Autor: Nora

Krischan Koch | Mörder mögen keine Matjes

Krischan Koch | Mörder mögen keine Matjes

„Bei der Planung des morgigen Ausflugs nach Hamburg ist es spät geworden. Antje belegt gerade noch einen Croque „Störtebeker“ mit Hering und Krabben. Die Kühltasche mit ein paar Bieren ist bereits fertig gepackt. Die Imbissrunde ist gerade im Aufbruch, als Tadje und ihr Freund Lasse in „De Hidden Kist“ stürmen. Tadje hat den kleinen Affen auf dem Arm.“ (Auszug Seiten 20/21)

Die Tochter von Polizeiobermeister Thies Detlefsen und ihr Freund entdecken im Watt einen Container voll mit Elektroschrott, einem Affen und einer Leiche. Thies nimmt sich sofort der Sache an und findet heraus, dass der Container aus Hamburg stammt. Nur gut, dass die Kriminalhauptkommissarin Nicole Stappenbek, mit der Thies schon in früheren Mordfällen zusammengearbeitet hat, jetzt nicht mehr für Kiel, sondern für Hamburg zuständig ist. Er fährt zu ihr in die Großstadt und gemeinsam versuchen sie die Umstände des Mordes und den Täter herauszufinden.

POM Detlefsen mit trockenem Humor

Mörder mögen keinen Matjes von Krischan Koch ist der siebte Fall um POM Thies Detlefsen. Es handelt sich hier um einen Küstenkrimi, der sich hauptsächlich in der Hansestadt Hamburg abspielt und mit seinen kurzen Kapiteln sehr leicht zu lesen ist. Die Geschichte wird eher lustig erzählt und der trockene Humor des Protagonisten und einiger handelnder Personen haben mich ab und zu zum Schmunzeln gebracht. Die Handlung wird keineswegs ins Lächerliche gezogen, aber ist so ganz ernsthaft auch nicht gemeint. Meinen Geschmack hat es allerdings nur teilweise getroffen.

Von Fredenbüll nach Hamburg

Thies‘ „Dunstkreis“ besteht in seiner Heimatstadt Fredenbüll an der Nordsee aus seiner Familie, also aus Frau Heike und den Zwillingstöchtern Tadje und Telje, und den Stammgästen der „Hidden Kist“, einem Imbiss, in der vor allem Matjesbrötchen verspeist werden. Dass in diesem Fall nun im Hamburg ermittelt wird, heißt natürlich nicht, dass die heimische Belegschaft nicht auch dort unterstützen kann. Einer der regelmäßigen Gäste ist für eine Knie-OP in der Hansestadt und alle anderen kommen zum Krankenbesuch nach. So sind sie wieder vereint. Schnell ist auch ein neuer regelmäßiger Treffpunkt gefunden, nämlich „Mannis Matjeshalle“, fast alles wie zu Hause.

Weniger typische Ermittlungsarbeit

Die Ermittlungen von Nicole und Thies sind meiner Meinung nach eher stümperhaft, im Buch wird weniger Wert auf die eigentlichen Ermittlungen als auf das ganze Drumherum gelegt. Beide befragen zwar einige Personen und stellen Vermutungen an, aber von der restlichen typischen Recherchearbeit oder gar von Obduktionsberichten wird eher nebensächlich berichtet. Dafür, dass es sich um einen eher seichten Krimi handelt, gibt es meiner Meinung nach am Ende auch etwas viele Tote, die nicht hätten sein müssen. Außerdem sollte man meinen, dass Hamburg eine wirklich große Stadt ist, aber die Metropole ist scheinbar Mannis Fischhalle, denn dort finden sich nicht nur die Fredenbüller ein, sondern auch sämtliche Verdächtige. Zweiter kulinarischer Schauplatz ist ein China-Restaurant.

Fazit: Muss man mögen, aber wer etwas Unkompliziertes für zwischendurch sucht und auf trockenen Humor steht, wird hier seine Freude haben.

