Monat: April 2025

Jochen Brunow | Verdeckte Spuren

Jochen Brunow | Verdeckte Spuren

„Ich sage dir, Berlin wurde auf Wasser gebaut. Schon der Name der Stadt: Morast oder Sumpf. Der Kudamm, dieser Prachtboulevard, früher nichts als ein Knüppeldamm, um aus dem Modder zum Jagdschloss zu kommen, ohne dass die Kutsche stecken bleibt. All dieser Schick, der Glitzer und Glamour, nichts als Tarnung, ein Sumpf ist die Stadt noch immer.“ (Auszug E-Book Pos. 1712).

Der Berliner Ex-Polizist Gerhard Beckmann lebt inzwischen in einem malerischen Tal auf Sardinien. Er war einer der leitenden Beamten in einer Ermittlung zu Korruption in Verbindung mit dem Bau und Betrieb des neuen Berliner Flughafen BER. Doch mittendrin verstarb seine Frau bei einem Autounfall, Beckmann geriet in ein tiefes Loch, begann zu trinken. Er wurde schließlich in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, die Korruptionsermittlungen versandeten. Doch zusammen mit einem Kollegen konnte Beckmann einen Teil der Akten retten, zu einer weiteren Auswertung kam es bislang noch nicht.

Auf Beckmann wird der junge aufstrebende Journalist David Richter aufmerksam, er besucht ihn zu einem Interview auf Sardinien. Schließlich verabreden Beckmann, Richter und dessen Zeitung eine weitere Zusammenarbeit. Richter beteiligt sich bei der Aktendurchsicht, doch konkrete Ergebnisse lassen weiter auf sich warten. Da wird Beckmann in seinem Haus auf Sardinien brutal überfallen, seine Haushälterin wird dabei lebensgefährlich verletzt. Als auch auf die Akten in einer angemieteten Wohnung ein Bombenanschlag verübt wird, bei dem Richter nur durch viel Glück nahezu unverletzt bleibt, ist klar, dass jemand weitere Recherchen mit aller macht verhindern will.

Der Roman „Verdeckte Spuren“ erschien bereits vor ein paar Jahren als Book on Demand. Nachdem Autor Jochen Brunow letztlich doch einen Verlag gefunden hatte, erschien zunächst „Die Chinesin“, ebenfalls mit Ex-Polizist Beckmann als Hauptfigur. Dieser Kriminalroman schaffte es sogar auf die Krimibestenliste. Nun erscheint „Verdeckte Spuren“ als Nachfolger noch einmal, dieses Mal über den Verlag. Jochen Brunow arbeitete bislang als Filmkritiker, Drehbuchautor und Dozent an Akademien fürs Drehbuchschreiben. Die vorliegenden Romane um Gerhard Beckmann sind seine ersten Kriminalromane.

Dabei merkt man den Hintergrund des Autors dem Buch auf jeden Fall an. Figuren und Dialoge wirken auf den Punkt, vor allem aber die verschiedenen Details und Einzelheiten bei Landschaft, Setting und „Ausstattung“ machen den Roman rund. Ein paar Beispiele: Die Cowboystiefel mit Metallapplikationen, das Einzige, woran sich Beckmann bei dem Mann, der ihn überfallen hat, detailliert erinnern kann. Etwas später besucht Beckmann ein sardinisches Dorf, das einst bei Spaghetti-Western als Kulisse diente, und entdeckt vermeintlich die Stiefel seines Angreifers in der Menschenmenge. Oder die körperliche Reaktion des Journalisten Richter, der nach dem Bombenanschlag von seiner Freundin, einer OP-Schwester, versorgt wird und dem nicht nur buchstäblich die Nerven flattern. Oder die umstrittene Software von Palantir zur Datenanalyse, die hier letztlich zum Einsatz kommt und tatsächlich etwas zu Tage fördert.

Er ging langsam und vorsichtig. Bewusst sog er den aromatisch herben Duft der Macchia ein. […] Er war froh, wieder im Tal zu sein. Aber etwas war anders. […] Der Angriff aus dem Nichts hatte das Tal kontaminiert. Es hatte eine Gewalttat gegeben. Der Einbruch in seine Privatsphäre legte mehr als einen Hauch von Unsicherheit über das gesamte Anwesen. Beckmann hatte die Hoffnung, das würde sich bald wieder geben. Aber unbewusst war ihm klar, er würde möglicherweise dafür kämpfen müssen. (Auszug E-Book Pos. 631)

In „Verdeckte Spuren“ setzt der Autor Jochen Brunow die Spannungsmomente und vor allem die Spitzen sehr dosiert ein. Die wahre Leistung liegt in der Gesamtkomposition. Bei den Schauplätzen fasziniert vor allem Sardinien. Die Figuren sind bis in die Nebenrollen eingehend und interessant beschrieben. Alles in allem ein empfehlenswerter Kriminalroman für Kenner, der weniger über die Spannung und das Tempo, als mehr über Atmosphäre, Figuren und Details kommen.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Verdeckte Spuren | Erschienen am 26.03.2025 im Ars Vivendi Verlag
ISBN 987-3-7472-0656-0
320 Seiten | 18,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Liz Moore | Der Gott des Waldes

Liz Moore | Der Gott des Waldes

Wenn das sein Junge wäre, der verschwunden war und mitten in der Nacht in dem kalten Wald herumirrte, vielleicht sogar verletzt irgendwo lag, dann wäre er, Carl, immer noch da draußen und würde nach ihm suchen. Er würde nicht aufhören, Bears Namen zu rufen, bis er selbst den Geist aufgab. (Auszug E-Book Pos. 2131 von 6988)

Hoch oben an der US-amerikanischen Ostküste in den dichten Wäldern der Adirondack Mountains liegt ein riesiges Naturreservat, bestehend aus einem dunklen Waldgebiet und einem großen See. Seit Generationen im Besitz der schwerreiche Familie Van Laar, die mitten im Reservat ein Sommer-Camp für Kinder der Oberschicht errichtet haben. Das elitäre Ferienlager bietet viele Aktivitäten in der Natur mit Lagerfeuer und nächtlichen Survivaltrainings im Wald.

Im Sommer 1975 verschwindet die 13-jährige Barbara aus dem Ferienlager. Die Betreuerin Louise findet morgens ihr Bett verlassen vor. Sie hat ein Problem, denn Barbara ist nicht nur die Tochter der Gründer-Familie Van Laar, die erstmalig am Camp unweit des imposanten Anwesens teilnimmt, sondern auch die Schwester von Bear, dem Jungen, der vor 14 Jahren spurlos verschwand. Zufall oder gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Verlust der beiden Geschwister, die beide während der jährlich stattfindenden, einwöchigen Party der van Laars verschwanden? Eine großangelegte Suchaktion läuft an. Hat es etwas mit dem Serienmörder Jacob Sluiter zu tun, der gerade jetzt aus dem Gefängnis ausbrechen konnte?

Die Suche nach der verschwundenen Barbara van Laar und die Ermittlungsarbeiten über mehrere Tage hinweg nehmen einen großen Raum ein. Empathisch und mit präzisem Blick schildert Liz Moore ein Familiendrama, das seinen Anfang schon viele Jahre vor dem aktuellen Verschwinden Barbaras nimmt. In Rückblicken erfahren wir nicht nur von dem traurigen Schicksal des 5-jährigen Bear van Laar, sondern gehen auch ins Jahr 1950 zurück, als seine damals 17-jährige Mutter Alice auf einem Debütantinnenball den reichen Peter van Laar kennenlernt. Diese Ereignisse nehmen eine zentrale Funktion in der Geschichte ein.

Der Plot wird nicht linear sondern aus mehreren Zeitebenen erzählt. Gekonnt und mit einem verlässlichen Gespür für Timing werden die Perspektiven gewechselt und der Überblick behalten. Man muss konzentriert bleiben, der Roman ist aufgrund des großen Personentableaus und vielen Zeitebenen komplex, aber nie kompliziert. Die Kapitel werden jeweils mit einem Namen und einem Zeitstrahl versehen, was die Zuordnung erleichtert, die Spannung aber kontinuierlich nach oben schraubt. Das ist souverän und mit großer Erzählfreude gemacht. Liz Moore arrangiert die Berichte diverser Figuren und verleiht dabei jedem seine eigene Stimme, Perspektive und Geschichte. Von der jungen Ermittlerin Judyta Luptack, die sich in der von Männern dominierten Kriminalpolizei durchsetzen muss bis hin zum Serienmörder Jacob Sluiter, von den Bewohnern des naheliegenden Dorfes bis hin zu den Campbewohnern und Angestellten der Familie Van Laar. Die Autorin nimmt sich viel Zeit für ihre Protagonisten, macht sie vielschichtig und zeigt mir ihre inneren Konflikte. Jede Figur hat ein weiteres Detail zum Gesamtbild hinzuzufügen, und je weiter die Erzählung vorangetrieben wird, desto neugieriger wird man und je mehr klebt man an den Seiten. Ein Roman, der für mich von Seite zu Seite immer besser wird, je mehr man erfährt.

„Mir fällt nur ein, dass niemand in dieser Familie das Mädchen mag, Barbara. Vernachlässigung würde ich das nennen. Bevor sie runter ins Ferienlager gegangen ist, ist sie immer in die Küche gekommen, um sich was zu essen zu holen. Hat immer ganz verloren gewirkt, und das in ihrem eigenen Zuhause…“. (Auszug Pos 4450 von 6988)

Ich mochte auch, wie subtil Moore hier gesellschaftliche Kritik verwebt. Alle Personen stellen unterschiedliche gesellschaftliche Schichten dar. Es wird schnell klar, dass reiche Familien wie die van Laars und ihre Freunde sich mit Geld eine Menge Macht erkaufen können, auch Verschwiegenheit. Es geht um die Privilegien des Geldadels, deren Skrupellosigkeit und Mangel an Empathie. Es geht auch um Klassenunterschiede, soziale Ungleichheiten und um die Rolle der Frau in der Gesellschaft der 50er und 70er Jahre.

Manchmal hatte Alice das Gefühl, dass sie so schnell einen Jungen bekommen hatte (und dann auch noch einen so wunderbaren), war das Einzige an ihr, womit ihr Mann zufrieden gewesen war. (Auszug Pos. 1577 von 6988)

Durch die bildhafte Sprache waren das Feriencamp und das raue Klima der dichtbewaldeten Landschaft vor meinen Augen lebendig, das Camp in mitten des Gebirges ein geniales Setting. „Long Bright River“ war ein Highlight für mich und obwohl die Themen in „Der Gott des Waldes“ nicht ganz neu sind, sorgte der mitreißende Schreibstil dafür, dass ich das Buch, welches auch auf der Sommerleseliste 2024 des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama stand, nicht aus der Hand legen konnte. Ein richtig guter Schmöker, wie ich ihn schon lange nicht mehr gelesen habe.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Der Gott des Waldes | Erschienen am 28. Februar 2025 im Verlag C.H. Beck
ISBN 978-3-406-82977-2
590 Seiten | 26,00 Euro
Originaltitel: The God of the Woods | Übersetzung aus dem Englischen von Cornelius Hartz
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Die Meinung von Marius Müller auf buch-haltung.com zu „Der Gott des Waldes“

Johannes Groschupf | Skin City

Johannes Groschupf | Skin City

„Meine Frau hatte mal einen Bullterrier“, sagte Steinmeier. „Wenn der sich in etwas verbissen hatte, dann konnte er nicht mehr loslassen. Ums Verrecken nicht. Viertelstunde, halbe Stunde, ganz egal, der hat nicht losgelassen. Du konntest ihn mit einem Gartenschlauch abspritzen, das hat er überhaupt nicht gemerkt. Dabei war das eigentlich ein netter Hund.“
„Ich bin auch nett“, sagte Romina. „Echt total nett.“ (Auszug S.143)

Im heißen Sommer 2024 wird Berlin von einer Einbruchsserie heimgesucht. Die Täter gehen am hellichten Tag in verlassene Wohnungen und gehen äußerst professionell vor. Zum Teil des Ermittlungsteams gehört auch die Polizistin Romina Winter. Sie wird allerdings von einer persönlichen Sache abgelenkt: Ihre Schwester wird kurzzeitzig vermisst und wird dann zusammengeschlagen aufgefunden. Wer hat ihr das angetan?

Zur gleichen Zeit kommt Jacques Lippold aus dem Gefängnis frei. Er ist ein Finanzbetrüger, hat zwei Jahre gesessen. Nun versucht er wieder Fuß zu fassen. Bei einer Kunstauktion lernt er die Anwältin Beate kennen, durch die er in Kunstkreisen als Berater und Vermittler erneut betrügerische Deals einleitet. Doch er hat auch noch eine Rechnung aus dem Gefängnis offen, die er unbedingt begleichen will.

„Ich sag dir, was das heißen soll“, sagte Lippold. „Das soll heißen, dass ich mich mehr in Charlottenburg sehe als in Heerstraße-Nord. In Charlottenburg hast du Leute mit Geld. Das alte West-Berlin. Die haben im Grunde noch gar nicht mitgekriegt, dass die Mauer gefallen ist.“ (Auszug S.112)

Die Story wird durch drei Personen und Perspektiven vorgetragen. Da ist zum einen Koba, der georgische Einbrecher. Sehr versiert bringt er mit seiner Crew seinen Hintermännern viel Kohle ein. Doch eigentlich träumt er davon, nach Kanada auszuwandern und sein kriminelles Leben hinter sich zu lassen. Doch natürlich ist ein Ausstieg aus diesem organisierten Verbrechen alles andere als einfach. Als zweites Jacques Lippold, ein Betrüger in großem Stil. Kaum draußen aus dem Knast hat er schnell für sich das nächste lukrative Netzwerk ausgemacht und lässt seine Überredungskunst, seinen Charme und sein Improvisationstalent spielen. Doch in ihm schlummert noch eine andere Seite. Aufbrausend, gewalttätig. Im Gefängnis hat er mit seiner Patek Philippe einen auf dicke Hose gemacht – bis sie ihm geklaut wurde. Der Dieb ist vor Entdeckung entlassen worden, doch nun sinnt Lippold auf Rache. Zuletzt Romina, die bereits in den Vorgängerromanen vorkommt. Als Roma ist sie Mitglied eines großen Familienclans, der mit ihrer Berufswahl durchaus hadert, kam doch ihr Vater auch schon mit dem Gesetz in Konflikt. Sie ist eine äußerst engagierte Polizistin, doch neben der Einbruchsserie will sie vor allem erfahren, wer ihre Schwester überfallen hat und möglicherweise die Familie bedroht.

Autor Johannes Groschupf ist seit dem Beginn seiner Berlin-Thriller („Berlin Prepper“ erschien 2019) ein gefragter Mann im Genre und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. „Skin City“ ist nun der vierte Roman in dieser Reihung (eine Reihe ist es nicht), die vor allem die Milieus in Berlin in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückt. Johannes Groschupf verarbeitet nach eigener Aussage eigene Begegnungen in der Stadt, ohne es zu sehr auf gesellschaftliche Relevanz anzulegen. Diesem Konzept bleibt er auch in „Skin City“ treu. Das ist wie schon in der Vorgängerromanen ganz ordentlich gemacht, vor allem die Dialoge, die sehr unterschiedlichen Schauplätze und der Blick auf Berlin sind wie immer gelungen. Dennoch konnte mich der Autor nicht ganz so begeistern wie etwa bei „Berlin Heat“ oder „Die Stunde der Hyänen“. „Skin City“ hat für mich nicht die Wucht der Vorgänger, bleibt zu gedämpft in Tempo und Relevanz, hätte noch tiefer gehen können. Vor allem das Ende, in dem der Autor die drei Hauptpersonen und die Handlungsstränge zusammenführt, kam mir zu abrupt vor und konnte mich nicht völlig überzeugen. Nichtsdestotrotz bleibt Johannes Groschupf ein relevanter Autor, um die Seele Berlins in einen Kriminalroman unterzubringen.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Skin City | Erschienen am 23.02.2025 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-47449-5
234 Seiten | 17,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezensionen zu „Berlin Heat“ und „Die Stunde der Hyänen“