Kategorie: Aktenzeichen

Ellen Sandberg | Der Verrat (mit Verlosung)

Ellen Sandberg | Der Verrat (mit Verlosung)

„In Nane brach etwas zusammen. Für einen Moment glaubte sie, ihr Herz habe keine Kraft weiterzuschlagen. Im nächsten Augenblick explodierte sie. Sie sprang auf und schrie: „Dieses verdammte Miststück! Nichts gönnt sie mir! Alles muss sie mir nehmen!“ Sie brüllte ihre Wut über diesen doppelten Verrat heraus, und Birgit gelang es erst, Nane zu beruhigen, als die Nachbarn klingelten und fragten, ob alles in Ordnung sei.“ (Auszug Seite 323)

Nane saß zwanzig Jahre im Gefängnis, weil sie durch Manipulation am Auto ihrer Schwester Pia den Tod von Henning, dem Sohn von Pias Mann Thomas, herbeigeführt hat. Nun ist ihre restliche Strafe auf Bewährung ausgesetzt und sie kann sich ein neues Leben aufbauen. Aber auch nach so langer Zeit lässt ihr der Unfallabend keine Ruhe: Sie ist sich ganz sicher, dass sie nach Ablassen der Bremsflüssigkeit Thomas angerufen und ihn gewarnt hat. Warum hat er vor Gericht etwas anderes ausgesagt? Sie muss unbedingt nochmal mit ihm reden… So und durch andere Begebenheiten wird nach und nach der Tathergang noch einmal aufgedröselt und ein ganzes Familienschicksal erzählt.

Familiengeschichte mit Geheimnissen

Der Verrat von Ellen Sandberg ist der zweite Spannungsroman der Autorin. Es ist am ehesten eine Familiengeschichte mit Geheimnissen, in der sich die Prophezeiung der Mutter der drei Schwestern Nane, Birgit und Pia bewahrheitet: Denn schon seit Generationen stürzen sich Frauen der Familie durch Liebe und Leidenschaftlich unweigerlich ins Verderben.

Komplexe Verhältnisse innerhalb der Familie

Im Kern des Buches geht es um den Unfall von Henning, der durch die Manipulation am Auto von Nane verunfallt und dabei ums Leben gekommen ist. Die Geschichte wird abwechselnd in zwei Zeitebenen erzählt, vor zwanzig Jahren und heute. Dabei kommen viele handelnde Personen zu Wort, wobei in der ersten Hälfte erst mal ausführlich alle Familien- und Personenverhältnisse erläutert werden. Das stellt sich als relativ komplex dar und es werden viele Namen genannt, aber ich habe den Überblick nicht verloren. Außerdem verschwimmen die Zeitebenen etwas, da die Personen von heute sich auch an die Vergangenheit erinnern. Hier bin ich dann schon einige Male ins Straucheln geraten, das hat meinen Lesefluss aber nur sehr kurz beeinträchtigt.

Unaufgeregtes Lesevergnügen

In der zweiten Hälfte wird es dann so richtig interessant, denn immer wieder werden Andeutungen gestreut, dass es außer dem Warn-Anruf noch weitere Ungereimtheiten und Geheimnisse zu diesem Unglücksabend gibt. Insgesamt hat sich die Geschichte für mich unaufgeregt, aber stetig interessant gelesen. Ich habe gern von der Familie gelesen und mich insgeheim gefreut, dass ich nicht selbst solche komplizierten Verhältnisse zu meiner eigenen habe. Meine Sympathien zu den handelnden Personen wechselte etwas, am ehesten kann ich mich aber mit Pia identifizieren, da sie sehr darauf bedacht ist, auch in der Liebe einen klaren Kopf zu behalten, um alles in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen. Nane hingegen finde ich tatsächlich einfach durchgeknallt, wobei ich sie in einigen Passagen auch verstehen kann. Diese beiden Schwestern sind im Roman als Protagonisten anzusehen, auch wenn viele andere Personen zu Wort kommen. Das Ende konnte mich dann schon überraschen, haut mich aber nicht völlig von den Socken.

