Autor: Nora

Solveig Engel | Neondunkel

Solveig Engel | Neondunkel

„Während ich meinen Kaffee schlürfe, habe ich das Gefühl, die Antwort könnte in Georges Todesursache liegen. Wahrscheinlich gibt es eine völlig harmlose Erklärung, eine, die alle Anschuldigungen, vor allem auch die nicht ausgesprochenen, entkräftet und jeden Klaus-Peter entwaffnet.“ (Auszug Seite 95)

Dr. Melanie Glanz arbeitet als Astrophysikerin in Bochum. Gerade haben die drei Professoren, mit denen sie eng zusammengearbeitet und geforscht hat einen Nobelpreis erhalten. Kurze Zeit nach der Preisverleihung sterben zwei der Professoren und immer mehr Zweifel schleichen sich ein, ob es wirklich eine natürliche Todesursache war, da es zu vielen merkwürdigen Zufällen kommt. Aber wer hätte ein Motiv gehabt?

Einblick in die Forschung

Neondunkel von Solveig Engel ist selfpublished und als ich in der Romanbeschreibung gelesen habe, dass es sich um einen Wissenschaftsthriller handelt, war für mich schnell klar, dass das nicht zu meinen Genres zählt. Dann habe ich aber einige Rezensionen gelesen, in denen stand, dass es nicht vordergründig um die Wissenschaft und speziell Physik geht und nicht mit Fachbegriffen um sich geworfen wird, und wurde neugierig. Ich habe mich entschieden, dem Buch eine Chance zu geben.

Nach dem Lesen kann ich bestätigen, dass die Forschung eher den Hintergrund bildet und interessant geschildert ist. Ich hatte vorher keine Vorstellung davon, wie es in einem Labor zugeht und fand diesen Einblick wirklich gut. Da die Autorin selbst Physikerin ist, gehe ich davon aus, dass es auch der Wahrheit entspricht. Die Fachbegriffe werden außerdem für Laien gut erklärt.

Zwei Sichtweisen

Die Geschichte wird aus zwei Sichtweisen erzählt, jeweils in Ich-Form. Einmal beschreibt Mel ihre Erlebnisse und ihr Leben, zum anderen kommt Anni zu Wort. Hier wird es interessant, denn Anni ist ein achtjähriges Mädchen, das keiner sieht, sondern zu Mel gehört. Sie folgt Mel auf Schritt und Tritt und hat die Möglichkeit auf sie Einfluss zu nehmen. Mel bekommt es anfangs nur unbewusst mit, später immer stärker. Das klingt jetzt vielleicht spooky, geht aber eher in die psychologische Richtung.

Dr. Melanie Glanz

Die Protagonistin ist 35 Jahre alt, liebt ihr Fachgebiet und die Forschung und ist ein wahrer Kaffeejunkie. Ihre Mutter ist früh gestorben und seitdem hat sie ihr Vater unter den Fittichen, der ebenfalls Professor der Physik ist. Beide haben kein sehr gutes Verhältnis, da er sie oft mit Leistungsdruck und Schuldgefühlen lenkt.

Spannungsbogen bleibt flach

Am Anfang war der Thriller wirklich interessant und ich habe das Leben von Mel gern gelesen. Nach zweihundert Seiten beginnen dann endlich die ersten wirklichen Zweifel an den Todesursachen der beiden Professoren, es gibt einen weiteren Anschlag und die Polizei beginnt zu ermitteln. Diese beginnende Spannung kann sich leider nicht halten, es geht weiterhin mehr um das aktuelle Projekt, um Anni und um ein bisschen Liebe. Im letzten Drittel hat das Buch wirkliche Längen und mich verließ etwas die Motivation weiterzulesen, da es kaum noch um die vermutlichen Morde ging. Zum Ende hin wird es wieder etwas besser und ich als Leser habe langsam eine Ahnung bekommen, worauf die Geschichte abzielt.

