Ingrid Noll | Hab und Gier
Lange schon hatte die Bibliothekarin Karla vom Rentnerdasein geträumt: sich zurücklehnen und endlich in Ruhe selber lesen. So gibt sie mit 60 ihren Job in der Stadtbücherei auf. Mit einigen Kollegen hält sie lose Kontakt – bis zu einer folgenschweren Einladung.
Beim »Gabelfrühstück« macht ihr der kinderlose Witwer Wolfram todkrank ein Angebot: Falls sie sich um seine Beerdigung und die Inschrift auf seinem Grabstein kümmert, erbt sie ein Viertel eines Vermögens. Pflegt sie ihn bis zu seinem Tod, erbt sie die Hälfte. Und bringt sie ihn wunschgemäß um, bekommt sie alles, eine Villa in Weinheim inklusive … Die Ruhe der Rentnerin ist dahin.
Ingrid Noll erzählt in »Hab und Gier« in bekanntem Stil die Geschichte der allein lebenden Karla, dem krebskranken Wolfram und Karlas jugendlicher Freundin Judith. Es ist, wie man sich denken kann, eine gefährliche Ménage-à-trois und auch eine Geschichte, die so oder so ähnlich sicherlich schon passiert ist oder gerade irgendwo in Deutschland stattfindet. Für mich machte das immer die Geschichten von Ingrid Noll aus.
Karla wird von Wolfram unerwartet kontaktiert und ziemlich kurz darauf mit einem unmoralischen Angebot konfrontiert. Die unbedarfte Protagonistin weiht ihre Freundin Judith in das Geheimnis ein und schon ist der Strudel der Ereignisse nicht mehr zu stoppen. Als Judith auch noch ihren Liebhaber Cord ungefragt einweiht, gibt es keine Umkehr mehr.
Alle Beteiligten haben ihre Geheimnisse, die sie nicht teilen, was sie umso gefährlicher macht. Die entdeckten Geheimnisse laden hingegen zu Erpressungsversuchen ein. So kommt es im Verlauf von »Hab und Gier« nicht nur zu einer sogenannten Hauptat sondern es gibt einige Nebenschauplätze auf denen gekämpft wird. Alles jedoch im Rahmen eines Erzählstranges und im Umfeld der verwilderten Villa Wolframs.
Ingrid Noll lässt den Leser sehr gut spüren, welchen wahren Charakter ihre Personen haben. Und gerade deswegen zerrt es an den Nerven, weil der Leser sich den handelnden Personen überlegen fühlt. Man möchte in das Geschehen eingreifen und den ein oder anderen wachrütteln. Das finde ich sehr geschickt konstruiert. So wird aus einer vermeintlich harmlosen Geschichte ein mörderisches Abenteuer, das in jedermanns Nachbarschaft spielen könnte. Oder in den eigenen vier Wänden. Ein perfekter Krimi für all diejenigen, die sich mittels Kriminalromanen gerne gegen alle Eventualitäten wappnen.
Hab und Gier | Erschienen am 29. Januar 2014 bei Diogenes
256 Seiten | 21,90 Euro
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