Fazit: Ein Familien-Spannungsroman ohne besondere Höhen oder Tiefen, der sich flüssig lesen lässt.

Ellen Sandberg ist das Pseudonym der Autorin Inge Löhnig. Sie wurde 1957 geboren, studierte Grafikdesign und arbeitete zunächst in verschiedenen Werbeagenturen. Das ursprüngliche Hobby Schreiben wurde nach und nach zum Hauptberuf. Die Autorin schreibt vor allem Ermittlerkrimis um den Protagonisten Konstantin Dühnfort, aber auch Jugendthriller und eben Spannungsromane.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Der Verrat | Erschienen am 27. Dezember 2018 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10090-4
480 Seiten | 15.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Andreas Rezension zum ersten Spannungsroman der Autorin, Die Vergessenen.

 

Verlosung!

Wer sich nun selbst einen Leseeindruck verschaffen möchte, hat bei uns die Gelegenheit, den ersten Band Die Vergessenen zu gewinnen. Alles was ihr dafür tun müsst, ist uns bis zum 30. April 2019 einen Kommentar unter dieser Rezension zu hinterlassen, in dem ihr uns euren Lieblingshandlungsort für Krimis verratet, z. B. Skandinavien, Japan, Südstaaten etc.

Nach der Gewinnbenachrichtigung bitten wir den Gewinner, uns innerhalb einer Woche seine Postadresse an hallo-at-krimirezensionen.de mitzuteilen. Diese wird nicht gespeichert und nur für den Versand des Gewinnes verwendet. Der Versand erfolgt per Büchersendung ausschließlich an Postanschriften in Deutschland; dem Gewinner entstehen keine Kosten. Ein Versand an Packstationen ist leider nicht möglich.

Eine Barauszahlung des Gewinnes ist ausgeschlossen, ebenso wie der Rechtsweg.

Viel Glück wünscht euch das Kaliber.17-Team!

Volker Kutscher | Marlow

Volker Kutscher | Marlow

Geheimakten. Weiß Gott woher. Aber das spielte auch keine Rolle. Ebenso war es völlig unerheblich, dass Rath noch keinen zusammenhängenden Satz gelesen hatte und gar nicht wusste, worum es ging. Er hatte unbefugt geheimes Material geöffnet, das auf irgendeine Weise mit Hermann Göring zu tun hatte, seinem Dienstherrn, dem zweitmächtigsten Mann im Reich. (Auszug Seite 35)

Im Spätsommer 1935 wird Gereon Rath, inzwischen Oberkommissar, zu einem tödlichen Verkehrsunfall gerufen. Ein Taxi ist aus noch ungeklärten Gründen auf den Yorckbrücken frontal gegen eine Mauer gerast und beide Insassen, der Fahrer und der Passagier, sind auf der Stelle tot. Rath findet im Fond des Wagens einen Umschlag, den er spontan öffnet und erschrocken feststellt, dass es sich hier um geheime Nachforschungen des SS-Geheimdienstes den Reichsministers Hermann Göring betreffend, handelt. Er will die brisanten Akten schnell wieder los werden und schickt sie an die ursprüngliche Adresse in Nürnberg.

Hirntumore und Heiratsschwindler

Da kein Hinweis auf Fremdeinwirkung vorliegt, will Rath den Fall eigentlich schnell abschließen, denn seine Tage bei der Mordinspektion unter Kriminaldirektor Ernst Gennat, dem „Buddha“ sind gezählt. Die Arbeit macht ihm schon lange keinen Spaß mehr, seit er zuletzt nur noch mit belanglosen Fällen betraut wird und er ist daher froh, dass sein Versetzungsantrag zum Landeskriminalamt angenommen wurde. Andererseits kommen ihm einige Sachen sehr dubios vor. Bei dem toten Fahrgast handelt es sich um einen hochrangigen SS-Mann, der allerdings unter ganz anderem Namen von einer Dame als vermisst gemeldet wurde und die ist ausgerechnet die Sekretärin von Hermann Göring. Weiter stellt sich heraus, dass der Taxifahrer unter einem aggressiven Hirntumor litt, was eine Erklärung für den Unfall wäre.

