Volker Kutscher | Die Akte Vaterland ♬
Schnapsbrennerei und indianisches Pfeilgift
Der vierte Teil der Gereon-Rath-Reihe führt uns in den Sommer von 1932. Im Lastenaufzug von Haus Vaterland, einer riesigen Vergnügungsstätte am Potsdamer Platz in Berlin, wird ein Spirituosenhändler tot aufgefunden. Alle Ermittlungen deuten darauf hin, dass er ertrunken ist. Zwei weitere ähnlich gelagerte Todesfälle ergeben, dass die Opfer durch ein indianisches Pfeilgift gelähmt wurden. Kommissar Gereon Rath ist frustriert, denn seine Ermittlungen gegen einen mysteriösen Auftragsmörder, genannt „Phantom“ treten auf der Stelle und er muss die Ermittlungen abgeben. Charlotte Ritter kommt von einem Studienjahr aus Paris zurück und fängt als Kommissaranwärterin bei der Weiblichen Kriminalpolizei am Alex an. Sie wird ausgerechnet Gereons Mordkommission zugeteilt und endlich machen die beiden durch eine Verlobung ihre Beziehung öffentlich. Charly wird undercover als Küchenhilfe in Haus Vaterland eingeschleust und nicht nur hier ist sie mehrfach frauenfeindlichen Übergriffen ausgesetzt.
Die Spur führt nach Ostpreußen
Da alle Spuren in eine Spirituosenbrennerei nach Ostpreußen führen, macht sich Rath in die masurische Kleinstadt Treuburg auf. Die wortkargen Einwohner erweisen sich als nicht besonders auskunftsfreudig und sind Fremden gegenüber erst mal misstrauisch. Einige Bewohner versuchen sogar, den Kommissar bewusst ins Moor zu leiten und hoffen, dass er nie wieder auftaucht. Der Reiz entsteht hier durch den absoluten Gegensatz zwischen der pulsierenden, aufgeklärten Weltstadt Berlin und dem vermeintlich idyllischen Treuburg. Mittels Volksabstimmung war Masuren grade wieder deutsch geworden und der Hass auf alles was polnisch oder katholisch ist, immer noch spürbar.
Ich kann die vielschichtige Handlung hier nur anreißen. Volker Kutscher nimmt sich viel Zeit und entwickelt langsam und ruhig seinen Plot mit mehreren miteinander verwobenen Fällen. Der Autor schafft es wieder, Zeitgeschichte in einen unterhaltsamen Kriminalroman zu transportieren ohne die Spannungskurve zu vernachlässigen. Kutscher glänzt nicht mit temporeichen atemlosen Thrill, sondern mit ausgefeilter Dramaturgie. Seinen immensen Einfallsreichtum kann ich nur wieder bewundern. Es geht um organisierte Schnapsbrennerei und ein in den Wäldern lebenden Ostpreußen. Vom Staatsputsch im Juli 1932 gegen die demokratische Regierung bekommt der Berliner Kommissar aufgrund seiner Ermittlungen in der Wildnis von Masuren gar nichts mit. Dabei gerät Rath dadurch ganz schön in Bedrängnis, da auch die Spitze der Berliner Polizei ausgetauscht wird und er damit den Schutz des Polizeivizepräsidenten verliert. Nach wie vor haben die Menschen keine Ahnung vom bevorstehenden Untergang und der politisch eher uninteressierte Gereon Rath, beispielhaft für einen Teil der Bevölkerung, verabscheut zwar die Nazis, versucht sich aber mit den Gegebenheiten zu arrangieren.
David Nathan ist der perfekte Interpret für diese Zeitreise in eine ganz andere Welt. Er benötigt nur wenige Minuten und man kann sich dem Kopfkino nicht mehr entziehen. Bei dem Hörbuch handelt es sich um eine gekürzte Version.
Rezension und Foto von Andy Ruhr.
Die Akte Vaterland | Das Hörbuch erschien am 26. September 2018 im Argon Verlag
ISBN 978-3-8398-9394-4
1 mp3-CD | 10.- Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesefassung: 7 Stunden 21 Minuten
Bibliografische Angaben & Hörprobe
Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Volker Kutscher.
Auch bei uns: Rezensionen zu Volker Kutschers Romanen Der nasse Fisch, Der stumme Tod, Lunapark und Goldstein.