Kategorie: Klassiker

Daphne du Maurier | Die Vögel ♬

Daphne du Maurier | Die Vögel ♬

Als Kind war der geniale Schocker „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock das Spannendste und Gruseligste, was ich mir vorstellen konnte. Das Meisterwerk von dem amerikanischen Filmemacher aus dem Jahr 1963, der als Klassiker des Horrorgenres gilt, bezieht sich auf eine Kurzgeschichte der englischen Autorin Daphne du Maurier. Der Kultregisseur übernahm aber nur das Motiv der mörderischen Vogelattacken und hat die Story vom regnerischen Küstenort in Cornwall an die sonnige kalifornische Küste verlegt. Auch die Charaktere und der Handlungsverlauf wurden vollständig ausgewechselt.

Ich war erst skeptisch, aber Gott sei Dank habe ich mich für das Hörbuch entschieden, denn die Bearbeitung hat mich begeistert!

Nat Hocken ist ein einfacher Landarbeiter und lebt mit Frau und Kindern an der englischen Küste. Da er im zweiten Weltkrieg verwundet wurde, bekommt er eine kleine Invalidenrente und ist an ein paar Tagen die Woche bei seinem Nachbarn auf der Farm mit leichten Arbeiten beschäftigt. So hat der ruhige, nachdenkliche Einzelgänger Nat genug Zeit, die Natur und besonders die Vögel zu beobachten.

Eines Tages im Spätherbst fällt ihm auf, dass riesige Vogelschwärme laut kreischend und pfeifend über der Küste kreisen und in ihrer Vielzahl – ähnlich einer großen Wolke – den Himmel verdunkeln. Es sind unnatürlich viele Tiere und sie erscheinen ihm rastloser und unruhiger denn je. Nat ist der erste, dem auffällt, dass die See- und Landvögel sich eigenartig, fast aggressiv benehmen. Sie scheinen sich zu sammeln und Abertausende Möwen verwandeln das Meer in ein weißes Möwenmeer.

Der Angriff

Von einem Tag zum anderen verändert sich das Wetter und es wird bitterkalt, hervorgerufen durch einen eisigen Ostwind. In der Nacht versuchen mehrere Dutzend kleiner Singvögel in das Haus einzubrechen und die beiden kleinen, im oberen Stockwerk schlafenden Kinder Jill und Johnny anzugreifen. Nur mit Mühe kann Nat die Vögel davon abbringen, den Kindern die Augen auszuhacken. Während in der Nachbarschaft noch nach Erklärungen für das Verhalten der Vögel gesucht wird und sein Chef meint, den Vögeln mit der Schrotflinte beizukommen, wird Nat immer unruhiger und beschließt am nächsten Tag, seine Tochter vom Schulbus abzuholen. Auf dem Rückweg können sie nur mühsam die Angriffe der Vögel abwehren.

Nat mutmaßt, dass die Vögel nicht verwirrt sind, sondern vorsätzlich und mit einem Killerinstinkt ausgestattet angreifen um zu töten. Er muss an die deutschen Luftangriffe im Krieg denken. Er zieht als Einziger die richtigen Schlüsse und beginnt in aller Eile sein kleines Haus zu befestigen und verbarrikadiert die Fenster und den Kamin mit Brettern. Aus dem Radio erfährt die Familie, dass der Notstand ausgerufen wurde und dass es die Angriffe im ganzen Land gab. Nat beobachtet, dass die Vögel nur bei Flut angreifen, deshalb will er die Zeit während der Ebbe nutzen um sich mit Nahrungsmitteln einzudecken. Als er und seine Familie sich daraufhin bis zum Nachbarn durchschlagen, finden sie auf der Farm alle getötet vor.

Die Apokalypse

Am nächsten Tag bleibt das Radio stumm, denn kein Radiosender sendet mehr. Jetzt greifen auch die Möwen und andere Vogelarten an und hacken erbarmungslos mit ihren Schnäbeln an den Fensterläden. Sie scheinen über eine kollektive Intelligenz zu verfügen und stoßen immer wieder in Formationen vor. Nat und seine Familie verschanzen sich in der Küche und werden Zeuge, wie nicht einmal Kampfflugzeuge der Lage Herr werden. Wie eine Phalanx attackieren sämtliche Vogelrassen in der eindeutigen Absicht zu töten und sogar den eigenen Tod in Kauf nehmend. Die Vögel schlagen zurück! Warum weiß man nicht, denn das Ende ist offen und es gibt keine Erklärung für das Verhalten der gefiederten Tiere. Nat und seine Familie können sich nur von Tag zu Tag retten.