Hier kommt Raths alter Vorgesetzter, der ehemalige Kommissar Wilhelm Böhm, der nun gemeinsam mit Charlotte Rath eine Detektei betreibt, in Spiel. Ihn erinnert das an einen Fall aus der Vergangenheit und der hängt mit dem Tod von Charlys Vater vor einigen Jahren zusammen. Als Rath begreift, dass seine Ehefrau in Gefahr ist, und auch, dass sein ewiger Widersacher, der Gangsterboss Johann Marlow irgendwie in die Sache verstrickt ist, macht er sich auf den Weg nach Nürnberg. Offiziell um seinen Ziehsohn Fritz zu besuchen, der mit der HJ zum Nürnberger Reichsparteitag marschiert ist. Der Junge hatte sich in den letzten Monaten durch seine Bewunderung für die Nazis immer mehr von seinen Pflegeeltern entfernt. Und zu allem Überfluss geraten diese wegen mangelnder Parteitreue ins Visier des Jugendamtes.

Eine andere Geschichte

Doch eigentlich geht es in dem siebten Teil der Gereon-Rath-Reihe um den ehemaligen Berliner Unterweltkönig Johann Marlow. Im neuen Deutschland zählt nur noch Macht und nicht mehr der Rechtsstaat. Also trägt Dr. M jetzt SS-Uniform statt Smoking und will mit Hilfe einflussreicher Freunde in den höchsten Regierungskreisen aus seinen kriminellen Geschäften aussteigen. Im Wechsel mit dem aktuellen Ermittlungsfall wird in Rückblenden „eine andere Geschichte“ erzählt. Diese beschreibt einen Zeitraum von 1918 bis 1926 und wir erfahren von Marlows Jugend in der kaiserlichen Kolonie Tsingtau, wie der Sohn eines rassistischen Vaters als Sanitätsunteroffizier im Ersten Weltkrieg diente, erfahren von der dramatischen Liebesgeschichte mit einer Chinesin und ihrem Sohn Liang Kuen-Yao, der später seine rechte Hand und Chauffeur wird.

Gewohnt komplex mit mehreren parallel laufenden Handlungssträngen sowie Rückblenden in die Vergangenheit und wie immer akkurat recherchiert lässt dieser Band den grauen Alltag im dritten Reich auf beklemmende Weise nachempfinden. Fast beiläufig erfährt man von den sogenannten Stürmerkästen, ein antisemitisches Hetzblatt, dass in öffentlichen Schaukästen ausgestellt wurde. Es gibt bedrohliche Szenen, wenn unser Held vor die SS zitiert wird.
Aber Rath ist auch ein fragwürdiger Held, was besonders in diesem Band deutlich wird. Ein widersprüchlicher Mensch mit manchen Irrtümern, der nicht immer den politischen Durchblick behält. Aber grade dadurch ist er für mich eine absolut realistische, authentische Figur. Er verstrickt sich immer wieder in neue Lügen und ist über sich selbst entsetzt, als er auf dem Parteitag in Nürnberg von den Massen mitgerissen wird. Am Beispiel des eher unpolitischen Gereon Rath spürt man die Gefahr, zum Mitläufer zu werden.

Er, Gereon Rath, der in Berlin den Deutschen Gruß verweigerte und verschlampte, wo immer das nur möglich war, stand hier in Nürnberg am Straßenrand und riss, getragen von der Masse und ihrem Rhythmus, in einem fort den rechten Arm hoch. (Seite 280)

