sondern für Hamburg zuständig ist. Er fährt zu ihr in die Großstadt und gemeinsam versuchen sie die Umstände des Mordes und den Täter herauszufinden.

POM Detlefsen mit trockenem Humor

Mörder mögen keinen Matjes von Krischan Koch ist der siebte Fall um POM Thies Detlefsen. Es handelt sich hier um einen Küstenkrimi, der sich hauptsächlich in der Hansestadt Hamburg abspielt und mit seinen kurzen Kapiteln sehr leicht zu lesen ist. Die Geschichte wird eher lustig erzählt und der trockene Humor des Protagonisten und einiger handelnder Personen haben mich ab und zu zum Schmunzeln gebracht. Die Handlung wird keineswegs ins Lächerliche gezogen, aber ist so ganz ernsthaft auch nicht gemeint. Meinen Geschmack hat es allerdings nur teilweise getroffen.

Von Fredenbüll nach Hamburg

Thies‘ „Dunstkreis“ besteht in seiner Heimatstadt Fredenbüll an der Nordsee aus seiner Familie, also aus Frau Heike und den Zwillingstöchtern Tadje und Telje, und den Stammgästen der „Hidden Kist“, einem Imbiss, in der vor allem Matjesbrötchen verspeist werden. Dass in diesem Fall nun im Hamburg ermittelt wird, heißt natürlich nicht, dass die heimische Belegschaft nicht auch dort unterstützen kann. Einer der regelmäßigen Gäste ist für eine Knie-OP in der Hansestadt und alle anderen kommen zum Krankenbesuch nach. So sind sie wieder vereint. Schnell ist auch ein neuer regelmäßiger Treffpunkt gefunden, nämlich „Mannis Matjeshalle“, fast alles wie zu Hause.

Weniger typische Ermittlungsarbeit

Die Ermittlungen von Nicole und Thies sind meiner Meinung nach eher stümperhaft, im Buch wird weniger Wert auf die eigentlichen Ermittlungen als auf das ganze Drumherum gelegt. Beide befragen zwar einige Personen und stellen Vermutungen an, aber von der restlichen typischen Recherchearbeit oder gar von Obduktionsberichten wird eher nebensächlich berichtet. Dafür, dass es sich um einen eher seichten Krimi handelt, gibt es meiner Meinung nach am Ende auch etwas viele Tote, die nicht hätten sein müssen. Außerdem sollte man meinen, dass Hamburg eine wirklich große Stadt ist, aber die Metropole ist scheinbar Mannis Fischhalle, denn dort finden sich nicht nur die Fredenbüller ein, sondern auch sämtliche Verdächtige. Zweiter kulinarischer Schauplatz ist ein China-Restaurant.

Fazit: Muss man mögen, aber wer etwas Unkompliziertes für zwischendurch sucht und auf trockenen Humor steht, wird hier seine Freude haben.

Krischan Koch lebt dicht am Wasser in Hamburg, wo er als Filmkritiker für den NDR arbeitet, und auf der Nordseeinsel Amrum, wo er die verrückt-bösen Kabarettprogramme für den »Hamburger Spottverein« erfindet. Dort schreibt er, mit Blick auf die See, auch seine Kriminalromane.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Mörder mögen keinen Matjes | Erschienen am 28. Februar 2019 bei dtv
ISBN 978-3-423-21781-1
288 Seiten | 9.95 Seiten
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Nikos Milonás | Kretische Feindschaft

Nikos Milonás | Kretische Feindschaft

Wenn der Sommer vor der Tür steht, haben Urlaubskrimis bei deutschen Lesern Konjunktur. Sie bedienen Sehnsüchte. Sei es, weil die Handlung am zukünftigen Urlaubsziel verortet ist, oder man Erinnerungen an Gegenden zurückholen möchte, in denen man bereits schöne Urlaubstage verbracht hat. Mittlerweile deckt dieses Genre fast alle europäischen Urlaubsziele ab, in der Regel von deutschen Autoren unter jeweiligem landestypischen Pseudonym geschrieben. Ein cleverer Schachzug, soll dies doch suggerieren, dass hier jemand schreibt, der Land und Leute wie seine Westentasche kennt.

In diese Kategorie fällt auch Nikos Milonás, wobei dies das offene Pseudonym des Fernsehschaffenden Frank D. Müller ist. Dieser ist Kreta-Fan und schließt mit seinem Erstling Kretische Feindschaft eine Lücke, denn die griechische Insel war bisher ein weißer Fleck auf der Karte der Urlaubskrimis.

