Tag: 3. November 2020

Denise Mina | Klare Sache

Denise Mina | Klare Sache

„Wenn man müde ist und jung und verängstigt und einen die ganze Welt hasst, dann ist es ein Luxus, den Mund zu halten.“ Auszug Seite 8

Anna McDonald ist auf den ersten Blick eine ganz normale Hausfrau, Mutter zweier Mädchen, die sie über alles liebt und mit einem angesehenen Rechtsanwalt verheiratet. Die große Leidenschaft der schottischen Ich-Erzählerin sind True-Crime-Podcasts. Besonders früh morgens, wenn außer ihr noch keiner auf ist, liebt sie es, für kurze Momente aus der Realität zu flüchten.

Der Tod und die Dana
An diesem Morgen beginnt Anna mit einer neuen True-Crime-Geschichte, die sich um den Fall eines gesunkenen Luxusschiffs handelt: Der Tod und die Dana. Ebendiese Dana ist eine Privatyacht, die bei ihrem Untergang vor der französischen Westküste den wohlhabenden Geschäftsmann Leon Parker und seine zwei bereits erwachsenen Kinder mit in den Tod riss. Auf dem Schiff war es auf hoher See aus bisher ungeklärten Umständen zu einer Explosion gekommen, die das Schiff zum Kentern brachte.

Außerdem rankt sich schon seit Jahren ein Fluch um die Dana, denn sie scheint allen Besitzern und ihren Familien nur Pech und Verderben zu bringen. Noch unheimlicher wird die Geschichte dadurch, dass bei einem späteren Tauchgang zu dem Schiffswrack der Taucher ums Leben kam. Das alleine klingt schon schaudernd und spektakulär, doch Anna ist zutiefst aufgewühlt, denn der ertrunkene Leon Parker ist ein Bekannter aus früheren Tagen. Eine dunkle Vergangenheit, die sie vor allen verheimlichen wollte und in der sie noch unter einem anderen Namen ein ganz anderes Leben geführt hatte.

„Der Tag, an dem mir mein Leben um die Ohren flog, fing gut an“ Auszug Seite 9

Noch bevor Anna alles richtig realisieren kann, kommt der nächste Schock: Ihr Ehemann teilt ihr mit, dass er schon seit längerem ein Verhältnis mit ihrer besten Freundin hat. Er will Anna verlassen und, um ihr Zeit zu geben, das Ganze zu verdauen, erst mal mit Estelle in den Urlaub nach Portugal fahren. Die beiden Töchter nimmt er mit. Er lässt eine verzweifelte Anna zurück, deren sorgsam aufgebautes Leben grade völlig aus den Fugen gerät und die erst mal zur Ablenkung und Betäubung in ihren Podcast flieht.

Doch nicht lange, denn dann steht Fin Cohen vor der Tür, Estelles völlig verzweifelter Ehemann. Der magersüchtige, ehemalige Popstar war Frontman einer Band, die nach ihrer Auflösung „nur noch eine Fußnote der Musikgeschichte“ ist. Fin hadert schon lange mit seinem Leben und seinem kurzen Ruhm, der nur noch auf Instagram stattfindet, und dass Estelle ihn abservierte, hat ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.

Wilde Odyssee durch halb Europa
Anna kann nicht anders, sie will die Wahrheit über das Schiffsunglück und den Mord an Leon Parker herausfinden. Im Gepäck immer den labilen Fin, den sie zumindest anfänglich versucht loszuwerden. Anna ist ein schwieriger Charakter, wirkt oft sehr schroff, was durch ihre schlimmen Erlebnisse in ihrer Vergangenheit begründet ist, sie hat aber auch eine empathische Seite. Die beiden machen sich überstürzt auf eine rasante Odyssee durch halb Europa, angefangen in Schottland Richtung Ile de Ré, dem Ort des Schiffsunglücks, über Venedig und Lyon wieder nach Glasgow. Dabei lösen sie unzählige, weitere Verwicklungen aus und geben sich mehr als einmal in tödliche Gefahr. Die Geschichte steckt voller Überraschungen und Katastrophen, die mühelos miteinander verwoben werden. Dabei machen sich die beiden oft zu Nutze, dass Fin immer noch prominent, oft erkannt wird und viel öffentliche Aufmerksamkeit genießt.

Meine Meinung
„Klare Sache“ heißt der letztjährige Krimi der schottischen Autorin und bekennenden Feministin (der neueste in deutscher Übersetzung ist gerade erschienen), aber klar ist in diesem Krimi mal gar nichts. Denise Mina ist ja für realistische und düstere schottische Kriminalliteratur bekannt, Tartan Noir eben. „Klare Sache“ ist eine bunte Mischung, wunderbar durchgeknallt, die temporeich und pointiert erzählt wird. Ich würde den Krimi mal unkonventionell nennen. Mina muss einen unbändigen Spaß gehabt haben, diesen sprunghaften Plot zu kreieren. Es sind viele komische Elemente vorhanden, trotzdem werden die Figuren nicht als Witzfiguren dargestellt, sondern sind originell und mit Tiefe ausgestattet. Es passiert immer wieder Unerwartetes, man kommt kaum hinterher und kann nur staunen über dieses Potpourri an launigen Einfällen.
Spannung entsteht auch, weil die Ich-Erzählerin Anna nur scheibchenweise mit allem herausrückt und die Geheimnisse ihrer Vergangenheit so lange wie möglich für sich behält.

Mina packt so viele Themen in den Krimi, es geht um die Opfer von sexueller Gewalt und wie mit ihnen umgegangen wird, es geht um die Macht der Sozialen Medien, es geht um Fußball, um Popkultur und um das Geschichtenerzählen. Es geht auch um die Faszination von True-Crime und wie ein guter Podcast einen Sog entwickeln kann. Dabei ist der Krimi clever und raffiniert, mit bissigem Humor und auch ein bisschen abstrus.

Klare Sache | Erschienen am 12. August 2019 im Argument Verlag mit Ariadne
ISBN 978-3-86754-242-5
352 Seiten | 21,- Euro
Originaltitel: Conviction
Bibliografische Angaben