Babylon Berlin

Marlow ist der erste Band nach dem Erscheinen von Babylon Berlin, mit fast 40 Millionen Euro die teuerste deutsche Fernsehserie aller Zeiten, mit namhaften Schauspielern und dem Hollywood erfahrenen Tom Tykwer. Drei Drehbuchautoren hatten den ersten Band der Gereon-Rath-Reihe Der nasse Fisch zu 16 Folgen in zwei Staffeln verwandelt. Und egal, wie einem die Serie gefallen hat – und die Meinungen gehen hier weit auseinander: Für die einen ist es ein bildgewaltiges Meisterwerk, für die anderen zu steril und zu komplex – von Volkers Kutschers Original-Story ist hier nicht viel übrig geblieben. Der Autor sagt dazu, dass er seine Figuren loslassen und vertrauen musste, denn Tykwer sprühte vor Ideen und er wollte dessen Kreativität nicht zügeln. Es war ihm klar, dass mit Bildern zu erzählen etwas anderes ist, als mit Worten. Wichtig war ihm nur, dass der Grundgedanke seiner Kriminalreihe erhalten bliebe.

In dem illustrierten Prequel der Serie Moabit wird die Vorgeschichte von Charlotte Ritter und dem Tod ihres geliebten Vaters erzählt und im Gegensatz zur Fernsehserie wird Charlotte hier mit einer ganz anderen Biografie ausgestattet. Jetzt im siebten Band Marlow bleibt Volker Kutscher bei seiner Storyline und führt diese Geschichte weiter bis zur spannenden Auflösung.

Mir haben bisher alle Bände der Reihe sehr gut gefallen, aber Marlow ist unglaublich dicht erzählt und eindeutig ein Höhepunkt!

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Marlow | Erschienen am 30. Oktober 2018 bei Piper
ISBN 978-3-492-05594-9
528 Seiten | 24.- Euro
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Volker Kutscher.

Auch bei uns: Rezensionen zu Volker Kutschers Romanen Der nasse Fisch, Der stumme Tod, LunaparkGoldstein,Die Akte Vaterland sowie Märzgefallene.

Volker Kutscher | Märzgefallene ♬

Volker Kutscher | Märzgefallene ♬

Im März 1933 nutzt der Berliner Kriminalkommissar Gereon Rath ein paar freie Tage und stürzt sich mit falscher Gumminase, schwarzer Brille und Schnurrbart in den Kölner Karnevalstrubel. Der Ex-Rheinländer muss seinen Kurzurlaub jedoch abbrechen, als in Berlin der Reichtstag brennt und alle verfügbaren Mitglieder der Polizei bei der Politischen eingesetzt werden. Der frisch zum Reichskanzler ernannte Adolf Hitler nutzt den Reichstagsbrand, um politische Gegner auszuschalten, besonders die Anhänger der kommunistischen Partei.

Obdachlose und minderjährige Brandstifter

In Berlin hat sich Raths ungeliebter Vorgesetzter Oberkommissar Wilhelm Böhm ins politische Abseits manövriert und so erbt Rath den Fall eines am Nollendorfplatz ermordeten Obdachlosen. Dieser wurde mit einem Grabendolch erstochenen. Der Wehrpass in seinem Mantel weist den im Gesicht schlimm entstellten Toten als Kriegsveteran des Ersten Weltkriegs aus. Eine Spur führt zu einer jungen Brandstifterin. Charly Ritter befragt Hanna Singer, die in einem Irrenhaus untergebracht ist, bekommt aber aus dem sechzehnjährigen verstörten Mädchen nichts heraus. Am nächsten Tag bricht Hanna aus der Anstalt aus.

Operation Alberich

Es meldet sich ein Zeuge, der angibt mit dem Ermordeten im Krieg gekämpft zu haben. Leutnant a.D. Achim Graf von Roddeck hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben, das kurz vor der Veröffentlichung steht. In seinem Roman „Märzgefallene“ geht es um die schrecklichen Ereignisse während der letzten Kriegstage des ersten Weltkrieges. Im Besonderen um die unrühmlichen Taten der abziehenden Wehrmacht in Frankreich sowie um die schändlichen Verbrechendes des jüdischen Hauptmannes Benjamin Engel.