Insgesamt ein interessantes Buch, wenn man noch nie mit Forschung in Berührung gekommen ist, aber der Spannungsbogen ist nicht geglückt. Sehr nett fand ich die Geste der Autorin, mir eine persönliche Widmung ins Buch zu schreiben, in der sie mir schauriges Lesevergnügen wünscht. Nur hat sich das leider nicht eingestellt.

Solveig Engel ist das Pseudonym von Sabine Engel. Sabine Engel hat Physik studiert, an der Bochumer Uni und am TRIUMF-Lab promoviert und nebenbei für Spektrum der Wissenschaft geschrieben. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern bei Berlin. 2013 erschien ihr Kinderbuch Mission mit Schwein im Baumhaus Verlag.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Neondunkel | Erschienen am 10. Januar 2018 als Self-Publishing bei epubli
ISBN 978-3-74507978-4
524 Seiten | 15.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Nicola Förg | Rabenschwarze Beute

Nicola Förg | Rabenschwarze Beute

Rabenschwarze Beute ist der neunte Fall für die Kommissarinnen Irmi Mangold (ruhig und besonnen, Single, lebt mit ihrem Bruder auf einem Bauernhof) und Kathi Reindl (von Irmi auch mal als rotzfreche Göre und wilde Hummel charakterisiert, Mutter einer Tochter). Der Fall ereignet sich in Murnau am Staffelsee, im oberbayrischen Landkreis Garmisch-Partenkirchen.

Silvester in Murnau; Markus Göldner, Architekt, will mit seiner Freundin Beate Mutschler, einer Ärztin, in deren Wohnung das alte Jahr ausklingen lassen. In ihrer Harmonie gestört werden die beiden allerdings durch die Knallerei eines Nachbarn, Rudolf Rieser, der statt Silvesterböller eine Schreckschusspistole benutzt, und das bereits weit vor Mitternacht. Als dieses Geknalle auch nach halb eins nicht aufhört, platzt Markus der Kragen: er reißt die Balkontür auf und droht dem Nachbarn mit der Polizei. Als Beate kurz darauf auch auf den Balkon tritt, ist Markus verschwunden. Wie sich herausstellt, wurde er durch einen Schuss ins Herz getötet und fiel auf die Grasfläche zwischen den Häusern.

Bei der Ankunft von Irmi Mangold am Tatort sind zwar jede Menge Nachbarn im Treppenhaus versammelt, jedoch kann keiner ihr einen näheren Hinweis auf den Tatablauf oder den Täter geben. Die noch total geschockte Beate ist kaum vernehmungsfähig, erwähnt aber noch, dass Markus sich über die Knallerei von Rieser aufgeregt hatte, weil dadurch die Vögel aufgeschreckt würden. Irmi befragt zwar Rudolf Rieser, der streitet jedoch alles ab.

„Was soll ich getan haben?“ „Einen Mann vom Balkon geschossen, der über Ihre Schießübungen nicht so erbaut gewesen ist. (…)“ „Jetzt pass mal auf, du siebengescheite Urschel. Ich hab den gesehen. Ob der was gebrüllt hat, weiß ich nicht. Ich hatte Gehörschutz auf. Ich war mit Wichtigerem beschäftigt.“ (…) Er lachte mit einer fiesen Polterstimme. (Seite 32)

Wie Irmi später erfährt, war Markus Gölden ein engagiertes Mitglied beim Landesbund für Vogelschutz. Das ging soweit , dass er sich mit seinem Partner im Architektenbüro anlegte, wenn er durch ein geplantes Projekt den Vogelschutz gefährdet sah – ein Motiv?

Kurz darauf finden Irmi und Kathi heraus, dass Markus Göldner auch Rudolf Rieser (der mit der Knallerei an Silvester) in die Quere gekommen ist: ein von diesem geplantes Feuerwerk an Sonnwend wurde wegen Einwänden von Markus verboten, Rieser blieb auf den bereits einkauften Lebensmitteln für das Fest sitzen. Reicht das doch für einen Mord?