Krischan Koch lebt dicht am Wasser in Hamburg, wo er als Filmkritiker für den NDR arbeitet, und auf der Nordseeinsel Amrum, wo er die verrückt-bösen Kabarettprogramme für den »Hamburger Spottverein« erfindet. Dort schreibt er, mit Blick auf die See, auch seine Kriminalromane.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Mörder mögen keinen Matjes | Erschienen am 28. Februar 2019 bei dtv
ISBN 978-3-423-21781-1
288 Seiten | 9.95 Seiten
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Nicholas Searle | Der Sprengsatz

Nicholas Searle | Der Sprengsatz

„Die alten Regeln gelten nicht mehr. Es ist durchaus vorstellbar, dass wir einfach alles in Stücke hauen und von vorne anfangen, mit … verlässslicher Führung. Sie sind alles andere als unantastbar, weder individuell noch als Behörde. Das ist nichts Persönliches und bleibt uns hoffentlich erspart. Aber so ist die Welt heute nun mal. Wenn etwas schiefgeht, findet sich ein Sündenbock. Immer. Man muss nur richtig suchen. Gut möglich, dass diesmal ihr Verein an der Reihe ist.“ (Auszug Seiten 29-30)

Eine Stadt in Nordengland. Der Geheimdienst hat einen V-Mann in einer islamistischen Terrorzelle. Die Zelle plant einen Sprengstoffanschlag und will angeblich einen Probelauf machen. Der V-Mann Abu Omar wird kontrolliert und überwacht, doch als er den Bahnhof betritt, löst er eine Bombe aus. Ein verheerendes Attentat und der Geheimdienst ist völlig blamiert. Im Zentrum der Kritik steht Führungsoffizier Jake Winter. Er selbst grübelt darüber am meisten nach, in welchem Moment die Sache schief gelaufen ist. Wenige Monate später beginnt die politische Aufbereitung des Attentats – ein unabhängiger Untersuchungsausschuss, in den Jake als (anonym bleibender) Zeuge geladen ist. Er befürchtet, dass man ihn als Sündenbock brandmarkt. Doch zeitgleich bietet sich Jake eine neue, vielleicht letzte Chance: Ein Islamist hat sich als V-Mann angedient. Auch er ist Teil einer Zelle, die einen noch größeren Anschlag vorbereitet. Jake setzt alles daran, seine Fehler nicht zu wiederholen und diesmal an die Hintermänner heranzukommen.

Den Autor Nicholas Searle umgibt eine gewisse mysteriöse Aura. Viel erfährt man nicht über ihn. Brite, studierte Sprachen unter anderem in Göttingen, war danach lange im Staatsdienst in seiner Heimat und in Neuseeland. Zu seinem Debütroman „The Good Liar“ (dt. „Das alte Böse“) ließ sein britischer Verlag verlauten: „[he] is not allowed to say more about his career than that he was a senior civil servant for many years“. Das klingt natürlich sehr undurchsichtig und geheim und erinnert natürlich an Koryphäen wie John le Carré, der seine Jahre als Geheimdienstler gewinnbringend in seine Romane umzusetzen wusste und noch weiß.

Und in diese Tradition kann man Der Sprengsatz in jedem Fall einordnen. Searle beschreibt einen Geheimdienst in schwieriger Lage und mit den zu erwartenden internen Machtspielen und Illoyalitäten. Islamische Gefährder und Rückkehrer aus den Kampfgebieten können jederzeit Anschläge verüben, die Zuverlässigkeit der eigenen V-Männer ist unklar, ausländische Dienste spielen ihr eigenes Spiel. Im konkreten Fall gab es bereits einen verheerenden Anschlag und die Schuldsuche hat eingesetzt. Jake Winter wäre der passende Schuldige. Und vermutlich wäre er schon längst vom Dienst suspendiert, wenn er nicht der Kontaktmann für den nächsten wichtigen V-Mann in der Szene wäre. Doch die Messer werden gewetzt.

Dramaturgisch löst der Autor die Verbindung zwischen altem und neuem Fall sehr geschickt und lässt Jake Winter zwischen Untersuchungsausschuss und V-Mann-Betreuung hin und her pendeln. Nach und nach kommt ein wenig mehr Licht in den alten Fall und zeitgleich spitzt sich die Situation aufs Neue zu. Dabei setzt Searle auf wechselnde Perspektiven. Er begleitet neben Winter weitere Personen des Geheimdienstes, die vier Personen der neuen Terrorzelle und ein Ehepaar mit pakistanischen Wurzeln, das im ersten Anschlag Sohn und Enkeltochter verlor.

Gerade die Abschnitte mit dem Ehepaar Masoud und den Islamisten haben mir auch am besten gefallen. Aus diesen Figuren holt der Autor viel heraus, wohingegen die Hauptfigur Jake Winter über weite Strecken eher vage und ungreifbar bleibt (Geheimdienstler halt). Aber insgesamt überzeugt dieser Thriller mit einem realistischen Plot, sehr gelungenen Dialogen und einem guten Spannungsbogen.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Der Sprengsatz n| Erschienen am 18. Juni 2019 bei Kindler im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-463-40721-0
304 Seiten | 20.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Eva García Sáenz | Die Stille des Todes

Eva García Sáenz | Die Stille des Todes

Ich glaube, das ist das komplexeste Profil, mit dem ich es je zu tun hatte. Eine Cool-Down-Phase von zwanzig Jahren bedeutet, der Mörder ist ein Psychopath, der fähig ist, sich über einen sehr langen Zeitraum zu beherrschen. Ich glaube, dass er keinen Fehler machen wird, ich glaube, dass wir ihn bei keinem Widerspruch ertappen werden, und ich glaube, dass wir bisher nur den Anfang seines Plans erlebt haben. (Auszug Seite 233)

Eva Garcís Sáenz hat mit Die Stille des Todes den ersten Teil einer Kriminalromantrilogie vorgelegt, welche in ihrer Heimatregion, dem spanischen Gebiet der autonomen Gemeinschaft Baskenland, genauer in der Stadt Vitoria-Gasteiz und deren Umgebung spielt. Protagonisten sind die beiden Ermittler Inspector Unai López de Ayala, genannt Kraken, Profilingexperte und Fallanalytiker mit einer Spezialisierung auf Täter sowie seine Kollegin Inspectora Estíbaliz Ruiz de Gauna, eine auf die Analyse von Opfern spezialisierte Viktimologin. Beide arbeiten unter der neuen Subcomisaria Alba Díaz de Salvatierra bei der Kriminalpolizei von Votoria.

Der Roman steigt sofort beim Fund zweier Toter in der Kathedrale von Vitoria ein. Beide sind nackt und wurden sorgfältig drapiert. Je eine Hand des anderen ruht an einer Wange und um sie herum finden sich drei Silberdisteln, im Baskischen sogenannte Eguzkilore oder auch „Blume der Sonne“, welche in der baskischen Mythologie ein bedeutsames Schutzsymbol darstellt. Unai und seine Kollegin Estíbaliz sind geschockt, denn diese Morde erinnern allzu deutlich an eine Mordserie, die Vitoria vor zwanzig Jahren erschütterte. Damals wurden gleich drapierte Tote aufgefunden und es wurde ein Täter ermittelt, der bereits seit zwanzig Jahren inhaftiert ist: Tasio Ortiz de Zárate, ein ehemals angesehener Archäologe und Fernsehmoderator, der seine Schuld immer abstritt, dem jedoch kein Glauben geschenkt werden konnten, deuteten doch alle Indizien ausnahmslos auf ihn.

Tasio ist der Zwilling von Ignacio, wobei die besondere Brisanz in der Beziehung darin besteht, dass Ignacio damals Polizist war und seinen Bruder verhaftet hat. Nun, 2016, steht Tasios erster Freigang nach zwanzig Jahren an und ganz Vitoria ist in Aufruhr deshalb, denn die überwiegende Mehrheit glaubt noch immer an seine Schuld und mit den nun zwei neuen Morden, fragen sich die Votirianer, wie Tasio aus dem Gefängnis heraus agieren konnte. Doch eigentlich meinen ebenjene bereits zu wissen, dass dahinter einzig sei Zwilling Ignacio stecken kann, um Tasio freizubekommen.

Unai und Estíbaliz sind nicht nur ein gut eingespieltes Team, auch sind sie beste Freunde. Wir erfahren im Laufe der Geschichte sukzessive mehr aus ihrer persönlichen Vergangenheit, ihrem Privatleben und ihrer Clique. Subcomisaria Alba ist die Neue im Bunde und hat bedingt durch den Doppelmord keine Zeit, sich einzugewöhnen sondern muss sofort present sein und ihr neues Team leiten. Unai hatte sie bereits am Morgen beim Joggen kennenlernen dürfen, doch beide wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wer der jeweils andere ist. Seiner Kollegin verschweigt er das, denn – man ahnt es schon sehr früh: zwischen Unai und Alba bahnt sich ziemlich schnell eine heftige Romanze an. An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich die Umsetzung dieser Gefühlsausbrüche sehr hölzern fand. Es fehlte mir der Weg dorthin, es war einfach zu sehr Hals über Kopf. Oder aber spanisches Temperament? Jedenfalls bin ich der Meinung, es muss doch auch mal ohne Techtelmechtel gehen. Es macht einen Krimi nicht besser, je mehr die Beteiligten miteinander verstrickt sind.

Diese Verwobenheit im Umfeld der beiden Ermittler mit den Ermittlungsarbeiten setzt sich leider auch in anderer Form durch, was in einem leicht absurd wirkendem Kuddelmuddel zum Ende hin seinen Höhepunkt findet. Schön ist allerdings der unerwartete Twist hin zum Täter, den man dachte zu kennen und dann doch wieder nicht. Was ich sehr gut fand, waren die vielen Rückblenden in die Jahre 1970/71 sowie 1989/90, die sich im Nachhinein als Hinführung zur Tat herausstellen, ohne zuviel zu verraten. Ist man mit den alavesischen Familiennamen etwas vertrauter, hat man auf jeden Fall einen Vorteil, denn ich habe den ein oder anderen Fakt überlesen und bin erst später darauf gekommen.

Wie eingangs geschrieben, ist Die Stille des Todes der erste Band einer Trilogie. Der zweite Teil Das Ritual des Wassers ist für Oktober 2019 angekündigt, der dritte Band Die Herrin der Zeit für März 2020. Die Autorin schreibt – abgesehen von den Liebesszenen und manch wirrem Gedanken Unais – recht flüssig und es liest sich gerade in der zweiten Hälfte des 566 Seiten umfassenden Krimis sehr spannend. Ein Glossar und ein Personenverzeichnis sind angefügt und geben hilfreiche und interessante Informationen, ebenso wie die in den Umschlaginnenseiten abgedruckten Karten von Vitoria bzw. dem Baskenland.

Eva Garcá Sáenz schreibt in ihrer Danksagung

Seltsamerweise ist dies mein bislang autobiographischster Roman, obwohl die Handlung nichts mit meinem Leben zu tun hat. (Seite 554)

Außerdem sei der ganze Roman eine Hommage an ihren Großvater (Seite 555). Die Figur des 94-jährigen Großvaters von Unai und seinem Bruder Germán fand ich sehr sympathisch. Ich gehe davon aus, dass wir ihm im Folgeband wiederbegegnen werden. Ich möchte auf noch mehr Spannung und weniger Verwicklungen hoffen!

 

Rezension und Foto von Nora.

Die Stille des Todes | Erschienen am 26. Juni 2019 bei Scherz im Fischer Verlag
ISBN 978-3-651-02588-2
566 Seiten | 15.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Stephen King | Der Outsider ♬

Stephen King | Der Outsider ♬

Wie in vielen seiner Geschichten entführt Stephen King den Hörer wieder ins amerikanische Kleinstadtmilieu und wie so oft kommt das Grauen von innen. Hier in dem fiktiven Flint City in Oklahoma wird in einem Stadtpark die Leiche eines kleinen Jungen gefunden.

Coach T als Kindsmörder

Kurz darauf wird der geschätzte Jugendtrainer und Englischlehrer Terry Maitland während eines Baseballspiels verhaftet und vor allen Zuschauern einschließlich seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Handschellen abgeführt. Die drastischen Vorwürfe scheinen das medienwirksame Spektakel zu rechtfertigen: Der Coach soll den elfjährigen Frank Peterson sexuell missbraucht, grausam ermordet und sogar zerstückelt haben. Die Beweise sind erdrückend: Mehrere Zeugen haben Maitland mit blutverschmierter Kleidung in der Nähe des Tatorts gesehen und eindeutig identifiziert. An dem Lieferwagen, mit dem der Junge entführt wurde, finden sich Maitlands Fingerabdrücke. Als später auch seine DNA auf der Leiche des Opfers eindeutig festgestellt wird, besteht für den ansässigen Detective Ralph Anderson absolut kein Zweifel mehr an der Schuld des kumpelhaften Coach. Dass dieser auch seinen halbwüchsigen Sohn Derek trainierte plus die Abscheulichkeit des Verbrechens sorgte für zusätzlichen Druck und lassen Anderson nicht mehr sachlich agieren.

Der beliebte Coach T bestreitet die Tat auch nach seiner Verhaftung vehement. Er kann zur allgemeinen Verwunderung ein unwiderlegbares Alibi vorweisen, denn zur fraglichen Zeit war er mit mehreren Kollegen auf einer Tagung in einer anderen Stadt. Dies können nicht nur alle bezeugen, sondern es gibt auch einen Video-Mitschnitt einer Krimi-Lesung mit Harlan Coben, auf der Maitland eindeutig in der ersten Reihe sitzend zu erkennen ist und auch hier werden seine Fingerabdrücke sichergestellt.

Eine Stadt dreht durch

Inzwischen formieren sich die Bürger von Flint City zu einem hysterischen Lynchmob, der davon überzeugt ist, dass der bis dahin unbescholtene Coach T ein Monster ist. Nur Maitlands Frau und sein Anwalt Howard Gold halten noch zu ihm. Nicht nur für die Maitlands beginnt ein regelrechter Albtraum. Auch über die Familie des Opfers, die Petersons, bricht in immenser Geschwindigkeit Chaos und Elend herein. Es beginnt eine Tour de Force und man ahnt, dass diese tragische Geschichte ein katastrophales Ende nehmen wird. King entwirft hier mit großer Rasanz ein faszinierendes Szenario. Die vielen schockierenden Momente hatten an dieser Stelle eine große Sogwirkung auf mich und machten es mir schwer, das Hörbuch auszuschalten.

Die Verantwortlichen, allen voran, Detective Ralph Anderson, sind überfordert. Er bereut inzwischen den showartigen Verhaftungszirkus im Stadion zusammen mit dem ehrgeizigen Bezirksstaatsanwalt Bill Samuels. Die Widersprüche nagen an dem integren Detective und nach einer kurzzeitigen Suspendierung stellt er zusammen mit dem Anwalt Gold und dem Privatdetektiv Alec Pelly eigene Ermittlungen an. Als dazu Informationen aus einem anderen Bundesstaat benötigt werden, stößt auch noch die Privatermittlerin Holly Gibney dazu. Die schrullige Detektivin, ausgestattet mit einigen Zwangsneurosen, kennt man vielleicht aus der Bill-Hodges-Trilogie. Und diese sollte man vorher gelesen haben, da wirklich viel gepoilert wird!

Fazit

So sehr ich mich über das Auftauchen von Holly Gibney gefreut habe, geht dem Thriller in der zweiten Romanhälfte leider etwas die Luft aus. Die rätselhafte Geschichte lässt sich nicht plausibel auflösen und Stephen King zieht hier den übernatürlichen Joker. Obwohl dann natürlich das logische Mitraten wegfällt, habe ich gar kein Problem mit einem Wechsel ins Metaphysische. Aber zum einen verdrängt Holly den bisherigen Protagonisten Ralph Anderson und durchschaut relativ schnell das böse Horrorwesen. Und zum anderen konnte mich der Antagonist nicht restlos überzeugen. Der Gestaltwandler, der sich von Trauer und Elend nährt und sich auf eine mexikanische Folklegende bezieht, schien mir nicht komplett durchdacht und ist in Teilen ein alberner und wenig bedrohlicher Dämon.

Die Handlung flacht bis zum großen Showdown in einer Tropfsteinhöhle in Marysville auch durch viele Wiederholungen leider etwas ab und die Auflösung kann nicht vollständig überzeugen.

Stephen King ist ein großer, begnadeter Erzähler, egal welches Genre er bedient. Der Outsider ist eine komplex gestrickte Mischung aus klassischem Krimi und Horrormär mit intensiven Passagen am Anfang, in denen der Autor mit seinem schriftstellerischen Können glänzt und der zum Schluss etwas schwächelt und an Raffinesse verliert. So als hätte der Autor keine Lust mehr gehabt und die Geschichte schnell zu Ende gefrickelt.

Das macht David Nathan aber mit seiner begeisterten Lesung wieder wett. Er lässt sich richtig in die weit ausgebreitete Geschichte fallen und gestaltet die verschiedenen, lebensnahen Charaktere wirklich hervorragend. Kings Art zu schreiben ist wie für Hörbücher gemacht und Nathan gelingt es problemlos Bilder in die Köpfe der Hörer zu transportieren.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Der Outsider |Das Hörbuch erschien am 27. August 2018 bei RandomHouse Audio
ISBN 978-3-8371-4284-6
3 mp3 CDs | 24.- Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesung: 19 Stunden 9 Minuten
Original-Titel: Outsider (Scribner)
Sprecher: David Nathan
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Mini-Spezials Stephen King.

Stephen King | Der Anschlag

Stephen King | Der Anschlag

„Glückliches neues Jahr, G…“ Sie wich stirnrunzelnd einen halben Schritt zurück. „Was hast du?“
Vor meinem inneren Auge stand plötzlich das Texas School Book Depository, ein hässlicher Klinkerkasten mit Fenstern wie Augen. Es war das Jahr angebrochen, in dem das Schulbuchlager ein geschichtsträchtiger Ort werden würde.
Das wird es nicht. So weit lasse ich dich nicht kommen, Lee. Du gelangst nie an dieses Fenster im fünften Stock. Das ist mein guter Vorsatz. (Auszug Seite 663)

Der Englischlehrer Jake Epping lebt ein ereignisarmes Leben in Lisbon Falls. Eines Tages offenbart ihm sein guter Bekannter Al Templeton, Besitzer eines Imbiss-Trailers, dass er unheilbar krank ist und in Kürze verstirbt. Gleichzeitig zeigt Al Jake ein großes Geheimnis: Im Hinterzimmer seines Imbisses gibt es ein Zeitportal. Man gelangt in den September des Jahres 1958 und auch wieder zurück. Al selbst hat dieses Portal regelmäßig benutzt, unter anderem, um sich mit günstigem Burgerfleisch zu versorgen. Doch Al hat auch eine Mission: Er will das Attental auf John F. Kennedy am 22.11.1963 in Dallas verhindern. Dafür hat er eine Menge Material über Lee Harvey Oswald gesammelt. Doch aufgrund seiner Erkrankung kann er die Mission nicht mehr ausführen. Deshalb will Al Jake dafür gewinnen.

Doch der schreckt natürlich erstmal zurück vor so einer gewaltigen Aufgabe. Will sich erst mal hereintasten in die Vergangenheit. Ausprobieren, ob so etwas überhaupt gelingen kann. Denn Al warnt durchaus: So leicht lässt sich die Vergangenheit nicht verändert, sie wehrt sich und wird widerspenstig. So sucht sich Jake zunächst eine kleinere Mission aus. Vor einiger Zeit hatte Jake in einem Englischkurs für Erwachsene einen Aufsatz mit dem Thema „Der Tag, der mein Leben veränderte“ schreiben lassen. Darunter war der Aufsatz des Schulhausmeisters Harry Dunning, der mit erheblichen Rechtschreib- und Grammatikschwächen zu kämpfen hatte, aber eine unglaublich traurige Geschichte über den Tag an Halloween 1958 schrieb, als sein Vater seine Mutter und seine Geschwister erschlug und ihn schwer verletzte. Jake nimmt sich vor, diese Tragödie zu verhindern und reist in die Vergangenheit nach Derry, Maine.

Derry lässt King-Fans sicherlich wissend aufhorchen. Die fiktive Stadt ist Schauplatz mehrerer King-Romane und hinterlässt das Gefühl eines feindseligen, bösen Ortes. Ich mag gar nicht zu viel verraten, was Jake Epping in Derry widerfährt, allerdings wird auch hier schnell klar, dass es nicht so leicht ist, die Vergangenheit zu ändern und selbst wenn man es schaffen sollte, was sind die weiteren Auswirkungen? Erreicht man in der Folge überhaupt das Beabsichtigte? Der berühmt-berüchtigte Schmetterlingseffekt. Diesen lernt Jake in Derry zum ersten Mal kennen und er wird auch in der weiteren Geschichte in Dallas eine große Rolle spielen.

Ohne zu viel vorweg zu nehmen: Jake nimmt Als Mission schließlich an. Allerdings ist bis zum 22. November 1963 noch einiges an Zeit herumzubringen und so erzählt King die Geschichte von Jake, wie er sich langsam Richtung Texas aufmacht, mit Geld einen Abschluss erkauft und schließlich auch in der Vergangenheit als Lehrer arbeitet. Er landet in der Kleinstadt Jodie, wo er freundschaftlich aufgenommen wird und sich schließlich in die von ihrem psychisch gestörten Mann getrennt lebende Schulbibliothekarin Sadie Dunhill verliebt. Doch irgendwann rückt das Datum immer näher und Jake will die Mission weiterführen, muss allerdings schon bald erkennen, dass sie aufs Schmerzlichste mit seinem glücklich verlaufenden Leben in der Vergangenheit kollidiert.

