Monat: April 2025

Liz Moore | Der Gott des Waldes

Liz Moore | Der Gott des Waldes

Wenn das sein Junge wäre, der verschwunden war und mitten in der Nacht in dem kalten Wald herumirrte, vielleicht sogar verletzt irgendwo lag, dann wäre er, Carl, immer noch da draußen und würde nach ihm suchen. Er würde nicht aufhören, Bears Namen zu rufen, bis er selbst den Geist aufgab. (Auszug E-Book Pos. 2131 von 6988)

Hoch oben an der US-amerikanischen Ostküste in den dichten Wäldern der Adirondack Mountains liegt ein riesiges Naturreservat, bestehend aus einem dunklen Waldgebiet und einem großen See. Seit Generationen im Besitz der schwerreiche Familie Van Laar, die mitten im Reservat ein Sommer-Camp für Kinder der Oberschicht errichtet haben. Das elitäre Ferienlager bietet viele Aktivitäten in der Natur mit Lagerfeuer und nächtlichen Survivaltrainings im Wald.

Im Sommer 1975 verschwindet die 13-jährige Barbara aus dem Ferienlager. Die Betreuerin Louise findet morgens ihr Bett verlassen vor. Sie hat ein Problem, denn Barbara ist nicht nur die Tochter der Gründer-Familie Van Laar, die erstmalig am Camp unweit des imposanten Anwesens teilnimmt, sondern auch die Schwester von Bear, dem Jungen, der vor 14 Jahren spurlos verschwand. Zufall oder gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Verlust der beiden Geschwister, die beide während der jährlich stattfindenden, einwöchigen Party der van Laars verschwanden? Eine großangelegte Suchaktion läuft an. Hat es etwas mit dem Serienmörder Jacob Sluiter zu tun, der gerade jetzt aus dem Gefängnis ausbrechen konnte?

Die Suche nach der verschwundenen Barbara van Laar und die Ermittlungsarbeiten über mehrere Tage hinweg nehmen einen großen Raum ein. Empathisch und mit präzisem Blick schildert Liz Moore ein Familiendrama, das seinen Anfang schon viele Jahre vor dem aktuellen Verschwinden Barbaras nimmt. In Rückblicken erfahren wir nicht nur von dem traurigen Schicksal des 5-jährigen Bear van Laar, sondern gehen auch ins Jahr 1950 zurück, als seine damals 17-jährige Mutter Alice auf einem Debütantinnenball den reichen Peter van Laar kennenlernt. Diese Ereignisse nehmen eine zentrale Funktion in der Geschichte ein.

Der Plot wird nicht linear sondern aus mehreren Zeitebenen erzählt. Gekonnt und mit einem verlässlichen Gespür für Timing werden die Perspektiven gewechselt und der Überblick behalten. Man muss konzentriert bleiben, der Roman ist aufgrund des großen Personentableaus und vielen Zeitebenen komplex, aber nie kompliziert. Die Kapitel werden jeweils mit einem Namen und einem Zeitstrahl versehen, was die Zuordnung erleichtert, die Spannung aber kontinuierlich nach oben schraubt. Das ist souverän und mit großer Erzählfreude gemacht. Liz Moore arrangiert die Berichte diverser Figuren und verleiht dabei jedem seine eigene Stimme, Perspektive und Geschichte. Von der jungen Ermittlerin Judyta Luptack, die sich in der von Männern dominierten Kriminalpolizei durchsetzen muss bis hin zum Serienmörder Jacob Sluiter, von den Bewohnern des naheliegenden Dorfes bis hin zu den Campbewohnern und Angestellten der Familie Van Laar. Die Autorin nimmt sich viel Zeit für ihre Protagonisten, macht sie vielschichtig und zeigt mir ihre inneren Konflikte. Jede Figur hat ein weiteres Detail zum Gesamtbild hinzuzufügen, und je weiter die Erzählung vorangetrieben wird, desto neugieriger wird man und je mehr klebt man an den Seiten. Ein Roman, der für mich von Seite zu Seite immer besser wird, je mehr man erfährt.

„Mir fällt nur ein, dass niemand in dieser Familie das Mädchen mag, Barbara. Vernachlässigung würde ich das nennen. Bevor sie runter ins Ferienlager gegangen ist, ist sie immer in die Küche gekommen, um sich was zu essen zu holen. Hat immer ganz verloren gewirkt, und das in ihrem eigenen Zuhause…“. (Auszug Pos 4450 von 6988)

Ich mochte auch, wie subtil Moore hier gesellschaftliche Kritik verwebt. Alle Personen stellen unterschiedliche gesellschaftliche Schichten dar. Es wird schnell klar, dass reiche Familien wie die van Laars und ihre Freunde sich mit Geld eine Menge Macht erkaufen können, auch Verschwiegenheit. Es geht um die Privilegien des Geldadels, deren Skrupellosigkeit und Mangel an Empathie. Es geht auch um Klassenunterschiede, soziale Ungleichheiten und um die Rolle der Frau in der Gesellschaft der 50er und 70er Jahre.