Horror vom Feinsten

Daphne du Maurier hat hier eine wirklich düstere, literarisch anspruchsvolle Kurzgeschichte geschrieben, in dem kein Wort zu viel ist. Ohne große Effekthascherei und total auf den Punkt kreiert sie eine verstörende Stimmung, in dem sie normale Menschen im Alltagsleben in ausweglose, lebensbedrohliche Situationen bringt. Man meint fast das grauenvolle Flattern Tausender Flügel oder die erbarmungslos hackenden Schnäbel zu hören. Man spürt die unnatürliche Kälte aus Russland, den bitterkalten Wind, der die Bäume entlaubt und den schwarzen Frost bringt, den schwarzen, nicht den weißen Frost! Das beschreibt sie so beklemmend, dass ich tatsächlich an einigen Stellen vor Spannung meine Hände ins Lenkrad krampfte.

Dazu hat auch die hervorragende Inszenierung durch Jens Wawrczeck beigetragen. Der Schauspieler und Synchronsprecher, bekannt vor allen als Mitglied der Hörspielserie Die Drei ??? flüstert, schreit, poltert und bebt immer an den richtigen Stellen und schafft es auch, dem melancholischen Nat Leben einzuhauchen. Er trifft den Ton und versteht es, die Stimmung perfekt in Szene zu setzen.

Anmerkung dR: Jens Wawrczeck hat vor einigen Jahren beim Verlag Vitaphon sein eigenes Label Audoba gegründet. Darin veröffentlicht er Lesungen und Hörspiele von Werken, die ihm besonders am Herzen liegen. Da er auch ein großer Hitchcock-Fan ist, hat er in seinem Label die Reihe „Verfilmt von Alfred Hitchcock“ aufgelegt, darin veröffentlicht er die Bücher als Lesungen, die Hitchcock zu seinen Filmen inspirierten. (Quelle: hr2 Kultur) Bisher sind in dieser Reihe elf Hörbücher erschienen, Die Vögel ist das zuletzt aufgelegte.

Daphne du Maurier war eine britische Schriftstellerin, die 1989 als 72-jährige in Cornwall verstarb. Ich kannte von ihr den ebenfalls von Hitchcock verfilmten Roman Rebecca, der ein Welterfolg wurde. Auch viele anderen Werke von ihr wurden verfilmt, am bekanntesten sicher die Verfilmung der Erzählung „Dreh dich nicht um“ besser bekannt unter dem Titel Wenn die Gondeln Trauer tragen mit Donald Sutherland und Julie Christie inszeniert. Ihre Romane und Erzählungen zeichnen sich meistens durch psychologische Spannung aus, gehen oft ins Mystische und beinhalten auch immer ein bisschen Drama. 1969 wurde sie von der Queen zur „Dame“ ernannt.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Die Vögel | Das Hörbuch erschien am 18. Juni 2018 bei Audoba im Vitaphon Verlag
ISBN 978-3-942210-49-2
1 Audio CD | 14.95 Euro
Laufzeit: 100 Minuten
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Weiterlesen: Zur Hörbuch-Reihe „Verfilmt von Alfred Hitchcock“ von Jens Wawrczeck bei Vitaphon bzw. Audoba

Reinhören: Bei hr2 Kultur gab es einen knapp 9-minütigen Beitrag zu diesem Hörbuch.

Auch bei uns: Andy hat aus der selben Reihe bereits das Hörbuch Spellbound besprochen.

Abgehakt | September 2018

Abgehakt | September 2018

Francis Beeding | Spellbound Das Haus von Dr. Edwardes ♬

Viele Filme des Altmeisters Alfred Hitchcock basieren auf literarischen Vorlagen. Dieser teils vergessenen Perlen hat sich Jens Wawrczeck in einer neuen Hörbuchreihe angenommen und die spannenden Geschichten vertont. Während mich die Die Vögel sehr begeisterte, hatte ich mit Spellbound so meine Schwierigkeiten und bin nicht wirklich in die Geschichte reingekommen.

Das Haus von Dr. Edwardes ist eine Nervenklinik, die einem Schloss ähnlich sehr abgelegen in den Bergen liegt. Die junge Nachwuchsärztin, Dr. Constance Sedgwick, eine attraktive, unterkühlte Frau, fängt neu in der Klinik an, um erste Berufserfahrungen zu sammeln. Ihr Chef, der renommierte Oberarzt Dr. Edwardes befindet sich nach einem Nervenzusammenbruch im Erholungsurlaub. Während seiner Abwesenheit übernimmt Dr. Murchison die Leitung. Der brillante Psychiater lieferte erst kürzlich einen gefährlich psychotischen Patienten ein, der auf dem Transport einen Pfleger tötete. Nur durch das beherzte Eingreifen von Dr. Murchison konnte noch Schlimmeres wie zum Beispiel eine Flucht verhindert werden.