Nicola Förg legt bereits zu Beginn ihres Romans zahlreiche Spuren, im weiteren Verlauf der Handlung kommen allerdings noch weitere hinzu, unter anderem Gegner (wieder Göldner) und Befürworter von Windkraftanlagen. Einer davon schreckt auch vor Maßnahmen nicht zurück, die keineswegs legal sind.

Irmi starrte auf die Bilder. Sailer stand der Mund leicht offen. „Hot der, hot der…?“ „Ich würde mal sagen, er hat Jungvögeln den Kragen umgedreht und den Altvogel vom Himmel geschossen.“, entgegnete Irmi leise. (Seite 177)

Aber auch der Tod eines kleinen Mädchens, ein schwerer Unfall mit mehreren Toten in der Vergangenheit und eine verschwundene Modebloggerin halten Irmi und Kathi auf Trab. Den tatsächlichen Mörder haben sie dadurch erst spät auf dem Schirm.

Insgesamt ist der Handlungsverlauf spannend aufgebaut, auch wenn mich die Auflösung, das tatsächliche Motiv, im Hinblick auf den Beginn der Handlung, den Buchtitel und das Cover nicht so ganz zufrieden stellt. Erwähnenswert sind für mich die zahlreichen Hinweise auf den Vogel- bzw. Artenschutz, hier erkennt man die Autorin als sehr gut informiert und engagiert.

Fazit: Rabenschwarze Beute ist eine spannende Lektüre mit Bezug zur erschreckenden Realität im Tier- und Umweltschutz.

Nicola Förg, geboren 1962 in Kempten (Allgäu), ist seit 1991 freie Journalistin und verfasste mehrere Reiseführer. Sie ist engagierte Tierschützerin und betreut die wöchentliche Tierseite im Münchener Merkur. Für ihre Bücher bekam sie mehrere Preise für ihr Engagement rund um den Tier- und Umweltschutz. Seit 2003 schreibt sie Kriminalromane, zunächst über Kommissar Weinzierl, ab 2009 dann auch über Kommissarin Mangold. Dieses Buch ist der neunte Band aus der Mangold-Reihe.

 

Rezension und Foto von Monika Röhrig.

Rabenschwarze Beute | Erschienen 2018 bei Pendo im Piper Verlag
ISBN 978-3-86612-419-6
352 Seiten | 16.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Monikas Rezension zu Nicola Förgs Krimi Donnerwetter

Tom Callaghan | Mörderischer Sommer

Tom Callaghan | Mörderischer Sommer

Ich musste über den Schlamassel nachdenken, in dem ich bis zum Hals steckte. Und darüber, was ich deswegen unternehmen wollte – allein, unsicher und in einer Stadt, die so fremd war, dass sie genauso gut auf einem anderen Planeten hätte liegen können. Ich war in Dubai.“ (Auszug Seite 12)

Akyl Borubaew, ehemaliger kirgisischer Polizeikommissar, wird zum Minister für Staatssicherheit bestellt. Dieser hat einen Auftrag für Akyl: Des Ministers Geliebte ist mit Kontozugangsdaten und Geheimdokumenten nach Dubai verschwunden. Der Minister will, dass Akyl die Frau oder wenigstens den USB-Stick mit den Daten zurück nach Kirgisistan bringt. Und er ist kein Mann, dem man einen solchen Auftrag abschlägt. Doch kaum ist Akyl in den Emiraten eingetroffen, gerät er direkt in größere Schwierigkeiten.

Denn als erstes stößt er auf die Leiche eines Zuhälters und Waffenhehlers. Auch sein Kontaktmann in Dubai ist ihm irgendwie suspekt. Als er schließlich die gesuchte Frau aufstöbert, stellt Akyl fest, dass diese erheblich verschlagener ist als gedacht. Schließlich spielen auch noch tschetschenische Terrororganisationen beim Rennen um die Dokumente mit und auch seine Freundin Saltanat vom usbekischen Geheimdienst taucht auf. Bei aller Verbundenheit kann er aber nur eingeschränkt auf ihre Unterstützung setzen, denn Saltanat hat wie immer ihre eigene Agenda.