Viele markante Ereignisse hat Volker Kutscher in die Handlung eingebaut, die diese Zeit prägten, wie den Reichstagsbrand, die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler oder die Bücherverbrennung im nationalsozialistischen Deutschland. Der Autor versteht es wieder hervorragend, die politische und gesellschaftliche Realität jener Jahre mit der fiktiven Geschichte in Einklang zu bringen. Langsam aber sicher beeinflusst das NS-System das Alltagsleben. Die detailgenaue und authentische Gestaltung des zeitgenössischen Hintergrundes macht einen großen Reiz dieses spannenden Kriminalromans aus.

Rath bewegt sich in diesem fünften Kriminalroman wieder am Rande der Legalität und darüber hinaus. Er lässt Leichen verschwinden, vertuscht Morde, belügt Vorgesetzte und Verlobte, nimmt die Hilfe von Unterweltbossen an und wacht am Karnevalsmorgen mit einer fremden Frau im Bett auf. Er ist eine eigensinnige Figur, dem Gerechtigkeit oft wichtiger ist als Recht. Volker Kutscher hat hier eine Person mit Grautönen geschaffen. Rath ist intelligent genug, die Ereignisse um ihn herum wahrzunehmen. Aber er ist auch ein bisschen bequem und redet sich ein, so schlimm wird es schon nicht werden.

David Nathan ist ein deutscher Hörbuch- und Hörspielsprecher und für mich einer der Besten seines Fachs, besonders bei den Interpretationen in den Genres Thriller- und Horrorliteratur. Nathan hat auch viele Romane des amerikanischen Schriftstellers Stephen King eingelesen. Er lebt in Berlin und ist die deutsche Stimme von u.a. Johnny Depp und Christian Bale. Ich habe bei Nathan nie das Gefühl, das mir jemand etwas vorliest, sondern ich bin immer mitten in der jeweiligen Geschichte drin.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Märzgefallene | Das Hörbuch erschien am 27. September 2018 im Argon Verlag
ISBN 978-3-8398-9397-5
1 mp3-CD | 10.- Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesefassung: 9 Stunden 41 Minuten
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Volker Kutscher.

Auch bei uns: Rezensionen zu Volker Kutschers Romanen Der nasse Fisch, Der stumme Tod, LunaparkGoldstein und Die Akte Vaterland.

Volker Kutscher | Die Akte Vaterland ♬

Volker Kutscher | Die Akte Vaterland ♬

Schnapsbrennerei und indianisches Pfeilgift

Der vierte Teil der Gereon-Rath-Reihe führt uns in den Sommer von 1932. Im Lastenaufzug von Haus Vaterland, einer riesigen Vergnügungsstätte am Potsdamer Platz in Berlin, wird ein Spirituosenhändler tot aufgefunden. Alle Ermittlungen deuten darauf hin, dass er ertrunken ist. Zwei weitere ähnlich gelagerte Todesfälle ergeben, dass die Opfer durch ein indianisches Pfeilgift gelähmt wurden. Kommissar Gereon Rath ist frustriert, denn seine Ermittlungen gegen einen mysteriösen Auftragsmörder, genannt „Phantom“ treten auf der Stelle und er muss die Ermittlungen abgeben. Charlotte Ritter kommt von einem Studienjahr aus Paris zurück und fängt als Kommissaranwärterin bei der Weiblichen Kriminalpolizei am Alex an. Sie wird ausgerechnet Gereons Mordkommission zugeteilt und endlich machen die beiden durch eine Verlobung ihre Beziehung öffentlich. Charly wird undercover als Küchenhilfe in Haus Vaterland eingeschleust und nicht nur hier ist sie mehrfach frauenfeindlichen Übergriffen ausgesetzt.

Die Spur führt nach Ostpreußen

Da alle Spuren in eine Spirituosenbrennerei nach Ostpreußen führen, macht sich Rath in die masurische Kleinstadt Treuburg auf. Die wortkargen Einwohner erweisen sich als nicht besonders auskunftsfreudig und sind Fremden gegenüber erst mal misstrauisch. Einige Bewohner versuchen sogar, den Kommissar bewusst ins Moor zu leiten und hoffen, dass er nie wieder auftaucht. Der Reiz entsteht hier durch den absoluten Gegensatz zwischen der pulsierenden, aufgeklärten Weltstadt Berlin und dem vermeintlich idyllischen Treuburg. Mittels Volksabstimmung war Masuren grade wieder deutsch geworden und der Hass auf alles was polnisch oder katholisch ist, immer noch spürbar.