Die ehrgeizige Dr. Sedgwick begegnet bei ihrer Ankunft mehreren Dorfbewohnern, die sie vor den teuflischen Gefahren in der Nervenklinik warnen. Dieses soll wohl gruseligen Schauer verbreiten. Ich war aber nur von den schrulligen Charakteren genervt. Ellenlange Dialoge in einer betulichen Sprache, die die Geschichte nicht wirklich voran brachten, langweilten mich. Nach zweimaligen Anläufen habe ich das Hörbuch abgebrochen. Die Schauergeschichte hat leider meinen Geschmack nicht getroffen.

Spellbound Das Haus von Dr. Edwardes | Die gehörte Edition erschien am 31. Mai 2018 bei audoba
ISBN 978-3-942210-48-5
Laufzeit: 600 Minuten
16.95 Euro
Bibliografische Angaben & Hörprobe
Genre: Psychothriller
Wertung: entfällt wegen Abbruch

 

Ivo Pala | in Fall für Fuchs & Haas: Die Leiche am Strand

Wie der Titel schon sagt, wird eine Leiche am Strand zwischen Wustrow und Ahrenshoop auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst gefunden. Die Kommissare Bodo Fuchs und Gisa Haas beginnen sofort mit den Ermittlungen, denn zunächst muss herausgefunden werden, um wen es sich bei dem Toten handelt. Nach und nach tauchen Fuchs und Haas in die Kunstszene ein, in der es nicht nur um wertvolle Gemälde, sondern auch um Neid, Missgunst und den eigenen Vorteil geht.

Die Geschichte wird aus Sicht von Fuchs geschildert und dabei erzählt er ziemlich „frei Schnauze“ und der Leser wird direkt angesprochen und geduzt, was ich sehr erfrischend finde. Fuchs und Haas sind nicht immer einer Meinung, aber im Grunde ein gutes Team. Beiden ist der Ermittlungserfolg genauso wichtig wie die kulinarische Verpflegung während der Arbeit. Deshalb gibt es am Ende der Geschichte für den Leser noch einige mecklenburgische Rezepte.

Fazit: „Die Leiche am Strand“ von Ivo Pala ist ein kurzweiliger Krimi für Zwischendurch, der mir gute Unterhaltung geboten hat.

Ein Fall für Fuchs & Haas: Die Leiche am Strand | Erschienen am 25. April 2018 independently published
ISBN-13: 978-1980858508
245 Seiten (TB) | 2.99 Euro (eBook)
Die Taschenbuchausgabe gibt es (wie das eBook) für 9.99 Euro über amazon.de
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Genre: Regionalkrimi
Wertung: 4.0 von 5.0

 

Helen Kampen | Möwe, Meer und Mord

Ein Mord an einer Restaurant-Betreiberin auf der Insel Norderney bringt alle in Aufruhr. Kriminalkommissar de Vries und seine Kollegin Nina kommen aus Aurich angereist, um den Mörder zu finden und die Journalistin Amadea, die gerade mit ihrer Familie Urlaub macht, wittert eine interessante Story.

Der Urlaubskrimi Möwe, Meer und Mord von Helen Kampen hält, was er verspricht: Leichte Unterhaltung für zwischendurch. Schön finde ich, dass die Autorin echte Schauplätze mit einbezogen hat. Das Ende wiederum war etwas absehbar und ich hätte mich über eine Überraschung gefreut. Meine Vorfreude auf den Sommerurlaub ist hiermit aber auf jeden Fall gestiegen!

Möwe, Meer und Mord | Erschienen am 17. März 2016 im Emons Verlag
ISBN 978-3-95451-791-6
224 Seiten | 10.90 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Genre: Regionalkrimi
Wertung: 4.0 von 5.0

 

Tom Bouman | Im Morgengrauen

Wild Thyme, ein ländlicher Flecken im Norden Pennsylvanias. Der Officer Henry Farrell hat einen unangenehmen Fall: Penny Pellings, junge Mutter, drogenabhängig und wohnhaft in einem Wohnwagen, ist spurlos verschwunden. Ihr Partner, Kevin O’Keeffe, ist dringend tatverdächtig, beteuert aber seine Unschuld. Kurz darauf wird eine Leiche aus dem Fluss gezogen, ein Dealer und Bekannter von Penny. Henry bleibt auf der Suche und wird nach und nach immer tiefer in die dunklen Seiten der Region gezogen.