Mörderischer Sommer ist der dritte Teil der Reihe um den Kirgisen Akyl Borobaew. Dritte Teile sind ja durchaus immer etwas knifflig. Nach einem starken Auftakt und einer gelungenen Fortsetzung entscheidet sich ja oft im dritten Teil, ob man einer Serie weiterhin erhalten bleibt oder ob der Reiz so langsam abflacht. Blutiger Winter und Tödlicher Frühling konnten mich auf jeden Fall überzeugen. Der Reiz lag zum einen bei den Figuren. Akyl Borubaew, ein eigenwilliger, harter, aber gleichzeitig auch einsamer und melancholischer Mann. In einem Waisenhaus aufgewachsen, hat er später als Polizist seine Bestimmung gefunden. Er hat seine geliebte Frau an den Krebs verloren, ihr sogar aktiv beim Sterben geholfen. Dieser Verlust nagt allerdings sehr an ihm, obwohl eine neue Frau in sein Leben getreten ist. Saltanat Umarowa ist eine eiskalte, gefährliche Agentin des usbekischen Geheimdienstes. Doch irgendwie wurde ein Band zwischen beiden geknüpft, allerdings ein sehr zerbrechliches. Dritte wiederkehrende Hauptperson ist der korrupte, machtbewusste Minister für Staatssicherheit, Michail Tynalijew, der Akyl zu Aufträgen zwingt, ihm immer wieder seine Allmacht vorführt, aber gleichzeitig auch seine Hand über Akyl hält.

Zum anderen war aber ein großes Plus der Reihe das unverbrauchte Setting im zentralasiatischen Kirgisistan. Ein raues Land voll landschaftlicher Schönheit, aber als junger Staat im Schatten Russlands und Chinas immer an der Schwelle (oder darüber hinaus) zur Autokratie, in der sich gesellschaftliche Abgründe auftun. Von diesem Reiz weicht Autor Tom Callaghan leider in diesem dritten Band erheblich ab, in dem er die Handlung nach Dubai verlagert. Die moderne Stadt am persischen Golf kann es als Schauplatz leider überhaupt nicht mit Bischkek und Kirgisistan aufnehmen. Obwohl der Autor sich bemüht, auch ein paar Schattenseiten zu zeigen, bleibt Dubai ein relativ uninteressanter, austauschbarer Schauplatz.

Zudem vermag mich dieses Mal auch der Plot nicht so richtig zu überzeugen. Während in den ersten beiden Bänden Themen wie die dreckige Droge „Krokodil“ oder Kindesmissbrauch den Leser zu fesseln wussten, ist das undurchsichtige Spiel verschiedener Gruppen um Geld und Dokumente in diesem Band nur eher solide. Spätestens wenn Akyl zum Einholen von Informationen zum fünften Mal dieselbe Bar aufsucht, wünscht man sich doch etwas mehr Finesse. So bleibt am Ende das Fazit, dass der dritte Band mich diesmal doch nicht so ganz überzeugen konnte. Allerdings sprechen die interessanten Protagonisten und die Tatsache, dass diese Reihe (anhand der Jahreszeiten erkennbar) auf vier Bände ausgelegt ist, dann doch dafür, auch in den letzten Band hereinzuschauen, um zu sehen, was aus Akyl und Saltanat noch wird.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Mörderischer Sommer | Erschienen am 24. April 2018 im Atlantik Verlag
ISBN 978-3-455-00123-5
333 Seiten | 16.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Noras Rezensionen zu den Krimis Blutiger Winter und Tödlicher Frühling von Tom Callaghan

Uwe Wilhelm | Die 7 Kreise der Hölle

Uwe Wilhelm | Die 7 Kreise der Hölle

„Er wusste, soeben hatte er das vierte Kapitel der sieben Kreise der Hölle beschrieben. Er würde es ausformulieren und aufschreiben. Es sollte den Titel Wut tragen.“ (Auszug Seite 274)

Helena Faber tritt gerade aus der Tür, als sie gerade noch sieht, wie ihre beiden Töchter in einen Transporter einsteigen, der anschließend wegfährt. Sie versucht noch, den Wagen zu stoppen, aber vergeblich. Was hat das zu bedeuten? Warum steigen ihre Kinder in ein fremdes Auto und wo werden sie hingebracht? Helena und ihr Mann Robert setzen sofort alle Hebel in Bewegung, um die Entführung zu verhindern.