Ausgangspunkt der Handlung ist der vermisste Bürgermeister von Kolymbari. Und da die Polizei vor Ort offenbar weder willens noch in der Lage ist, sich angemessen und engagiert um den Fall zu kümmern, werden Michalis Charisteas und sein Kollege Koronaios (beide Mordkommission Chania) auf Anweisung des Gouverneurs mit dem Fall betraut. Der Vermisste wird gefunden, tot. Offenbar ist er mit seinem Auto von der Straße abgekommen und einen Abhang hinabgestürzt. Fall abgeschlossen, obwohl Michalis große Zweifel an der Version der Kollegen aus Kolymbari hat, weshalb er die Ermittlungen auf eigene Faust und entgegen jeder Anweisung weiterführt. Und schnell wird ihm klar, dass dieser Fall weitaus komplexer als angenommen ist und weit in die Vergangenheit reicht.

Keine Frage, die Story ist spannend und schlüssig aufgebaut, überrascht mit unvorhersehbaren Wendungen. Hier gibt es nichts zu meckern, auch wenn mir zum Ende hin die eine oder andere Erklärung/ Motivation nicht schlüssig erscheint und eher lapidar in einem Nebensatz oder gar nicht abgehandelt wird.

Die Personen haben Potenzial, wobei hier Michalis Kollege Koronaios wesentlich interessanter und mit mehr Konturen als dieser daherkommt. Die Love-Story zwischen Michalis und seiner deutschen Freundin Hannah ist unaufdringlich, hätte ich jetzt aber nicht unbedingt benötigt. Sie dient letztendlich nur dazu, die Gegensätze zwischen Kretern und Deutschen aufzuzeigen. Und damit habe ich meine Probleme, denn damit werden Vorurteile zementiert. Kretischer Schlendrian, Mauscheleien in Behörden, Vorteilnahme im Amt…und…und…und.

Chania und Umgebung als Handlungsorte, speziell die Nordküste, scheint mir nicht die beste Wahl, da dieser Teil der Insel mittlerweile viel von seinem Charme und seiner Ursprünglichkeit verloren hat. Was Kreta wirklich ausmacht, findet man eher in den abgelegenen Gegenden.

Der Autor arbeitet in seinen Beschreibungen mit sehr vielen Stereotypen, ganz so, wie der deutsche Urlauber sich die Insel und ihre Menschen vorstellt: der venezianische Hafen (zugegeben, der ist wunderschön), Meeresrauschen, Olivenhaine, wilden Thymian, Orangenbäume und, weil jeder Kreta-Urlauber zum Schluchtenwandern dorthin möchte, die Samaria. Die Kreter trinken jede Menge Frappé, Ellinikós und Raki und essen die köstlichen Gerichte ihrer Heimat (hier bekommt der deutsche Leser natürlich die Übersetzung geliefert) rauf und runter. Ein bisschen zu viel von allem, aber dennoch unterhaltsam mit guten Ansätzen.

Wie es scheint ist Kretische Feindschaft der Auftakt einer Reihe mit Michalis Charisteas, dessen Entwicklung, gerade wenn man Kreta kennt und liebt, im Auge behalten sollte. Luft nach oben ist allemal. Und vielleicht gibt es ja auch einmal einen Ausflug in die kretisch-deutsche Geschichte. Ein Verhältnis, das jede Menge Krimistoff bietet.

 

Wir bedanken uns für diese schöne Gastrezension und das Foto bei Elke Heid-Paulus. Weitere Rezensionen von Elke findet ihr auf ihrem Instagram-Account satzbehaelter.

Kretische Feindschaft | Erschienen am 17. April 2019 bei Scherz im Fischer Verlag
ISBN 978-3-651-02580-6
400 Seiten | 14.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Christine Grän & Hannelore Mezei | Glück in der Steiermark