Der Roman spielt im sehr ländlichen Nordosten Pennsylvanias an der Grenze zum Bundesstaat New York. Ein klassisches Setting eines country noir bzw. rural noir: Strukturschwach, sichtbarer Niedergang, nur wenige Profiteure vom neuen Arbeitgeber, der Fracking-Industrie. Stattdessen die Kehrseiten der Medaille: Umweltschäden, Verkehr, Drogen. Erzählt wird die Geschichte vom Ich-Erzähler Henry Farrell. Dieser ist ein Kleinstadtpolizist in den unteren Hierarchiestufen. Ein eher melancholischer, nachdenklicher Typ, schon früh verwitwet.

Im Morgengrauen ist definitiv kein rasanter, temporeicher Krimi, auch die Spannungsmomente sind punktuell dosiert. Da gäbe es also noch Luft nach oben. Allerdings hat mir die Darstellung dieses Landstrichs in Pennsylvania als Symbol für den Niedergang des ländlichen Amerika mit all seinen Facetten gut gefallen. Das Setting und auch die Figuren wirken real und authentisch. Der Roman ist kein klassischer Krimi mit Fokus auf den Ermittlungen, sondern ein Hybrid aus Krimi und Gesellschaftsroman mit weitem Blick auf das Drumherum. Ein entschleunigter Noir. Wer sowas mag, ist bei Tom Bouman durchaus gut aufgehoben.

Im Morgengrauen | Erschienen am 26. Juni 2018 im Ars Vivendi Verlag
ISBN 978-3-86913-900-5
350 Seiten | 22.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Genre: Noir/hardboiled
Wertung: 3.5 von 5.0

 

Eric Ambler | Waffenschmuggel

Malaya, britisches Protektorat in den 1950ern. Eine kommunistische Rebellengruppe wird aufgerieben und hinterlässt unbemerkt im Dschungel ein Waffenversteck. Der indische Sekretär Girija findet die Waffen und sieht endlich die Chance, mit dem Verkauf der Waffen seinen Lebenstraum zu erfüllen: Die Gründung eines Busunternehmens. Doch der Verkauf der Waffen ist nicht so leicht. Ein Hehler ist in dem windigen chinesischen Geschäftsmann Tan schnell gefunden. Mögliche Käufer wären eine antikommunistische Widerstandsgruppe auf Sumatra. Doch um die Waffen in Singapur zu verkaufen, wird ein Strohmann benötigt. Man findet ihn in dem naiven amerikanischen Geschäftsmann Greg Nilson, der auf einer Kreuzfahrt in der Region weilt.

Wenige Zeit nach Graham Greenes „Der stille Amerikaner“ beschäftigte sich auch Eric Ambler mit Südostasien und brachte auch eine Hommage an Greenes Roman unter, indem er Nilson zu dessen Widerwillen in Saigon eine unfreiwillige Sightseeing-Tour zu den Schauplätzen des „stillen Amerikaners“ spendiert. Obwohl nicht frei von Stereotypen zeigt Ambler die knifflige und diffizile Lage in der Region auf und die Ignoranz, mit der die Amerikaner damit umgehen. Eine aktuelle und weitsichtige Note erhält die Story durch die Tatsache, dass der Amerikaner Nilson im guten Glauben, den Kommunismus zu bekämpfen, eine islamistische Gruppierung bewaffnen will.

Waffenschmuggel ist lange Zeit eine eher leicht launige Nummer, eine Reise durch Südostasien inklusive des Einfädelns eines Waffendeals. Da ist dann zwar zunächst nur verhältnismäßig wenig Thrill – zum Ende hin wird es aber noch richtig aufregend. Alles in allem erweist sich der Autor wieder einmal als versierter Geschichtenerzähler und Vermittler von politischen Hintergründen.

Waffenschmuggel | Erstmals erschienen 1959
Die aktuelle Ausgabe erschien am 5. Juni 2018 im Atlantik Verlag
ISBN 978-3-455-65116-4
368 Seiten | 14.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Genre: Politthriller
Wertung: 4.0 von 5.0

 

Christopher Brookmyre | Wer andern eine Bombe baut

Raymond Ash hat gerade keine guten Lauf: Zuhause ist die Stimmung angespannt, da sein neugeborener Sohn unter Koliken leidet, sein neuer Lehrerjob entpuppt sich als Höllenjob. Und dann lauern ihm auch noch irgendwelche Killer auf, als er das Abendessen besorgen will. Gleichzeitig ist die Polizistin Angelique de Xavia auf Terroreinsatz. Ein Terroranschlag des internationalen Topterroristen „Black Spirit“ ist für den Norden Großbritanniens angekündigt, nur kennt niemand das genaue Anschlagsziel. Irgendwann wird Angelique klar, dass Raymond der Schlüssel zum Ganzen ist. Beide nehmen den Kampf gegen „Black Spirit“ auf.

Christopher Brookmyre ist ein echter Vielschreiber, aber in deutscher Übersetzung liegen erst vier seiner über 20 Romane vor. Dieser hier ist der erste Auftritt seiner Protagonistin Angelique de Xavia (die auch in Die hohe Kunst des Bankraubs auftritt), klein im Wuchs, aber groß in Selbstbewusstsein und Cleverness. In diesem Buch erhält sie in Raymond Ash einen Mann in der Midlife-Crisis als unfreiwilligen Kompagnon.

Wer andern eine Bombe baut ist ein cleverer und streckenweise rasanter Thriller. Autor Brookmyre ist sehr versiert in schwarzem Humor, bissiger Gesellschaftskritik und popkulturellen Anspielungen. Könnte also ein Wahnsinnsbuch sein, allerdings hat der Autor auch ein Manko: Er plaudert und plaudert, hier noch eine Anekdote, dort noch eine krude Story aus der Vergangenheit der Hauptfiguren. Das schmälert auf Dauer dann doch den Lesefluss und bläht die Story unnötig auf.

Wer andern eine Bombe baut | Erschienen am 8. März 2018 im Galiani Verlag
ISBN 978-3-669-71163-8
368 Seiten | 16.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Genre: Thriller
Wertung: 3 von 5

Rezension 1 von Andy Ruhr, Rezension 2 und 3 von Andrea Köster, Rezension 4 bis 6 von Gunnar Wolters. Die Rechte für die Fotos liegen bei den Rezensenten.

Weiterlesen: Unsere bisherigen Ausgaben von Abgehakt

Richard Stark | The Hunter

Richard Stark | The Hunter

Er wollte nicht, dass Mal wusste, dass er am Leben war. Er wollte nicht, dass Mal Schiss kriegte und abhaute. Er wollte ihn entspannt und zufrieden, wie einen fetten Kater. Er wollte, dass er einfach nur dasaß, grinste und auf Parkers Hände wartete. (Auszug Seite 56)

Parker ist ein Spezialist für Brüche und Raubüberfälle, ein absoluter Profi, der mit wechselnden Partnern zusammenarbeitet. Bei seinem letzten Coup wurde er allerdings von seiner Frau Lynn und seinem Partner Mal Resnick getäuscht. Parker wird niedergeschossen und zurückgelassen in der Annahme, er sei tot. Doch er überlebt, bricht aus dem Gefängnis aus und schlägt sich bis nach New York durch – die Zeit der Abrechnung ist gekommen.

1962 erschien The Hunter und Autor Donald E. Westlake (unter dem Pseudonym Richard Stark) kreierte damit eine der bemerkenswertesten Gangsterfiguren. Parker ist kein smarter Räuber oder ein sonstiger Gangster, mit dem man sympathisieren kann. Im Gegenteil: Parker ist ein knallharter Schuft, ein Profiverbrecher, der auch vor Mord nicht zurückschreckt (dies in der Regel aber vermeidet). Parker ist ein Einzelgänger, der eiskalt seine Pläne durchzieht, ohne Kompromisse und ohne Gewissensbisse. Er ist wortkarg, sucht keinen Anschluss, arbeitet nur bei irgendwelchen Coups mit anderen zusammen. In der Zusammenarbeit verhält er sich dann loyal, wird er allerdings hintergangen (was häufig vorkommt), wird er unbarmherzig.

Das interessante an der Figur Parker ist aber, dass der Autor ihn nicht als Psychopathen beschreibt, sondern Parkers Empathie- und Gnadenlosigkeit irgendwie konsequent in der ihn umgebenden Welt wirkt. Parkers Vorname wird übrigens in der ganzen Serie nie erwähnt, Westlake selbst wird zitiert: „I don’t know what the hell it would be, maybe Frank.“

Anders als in weiteren Romanen beginnt der erste Auftritt von Parker nicht mit einem Coup. Der raffinierte Überfall ist schon erledigt, doch endet für Parker anders als geplant. Der Leser erfährt in Rückblenden von den Einzelheiten. Der Verrat nagt an Parker, er bricht sogar aus der kurzen Haft (wegen Landstreicherei) aus und tötet dabei einen Wärter, um sich auf den Weg machen zu können. Er trifft zunächst auf Lynn, seine Frau, die sich aus Angst und Resignation mit Schlaftabletten umbringt. Dann ist Mal Resnick sein nächstes Ziel, von ihm will er sich nicht nur seinen Anteil holen, diesen Mann will er töten. Doch Resnick gehört zum Syndikat, der mafiösen Verbrecherorganisation. Ein Angriff auf ihn fordert gleichzeitig das Syndikat heraus. Doch Parker ist zu allem entschlossen.