Helena Faber wohnt in Berlin, ist Staatsanwältin und ist von ihrem Mann Robert seit vier Jahren getrennt. Robert arbeitet bei der Polizei. Die beiden gemeinsamen Töchter Katharina und Sophie sind dreizehn und elf Jahre alt.

Teil zwei der Trilogie

Die 7 Kreise der Hölle von Uwe Wilhelm ist der zweite Krimi um die Staatsanwältin Helena Faber. Im ersten Buch, Die 7 Farben des Blutes, verfolgt sie einen Serienmörder. Diese Geschichte baut stark auf den ersten Teil auf. Ich habe mit dem zweiten Fall begonnen und fand es schwer, die gesamten Vorgänge aus dem ersten zu erfassen, die für das Verständnis der Entführung notwendig gewesen wäre. Meiner Meinung nach wurde die Vorgeschichte hier nicht ausreichend beleuchtet und nur häppchenweise zur Verfügung gestellt, sodass ich empfehle, mit dem Anfang der Serie zu beginnen.

Pädophilie in Istanbul

Die Spur der Mädchen führt Helena und Robert in die Türkei. Hier geht es um Kindesmissbrauch und Kinderhandel. Die Details dazu kamen mir gut recherchiert vor, aber sie werden auch genauso unbarmherzig beschrieben, wie sie sind. Außerdem geht es viel um Korruption und dass dieser Ring, deren Mitglieder sich als Kunsthändler und Kunstkenner ausgeben, überall seine Kontakte hat und Helena und Robert selbst ihren engsten Kollegen bei der Polizei nicht mehr trauen können. Für meinen Geschmack ist mir die Geschichte zu politisch.

Ein konstanter Spannungsbogen

Der Thriller ist in vier Abschnitte unterteilt und die kurz gehaltenen Kapitel in Tage gegliedert. Der Text liest sich grundsätzlich flüssig, mich haben aber die türkischen Passagen gestört. Diese sind zum Glück übersetzt worden und ich habe diese Zeilen dann überflogen und habe gleich die Übersetzung gelesen. Der Autor arbeitet mit vielen kurzen Sätzen und dieser Schreibstil hat mich an Bernhard Aichner erinnert. Das mochte ich, denn dadurch wird die Geschichte rasanter. Der Spannungsbogen ist über viele Seiten präsent, denn immer wenn die Protagonisten das Gefühl haben, sie sind nur noch eine Handbreit von ihren Kindern entfernt, passiert etwas, so dass die beiden doch nicht gerettet werden können. Als Helena dann auch noch in Gefahr gerät und ebenfalls gerettet werden muss, wurde es mir ein bisschen zu dramatisch.

Abgebrochen

Ich habe mich entschieden, die letzten einhundert Seiten nicht mehr zu lesen, da das Buch im Großen und Ganzen nicht meinem Geschmack entspricht. Ich lese nicht gern politische Romane und leider war das Thema so nicht auf dem Klappentext erkennbar. Zudem bin ich mit Helena nicht richtig warm geworden. Sie ist zwar mutig und tut wirklich alles, um ihre Mädchen zu retten, lässt sich aber auch immer wieder mit Männern ein, die ihr am Ende schaden.

