Kategorie: Aktenzeichen

Claudia Rikl | Das Ende des Schweigens

Claudia Rikl | Das Ende des Schweigens

Herzberg ließ mit Daumen und Zeigefinger die Kappe des Filzstifts auf- und zuschnappen. „Warum schneidet man jemandem die Zunge heraus?“, fragte er laut in den Raum. „Wozu braucht man die Zunge?“
Zum Reden. Der Täter wollte, dass Hans Konrad doppelt verstummte. Tatsächlich, durch seinen Tod. Und bildlich. Symbolisch. Weil er zu viel geredet hatte…? (Auszug Seite 276)

Die Journalistin Susanne Ludwig findet die Leiche des NVA-Offiziers Konrad in ihrem Ferienhaus. Michael Herzberg ist der leitende Ermittler der Kriminalpolizei Neubrandenburg, der mit diesem Fall betraut wird. Nach einigen Recherchen findet sich die erste Spur, die mit der Wende zu tun hat. Aber ist das wirklich alles? Als Susanne sich von dem Schock ihrer Entdeckung erholt hat, wittert sie mit diesem Fall die Story ihres Lebens und beginnt sich ebenfalls umzuhören. Was ist damals vorgefallen, dass jemand nach fast dreißig Jahren noch so brutal Rache will?

Leitender Ermittler und Journalistin

Michael Herzberg ist 49 Jahre alt, groß und schlank und verheiratet. Seine Frau Renate sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl. Gerade gibt es in ihrer Ehe einige Differenzen. Herzberg hat vor vielen Jahren zehn Monate im Gefängnis gesessen. Er hat ständig das Bedürfnis, in geschlossenen Räumen ein Fenster zu öffnen.
Susanne Ludwig hat eine kleine Tochter, ist fast geschieden und streitet sich mit ihrem Ex-Mann um das Sorgerecht des Kindes. Außerdem ist sie psychisch labil und hat gerade keine Arbeit. Mit ihrem Artikel im Rahmen des Mordes möchte sie sich ihren Job zurückerobern.

Heimischer Tatort

Das Ende des Schweigens von Claudia Rikl habe ich vor allem lesen wollen, weil der Tatort in Mecklenburg ist und ich dort wohne. Es handelt sich um einen typischen Kriminalroman, bei dem die Ermittlungen im Vordergrund stehen. Die Todesursache des Opfers ist ziemlich grausam, wird aber nicht sehr detailliert und blutig geschildert. Die Geschichte ist in einzelne Tage untergliedert, wodurch es zu recht langen Kapiteln kommt.

Zwei Spuren

Die erste große Spur, die das Ermittlungsteam findet und der sie nachgeht, ist eher unspektakulär. Während des Lesens habe ich gedacht, dass es das jetzt ja wohl nicht wirklich ist. Ist es zum Glück auch nicht, die nächste Spur ist dann wesentlich interessanter und passt eher zu einem Mord nach so vielen Jahren. Es geht hauptsächlich um die Wende und die NVA. Das steht zwar auch auf dem Klappentext, aber hätte ich das vorher gewusst, hätte ich das Buch vermutlich nicht ausgewählt. Im Nachhinein bin ich aber doch froh, dass ich es gelesen habe, da das Thema für mich sehr interessant war.

In der Mitte des Romans entstand meiner Meinung nach eine kleine Flaute, die mit dem Verfolgen der ersten Spur zu tun hat, dennoch liest sich der Text sehr flüssig. Am Ende kommt etwas Fahrt auf, ohne dass ich total „vom Hocker gerissen“ wurde. Im Großen und Ganzen ein solider Krimi.