The Hunter ist ein hartgesottener Gangsterroman, der einen radikalen Rachefeldzug beschreibt. Der Plot ist also nicht allzu komplex und die Figuren bleiben zugegeben eher etwas oberflächlich, selbst Parker gibt nicht viel von sich preis. Doch dieser Roman hat einen Sound, dem man sich auch heute noch kaum entziehen kann. Eine stetige, knisternde Spannung liegt in der Luft, der Stil ist knapp und lakonisch, die Dialoge aufs Nötigste beschränkt. Einfach wie aus einem Guss geschrieben, ein wahrlich zeitloser Klassiker.

Richard Stark alias Donald E. Westlake war ein richtiger Vielschreiber, auch unter verschiedenen Pseudonymen. Sehr bekannt sind sicherlich auch seine Romane mit dem Meisterdieb John Archibald Dortmunder. Westlake schrieb insgesamt 24 Parker-Romane. Zunächst 16 zwischen 1962 und 1974. Mehr als zwanzig Jahre später meldete sich Parker 1997 passenderweise mit dem Titel „Comeback“ zurück, weitere sieben Romane folgten bis zum Tod Westlakes 2009. Während die Romane der letzten Phase noch verfügbar sind, sind die anderen Romane schon lange vergriffen. Sie erschienen Ende der 1960er und in den 1970ern überwiegend im Ullstein Verlag in teilweise gekürzter oder veränderter Übersetzung. 2015 erschien dann dieser erste Roman in neuer vollständiger Übersetzung von Nikolaus Stingl im Zsolnay Verlag. Leider war dies nicht der Auftakt zu einer vollständigen Wiederveröffentlichung der Reihe. Aber die Hoffnung bleibt, dass sich vielleicht nochmal einer den älteren Bände annimmt.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

The Hunter | Erstmals erschienen 1962
Die aktuelle Taschenbuchausgabe erschien am 20. Juli 2018 bei dtv
ISBN 978-3-
192 Seiten | 9.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Giorgio Scerbanenco | Das Mädchen aus Mailand

Giorgio Scerbanenco | Das Mädchen aus Mailand

Er ging ohne zu antworten. Sie hatten ja recht, aber sie verstanden ihn nicht. Sie mussten das Gesetz befolgen, und manchmal ist das Gesetz merkwürdig, es begünstigt den Verbrecher und bindet dem Ehrlichen die Hände. (Auszug Seite 170)

Der ehemalige Arzt Duca Lamberti erhält nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis einen Auftrag, Davide, den Sohn eines Industriellen, von dessen Alkoholsucht zu kurieren. Nach kurzer Zeit offenbart Davide den Grund seiner Alkoholsucht und Depression: Er fühlt sich schuldig am Selbstmord der Verkäuferin Alberta vor knapp einem Jahr. Doch Alberta hat Davide einen Gegenstand hinterlassen, der Lamberti stutzig macht und an einem Selbstmord zweifeln lässt.

Damals hatte Davide die junge Frau in Mailand aufgegabelt, um gegen Bezahlung mit ihr einen Abend zu verbringen und war mit ihr aus der Stadt gefahren. Doch auf der Rückfahrt fühlt sich Davide plötzlich von ihr bedrängt, als sie ihn beschwört, mit ihr wegzufahren und nicht nach Mailand zurückzukehren. In einem Vorort wirft er sie quasi aus dem Wagen, dort wird sie wenig später mit aufgeschnittenen Pulsadern aufgefunden. Doch sie hatte etwas in Davides Wagen verloren: Ein Taschentuch und einen kleinen metallenen Gegenstand, den erst Lamberti als Film einer Minox-Kamera identifiziert. Auf dem Film sind Nacktfotos von Alberta und einem weiteren Mädchen. Ein Indiz für einen womöglich anderen Ablauf als einen Selbstmord?

Es ist doch immer wieder bemerkenswert, wie groß die weißen Flecken in meiner Krimibibliothek sind. Gerade was die Klassiker betrifft, muss ich immer wieder eingestehen, dass ich vielleicht den Namen des Buches oder des Autors oder der Autorin kenne, aber es noch nicht gelesen habe. Von Giorgio Scerbanenco hatte ich sogar noch gar nichts gehört. Eigentlich ein Frevel, ist doch nach ihm der „Premio Giorgio Scerbanenco“, der wichtigste italienische Krimipreis benannt.

Der Autor kam 1911 als Sohn einer Italienerin und eines Ukrainers in Kiew zu Welt. Nachdem sein Vater während der Russischen Revolution ums Leben kommt, zieht er mit seiner Mutter endgültig nach Italien. Nach vielen Gelegenheitsjobs erhält er schließlich einen Job in einem Mailänder Verlagshaus. Auch erste Erzählungen von ihm werden abgedruckt. Nach dem 2.Weltkrieg beginnt seine produktivste Zeit, er schrieb zahlreiche Romane in verschiedenen Genres, hunderte Erzählungen und war Redakteur bei Frauenzeitschriften. Dennoch gilt er als „Vater des italienischen Krimis“. Den Grund erläutert Richter und Autor Giancarlo de Cataldo (unter anderem „Romanzo Criminale“, Suburra“) im interessanten Nachwort. Mitte der 1960er Jahre war der italienische Kriminalroman auf dem absoluten Tiefpunkt, galt als minderwertig. Es wurden nahezu ausschließlich ausländische Krimis verlegt, sogar in Krimis wie der Reihe um das „87. Polizeirevier“ von Ed McBain wurden italoamerikanische Namen verändert. Dann wurde 1966 mit Das Mädchen aus Mailand der erste Roman um Duca Lamberti veröffntlicht und ein großer Erfolg in allen Leserschichten. Dies gilt als Wendepunkt für den italienischen Krimi. Vier Romane um Duca Lamberti veröffentlichte Scerbanenco bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1969.

Im Gefängnis hatte er gelernt, keine Worte zu verschwenden. Im Prozess, als die Nichte von Signora Maldrigati weinte und jammerte, dass ihre Tante umgebracht worden sei, aber mit keinem Wort die Millionen erwähnte, die sie von ebendieser Tante geerbt hatte, wollte er reden, doch sein Verteidiger hatte ihm fast mit Tränen in den Augen zugeflüstert, er solle bloß nichts sagen, nicht ein einziges Wort, denn sonst hätte er die Wahrheit gesagt, und die Wahrheit ist der Tod; alles darf man sagen, bloß nicht die Wahrheit. Nicht vor Gericht. Nicht in einem Prozess. Und auch nicht im Leben. (Seite 9)

Auf diese Weise führt der Autor den ehemaligen Arzt Duca Lamberti als seinen Protagonisten ein. Lamberti ist ein desillusionierter Mann, der wegen Mordes im Gefängnis saß und seine Approbation verlor, dabei handelte es sich mehr oder weniger um Sterbehilfe. Nun ist seine Karriere ruiniert, aber er hat Verpflichtungen, denn es gilt, seine Schwester und seine kleine Nichte finanziell über Wasser zu halten. Sein Vater war einfacher Polizist, dadurch hat er Kontakte zur Polizei und ein freundschaftliches Verhältnis zu Inspektor Carrua, der ihm Aufträge vermittelt.

Lamberti ist ein einsamer, ruppiger Kerl, der angesichts von Ungerechtigkeit und Verbrechen Sarkasmus, Zorn und einen Drang entwickelt, die Verhältnisse zu bekämpfen. Er wird zu einem Mann, der das Recht zur Not selbst in die Hand nimmt. Lamberti ist also bei weitem kein weißer Ritter, sondern ein Mann im Graubereich, an dem man sich durchaus reiben kann und soll. Im Laufe des Romans lernt er Livia Ussaro kennen, auch sie eine engagierte Frau, die seine Überzeugungen teilt und sich sogar dafür (und für ihn) in Gefahr begibt und dafür einen hohen Preis bezahlt.

Das Mädchen aus Mailand ist ein Kriminalroman, bei dem man sein Erscheinungsdatum nur teilweise bemerkt. Denn die Themen des Romans (Ausbeutung, Frauenhandel) sind immer noch ziemlich aktuell. Auch das Bild von Mailand als kapitalistische Metropole mit all seinen Kehrseiten dürfte sich nicht wesentlich verändert haben. Der große Reiz des Romans liegt wie oben beschrieben an seiner widersprüchlichen Hauptfigur, die aneckt. Interessant ist die Erzählweise Scerbanencos, der einen auktorialen Erzähler mit einem personalen Erzähler mischt. Der Plot hätte zu Beginn für meinen Geschmack etwas mehr Tempo vertragen, aber insgesamt ist dieses Buch ein wirklich lesenswerter Kriminalroman.

 

Rezension und Foto Gunnar Wolters.