Wollte ich Jahre in der Vergangenheit verbringen? Nein. Aber ich wollte dorthin zurück. Und wenn auch nur, um zu hören, wie Little Richard geklungen hatte, als er noch Top of the Pops gewesen war. Oder um an Bord einer Maschine der Trans World Airlines zu gehen, ohne meine Schuhe ausziehen und durch einen Ganzkörperscanner und einen Metalldetektor gehen zu müssen.
Und ich wollte noch ein Root Beer. (Seite 71)

Die Ermordung Kennedys durch Lee Harvey Oswald ist immer noch ein nationales Trauma der Vereinigten Staaten. Stephen King selbst hatte die Idee zu diesem Roman schon Anfang der 1970er, ließ aber dann davon ab, weil er meinte, dass es noch zu frisch war für eine solche Darstellung. Interessant ist, was Al und auch Jake glauben, durch die Verhinderung des Attentats positiv beeinflussen zu können: Der Vietnamkrieg und die Rassenunruhen in den USA. Doch, ob sich der alternative Geschichtsverlauf sich wirklich so positiv auswirken würde? Was die Ermordung Kennedys betrifft, verzichtet King übrigens auf irgendwelche Verschwörungstheorien, sondern hält sich an die Fakten bezüglich der Täterschafts Oswalds (wobei er einige unklare Stellen schon erwähnt). Dies hat mich zunächst etwas enttäuscht, im Nachhinein muss ich aber zugeben, dass es richtig war, die Konstruktion dieser Zeitreisegeschichte nicht noch mit alternativen Theorien zu überfrachten.

Wie so häufig bedient sich der Autor eines Ich-Erzählers, der rückblickend diese Geschichte erzählt. Jake Epping ist ein typischer Durchschnittstyp, Lehrer, noch nicht allzu alt, dennoch bereits von seiner alkoholkranken Ehefrau getrennt. Ein intelligenter, aber gutmütiger, nicht allzu ambitionierter Mann. Er schreckt vor der Aufgabe ein wenig zurück, bringt es aber auch nicht fertig, seinem Kumpel Al den Wunsch auszuschlagen. Aber Jake wächst mit seiner Aufgabe, geht immer zielstrebiger und auch hartgesottener vor. Bis die Liebe zu Sadie Dunhill ihn auf eine harte Probe stellt.

King erzählt die Vergangenheit über weite Strecken in einem fröhlichen Ton: Die Luft ist frischer, das Gras ist grüner, das Bier schmeckt besser. Aber er ist weit davon entfernt, einen „früher war alles besser“-Ton zu vermitteln. Dafür reicht ein kurzer Blick an einem Rastplatz, wo es eine Damen- und Herrentoilette gibt und einen Hinweispfeil „für Schwarze“, der zu einem Donnerbalken über einem stinkenden Bach führt. Was man in diesem Roman natürlich auch vorfindet, sind die zahlreichen Querverweise zu Kings Gesamtwerk – etwa ein weiß-roter Plymouth Fury, der regelmäßig vorkommt, oder Verweise auf ES in Derry.

Der Anschlag beinhaltet viele Elemente aus Thriller, historischem Roman, Sci-Fi und daneben eine große Lovestory. Das alles beherrscht King ziemlich souverän und erweist sich als begnadeter Erzähler, der 1000 Seiten scheinbar mühelos zu füllen vermag. Dabei zeigt er sich als guter Beobachter, der die Zeiten und Verhältnisse beschreibt, dabei aber nicht das große Ganze, sondern den Einzelnen im Blick behält. Denn bei allen nationalen Traumata – die wahren Tragödien erfährt doch jeder im Privaten. Insgesamt für mich ein sehr vielseitiger und trotz des Umfangs kurzweiliger Roman.

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Der Anschlag | Erschienen am 23. Januar 2012 im Heyne Verlag
Die aktuelle Taschenbuchausgabe erschien am 10. Juni 2013 ebenfalls im Heyne Verlag
ISBN: 978-3-453-43716-6
1072 Seiten | 12.99 Euro
Originaltitel: 11/22/63
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Mini-Spezials Stephen King.

 

Zum Bild von Lee Harvey Oswald (aus Wikipedia/Public Domain):
Photo of Lee Harvey Oswald with rifle, taken in Oswald’s back yard, Neely Street, Dallas Texas, March 1963. Originated from the report of the Warren Commission, a US Government report. From WH Vol.16 page 510.