Claudia Rikl wurde 1972 in Naumburg geboren, ist dort aufgewachsen und hat die Wendezeit als Abiturientin erlebt. Die Zeit der Demonstrationen und überfüllten Kirchen, des Zusammenbruchs und Neubeginns war prägend für sie. Die Juristin und Literaturwissenschaftlerin lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Derzeit arbeitet sie am nächsten Fall für Michael Herzberg. (Klappentext)

 

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Das Ende des Schweigens | Erschienen am 13. März 2018 bei Kindler im Rowohlt Verlag
ISBN 978-346340-685-5
528 Seiten | 14.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

26. März 2018

Abgehakt | März 2018

Abgehakt | März 2018

Vier neue Kurzbesprechungen von Andrea und Gunnar haben wir heute zum (fast) Abschluss des  ersten Quartals in Abgehakt, Krimis kurz besprochen. Heute mit dabei Titel aus den Genres Krimi, Regionalkrimi, Spannungsroman sowie Thriller.

 

Fred Vargas | Das barmherzige Fallbeil

Zwei scheinbare Selbstmorde werden genauer untersucht, weil sich bei beiden Toten ein undefinierbares Symbol befindet. Nach den ersten Befragungen ergibt sich die erste Spur: eine Island-Reise, bei der nicht alles mit rechten Dingen zuging. Bald kann das Symbol aber doch gedeutet werden – die Zeichnung eines Fallbeils aus der Zeit der französischen Revolution. Welches Motiv steckt hinter den Morden?

Ich werde es nicht erfahren, denn ich habe das Buch nach der Hälfte abgebrochen. Den Anfang der Geschichte fand ich noch sehr vielversprechend, doch die Ermittlungen rund um die Französische Revolution waren für mich sehr langatmig. Außerdem haben meinen Lesefluss die vielen französischen Namen und Bezeichnungen gestört.

 

Das barmherzige Fallbeil | Erschienen am 20. März 2017 als Taschenbuchausgabe im Blanvalet Verlag
ISBN 978-3-373410-416-5
512 Seiten | 10.99 Euro
Bibliographische & Leseprobe

Kategorie: Krimi
Wertung: 1.5 von 5.0

 

Elke Pupke | Tödliches Geheimnis auf Usedom

In Bansin auf Usedom wird eine junge Frau von einem Auto angefahren, der Fahrer begeht Fahrerflucht. Die Frau, Kim, findet Unterschlupf in der Pension „Kehr wieder“, die von den beiden Nichten der 74-jährigen Berta geführt wird. Kurz darauf ist Kim tot und die Taten im Ort reißen nicht ab. Wer wollte Kim loswerden und was hat das mit der ungeklärten Vaterschaft von Kims Tochter Emma zu tun?

Die gesamten „Ermittlungen“ finden in der Pension am Stammtisch statt, nämlich durch Überlegungen und Rekonstruktionen des Tathergangs von Berta, den Angestellten und Gästen. Die Polizei kommt nur ab und zu vorbei und spielt eher die Nebenrolle. Tödliches Geheimnis von Usedom von Elke Pupke ist ein leichter Krimi, der meiner Meinung nach nicht besonders spannend ist und eher so vor sich hin „plätschert“. Trotzdem liest sich die gesamte Geschichte flüssig. Es ist bereits der dritte Fall von Berta, in den vergangenen zwei Jahren ist ebenfalls ein Mord in dem kleinen Ort an der Ostsee passiert. Sympathisch finde ich, dass alle handelnden Personen dem Alkohol nicht abgeneigt sind und es immer einen Grund für ein Gläschen gibt.

 

Tödliches Geheimnis von Usedom | Erschienen am 1. September 2014 im Hinstorff Verlag
ISBN 978-3-35601-884-4
272 Seiten | 12.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Kategorie: Regionalkrimi
Wertung: 3.0 von 5.0

Rezensionen und Fotos von Andrea Köster.