Christine Grän & Hannelore Mezei | Glück in der Steiermark

Chefinspektor Martin Glück ist gerade aus Wien in der Steiermark eingetroffen und darf im Landeskriminalamt Graz, wo zur Zeit erheblicher Personalmangel herrscht, ganz offiziell wieder in Sachen Mord ermitteln, nachdem er zuletzt nur noch Bagatellfälle zu bearbeiten hatte. Nach einem Zwangsurlaub am Wörthersee hatte man ihn in ein Kellerbüro des Präsidiums verbannt, weil er ausgerechnet seinen Vorgesetzten Arm in Arm mit seiner Frau Larissa entdeckte und aus Eifersucht verprügelte. Mit Aggressionen anderer kann er ganz gut umgehen, nur nicht mit seinen eigenen, aber das ist nach einer Therapie schon besser geworden. Mittlerweile ist er geschieden und hat in seinem befristeten Urlaub Lily Prokop kennengelernt, eine Kollegin, die es ihm angetan hat. Allerdings scheint sich ihre Beziehung langsam einem Ende zu nähern, auch wenn das keiner der beiden zugeben mag. Sie verabreden sich stattdessen auf ein Wochenende in der Südsteiermark, um die Weinstraßen zu erkunden. Vielleicht eine Wiederbelebung der Beziehung. Oder das Ende.

Die neuen Kollegen sind nett und nehmen ihn herzlich auf, aber ausgerechnet Felix Wagner, der ihm als Partner zugedacht ist, hat einen Hass auf alle Wiener, seit seine Frau mit einem Hauptstädter auf und davon ist. Nur langsam finden Martin mit seinem Wiener Schmäh und Felix, den der etwas rauen Charme der Steiermärker auszeichnet, bei ihrer gemeinsamen Arbeit zu eine Team zusammen. Aber es hilft nichts, sie müssen sich zusammenraufen, haben sie doch gleich zwei spektakuläre Mordfälle an der Hacke, die für reichlich Gesprächsstoff sorgen in der Landeshauptstadt. Graz macht es einem leicht, friedlich und unbehelligt zu leben. Man trifft immer jemanden, den man kennt, ein wundervolles großes Dorf. Viele junge Leute, eine Universitätsstadt von bezaubernder Gemütlichkeit. Die von den Autorinnen Christine Grän und Hannelore Mezei, die beide in Graz geboren wurden, kenntnisreich und liebevoll inszeniert wird, so ausführlich und innig zum Teil, dass man sich den Reiseführer sparen kann, wenn die Lust auf einen Besuch oder Urlaub geweckt ist.

Hier leitet im Hilmteichviertel der berühmte und höchst erfolgreiche Schönheitschirurg Prof. Dr. Fridolin Leitner eine renommierte Privatklinik. Und ausgerechnet dort hat jemand die Journalistin Stephanie Hütter erstickt. Sie lag nach einer Nasenkorrektur noch mit Schmerz- und Schlafmitteln betäubt auf dem Krankenzimmer, als man ihr ein Kissen aufs Gesicht drückte. Steffi schrieb an einer Biographie über Leitner, Memoiren eines Schönheitschirurgen. Ob dort auch Privates eingeflossen war? Der Professor arbeitet jedes Jahr einen Monat für Ärzte ohne Grenzen. Er hatte den Beruf eigentlich ergriffen, um Unfall- oder Kriegsopfern mit plastischer Chirurgie zu helfen. Die vier Wochen in Krisengebieten bauen ihn jedes mal moralisch auf. Und lassen ihn der ehelichen Hölle entkommen. Claudia, seine kunstsinnige Ehefrau, betrügt ihn mit einem Maler, den sie für ein Genie hält und ausstellt. Sein Sohn nennt sich Banker und ist vor allen Dingen Porschefahrer. Seine Tochter, Yogalehrerin, ruht so in sich selbst, dass sie andere Menschen gar nicht wahrnimmt. Seinen Plan, auszuziehen und ein Zimmer in der Klinik einzurichten, verschiebt er ein ums andere Mal.