Ich kann die vielschichtige Handlung hier nur anreißen. Volker Kutscher nimmt sich viel Zeit und entwickelt langsam und ruhig seinen Plot mit mehreren miteinander verwobenen Fällen. Der Autor schafft es wieder, Zeitgeschichte in einen unterhaltsamen Kriminalroman zu transportieren ohne die Spannungskurve zu vernachlässigen. Kutscher glänzt nicht mit temporeichen atemlosen Thrill, sondern mit ausgefeilter Dramaturgie. Seinen immensen Einfallsreichtum kann ich nur wieder bewundern. Es geht um organisierte Schnapsbrennerei und ein in den Wäldern lebenden Ostpreußen. Vom Staatsputsch im Juli 1932 gegen die demokratische Regierung bekommt der Berliner Kommissar aufgrund seiner Ermittlungen in der Wildnis von Masuren gar nichts mit. Dabei gerät Rath dadurch ganz schön in Bedrängnis, da auch die Spitze der Berliner Polizei ausgetauscht wird und er damit den Schutz des Polizeivizepräsidenten verliert. Nach wie vor haben die Menschen keine Ahnung vom bevorstehenden Untergang und der politisch eher uninteressierte Gereon Rath, beispielhaft für einen Teil der Bevölkerung, verabscheut zwar die Nazis, versucht sich aber mit den Gegebenheiten zu arrangieren.

David Nathan ist der perfekte Interpret für diese Zeitreise in eine ganz andere Welt. Er benötigt nur wenige Minuten und man kann sich dem Kopfkino nicht mehr entziehen. Bei dem Hörbuch handelt es sich um eine gekürzte Version.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Die Akte Vaterland | Das Hörbuch erschien am 26. September 2018 im Argon Verlag
ISBN 978-3-8398-9394-4
1 mp3-CD | 10.- Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesefassung: 7 Stunden 21 Minuten
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Volker Kutscher.

Auch bei uns: Rezensionen zu Volker Kutschers Romanen Der nasse Fisch, Der stumme Tod, Lunapark und Goldstein.

Martin von Arndt | Sojus

Martin von Arndt | Sojus

Würde ihm ein Gespräch mit Sarkis dabei helfen, seine Fragen zu klären? Oder waren diese Fragen im Grunde nichtig? Ging es ihm nicht vielmehr um seine quälend werdende Sinnfrage… um das Verlangen, seine Ruhe, die er in Würzburg gefunden hatte, zu tauschen gegen – ja, wogegen denn? Vielleicht gegen etwas Vertrautes, etwas Ähnliches wie – Heimat.
Oder bürdete er diesem Unbekannten, den er biologisch seinen Sohn nennen durfte, damit eine Last auf, die der unmöglich tragen konnte? (Auszug Seite 95)

Ex-Kommissar Andreas Eckart hat sich im Jahr 1956 eigentlich zur Ruhe gesetzt, als er von Dan Vanuzzi, seinem ehemaligen Partner beim amerikanischen Militärgeheimdienst CIC, kontaktiert wird. Vanuzzi, wie Eckart bei den Amerikanern in Ungnade gefallen, arbeitet neuerdings für den britischen MI6. Er hat Kontakt zu einer Quelle beim ungarischen Geheimdienst, die ihm ein brisantes Dossier über sowjetische Agenten anbietet. Vanuzzi muss nach Budapest, um an das Dossier zu kommen. Doch dort spitzt sich die Lage gerade zu, der Volksaufstand ist im Gange und alles wartet auf die Reaktion der Sowjets. Um Eckart zum Mitkommen zu überreden, verrät Vanuzzi ihm den Namen eines in Ungarn operierenden Sowjetagenten: Sarkis, Eckarts Sohn mit der armenischen Rebellin und Terroristin Aghawni, den er nie kennengelernt hat. So begeben sich die beiden über Umwege nach Ungarn und bewegen sich dort im Untergrund.