Uwe Wilhelm wurde 1957 in Hanau geboren, hat Germanistik und Schauspiel studiert und anschließend Drehbücher (unter anderem Polizeiruf und Tatort), Theaterstücke und Sachbücher geschrieben. Nach einem Schicksalsschlag ist der Autor mehrere Monate durch die Welt gereist und hat begonnen Romane zu schreiben. Mit Helena Faber hat er seine erste Trilogie begonnen. Auf der Homepage des Autors gibt es einen Videoblog der Protagonistin zu ihrem ersten Fall, der auf jeden Fall einen Besuch wert ist und den ich sehr gut finde.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Die 7 Kreise der Hölle | Erschienen am 21. Mai 2018 bei Blanvalet
ISBN 978-3-734-10345-2
480 Seiten | 9.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Viktor Glass | Schüssler und die verschwundenen Mädchen

Viktor Glass | Schüssler und die verschwundenen Mädchen

Ein zeitgeschichtlicher Kriminalroman

In seinem ersten Kriminalroman präsentiert uns Viktor Glass ein außergewöhnliches Ermittlerteam: Der Privat- oder „Geheim“-Polizist Ludwig Schüssler und das Dienstmädchen Caroline Geiger geraten aneinander und versuchen in der Folge gemeinsam, das Rätsel um mehrere verschwundene Frauen zu lösen.

Im Jahr 1890 hat die Industrialisierung einen Höhepunkt erreicht, in Augsburg, einem Zentrum der Textilindustrie, rüsten immer mehr Fabriken auf Kardier- und Spinnmaschinen um, setzen automatische Webstühle, Bleich- und Färbemaschinen ein um teure Handarbeit zu ersetzen. Ganze Berufszweige sterben aus, und bei den begüterten Schichten halten ebenfalls die ersten modernen Geräte und Maschinen Einzug: Staubsauger, automatische Waschkessel und anderes machen Haushaltshilfen überflüssig. Für die entlassenen Dienstmädchen bedeutet das Not, Armut und Verzweiflung und viele treibt es in den Selbstmord.

Eines dieser bedauernswerten Geschöpfe lernen wir im Prolog des Buches kennen, als das Mädchen sich in die Hochwasser führende Wertach stürzen will. Aber ein Kunstmaler entdeckt die junge Frau, er überredet sie, sich gegen Bezahlung von ihm porträtieren zu lassen und rettet so ihr Leben. Wirklich?

Schon das erste der 26 Kapitel von angenehmer Länge bereitet den Leser vor auf die Atmosphäre des Romans, der das Leben in der Stadt an Lech und Wertach, an der Grenze von Altbayern und Schwaben in einer Zeit des Wandels nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges schildert.

Wir lernen Ludwig Schüssler kennen, der seinem täglichen Ritual frönt, dem abendlichen Besuch im „Lahmen Hasen“, wo er sein Bier trinkt, die Tageszeitung studiert und sich eine Virginia gönnt. An diesem Abend wird Schüssler von einem Cheveauxleger angesprochen (ja, im Laufe der Geschichte lernen wir noch einige Begriffe kennen, die längst nicht mehr in Gebrauch sind), einem Angehörigen des königlichen Kavallerieregiments, Augustin Hipp. Er vermisst seine Verlobte Luise Habenicht, ein Hausmädchen, das verschwunden ist und sich seit Tagen nicht gemeldet hat.

Widerstrebend willigt Schüssler ein, sich einmal umzuhören, soweit seine alltäglichen Aufträge ihm die Zeit lassen. Diese Aufträge bekommt er von den Prinzipalen der Kaufläden und Warenhäuser in denen Diebstähle begangen werden, dort arbeitet er als Ladendetektiv. Sein aktueller Fall führt ihn ins Textilhaus Ganghofer, wo er eine verdächtige Frau in der üblichen Dienstbotenkleidung beobachtet. Die bemerkt ihn allerdings und weist den überrumpelten Schüssler in einem Ton zurecht, der ihr als Dienstmädchen nicht zusteht. Wir befinden uns schließlich in einer Zeit, in der Standesdünkel üblich ist und Frauenfeindlichkeit alltäglich, wie einige erschreckende Beispiele noch zeigen werden. Schüssler imponiert die resolute und unerschrocken Frau, mit ihrer Hilfe gelingt es ihm, die wahren Diebe zu überführen. Die beiden verabreden, künftig bei passender Gelegenheit erneut zusammenzuarbeiten.