Die zweite Tote wird in der Garderobe des Grazer Theaters gefunden, wo gerade die letzten Proben für die diesjährige Aufführung beim steirischen Herbst über die Bühne gehen, eine skandalträchtige Inszenierung des „Lumpazivagabundus“ von Nestroy, von Emanuel Prader mit bewusstem Kalkül auf einen Eklat eingerichtet. Die mäßig begabte Schauspielerin Mara Sibelius hat in dem Stück eine kleine Rolle ergattert, indem sie sich dem alternden Regiestar hingibt. Nun liegt sie in einer Blutlache am Boden, mit einer schweren Kopfverletzung. Als Martin den Tatort betritt, zuckt er kurz zusammen. Er kennt die Tote, war dabei, als sie in einem Lokal von Praders eifersüchtiger Gattin mit Olivenöl übergossen wurde. Er selbst hatte das Handgemenge der beiden Furien beendet, welches natürlich ein gefundenes Fressen für die Skandalpresse war. Es stellt sich heraus, dass die Sibelius wohl gestürzt ist, weil sie mit Atropin vergiftete Pralinen gegessen hat. Und noch etwas ergeben die ersten Untersuchungen: sie hatte vor kurzem eine Vaginalstraffung, und zwar in der Klinik des Professor Leitner!
Den Eingriff hat der Meister persönlich vorgenommen, obwohl der Unterleib eigentlich das Spezialgebiet seiner „Oberärztin“ Dr. Olga Markovitz ist, seiner einzigen chirurgischen Mitarbeiterin. Sie war zuvor Hautärztin in München, seit der Trennung von ihrem Mann praktiziert sie nun seit zwei Jahren in Graz und führt außerdem unterschiedlichste Schönheitsoperationen in Leitners Klinik durch. Als Martin sie zu den jüngsten Ereignissen in der Klinik befragt, erfährt er, dass in der Tatnacht eine weitere bekannte Schauspielerin in der Klinik weilte, inkognito selbstverständlich. Und plötzlich steht sie leibhaftig vor ihm: Alma Zoppot! Martin kennt sie aus einem früheren Fall, in dem er Erbschaftsmorde aufklärte. (Im ersten Roman der Reihe Glück in Wien). Nun erfährt er, dass auch sie mit Prader liiert war, ihn aber verlassen hat. Auch ihren Freund Edgar, einen Spieler, der auf ihr geerbtes Vermögen aus war, hat sie in die Wüste geschickt. Nun ist ihr Bestreben, sich den Professor Leitner zu schnappen. Sie erzählt Martin, dass sie dabei ist, eine „MeToo“-Kampagne gegen Prader anzuschieben, darüber hatte sie auch mit Mara Sibelius gesprochen.

Eine weitere alte Bekannte taucht auf, Romana Petuschnigg, seine erste Liebe, inzwischen eine ältere Dame, deren treuer Begleiter das kleine Hündchen Alex ist. Ihr Nachbar ist der reichste Mann am Wörthersee, ihre große Liebe, der sie fast jeden Tag auf ein Glas Wein besucht. Dass er sie einmal heiraten wollte, ist längst kein Thema mehr, dazu ist es auch mittlerweile zu spät, findet Romana, die nach Graz gekommen ist, um sich die Hüfte operieren zu lassen. Sie war eine der Begünstigten der Erbschaftsangelegenheit, an ihrer Miterbin Alma Zoppot lässt sie kein gutes Haar. Welche Rolle spielen die beiden im aktuellen Fall? Und wie passt Sascha Prinz ins Bild? Er ist der Star des Grazer Schauspielhauses, mit einigem Einfluss, allerdings säuft er zu viel. Dann spielt er aber auch sensationell, das Publikum betet ihn an. Auch er hat ein Verhältnis mit Mara, weshalb ihn seine Frau – vorläufig – verlassen hat. Und zu Martins Verwunderung und Verärgerung stellt sich heraus, dass diese Frau Gigi Altenbacher ist, der er gerade etwas näher gekommen ist, denn sie ist Nachbarin in der gerade bezogenen Unterkunft.

Die Autorinnen lassen sich Zeit bei der Entwicklung des Plots, immer wieder werfen sie Seitenblicke auf das Leben und Treiben der vielen Beteiligten. Dabei ist das Tempo gemächlich, fast gemütlich, für einen typischen Whodunit, wie er hier vorliegt, allerdings nicht ungewöhnlich und ebenso nicht unpassend. Auch ist Hochspannung in diesem Genre nicht unbedingt Voraussetzung für gute Unterhaltung und literarische Qualität. So fließt bei den beiden Autorinnen kein Blut (außer vielleicht bei den Schönheitsoperationen), dafür hat ihr Krimi andere Qualitäten. Wie die beiden sich die Arbeit an ihren Büchern teilen, ist beim Lesen nicht zu bemerken, das Ergebnis ist jedenfalls ausgesprochen homogen und liest sich wunderbar locker. Der Stil ist sehr direkt und ausgesprochen witzig, allerdings ist der Humor zum Teil sehr speziell, strotzt vor bitterem Sarkasmus, ja Zynismus. Wer sich für diesen boshaften, beißenden Spott mit seinen wohl dosierten, gut gezielten Seitenhieben auf die Schickimicki und Bussi-Bussi-Gesellschaft erwärmen kann, wird viel Spaß haben mit den vielen richtig spaßigen Passagen rund um das befremdliche Treiben im Steirischen Herbst, dem „obszönen Kasperltheater“, mit den intelligenten Spitzen gegen die Kultur im Allgemeinen und die Kulturschaffenden im Besonderen.