Manchmal hatte Alice das Gefühl, dass sie so schnell einen Jungen bekommen hatte (und dann auch noch einen so wunderbaren), war das Einzige an ihr, womit ihr Mann zufrieden gewesen war. (Auszug Pos. 1577 von 6988)

Durch die bildhafte Sprache waren das Feriencamp und das raue Klima der dichtbewaldeten Landschaft vor meinen Augen lebendig, das Camp in mitten des Gebirges ein geniales Setting. „Long Bright River“ war ein Highlight für mich und obwohl die Themen in „Der Gott des Waldes“ nicht ganz neu sind, sorgte der mitreißende Schreibstil dafür, dass ich das Buch, welches auch auf der Sommerleseliste 2024 des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama stand, nicht aus der Hand legen konnte. Ein richtig guter Schmöker, wie ich ihn schon lange nicht mehr gelesen habe.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Der Gott des Waldes | Erschienen am 28. Februar 2025 im Verlag C.H. Beck
ISBN 978-3-406-82977-2
590 Seiten | 26,00 Euro
Originaltitel: The God of the Woods | Übersetzung aus dem Englischen von Cornelius Hartz
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Die Meinung von Marius Müller auf buch-haltung.com zu „Der Gott des Waldes“

Johannes Groschupf | Skin City

Johannes Groschupf | Skin City

„Meine Frau hatte mal einen Bullterrier“, sagte Steinmeier. „Wenn der sich in etwas verbissen hatte, dann konnte er nicht mehr loslassen. Ums Verrecken nicht. Viertelstunde, halbe Stunde, ganz egal, der hat nicht losgelassen. Du konntest ihn mit einem Gartenschlauch abspritzen, das hat er überhaupt nicht gemerkt. Dabei war das eigentlich ein netter Hund.“
„Ich bin auch nett“, sagte Romina. „Echt total nett.“ (Auszug S.143)

Im heißen Sommer 2024 wird Berlin von einer Einbruchsserie heimgesucht. Die Täter gehen am hellichten Tag in verlassene Wohnungen und gehen äußerst professionell vor. Zum Teil des Ermittlungsteams gehört auch die Polizistin Romina Winter. Sie wird allerdings von einer persönlichen Sache abgelenkt: Ihre Schwester wird kurzzeitzig vermisst und wird dann zusammengeschlagen aufgefunden. Wer hat ihr das angetan?

Zur gleichen Zeit kommt Jacques Lippold aus dem Gefängnis frei. Er ist ein Finanzbetrüger, hat zwei Jahre gesessen. Nun versucht er wieder Fuß zu fassen. Bei einer Kunstauktion lernt er die Anwältin Beate kennen, durch die er in Kunstkreisen als Berater und Vermittler erneut betrügerische Deals einleitet. Doch er hat auch noch eine Rechnung aus dem Gefängnis offen, die er unbedingt begleichen will.

„Ich sag dir, was das heißen soll“, sagte Lippold. „Das soll heißen, dass ich mich mehr in Charlottenburg sehe als in Heerstraße-Nord. In Charlottenburg hast du Leute mit Geld. Das alte West-Berlin. Die haben im Grunde noch gar nicht mitgekriegt, dass die Mauer gefallen ist.“ (Auszug S.112)

Die Story wird durch drei Personen und Perspektiven vorgetragen. Da ist zum einen Koba, der georgische Einbrecher. Sehr versiert bringt er mit seiner Crew seinen Hintermännern viel Kohle ein. Doch eigentlich träumt er davon, nach Kanada auszuwandern und sein kriminelles Leben hinter sich zu lassen. Doch natürlich ist ein Ausstieg aus diesem organisierten Verbrechen alles andere als einfach. Als zweites Jacques Lippold, ein Betrüger in großem Stil. Kaum draußen aus dem Knast hat er schnell für sich das nächste lukrative Netzwerk ausgemacht und lässt seine Überredungskunst, seinen Charme und sein Improvisationstalent spielen. Doch in ihm schlummert noch eine andere Seite. Aufbrausend, gewalttätig. Im Gefängnis hat er mit seiner Patek Philippe einen auf dicke Hose gemacht – bis sie ihm geklaut wurde. Der Dieb ist vor Entdeckung entlassen worden, doch nun sinnt Lippold auf Rache. Zuletzt Romina, die bereits in den Vorgängerromanen vorkommt. Als Roma ist sie Mitglied eines großen Familienclans, der mit ihrer Berufswahl durchaus hadert, kam doch ihr Vater auch schon mit dem Gesetz in Konflikt. Sie ist eine äußerst engagierte Polizistin, doch neben der Einbruchsserie will sie vor allem erfahren, wer ihre Schwester überfallen hat und möglicherweise die Familie bedroht.

Autor Johannes Groschupf ist seit dem Beginn seiner Berlin-Thriller („Berlin Prepper“ erschien 2019) ein gefragter Mann im Genre und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. „Skin City“ ist nun der vierte Roman in dieser Reihung (eine Reihe ist es nicht), die vor allem die Milieus in Berlin in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückt. Johannes Groschupf verarbeitet nach eigener Aussage eigene Begegnungen in der Stadt, ohne es zu sehr auf gesellschaftliche Relevanz anzulegen. Diesem Konzept bleibt er auch in „Skin City“ treu. Das ist wie schon in der Vorgängerromanen ganz ordentlich gemacht, vor allem die Dialoge, die sehr unterschiedlichen Schauplätze und der Blick auf Berlin sind wie immer gelungen. Dennoch konnte mich der Autor nicht ganz so begeistern wie etwa bei „Berlin Heat“ oder „Die Stunde der Hyänen“. „Skin City“ hat für mich nicht die Wucht der Vorgänger, bleibt zu gedämpft in Tempo und Relevanz, hätte noch tiefer gehen können. Vor allem das Ende, in dem der Autor die drei Hauptpersonen und die Handlungsstränge zusammenführt, kam mir zu abrupt vor und konnte mich nicht völlig überzeugen. Nichtsdestotrotz bleibt Johannes Groschupf ein relevanter Autor, um die Seele Berlins in einen Kriminalroman unterzubringen.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Skin City | Erschienen am 23.02.2025 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-47449-5
234 Seiten | 17,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezensionen zu „Berlin Heat“ und „Die Stunde der Hyänen“