Caroline Geiger, so heißt die Frau, ist relativ unabhängig, verantwortlich nur für fünf alte Damen, die sich ihrer Obhut anvertraut haben. Ehemalige Lehrerinnen allesamt, die für ihren Orden als Teil des Schuldienstes bis nach China und Afrika missioniert haben. Ihren Lebensabend verbringen sie nun in einem eigens für sie geschaffenen Stift, eine große ehemalige Bürgerwohnung. Caroline führt ihnen als Angestellte des Ordens den Haushalt und bewohnt auch eines der sieben Zimmer. Wenn es die Umstände erlauben, arbeitet sie auch außer Haus und auf eigene Rechnung, zum Beispiel wenn große Wäsche ansteht oder ein Hausmädchen erkrankt ist. Sie ist selbstbewusst und selbstbestimmt, ihr Erspartes gibt ihr Sicherheit, sie hätte im Fall des Falles keinen Mann nötig wie so viele Frauen, die ihre Arbeit in den bürgerlichen Haushalten verloren haben oder in den Fabriken, die jetzt massenhaft entlassen. Die Augsburg-Münchener Abendzeitung ist voll mit Inseraten von Frauen, die eine Anstellung suchen oder einen Mann, gerne auch einen älteren. Eltern versuchen, ihre Töchter zu verheiraten oder doch wenigstens zu verloben, sobald sie zwölf , dreizehn Jahre geworden sind.

Caroline liebt ihre Unabhängigkeit, ebenso wie Schüssler, der zwar eine dreijährige Ausbildung in der Polizei- und Gendarmerieschule Fürstenfeldbruck absolviert hat, sich dann aber selbstständig machte, mit einigem Erfolg. Die Polizei verfolgt seine Aktivitäten mit Argwohn, aber in der Bevölkerung hat er sich bereits einen guten Ruf erarbeitet, vor allem, seit er ein kleines Mädchen aufspürte, das ihrem Hausmädchen Anna Valentin auf einem Markt ausriss und als vermisst galt. Schüssler fand die Kleine, die sich in einem Keller versteckt hatte. Anna aber wurde entlassen und ist seither verschwunden, das Schicksal der Luise Habenicht offenbar kein Einzelfall. Schüssler will gemeinsam mit Caroline herausfinden, was den Mädchen widerfahren ist, die zufällig aus dem gleichen kleinen Dorf stammen: sind sie auf der Suche nach Arbeit abgewandert, vielleicht zurückgekehrt in ihr Elternhaus, oder sind sie wie so viele ins Wasser gegangen?

Schüssler wird Zeuge, wie sich eine verzweifelte Hausangestellte vor ein Pferdefuhrwerk stürzt, ein Passant hatte vergeblich versucht, das Mädchen zurückzuhalten. Es ist der Stadtbekannte Maler Eginald „Egi“ Berwanger, der hier gerade eine Ausstellung hat: Dort zeigt er „antike Göttinnen“, die, wie Caroline bei näherer Betrachtung feststellt, allesamt junge Mädchen aus Augsburg zum Vorbild haben, vom Künstler unschicklicherweise nackt abgebildet. Diese Modelle können sich fortan in der Stadt nicht mehr sehen lassen, was hat sie dazu bewogen, sich Berwanger so zu präsentieren? Der Maler räumt ein, die jungen Frauen gezielt auf der Straße anzusprechen und mit der Aussicht auf ein großzügiges Honorar in sein Atelier zu locken. Caroline glaubt, dass er sie dort auf irgend eine Art gefügig macht und wahrscheinlich nicht nur porträtiert. Und sie erfährt, nachdem sie sich angeblich als Modell zur Verfügung stellen will, dass Berwanger die Mädchen fotografiert, um dann nach dieser Vorlage seine Kunstwerke zu erschaffen. Was geschieht danach mit ihnen, und was macht der Künstler mit den Fotografien?