 

Liza Cody | Krokodile und edle Ziele

Wer erinnert sich noch an das sensationelle Lady Bag? Hier gibt es ein Wiedersehen mit der störrischen und chaotischen Obdachlosen Angela, genannt „Lady Bag“. Sie kommt frisch aus dem Gefängnis frei und manövriert sich direkt in die desaströsesten Situationen. Ihre besten Kumpels Pierre und Schmister, alias Lil Missy, und ihre Hündin Elektra leben bei Pierres neuer Flamme Cherry, einer eiskalten Frau, die absolute Kontrolle ausübt. Außerdem hat die Lady einem Mitgefangen versprochen, dass sie mal nach dem Rechten sieht, wie es ihrem kleinen Sohn Connor bei seiner Großmutter geht.

Der Vorgänger Lady Bag war schon ein irrwitziger, zynischer Spaß mit bissiger Gesellschaftskritik. Und genau da macht Liza Cody in Krokodile und edle Ziele weiter, stürzt ihre Protagonistin in groteske Situationen zwischen Kindesmissbrauch im sozialen Wohnungsbau und Psychoterror im bürgerlichen Mittelschichtshäuschen. Das ergibt vor allem völlig abgefahrene Dialoge, wenn Lady Bag mit und ohne Rotweinnachschub ins Gespräch mit ihrer Hündin, ihrer nicht anwesenden Mutter oder dem Leibhaftigen persönlich (Fürst Fiasko, Prinz der Paranoia, Don des Durcheinanders) tritt. Das knüpft über weite Strecken an den hervorragenden Vorgänger an, allerdings verpasst die Autorin für meinen Geschmack etwas das Momentum fürs richtige Ende, denn im letzten Viertel plätschert der Roman stellenweise etwas vor sich hin. Trotzdem war es insgesamt ein äußerst unterhaltsames Wiedersehen mit Lady B.

 

Krokodile und edle Ziele | Erschienen am 25. September 2017 im Argument Verlag
ISBN 978-3-86754-22-72
432 Seiten | 20.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Kategorie: Spannungsroman
Wertung: 3.5 von 5.0

Jesper Stein | Aisha

In einer schicken Wohnanlage im Kopenhagener Stadtteil Amager wird die brutal ermordete Leiche von Sten Høeck gefunden, einem ehemaligen Mitarbeiter des dänischen Geheimdienstes PET. Kommissar Axel Steen bekommt dann auch direkt einen Kollegen vom PET als Aufpasser an die Seite, damit bloß keine Staatsgeheimnisse ans Tageslicht geraten. Zwar war Høeck ein Schürzenjäger und damit ergibt sich durchaus ein Mordmotiv, aber spätestens als die Leiche eines weiteren ehemaligen PET-Mitarbeiters gefunden wird, ist Axel Steen klar, wo die Verbindung zu suchen ist. Doch der Geheimdienst blockt ab.

Eigentlich stimmen die Grundzutaten zu diesem Thriller: Ein brutaler Mord, Geheimdienst-Operationen, Kompetenzgerangel zwischen den Ermittlungsbehörden und die Hauptfigur Axel Steen, die zu Beginn zwar etwas weichgespült wirkt (zumal, wenn man die Vorgängerbände kennt), aber im Laufe des Buches zu alter Form findet. Und doch hat sich bei mir nicht die gleiche Begeisterung wie beispielsweise bei Bedrängnis eingestellt. Das letzte Viertel des Buches bestreitet etwas ausgetretene Pfade, persönliche Betroffenheit des Ermittlers und Alleingang inklusive. Auch der Täter bleibt sehr im Vagen. Aber ganz zum Schluss bietet Jesper Stein noch eine interessante Pointe, die für den Weitergang der Reihe einiges an Reiz verspricht. So werde ich Axel Steen wohl auch in Zukunft weiterverfolgen.

 

Aisha | Erschienen am 26. Januar 2018 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05078-3
560 Seiten | 9.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Kategorie: Thriller
Wertung: 3.0 von 5.0

Rezensionen und Fotos von Gunnar Wolters.

 

Weiterlesen: Abgehakt September 2017 und Abgehakt Dezember 2017, außerdem Gunnars Rezensionen zu Liza Codys Romanen Lady Bag und Miss Terry

24. März 2018

Tess Gerritsen | Blutzeuge

Tess Gerritsen | Blutzeuge

Im winterlich kalten Boston geht anscheinend ein Serienmörder um. Jane Rizzoli und Maura Isles stehen allerdings zunächst vor einem Rätsel, da die einzige Verbindung zwischen den beiden Toten deren Mageninhalt – Alkohol und Ketamin – ist, sowie die Tatsache. dass bei beiden die Todesursache nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Allerdings hat der Mörder an jeder Leiche ein Zeichen hinterlassen. Bei Cassandra Coyle, der ersten Leiche, aufgefunden von ihrem Vater in ihrer Wohnung auf dem Bett, wurden die Augäpfel entfernt und ihr in ihre linke Hand gelegt. Die zweite Leiche, Timothy McDougal, wurde an Heiligabend im Bostoner Hafen aufgefunden, mit nacktem Oberkörper, der von drei Pfeilen durchbohrt wurde. Die Verstümmelungen wurde jeweils nach dem Tod vorgenommen.

Bei Cassandra Coyle lag zunächst ein Motiv im Zusammenhang mit ihrem Beruf (Drehbuchschreiberin und Produktionsleiterin von Horrorfilmen) nahe, der zweite Tote, ein Buchhalter, hatte allerdings keinen Kontakt mit Cassandra, es muss also ein anderes Motiv geben. Maura stößt dann jedoch auf etwas, das zunächst abwegig erscheint: die Verstümmelungen der Opfer weisen auf die Todesart der Märtyrer hin, deren Gedenktag auf den Geburtstag des jeweiligen Opfers fällt

Maura schob die Papiere zusammen. „Wir müssen etwas finden, was diese Opfer gemeinsam hatten. Etwas, was sie beide in Kontakt mit dem Mörder brachte.“ Sie legte die Tatortfotos von Timothy McDougal in eine Mappe und wollte gerade den Deckel zuklappen, als sie innehielt und das Foto anstarrte. Eine Erinnerung tauchte plötzlich auf, die Erinnerung an Sonnenlicht, das durch leuchtende Buntglasfenster fiel. „Was ist?“ fragte Jane. Maura gab keine Antwort. Sie nahm ein Foto von Cassandra Coyles Leiche aus der Mappe und legte es neben das von Timothy McDougal. Zwei verschiedene Opfer, das eine ein Mann, das andere eine Frau. Der Mann von mehreren Pfeilen durchbohrt, die Frau ihrer Augäpfel beraubt. „Ich kann nicht glauben, dass ich es nicht erkannt habe“, sagte sie. (Seite 141)

Maura liegt tatsächlich richtig, der komplette Zusammenhang erschließt sich allerdings erst so nach und nach im Verlauf der weiteren Ermittlungen, in denen auch eine weitere Person, Holly Devine, die beide Opfer aus ihrer Kindheit kennt, eine Rolle spielt. Bis Jane und Maura den Fall komplett gelöst haben, müssen sie allerdings des öfteren ihre Sichtweise des Falles an die neuesten Ermittlungsergebnisse anpassen. Die Auflösung kommt (auch für den Leser) überraschend daher.

Tess Gerritsen hat auch in diesem Buch wieder bewiesen, dass sie einen Plot lebendig gestalten kann, mit Gespür für psychologisch aufgebaute Spannung, angereichert mit medizinischen Details, die zur Handlung passen, ohne ausschweifend zu sein und auch immer mal mit einem Augenzwinkern bei den Schilderungen aus dem Privatleben von Jane Rizzoli. Erwähnenswert ist auch ihr in die Handlung eingebautes Statement gegen Vorverurteilungen bei Missbrauchsverdacht von Kindern. Was hier tatsächlich durch Fehldeutungen von Aussagen oder deren Herbeiführung durch Manipulation angerichtet werden kann, ist ja auch durch diverse Pressemitteilungen in den letzten Jahren bekannt geworden. Raffiniert auch die Sache mit dem Zusammenhang von Märtyrer-Toden mit den aufgefundenen Opfern, was der Autorin auch dazu dient, die beiden Ermittlerinnen zunächst in einem weiteren Fall in die Irre zu führen.

Mein Fazit: Einfallsreicher Plot, Spannung bis zum Schluss! Bücher von Tess Gerritsen sind schon etwas Besonderes und unbedingt empfehlenswert für Liebhaber von Thrillern.

Geboren wurde Tess Gerritsen 1953 in San Diego, Kalifornien, wo sie auch aufwuchs. Nach ihrem Medizinstudium (Examen 1979) arbeitete sie zunächst als Internistin in Honolulu, bevor sie mit dem Schreiben begann. Ihren Durchbruch hatte sie 1996 mit dem Thriller Kalte Herzen. Die Fernsehserie Rizzoli & Isles basiert auf ihren ab 2004 geschriebenen Romanen um die Kriminalbeamtin Jane Rizzole und die Gerichtsmedizinerin Maura Isles. Es wurden sieben Staffeln gedreht.

 

Rezension und Foto von Monika Röhrig.

Blutzeuge | Erschienen am 20. November 2017 bei Limes
ISBN 978-3-8090-2638-9
409 Seiten | 19.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseproben

21. März 2018

Harald Rudolf | Dreisamnebel

Harald Rudolf | Dreisamnebel

Ein Regionalkrimi aus dem Breisgau

 

Die Hauptfigur des Offenburger Autors Harald Rudolf ist ein etwas anderer „Ermittler“, nämlich Florian Buchmann, ein ehemaliger Fußballprofi des Sportclubs Freiburg. Sein immer noch nicht verblasster Ruhm gründet sich auf einen Hattrick beim sagenhaften 4:0 Sieg beim VfB Stuttgart. Den gab es wirklich, am 23. April 1994, allerdings schoss damals kein Freiburger drei Tore, und ein Florian Buchmann stand auch nicht auf dem Platz. Das war am 32. Spieltag der Saison, der Sportclub gewann auch die beiden folgenden Partien und rettet sich so vor dem Abstieg.

Dichtung und Wahrheit vermischen sich in seinen Krimis, Rudolf macht durchaus Anleihen bei realen Personen und tatsächlichen Ereignissen, so ließ er sich diesmal von einem Fall in Südbaden inspirieren, der in seiner Heimatstadt Offenburg verhandelt wurde (Rudolf arbeitet als Gerichtsreporter für die Badische Zeitung) sowie ein scheußliches Verbrechen, das in Hamburg begangen wurde. Und den Metzger Christoph Weinbrenner aus Endingen, ja, den gibt es dort, wenn auch unter anderem Namen, wirklich.

Bei ihm kauft Buchmann seine Wurstspezialitäten, denn nach seiner Fußballkarriere, für die er ein Germanistik-Studium geschmissen hat, baute er sich eine Existenz als Wein- und Feinkosthändler am Kaiserstuhl auf, im Winzerdörfchen „Gottratskirchen“. Er hat eine Affäre mit Ulla, der Frau des Bürgermeisters, der seinerseits notorisch fremdgeht. Florian nennt seine Beziehung lieber „Romanze“, die beiden genießen ihre Treffen in seiner Wohnung über dem Ladengeschäft am Marktplatz. Gerade sind die Verliebten dabei, die Jubiläumsfeier zur Wahl der dreißigsten Weinkönigin des kleinen Ortes vorzubereiten. Metzger Weibrenner fährt für das Gala-Dinner Delikatessen auf, um für seinen Catering-Service zu werben: Schottischen Lachs, gebratene Gänseleber, Wolfsbarsch mit Tomaten-Sugo und Parmesan-Gnocchi, gebackenes Kalbsbries, dazu Rotweinschalotten und Trüffeljus., anschließend Lammcarrée mit Basilikum-Polenta und als Dessert Mousse au Chocolat und Crema Catalana.