Während die Hauptcharaktere liebevoll, fast zärtlich behandelt werden, bekommen es die Angehörigen der „besseren Gesellschaft“, allesamt eher Karikaturen, knüppeldick ab: Böse, aber treffend nehmen die Autorinnen zum Beispiel das Gehabe des Starregisseurs Emanuel „Mani“ Prader aufs Korn, der gern überall Hof hält. Auch seine völlig überdrehte, zuweilen hysterische und ständig eifersüchtige Gattin bekommt ihr Fett weg. Nicht zu vergessen die Riege der Schauspielerinnen wie die alternde Ex-Diva Alma Zoppot, die mit gekünstelten Gesten jede Gelegenheit für einen großen Auftritt nutzt. Herrlich die gallige Charakterzeichnung der bösartigen Ehefrau des „Skalpellmeisterlein“ Leitner. Die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.

Kein Wunder, dass einige dieser Figuren auch auf der Liste der Verdächtigen auftauchen, und die ist lang. Zu viele könnten ein Interesse haben, zu viele hatten die Gelegenheit. Jeder hätte die Ampullen mit dem giftigen Atropinsulfat aus dem Suchtmittelschrank der Klinik entwenden können. Aber auch wenn die Ermittler eine Menge Spuren verfolgen, haben sie doch keine konkreten Anhaltspunkte oder gar Beweise. Während sie versuchen, die Fäden zusammenzuknüpfen und passende Theorien zu konstruieren, drehen sie sich nur im Kreis. Sie diskutieren hin und her ohne sich zu einigen. Irgendwann, so spürt Felix, führen alle Spuren ins Theater. Martin tippt eher auf das Umfeld Dr. Leitners, aber er kann keine Verbindung seines Hauptverdächtigen Emanuel Prader zur Hilmteichklinik erkennen. Der entscheidende Mangel bei all ihren Überlegungen: Es fehlt das Motiv. Als dann auch bei Alma Zopott eine Schachtel mit vergifteten Pralinen abgegeben wird und sie ebenfalls eine Atropin-Vergiftung erleidet, ist Martin sicher: Drei Frauen, die sich zur gleichen Zeit in der Schönheitsklinik aufhielten, werden ermordet, oder doch fast, da muss es einen Zusammenhang geben.

An dieser entscheidenden Stelle treten die Autorinnen dann gehörig auf die Bremse. Martin nimmt sich eine Auszeit in der „Toskana der Steiermark“. Nachdem sich der Ausflug mit Lily zerschlagen hat und ihre Beziehung definitiv beendet ist, findet sich schnell Ersatz: Gigi Achenbacher will zufällig nach Hause, um ihre Eltern zu besuchen, die dort ein kleines Weingut besitzen. Da liegt es nahe, dass die beiden ein gemeinsames Wochenende verbringen und sich natürlich ein neues Verhältnis anbahnt. Aber die kurze Auszeit, bei der Martin eigentlich nur abschalten wollte, bringt ihm unverhofft auch einen wichtigen Hinweis, der den stockenden Ermittlungen wieder neue Dynamik verleiht und zudem in eine gänzlich unerwartete Richtung lenkt. Und endlich ist sich das Ermittlerduo einig und entwickelt gemeinsam eine schlüssige Rekonstruktion der wahrscheinlichen Tathergänge, wobei sie mit ihren Vermutungen (fast) richtig liegen. Was folgt, ist ein Geständnis und dann doch noch eine unerwartete Wendung und Pointe, eine Auflösung, die etwas locker gestrickt ist, aber immerhin glaubwürdig. Durch einen glücklichen Zufall stößt Martin schließlich auf die lange gesuchte Verbindung zur Schönheitsklinik. Nicht der einzige etwas weit her geholte Zusammenhang, nur ein weiterer eher unwahrscheinliche Zufall, der nicht nur die Ermittler überrascht, sondern auch den Leser etwas ratlos zurücklässt.

Glück in der Steiermark endet angesichts der vorhergehenden tragischen Ereignisse ein wenig zu harmonisch, entlässt den Leser aber mit einem guten Gefühl und der Frage, in welchem Bundesland und in den Armen welcher Frau Martin bei seinem nächsten Abenteuer landet.

 

Rezension und Foto von Kurt Schäfer.

Glück in der Steiermark | Erschienen am 7. Februar 2019 im Verlag ars vivendi
ISBN 978-3-86913-997-5
250 Seiten | 14.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe