Tag: 6. März 2024

Arne Dahl | Stummer Schrei

Arne Dahl | Stummer Schrei

Von einer Anhöhe wid durch ein Fernglas das zweite Überholmanöver verfolgt. Vor allem, was mit dem Wagen auf der linken Spur passiert. Er fängt Feuer, der Fahrer verliert die Kontrolle und schert in der Kurve in die falsche Richtung aus, rast von der Autobahn und pflügt wie ein Feuerball durch das goldgelbe Rapsfeld. […]
Das Fernglas senkt sich in der einen Hand, der Fernzünder in der anderen.
Das Universum hört einen tiefen Atemzug.
Es hat begonnen. (Auszug E-Book Pos.77-85)

Es beginnt mit zwei Sprengstoffanschlägen. Zum einen auf den Wagen eines hohen Managers eines Stahlkonzerns, zum anderen eine Paketbombe auf den Chef einer renommierten Werbeagentur, der gerade eine Kampagne für mehrere Konzerne mit dem Schwerpunkt auf fossile Energien vorbereitete. Dann erhält Eva Nyman, Leiterin der kleinen Spezialeinheit NOVA in der schwedischen Kriminalpolizei, eine Art Bekennerbrief. In diesem wird auf die Zerstörung der Umwelt und des Klimas hingewiesen, verklausuliert sich der beiden Anschläge bekannt und weitere angekündigt. Doch was Eva Nyman sofort stutzig macht, ist der Duktus des Schreibens und eine bestimmte Formulierung. „Die Ruinen des Verfalls“ war eine der Lieblingsformulierungen ihres ehemaligen Vorgesetzten Lukas Frisell.

Frisell war bis vor etwa 15 Jahren im Dienst der Kripo, doch im Zuge eines fehlgeschlagenen Einsatzes, bei dem eine Geisel aufgrund seiner falschen Entscheidungen verstarb, hatte er den Dienst quittiert. Frisell arbeitete später als Dozent für Umwelt- und Klimaforscher an einer Fachhochschule, bevor er dann als Prepper in die Wälder ging und seitdem von der Bildfläche verschwunden ist. Nyman und ihr vierköpfiges Team fragen sich, ob Frisell sich weiter radikalisiert hat und nun als Klimaterrorist aktiv wird. Sie nehmen seine Spur auf und müssen tief in die schwedischen Wälder, um seiner habhaft zu werden. Doch gerade als sie ihn zur Verhör haben und er alles von sich weist, geschieht ein dritter Anschlag auf eine Serverfarm eines globalen Versandhändlers.

Arne Dahl ist schon einer der Veteranen der schwedischen Krimiszene. 1999 begann er seine Karriere als Krimiautor mit dem ersten Band der Serie um die Sondereinheit „A-Gruppe“ mit insgesamt elf Romanen, an die er auch in seiner zweiten Reihe um eine Europol-Ermittlungsgruppe anknüpfte. Nun beginnt er mit „Stummer Schrei“ wieder eine Reihe mit einer kleinen, hochintelligenten Ermittlungseinheit. Im Zentrum steht neben Eva Nyman und ihrer Einheit vor allem der ehemalige Polizist, ehemalige Forscher und Dozent, Spezialist für Überlebenstraining und Prepper Lukas Frisell. Ein undurchsichtiger Typ, intelligent, ignorant, Einzelgänger, lebt einerseits als Eremit im Wald, hat schon immer gegen den Raubbau an der Natur doziert, aber entsagt keinesfalls aller Technologie oder sonstigen Bedürfnissen. Was hat er mit den Anschlägen zu tun? Für meinen Geschmack kann der erfahrene Leser zu schnell seine Rolle in dem Ganzen erraten.

Ansonsten bietet Dahl eine souveräne Vorstellung. Die Figuren sind interessant (auch wenn das NOVA-Team schon übertrieben gute Polizisten sind), der Spannungsaufbau stimmt, das Ganze liest sich gut weg. Auch die Schauplätze sind gut gewählt, neben Stockholm geht der Autor auch in die Provinz und in die Tiefe der schwedischen Wälder. Dieses „Zurück zur Natur“ als eines der zentralen Themen des Romans ist gut gemacht, führt aber auch zu meinem größten Kritikpunkt am Roman. Das eigentliche Motiv (Vorsicht Spoiler) der Anschläge führt wieder von diesem Thema weg und ist für meinen Geschmack viel zu übertrieben und aufgeblasen. So gibt es von mir doch noch am Ende ein paar Abzüge. Insgesamt erhält der Leser aber souveräne Krimikost aus dem hohen Norden.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Stummer Schrei | Erschienen am 01.02.2023 im Piper Verlag
ISBN 978-3-492-07241-0
464 Seiten | 17,- €
Als E-Book: EAN 978-3-492-60641-7 | 14,99 €
Originaltitel: I cirkelns mitt | Übersetzung aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps
Bibliografische Angaben & Leseprobe