So ausführlich und genüsslich präsentiert Rudolf häufig die kulinarischen Köstlichkeiten, die bei diversen Gelegenheiten aufgetischt werden, sein Protagonist ist ein Genussmensch, und zu jedem Anlass wird entsprechend ein guter Tropfen kredenzt, es wird also viel gegessen und getrunken in diesem Roman. Warum nicht, mir gefällt dieser Florian Buchmann mit seinem Hang zum Dolce far niente, er ist nämlich ein großer Freund der italienischen Lebensart, hat nach dem Ende seiner Profikarriere als Fußballer eine Auszeit genommen und in der Toskana und Ligurien die Seele baumeln lassen. Das hat ihn geprägt, Italien blieb sein Sehnsuchtsland und er lässt auch im Alltag immer wieder italienische Floskeln einfließen.

Als zur Jubiläumsfeier eine der Weinköniginnen nicht erscheint, will Organisatorin Ulla den Grund für das Fehlen in Erfahrung bringen. Eva Maria, so der Name der Schönen, hat aufgrund einer Panne die Einladung nicht erhalten, sie wohnt nicht mehr unter der bekannten Adresse. Die Nachlässigkeit im Rathaus wurmt die Frau des Bürgermeisters, und so nimmt sie Kontakt zu den Eltern auf. Und zu ihrer Überraschung erfährt sie, das Eva Maria seit fünf Jahren verschwunden ist. Ihren Job in der Uniklinik Freiburg, wo sie zuletzt gearbeitet hatte, hat sie aufgegeben.

Ulla nimmt ihrem Florian das Versprechen ab, die Ex-Königin aufzuspüren. Aus seiner Zeit als Fußballprofi hat er noch Kontakte zum Klinikpersonal, und so forscht er dort nach. Er bringt in Erfahrung, dass Eva Maria mit einem Fußballer des Sportclubs liiert war und ihm nach Italien gefolgt ist. Sein Freund Thomas Hofrichter, Kriminalkommissar in Freiburg und glühender SC-Fan, erinnert sich sofort an den Fußballer: Andi Berisha, ein Kosovo-Albaner. Wechselte 2010 zum AC Florenz und später in die italienische Seria B zu Spezia Calcio, wo er noch heute spielt.

Eva Marias Eltern erzählen Florian bei einem Besuch, dass sie nicht glücklich über die Verbindung ihrer Tochter mit einem Albaner waren. Der Grund für das Verschwinden der jungen Frau? Die verzweifelten Eltern setzen alle Hoffnung in Florian, spüren, dass er ihr Mädchen finden wird, und der fühlt sich den alten Leuten verpflichtet. So schlittert er in einen Kriminalfall, der ebenso verzwickt wie verstörend ist.

Florian verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen und fährt mit Ulla nach Italien, wo er diesen Andi Berisha aufsuchen will. Von ihm erfährt er, dass Eva Maria ihn verlassen hat, als sie erfuhr, dass der weit verzweigte Berisha-Clan in kriminelle Machenschaften verstrickt war. In Südbaden hatten die Männer aus dem Kosovo an die hundert Priester mit mitleidigen Geschichten, Druck, aber auch sexueller Erpressung um zwei Millionen Euro betrogen. Andi war selbst nicht an den Straftaten beteiligt, aber Eva Maria kehrte ihm den Rücken und wollte in ihrer Heimat erreichen, dass die Berishas das ergaunerte Geld an die Geprellten zurückgeben. Also macht sich Florian auf ins Glottertal, um bei einem der Gottesmänner Erkundigungen einzuholen. Tatsächlich findet er endlich eine Spur, aber ihm bleiben zunächst nur Vermutungen, Ahnungen, Spekulationen.

Ohne Beweise kann ihm auch sein Freund Hofrichter nicht helfen, mit dem er sich regelmäßig bespricht und betrinkt, zumal der selbst genug zu tun hat mit zwei Morden an der Dreisam in Freiburg. Und zu allem Überfluss hat man ihm auch noch einen Vermisstenfall aufgehalst. Florian vermutet einen Zusammenhang mit seiner verschwundenen Weinkönigin und fährt rastlos herum auf der Suche nach der Wahrheit, nochmal ins Glottertal, nochmal in die Uniklinik, nochmal nach Italien, nach Lörrach zu den Eltern der Vermissten, zu ihrer letzten Adresse in Freiburg. Er stellt viele Fragen und erhält wenige Antworten, und so wie er sich im Kreis dreht, kommt auch der Roman nicht recht von der Stelle. Die Geschichte wird ruhig, fast gemütlich vorgetragen, man könnte auch sagen: Behäbig. Es gibt Wiederholungen und Abschweifungen, immer wieder kurze, stimmungsvolle Schilderungen von Land und Leuten, der besonderen Atmosphäre in Deutschlands südwestlichstem Landstrich, dem einzigartigen Klima und nicht zuletzt der leiblichen Genüsse für die man sich immer wieder Zeit nimmt. Hinzu kommt, dass es nur so wimmelt von charmanten, liebenswerten, sympathischen Typen. Wie Florian, ein lässiger, cooler Typ ist, selbst in heiklen Situationen immer kontrolliert, sorgfältig abwägend, dabei voller Empathie für die Opfer und ihre Angehörigen und seinerseits sehr beliebt bei fast jedermann.

„Flohä“ schallt es ihm überall entgegen, sein Spitzname, weil Flo auf dem Fußballplatz eigensinnig war und gerne Mitspieler überhörte. Dann sagte er „häh?“ Aber der Name spielt auch an auf seine linke Klebe, ähnlich der von Heinz Flohe. Der geniale Techniker des 1. FC Köln, Weltmeister 1974, ist auch für den Autor Harald Rudolf ein Idol. Wie sein Florian Buchmann ist der Autor offenbar fußballaffin, italophil und ein Freund von gutem Wein und gutem Essen, was ja nicht unsympathisch ist. Anzumerken ist aber, dass lahme Wortspiele mit Begriffen oder Phrasen aus dem Sportreporter-Repertoire ein paar mal zu viel angestrengt werden, und die ständigen Reminiszenzen an die Profikarriere Florians mögen Nicht-Fußballfans vielleicht stören. Auch das verliebte Geplänkel der Turteltauben Florian und Ulla nimmt einen etwas zu großen Raum ein, aber es ist jedenfalls amüsant, so dass die eine oder andere Länge zu verzeihen ist. Immerhin, die Geschichte ist insgesamt wirklich gut geschrieben, das Lesen macht durchweg großen Spaß, Rudolf weiß einfach gut zu unterhalten. Sein Stil ist locker, leicht, scheinbar mühelos und ganz sicher authentisch beschreibt er das besondere Lebensgefühl, die spezielle Lebensart der Menschen im Breisgau, dabei ist das Verhältnis der Anteile des Erzählers und der Dialoge ausgewogen. Diese Dialoge sind eine Stärke des Autors, die unterschiedlichen Charaktere treffen genau „ihren“ Ton, mal recht intim, mal ziemlich distanziert, aber immer echt und glaubwürdig.

Nicht ganz so glaubhaft ist der Zufall, der Florian letztlich auf die richtige Spur bringt, so dass nach einem dramatischen, ja drastischen kurzen Knalleffekt der Roman sehr emotional und einigermaßen versöhnlich endet – schließlich wird der erste Advent gefeiert.

 

Rezension und Foto von Kurt Schäfer.

Dreisamnebel |Erschienen am 1. Mai 2017 im Silberburg Verlag
ISBN 978-3-84252-029-5
288 Seiten | 12.90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

18. März 2018

Ruth Ware | Woman in Cabin 10

Ruth Ware | Woman in Cabin 10

War ich in Sicherheit? Ich blickte zur Zimmertür. Ich war mir ziemlich sicher, dass niemand reinkommen konnte.
„Ich denke schon. Es war in der Nachbarkabine – in Nummer 10, Palmgren. Ich glaube, jemand wurde über Bord gestoßen.“ (Auszug Seiten 105-106)

Die Journalistin Lo bekommt die Gelegenheit, bei der Jungfernfahrt zu den norwegischen Fjorden des Kreuzfahrtschiffes Aurora teilzunehmen. Nachts bemerkt sie an Bord in ihrem Zimmer erst Geräusche in der Nachbarkabine, dann ein Platschen ins Wasser. Ist da jemand über die Reling gestoßen worden? Und wo ist jetzt die Frau von nebenan, die Lo am Vorabend noch gesehen hat? Keiner der Crew glaubt ihr, als sie sich auf die Suche begibt. Aber Lo ist doch nicht verrückt geworden und bildet sich alles nur ein. Oder doch?

Laura „Lo“ Blacklock ist 32 Jahre alt und lebt in London. Sie arbeitet schon seit mehreren Jahren für das Reisemagazin Velocity und soll nun in Vertretung für ihre Chefin über dieses Kreuzfahrtschiff berichten. Lo befindet sich in einer Beziehung mit Judah. Vor der Abreise kommt es zum Streit zwischen den beiden, weil Lo nicht in eine gemeinsame Wohnung ziehen möchte.

Wendungen und Meer

Für Woman in Cabin 10 von Ruth Ware wurde im Vorfeld ziemlich viel Werbung gemacht und ich muss gestehen, dass sie mein Interesse geweckt hat. Auf dem Buchrücken wird mit spannenden Wendungen gelockt und dann spielt die Handlung auch noch auf dem Meer und schon wollte ich das Buch unbedingt lesen.

Die Geschichte ist in mehrere Teile untergliedert und war für mich ab der ersten Seite interessant und flüssig zu lesen. Selbst das „Vorgeplänkel“, bevor Lo überhaupt auf dem Schiff ist, ist packend. Besondere Spannung wird aufgebaut, indem nach jedem Teil eine E-Mail, ein Chat oder Zeitungsbericht gedruckt ist, der von den Tagen nach der Reise berichtet und sehr beunruhigend klingt.

Alkohol in rauen Mengen

Als die Protagonistin dann den ersten Abend an Deck verbringt, drängte sich mir der Gedanke auf, dass sie ein Alkoholproblem hat. Ab dieser Stelle fand ich Lo irgendwie etwas nervig. Auch als sie mit der Suche nach der verschwundenen Passagierin beginnt, wirkt sie eher hysterisch und ich persönlich kann mich mit ihr nicht sehr identifizieren. Trotzdem bleiben alle Handlungen plausibel und natürlich muss sie genau so sein, denn sonst hätte man Lo an Bord vielleicht geglaubt und es wäre zu keinem Spannungsbogen gekommen.

Die versprochenen Wendungen am Ende des Buches waren definitiv vorhanden und mehrmals hat sich in mir das erleichterte Gefühl breitgemacht, dass jetzt alles gut wird, bis das Ruder dann aber doch nochmal herumgerissen wurde. Diese Wendungen waren aber insgesamt nicht so schockierend oder nervenaufreibend, wie ich sie mir gewünscht hätte.

Im Großen und Ganzen ein kurzweiliger, recht unblutiger Thriller.

Ruth Ware wuchs in Südengland auf und lebte nach ihrem Studium eine Zeit lang in Paris. Sie hat als Kellnerin, Buchhändlerin, Englischlehrerin und Pressereferentin für einen großen Verlag gearbeitet und wohnt jetzt mit ihrer Familie in Nordlondon. Die Autorin hat bisher vier Bücher geschrieben, von denen zwei auch in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Ihr Debütroman war Im dunklen, dunklen Wald.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Woman in Cabin 10 | Erschienen am 27. Dezember 2017 bei dtv
ISBN 978-3-423-26178-4
384 Seiten | 15.90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Andys Rezension zu Ruth Wares Thriller Im dunklen, dunklen Wald.

15. März 2018