Sojus ist der dritte Teil der Reihe um den Psychoanalytiker und Kommissar Andreas Eckart. Interessant an dieser Reihe sind die großen Zeitsprünge zwischen den Bänden. Band 1, Tage der Nemesis, spielt Anfang der 1920er vor dem Hintergrund des Völkermords der Türken an den Armeniern und der instabilen Weimarer Republik. In Band 2, Rattenlinien, ist Eckart nach dem zweiten Weltkrieg auf der Suche nach sich absetzenden Ex-Nazis. Der vorliegende dritte Band greift zunächst einen Strang aus dem zweiten Band wieder auf und beginnt 1948.

Eckart wurde von den Amerikanern in einer Psychiatrie interniert, da sie befürchten, diese könnte schmutzige Deals mit Ex-Nazis an die Öffentlichkeit bringen. Seine ehemaligen Partner Rosenberg und Vanuzzi, inzwischen in Diensten des neu gegründeten israelischen Geheimdienstes, wollen ihn dort herausholen. Die nun folgende Befreiungsaktion ist zwar durchaus spannend, aber wirkt auf mich wie ein Fremdkörper im Rest des Buches, das acht Jahre später spielt. Außer Vanuzzi taucht keine Figur im weiteren Verlauf mehr auf und der Aufenthalt in der Psychiatrie scheint Eckart acht Jahre später kaum noch zu beeinträchtigen.

Ansonsten greift Autor von Arndt allerdings wieder den ersten Teil der Reihe auf: Eckart hatte damals eine Liebesbeziehung zu einer Armenierin. Dieser Liebe war keine gemeinsame Zukunft vergönnt, doch es entstand ein Sohn aus dieser Beziehung. Mehr als dreißig Jahre später ist Sarkis in Diensten des KGB. In Ungarn agiert er als Agent provocateur. Er versucht den Volksaufstand zu radikalisieren, um einen Vorwand für ein sowjetisches Eingreifen zu liefern. Sarkis ist ein kommunistischer Kader geworden. Kann die Begegnung mit seinem Vater ihn ideologisch erschüttern?

Sojus hat seine besten Szenen, wenn Eckart und Vanuzzi das Geheimversteck verlassen und durch die umkämpften Straßen der ungarischen Hauptstadt streifen. Diese Abschnitte sind sehr intensiv und das Setting authentisch. Was ich ein wenig schade finde: Die beiden Hauptfiguren (die ansonsten gut „harmonieren“) kommen von außerhalb, so dass sie irgendwie nur dabei, statt mittendrin sind. Ein detaillierter ungarischer Blick fehlt. Die Ereignisse werden von Dritten wiedergegeben. Trotzdem wird gut deutlich, wie die Ungarn von den Westmächten im Stich gelassen wurden. Einen Konflikt mit den Sowjets wollte niemand riskieren, allerdings sagte man dies den Ungarn nicht so deutlich. Stattdessen sorgten sich Großbritannien und Frankreich um den Zugang zum Suezkanal und intervenierten lieber in Ägypten militärisch. Was der Autor im Nachwort nochmal als durchaus traumatisch beschreibt und nach seiner Ansicht das schwierige Verhältnis der Ungarn zum Westen bis heute teilweise beeinflusst.

Insgesamt ist Sojus ein solider, durchaus spannender Spionage-/Politthriller mit unverbrauchtem Setting. Ein wenig Luft nach oben ist aber vorhanden, zumal auch der Vater-Sohn-Konflikt noch schärfer hätte beleuchtet werden können, die Figur Sarkis bleibt zudem insgesamt zu unscharf. Dennoch gehört die Reihe zu den interessanteren historischen Krimis/Thrillern aus deutscher Feder.

Sojus | Erschienen am 26. Februar .2019 im Ars Vivendi Verlag
ISBN 978-3-86913-974-6
296 Seiten | 20.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezension von Gunnar zu Tage der Nemesis bei Lovelybooks, Rezension von Anne Kuhlmeyer zu Rattenlinien im Crimemag