Das Mädchen aus Mailand | Erstveröffentlichung 1966
Die aktuelle Ausgabe erschien am 10. Juli 2018 im Folio Verlag
ISBN 987-3-85256-754-9
256 Seiten | 18.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Sándor Ferenczy | Die Marsrakete & Der Mann mit der dunklen Brille

Sándor Ferenczy | Die Marsrakete & Der Mann mit der dunklen Brille

Im April diesen Jahres hat Der Audio Verlag historische Hörspielaufnahmen des „ersten großen Schallplattenproduzenten Deutschlands“ Sándor Ferenczy aus den 1950er und 1960er Jahren nach leichter Audiobearbeitung neu aufgelegt. Zwei von inzwischen vier veröffentlichen Medien habe ich mir angehört, und zwar zum einen Der Mann mit der dunklen Brille und weitere Abenteuer von Tobby und Robby sowie Die Marsrakete und weitere Abenteuer.

Sowohl Tobby und Robby als auch die anderen Hörspielprotagonisten sind junge vorwitzige und clevere Schüler, die in den deutschen Nachkriegsjahren viele kleine und größere Kinder vor den Rundfunkgeräten fesselten, denn sie boten eine neue Form der Unterhaltung für Kinder, gepaart mit vermeintlich riskanten Missionen, verwegenen Abenteuern und echten Ermittlern, die sich gerne von Kinderdetektiven unterstützen ließen.

Der Charme der Produktionen liegt für mich eindeutig in dem Alter der Aufnahmen und den daraus resultierenden Ermittlungsmethoden, Ansichten und Vorstellungen der Kinder. Man kann sich durch die Sprecher unheimlich gut in die Zeit der Kindheit unserer Eltern (in meinem Fall) versetzen. Vor mir sehe ich dabei zum Beispiel die Straßen von Berlin, in denen Emil in Emil und die Detektive seine Ermittlungen durchführte. Dabei kommen noch so wunderbar nostalgische Wörter wie Peterwagen (für Polizeieinsatzfahrzeug), Froschmänner (Polizeitaucher) und andere vor.

Auf der CD Die Marsrakete und weitere Abenteuer finden sich vier Hörspiele: Die Marsrakete, Peterwagen 7, Stopp für Nord-Express und Froschmänner im Einsatz. Die Hörspielsammlung Der Mann mit der dunklen Brille und weitere Abenteuer von Tobby und Robby beinhaltet ebenfalls vier spannende Folgen: Der Mann mit der dunklen Brille, Schmuggel über den Wolken, Die schwarze Aktentasche sowie Unfallwagen 4. Auf den Seiten des Audioverlags gibt es zu jeder Folge eine kurze Inhaltsangabe. Da die Folgen kurz sind, verzichte ich auf eine Zusammenfassung des Inhaltes und beschränke mich auf die dringende Empfehlung für all diejenigen, die sich gerne in ihre Kindheit zurückversetzen lassen möchten. Aber auch Hörer, die diese Jahre nicht als Kind erlebt haben, werden Gefallen an den liebevollen Produktionen finden. Es sind sowohl Perlen als auch Zeitzeugen einer ganzen Nachkriegsgeneration, welche unter Berücksichtigung der Originalität restauriert neu aufgelegt wurden.

Andrea hatte für krimirezensionen.de jüngst das fünfzigminütige Hörspiel Die Gentlemen bitten zur Kasse von Sándor Ferenczy besprochen. Es stammt aus der selben Zeit und ist ein weiteres Beispiel für die großartige Welt der Radiohörspiele.

Sándor Ferenczy (1906- 1993) war Hörspielregisseur und -Autor und gilt heute als „erster großer Schallplattenproduzent Deutschlands“. Ferenczy schrieb und bearbeitete in erster Linie Hörspiele für Kinder und Jugendliche; neben zahlreichen Märchenhörspielen der 1950er Jahre auch eine Reihe von modernen oder eigenen Stoffen, zum Beispiel Die Gentlemen bitten zur Kasse (1966/1968) und Der Wal im Wasserturm (1974) oder Peter und das Zauberklavier (1959). 2006 wurde begonnen, die alten Aufnahmen Ferencys zu restaurieren und neu auf CD zu veröffentlichen.

 

Der Mann mir der dunklen Brille | Die Marsrakete
Beide Hörspielsammlungen erschienen am 9. Februar 2018 bei DAV Der Audio Verlag
ISBN 978-3742403896 | 978-3742403902
je 1 Audio-CD
Laufzeit in Minuten: 51 | 47
ab 8 Jahren
Hörproben: Der Mann mit der dunklen Brille | Die Marsrakete

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Kinder- und Jugendkrimis.

 

Weiterlesen: Andys Rezension zu Sándor Ferenczys Hörspielproduktion Die Gentlemen bitten zur Kasse