In den Brauhäusern der Stadt treibt sich ein Kartenverkäufer um, Hugo Halblaib, ein kleiner Betrüger und gerissener Geschäftemacher, der Touristen Ansichtskarten mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt aufschwatzt, aber nicht nur: Unter der Hand offeriert er seine „speziellen“ Karten, Aktbilder, die vor allem bei Herren aus England reißend Absatz finden. Ja, zu jener Zeit tauchen die ersten Reisegruppen von der Insel auf, organisiertes Sightseeing durch den umtriebigen Pfarrer Thomas Cook. Diese merkwürdigen Touristen beschreibt Glass auf höchst amüsante Art, wie überhaupt seine Art, für unsere heutigen Begriffe eher ungewöhnliche Figuren zu zeichnen, manchmal ausführlich, mitunter eher knapp, aber immer sehr prägnant und präzise, wie etwa den „Mist-Opa“, der auf seinem Bollerwagen Pferdeäpfel von der Straße sammelt und als Dünger verkauft, oder den „Hackepeter“, einen üblen Kerl, der ab und zu in Augsburg auftaucht.

Solche Milieustudien sind ein Vergnügen und ein Gewinn für den Roman. Der ist trotz mancher dem Thema geschuldeten antiquierten Vokabel oder Redewendung modern geschrieben ist, mit Tempo und Witz, und er hat eine absolut spannende Krimihandlung. Erfreulicherweise stellt Glass diesen Plot in den Mittelpunkt seiner Erzählung und überfrachtet sie nicht mit zu vielen historischen Fakten, dennoch gelingt es ihm jederzeit, die besondere Atmosphäre der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende aufleben und erleben zu lassen. Exemplarisch seien hier die packende Schilderung des Arbeitsalltags in einer Dampfwäscherei genannt oder die aufschlussreichen Bemerkungen zu damals herrschenden Zuständen in den Irrenhäusern.

Die beiden Hauptdarsteller sind ein wenig aus dieser Zeit gefallen, man könnte sie sich gut in unserem Umfeld vorstellen, wie sie Jagd auf die Hintermänner illegaler Bordelle macht, in denen junge Frauen aus Osteuropa, mit falschen Versprechungen angelockt und in die Zwangsprostitution getrieben, ihren Peinigern schutz- und wehrlos ausgeliefert sind. Haben die verschwundenen Mädchen in Augsburg ein ähnliches Schicksal erlitten? Ludwig und Caroline machen sich auf den Weg nach Anhausen, um die Spur der Dienstmädchen Luise und Anna zu verfolgen.

Das Kapitel legt eindrücklich Zeugnis davon ab, wie beschwerlich damals selbst eine relativ kurze Reise war und schildert in nachempfindbaren Bildern das elende Leben der verarmten Landbevölkerung. Die beiden Ermittler finden Anna, schwer an der „Englischen Krankheit“ leidend im Haus ihrer Mutter und erfahren erschütternde Einzelheiten über die erbarmungswürdige Leidensgeschichte der verschwundenen Dienstmädchen und einen skrupellosen Verbrecherring. Als sie kurz darauf das schreckliche Geheimnis endgültig lüften können, zeigt sich, dass alles noch viel schlimmer ist als sie es sich vorstellen konnten.

Dieser erste Auftritt des interessanten und sympathischen Ermittlerpaars bietet solide Krimikost, spannende, gute Unterhaltung die leicht zu lesen ist, mit einem klug konstruierten Plot um den herum ein aufschlussreiches Stück Zeitgeschichte gestrickt ist, ebenso angenehm zu lesen, dabei gleichermaßen informativ wie unterhaltsam. Davon gerne mehr!

 

Rezension und Foto von Kurt Schäfer.

Schüssler und die verschwundenen Mädchen | Erschienen am im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-609-6
296 Seiten | 13.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe