Kategorie: Gunnar Wolters

Mick Herron | Down Cemetery Road

Mick Herron | Down Cemetery Road

Mick Herron ist dem Genreleser – und darüber hinaus – seit einigen Jahren natürlich ein Begriff. Mit seiner Reihe um die „Slow Horses“, einer Gruppe abgehalfteter und vom britischen Geheimdienst aufs Abstellgleis geschobener Agenten um den kauzigen Chef Jackson Lamb, die allerdings doch nicht so ineffektiv sind und dem MI5 „pain in the ass“ sind, erreichte Herron einen großen Erfolg bei Lesern und Kritikern gleichermaßen. Die Popularität der Serie stieg noch einmal an, seitdem Apple TV die Serie mit Gary Oldman in der Hauptrolle fürs Streaming adaptierte. Eine Serienverfilmung ist nun auch der Grund, warum Herrons Debütroman „Down Cemetery Road“ nach über 20 Jahren ins Deutsche übersetzt wurde. Wiederum war es Apple TV, die diesen Roman als Serie verfilmt und im Oktober veröffentlicht hat, mit Emma Thompson in der Hauptrolle als Privatdetektivin Zoë Boehm. Der Diogenes Verlag hat das Buch auch mit dem Untertitel „Zoë Boehm ermittelt in Oxford“ versehen, um damit zu unterstreichen, dass es sich hier um eine Serie mit vier Bänden handelt, die Herron bis 2009 vor seiner Slow Horses-Reihe verfasst hat. Allerdings Zoë Boehm als Hauptfigur in diesem ersten Band zu bezeichnen, wäre ein wenig übertrieben, denn eigentlich greift die Detektivin nach zwei Kurzauftritten erst im letzten Viertel des Romans so richtig in die Handlung ein. Doch der Reihe nach.

Sarah Trafford ist auf der Suche: Nach abgeschlossenem Studium lebt sie nun in einem Haus in einer guten – aber nicht sehr guten – Gegend von Oxford, ihr Mann Mark macht irgendwas im Bereich Finanzen, bringt gutes Geld nach Hause, während sie noch nicht so recht den nächsten Schritt ins Berufsleben geschafft hat. Es gibt keine Kinder, sie will auch (noch) gar keine. Sie vertreibt sich irgendwie die Zeit, mit Hausputz oder so. Im Studium hingegen war Sarah Tucker wild und ungestüm – bis zu einem schweren Unfall unter Drogeneinfluss. „BHS – Boring Housewife Syndrom“, so bringt es in der Eingangsszene Gerard Inchon, ein unangenehmer Geschäftspartner ihres Mannes, dann doch irgendwie auf den Punkt. Zu Beginn hat Mark Inchon samt Partnerin zum Essen nach Hause eingeladen, um die Geschäftsbeziehung möglichst zu vertiefen. Sarah darf auch jemanden dazuladen, ihre Wahl fällt auf ihre eher linksalternative Freundin Wigwam und ihren ähnlich schluffigen neuen Freund Rufus. Ein gefundenes Fressen für den konservativ-zynischen Inchon – und der Leser darf sich an einem höchst vergnüglichen Anfangskapitel ergötzen. Doch noch etwas anderes passiert während des Dinners: In der Nachbarschaft gibt es eine Explosion mit zwei Toten, ein kleines Mädchen hat es überlebt.

Sarah ist sofort fasziniert und interessiert. Sie meint sich an das Mädchen Dinah zu erinnern. Ihr kommt die Explosion seltsam vor, sie findet, dass das allgemeine Interesse an der Sache schnell heruntergespielt wird. Am Unglücksort glaubt sie einen verdächtigen Mann gesehen zu haben. Bei der Polizei wird ihr nichts über den Verbleib von Dinah verraten und so reift in ihr der Entschluss, Dinah unbedingt finden zu müssen. Der Leser fragt sich schon irgendwie warum, aber da geht es der Hauptfigur nicht anders. Dennoch bleibt sie dran und engagiert sogar einen Privatdetektiv – Joe Silvermann, Partner von Zoë Boehm. Und selbstverständlich steckt hinter der Explosion sehr viel mehr, und ohne groß spoilern zu wollen, schlittert Sarah in eine Geheimdienstoperation, in der manche ungelegene Beweise und Zeugen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg beseitigt werden sollen.

Die Detektei war zwischen einem Pub und einem Zeitungskiosk eingezwängt, und obwohl die Anzeige in den Gelben Seiten „Hightech“ versprochen hatte, hielt dieses Versprechen nicht mal bis zur Türklingel. (Auszug E-Book Pos. 866)

Obwohl Mick Herron hier im Jahr 2002 eine Reihe mit einer Oxforder Privatdetektivin einführt, wirkt der Roman schon als kleine Blaupause für den später folgenden „Slow Horses“-Kosmos. Auch hier gibt es schmutzige Geheimdienstaktionen und es werden einige sehr seltsame Figuren aus dem Geheimdienstmilieu eingeführt. Allerdings bleibt der Autor eng bei seiner Hauptfigur Sarah, die völlig konfus sich in eine Sache einmischt, die ein paar Nummern zu groß für sie ist, aber – und das nötigt dem Leser dann doch Respekt ab – sie zieht es durch (wenn auch irgendwann dann doch Zoë Boehm so richtig in die Geschichte einsteigt). Irgendwann wird Sarah selbst zur Gejagten, eine wilde Flucht mit einem unerwarteten Begleiter beginnt und dennoch bleibt die Suche nach dem verschwundenen Kind immer präsent.

„Down Cemetery Road“ ist auch in der heutigen Betrachtung nach Kenntnis der „Slow Horses“-Romane ein bemerkenswerter Debütroman. Mick Herron entwickelt aus der gediegenen Oxford- und Hausfrauen-Atmosphäre einen temporeichen und intelligenten Geheimdiensthriller. Dabei ist auch hier schon der hervorragende literarische Stil Herrons durchsetzt mit typisch britischem Humor zu beobachten. Insofern ein echter Gewinn, dass es dieser Roman nach 23 Jahre zu einer gelungenen deutschen Übersetzung durch Stefanie Schäfer geschafft hat. Und vielleicht taucht Zoë Boehm in den weiteren Bänden dann auch etwas häufiger auf.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Down Cemetery Road | Erschienen am 22.10.2025 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-30115-1
560 Seiten | 19,- €
Originaltitel: Down Cemetery Road | Übersetzung aus dem Englischen von Stefanie Schäfer
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezension zu Mick Herrons Roman „Slow Horses“

Jake Lamar | Viper’s Dream

Jake Lamar | Viper’s Dream

„Also Viper“, sagte die Baroness, „was sind deine drei Wünsche?“. (Auszug S. 9)

Mit dieser ungewöhnlichen Frage beginnt dieser historische Jazz-/Gangsterroman und setzt stilistisch und strukturell die Vorgabe für diesen vom Umfang zwar schmalen, aber inhaltlich sehr prallen Kriminalroman. Die Frage stellt die Baroness Pannonica de Koenigswarter, eine reiche, adlige Europäerin und Mäzenin der New Yorker Jazzszene der 1950er bis 1980er Jahre, an Clyde Morton, genannt Viper, einflussreicher Gangster und Geschäftsmann in Harlem und eng mit der Jazzszene verbandelt. Wir sind im November 1961 im sogenannten Cathouse, einem Refugium der Jazzszene und hunderter Katzen in Newark. Wir erfahren auf den ersten Seiten, dass Viper vor Kurzem seinen dritten Mord begangen hat und sich ins Cathouse zurückgezogen hat, anstatt die Flucht zu ergreifen, wie ihm sein Geschäftspartner und Kontaktmann Detective Carney beim NYPD nahegelegt hat. Stattdessen raucht Viper Marihuana, wie die meisten im Cathouse, und grübelt über sein Leben. Die Baroness stellt ihm diese Frage und Viper wird diese im Laufe des Buches beantworten. Allerdings stellt die Baroness am Ende fest:

„…du wünscht dir nichts, du bereust.“ „Wo ist der Unterschied?“, sagte Viper. „Gute Nacht, Nica.“ (Auszug S.201)

Über einen unbekannten Erzähler wird nun abwechselnd aus dem Cathouse 1961 und von der Vergangenheit von Clyde Morton alias Viper erzählt. Clyde beschließt 1936 als junger Mann Alabama und seine schwangere Freundin Hals über Kopf zu verlassen, weil ihm sein Onkel in den Kopf gesetzt hat, er könne in New York als Trompeter Geld verdienen. In Harlem angekommen betritt er den nächsten Nachtclub und erhält sofort die Rückmeldung, dass er sich eine Karriere als Musiker abschminken kann. Doch er wird quasi direkt in die Welt des Marihuanas eingeführt, daher erhält Clyde vom zischenden Geräusch des Zugs am Joint auch den Spitznamen Viper. Wenig später wird Viper dem jüdischen Geschäftsmann, Clubbesitzer und Drogenhändler Orlinsky vorgestellt, der in seiner Organisation auch direkt einen Platz für ihn findet.

Clyde war begeistert. Fühlte sich mächtig. Noch nie in seinem Leben hatte er einem Weißen ins Gesicht geschlagen. Falls das der Job war, für den ihn Mr. O angeheuert hatte… daran konnte er sich gewöhnen. Und noch etwas kam hinzu. Nach langer Zeit hatte Clyde Morton sich endlich für den Mord an seinem Vater gerächt. (Auszug S. 43)

Und so begleiten wir Clyde Morton, wie er sich in der Gangster- und Jazzszene in Harlem bewegt und sein Einfluss immer weiterwächst, bis er eines Tages mit der richtigen Mischung aus Geschäftssinn und Härte an der Spitze der Nahrungskette angekommen und zum wichtigsten Händler von Dope aufgestiegen ist. Doch die Luft ist rau in Harlem, zudem kommt der Krieg dazwischen und außerdem gibt es da noch diese unglaublich attraktive Jazzsängerin Yolanda, Vipers große, aber äußerst tragisch verlaufende Liebe.

Autor Jake Lamar hatte im letzten Jahr seinen Durchbruch im deutschsprachigen Raum, als er mit „Das schwarze Chamäleon“ den deutschen Krimipreis gewann. Lamar lebt seit 1993 in Paris und ist dort Dozent für Kreatives Schreiben. „Viper’s Dream“ erschien tatsächlich zunächst 2021 in der französischen Übersetzung, erst zwei Jahre später im Original und gewann 2024 den Dagger für den besten historischen Kriminalroman.

Bei Jazz bin ich wahrlich kein Experte. Und dennoch war ich sehr begeistert, wie Lamar hier eine Geschichte der New Yorker Jazzszene der 1930er bis Anfang der 1960er Jahre im einem Gangsterroman erzählt. Immer wieder betreten ganz natürlich Jazzgrößen wie Miles Davis, Charlie Parker und Thelonious Monk die Szene. Großes Thema ist unter anderem die Drogenszene rund um die Jazzmusiker und die Bedrohung des Jazz durch das aufkommende Heroin. Viper versucht mit aller Macht die Verbreitung dieses tödlichen Gifts in seinem Revier zu verhindern. Vergeblich.

Und auch die Anfangsfrage von Baroness „Nica“ de Koenigswarter hat einen historischen Hintergrund. Tatsächlich stellte die Baroness den Jazzkünstlern in den 1960ern diese Frage mit den drei Wünschen, verwahrte ihre Antworten und schoss zudem zahlreiche Polaroids, um diese Jahre zu dokumentieren. Zu ihren Lebzeiten wurde das Projekt allerdings nicht mehr umgesetzt. Erst 2006 veröffentlichte ihre Großnichte die Dokumentation „Die Jazzmusiker und ihre drei Wünsche“.

„Viper’s Dream“ ist ein historischer Gangsterroman, in dem der Autor sowohl visuell als auch musikalisch den Schauplatz Harlem auferstehen lässt. Jake Lamar hat eine umfangreiche Playlist am Ende des Romans ergänzt, die in den einschlägigen Streamingplattformen ebenfalls gefunden werden kann. Dabei gerät die Verbindung zwischen Krimi und Jazz niemals gezwungen, sondern wirkt sehr organisch. Dieser Kriminalroman ist eine sehr lesenswerte Mischung aus flirrendem Jazz, melancholischer Nabelschau eines grübelnden Gangsters und hartgesottener Erzählung von den rauen Straßen von Harlem. Große Leseempfehlung.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Viper‘s Dream | Erschienen am 03.09.2025 bei der Edition Nautilus
ISBN 987-3-96054-470-8
205 Seiten | 20,- €
Originaltitel: Viper’s Dream | Übersetzung aus dem Englischen von Robert Brack
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Rezensions-Doppel Philippinen

Rezensions-Doppel Philippinen

Die Philippinen sind in diesem Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse und wir hatten hier auf dem Blog eine Zeit lang eine Tradition, zur Buchmesse dann auch ein paar Krimis aus oder über das Gastland zu präsentieren. Das wollte ich dieses Jahr gerne wieder aufgreifen, war allerdings nicht so einfach, denn der bevölkerungsreiche asiatische Inselstaat ist literarisch international, was Übersetzungen betrifft, eher unterrepräsentiert und im Krimigenre sowieso. Letztlich habe ich auf meinem umfangreichen SuB aber noch etwas gefunden. Zum einen ein erst von kurzem übersetztes Werk des in seiner Heimat sehr erfolgreichen Autors Jose Dalisay und zum anderen ein Krimi aus den 1980ern mit Schauplatz Manila des australischen Autors William Marshall.

Jose Dalisay | Last Call Manila
Ein Sarg trifft am Flughafen Manila ein. Eine tote philippinische Gastarbeiterin in Saudi-Arabien. Das Schild sagt, in ihm liegt „Aurora V. Cabahug“. Doch der Polizist Walter Zamora in der Provinzstadt Paez, der ein Telegramm erhält, um die Angehörigen zu informieren, weiß sofort: Das kann nicht stimmen. Denn Aurora, genannt Rory, ist die Sängerin und Hauptattraktion im „Flame Tree“, im örtlichen Nachtclub. Dort hat er sie erst gestern quicklebendig gesehen.

Und so macht sich Walter auf, um hier Licht ins Dunkle zu bringen – auch wenn ihm nur bedingt gelingt. Irgendwann machen sich Walter und Rory auf nach Manila, um den Sarg abzuholen und dabei geschehen weitere unvorhergesehene Dinge. Währenddessen wird in Rückblicken die Geschichte von Soledad erzählt, Rorys Schwester, die mit dem Pass ihrer Schwester als Arbeitskraft nach Saudi-Arabien gegangen und nun in einem Sarg zurückgekommen ist.

Das war es, worum es in diesem Land wirklich ging: Distrikte, Grenzen, Absperrungen, die dich daran erinnerten, wo du hingehörtest und wo du standest. Diese Dinge zu vergessen, war der Anfang vom Ende, und Walter hatte nicht vor, noch einmal diesen Weg zu gehen, Besonnenheit war nun seine Parole, Besonnenheit und Umsicht, das Vermeiden von unnötigen Konflikten – von denen es, Gott wusste das am besten, mehr als genug gab in Walters Welt. (Auszug Seite 88)

Autor Jose Dalisay ist in seiner Heimat einer der bekanntesten Autoren und Herausgeber und schrieb diesen Roman bereits 2008. 2023 erschien „Last Call Manila“ in deutscher Übersetzung, laut Tobias Gohlis, Chefjuror der Krimibestenliste, der vermutlich erste übersetzte philippinische Kriminalroman. Obwohl man den Begriff schon weit dehnen muss, zwar kommt ein Kriminalbeamter, eine Leiche und eine Reihe von Verbrechen vor, aber ansonsten geht es hier eher nicht genretypisch zu.

Aber das soll hier nicht als Kritik gemeint sein. Lakonisch und mit schwarzem Humor erzählt der Autor über den schwierigen Alltag, vor allem über seine Hauptfiguren. Walter ist ein besonnener, abgestumpfter Polizist, der sich möglichst konfliktfrei durchs Leben manövrieren will. Rory ist die junge Frau mit Talent und Träumen, die es aber bisher nur in den Nachtclub ihrer Heimatstadt geschafft hat. Und Soledad erzählt vom unglaublich entbehrungsreichen Leben der Filipinos, die im Ausland harte Arbeit verrichten, um die Daheimgebliebenen zu versorgen. Mit möglichem bösem Ende inklusive. Jose Dalisay hat hier einen kurzweiligen Roman verfasst, der interessante Einblicke in die philippinische Gesellschaft bietet.

William Marshall | Manila Bay
Lieutenant Felix Elizalde von der Manila Metro Police muss in einem schwierigen Mordfall ermitteln. Während eines Hahnenkampfes mit dem bekannten Champion „Battling Mendez“, dem wohl bekanntesten Hahn der Philippinen und ein lukrativer Werbeträger, hat ein Unbekannter den Kampfleiter und Buchmacher im Ring erschossen. Trotz hunderter Zeugen gibt es zwar eine Beschreibung, aber keine klaren Hinweise auf die Identität des Täters. Der Tote gehörte zu einem Konsortium, dem „Battling Mendez“ gehörte. Hierzu zählt auch der Bruder des Toten, der sich bei einem Telefonat mit Elizalde seltsam verhält. Doch bevor Elizalde ihn aufsuchen kann, wird auch der Bruder durch eine Granate getötet, die auf seine Wohnung abgefeuert wird, mehrere Passanten sind ebenfalls unter den Opfern. Elizalde vermutet, dass noch weitere Personen in Gefahr sind und dass es mit der Verbindung zu „Mendez“ zu tun hat. Doch das Firmengeflecht rund um diesen lukrativen Hahn ist schwer zu durchschauen und wird auch von anderer Seite gut geschützt.

Wie üblich war der uninteressanteste Teil an einem Verbrechen in Manila das Verbrechen selbst. Wahrhaft faszinierend war es, wie sich die Zeugen in Luft auflösten, sobald etwas passierte, und nie wieder gesehen wurden. (Auszug S. 30)

Währenddessen haben Elizaldes Untergebene Sergeant Baptiste Bontoc und Detective Sergeant Jesus-Vicente Ambrosio zwei Spezialaufgaben. Während Bontoc abkommandiert wurde, um vermeintlich japanischen Grabräuber in einem Dinosaurierpark, unter dem noch Kriegsgräber aus dem zweiten Weltkrieg vermutet werden, aufzuspüren, mischt sich Ambrosio unter die Taxifahrenden Manilas, denn es gibt einen Räuber, der mit Hilfe von Stinkbomben der Durianfrucht Taxis ausraubt.

Diese beiden Episoden, die sich regelmäßig mit der Mordserie, die Elizalde bearbeitet, ablösen, sorgen für Exzentrik und Humor in diesem Kriminalroman, der im Original bereits 1983 erschien. Autor William Marshall, Australier, aber Kosmopolit, schrieb vor allem eine erfolgreiche Reihe von Krimis mit Schauplatz Hongkong, aber eben auch zwei Krimis über Manila. Marshall sorgt durch die mehreren Plotstränge für ein hohes Erzähltempo und viel Abwechslung, schafft es aber zum Ende hin, die beiden Stränge um Bontoc und Ambrosio so zu beenden, dass danach alle Beteiligten zum Showdown des Hauptplots zusammenkommen.

„Manila Bay“ ist aktuell leider vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich, ist aber auch heute noch ein absolut lesenswerter Krimi, der letztlich einen klassischen Plot über Korruption und Rache enthält, aber trotz seines hohen Tempos und der schnellen Schnitte interessante Geschichten und Einblicke in die philippinische Gesellschaft bereithält.

 

Rezensionen und Foto von Gunnar Wolters.

Last Call Manila | Erschienen am 14.02.2023 im Transit Verlag
ISBN 978-3-88747-399-0
210 Seiten | 22,- €
Die gelesene Ausgabe erschien als Lizenzausgabe bei der Büchergilde Gutenberg
Originaltitel: Soledad’s Sister | Übersetzung aus dem Englischen von Nico Fröba
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Wertung: 3,5 von 5

Manila Bay | Erschienen am 07.09.2000 im Unionsverlag
ISBN: 978-3-293-20190-3;
288 Seiten | nur noch antiquarisch erhältlich
Originaltitel: Manila Bay | Übersetzung aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Bibliografische Angaben
Wertung: 4 von 5

Zoran Drvenkar | Asa

Zoran Drvenkar | Asa

Du bist nicht zufällig hier gelandet.
Du hast instinktiv reagiert und Klarheit gesucht.
Sieh dich um, klarer geht es nicht.
Du befindest dich in einem zugefrorenen See, vier Meter unter dem Eis, und du hast keine Ahnung, wie es jetzt weitergeht. Du weißt nur, dass du nicht mit ihrer Gnade rechnen kannst. Nur wer Gnade erfahren hat, kann Gnade walten lassen. Das sind nicht deine Worte, das hat dein Vater zu Beginn deiner Ausbildung zu dir gesagt. Und da du noch nie mit Gnade in Berührung gekommen bist, erwartest du auch nicht, dass sich heute etwas daran ändert.
Und so löst du dich vom Seegrund und steigst auf. (Auszug E-Book Pos.19).

Autor Zoran Drvenkar macht keine Gefangenen, sondern beginnt seinen Roman mit zwei Paukenschlägen. Im 1. Kapitel führt er ein junges Mädchen ein – Asa Kolbert, 14 Jahre alt, wie wir später erfahren werden -, die sich offenbar einer monströsen Prüfung unterziehen muss. Sie ist auf der Flucht in einen zugefrorenen See gesprungen und sieht sich nun vier Jägern ausgesetzt, die vor dem Eisloch auf sie warten. In Kapitel 2 ist es dreißig Jahre später: Asa hat ein Treffen mit ihrem Paten, einem einflussreichen Rüstungsunternehmer, in einem Skilift in Finnland. Sie haben sich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen, es gibt ein Zerwürfnis, es geht um den Tod von Asas Vater vor 29 Jahren. Am Ende der Begegnung ist Asas Pate tot und es ist klar: Asa ist auf einer Rachemission.

Und so beginnt ein Familienepos, das Drvenkar auf 700 Seiten genüsslich und detailliert ausbreitet. Wir erfahren schnell, dass Asas Vater ermordet wurde, dass sie selbst nur knapp mit dem Leben davonkam und was ihre Großeltern und der Rest der Familie damit zu tun haben. Doch das war noch längst nicht alles, das Bedürfnis nach Rache ist noch viel stärker und nach und nach werden weitere Hintergründe enthüllt. Große Zeitsprünge werden gemacht, bis in die Zeit vor und während des ersten Weltkriegs. Die Familiengeschichte der Kolberts spielt eine große Rolle in diesem Roman, zweimal hat die Familie großes Leid erfahren und hat daraus gelernt, dass man sich nur auf selbst verlassen kann und dass man sich wappnen muss, um in der Welt zu bestehen. Daraus resultierend werden die Kinder der Familie und befreundeter Sippen mit großer Härte einem Überlebenstraining inklusive realistischer Prüfung ausgesetzt. Ein Ritual, das die Überlebensfähigkeit der Teilnehmenden auch in Ausnahmesituationen herstellen soll, das aber mit großer Gewalt und Rücksichtslosigkeit einhergeht. Etwas, was Asa nicht mehr akzeptieren will.

Viel mehr sollte man über den Inhalt nicht verraten. Der Roman ist ein Epos, das mehr als 100 Jahre umspannt und bei dem es hin und her und vor und zurück geht. Um Asas Rachefeldzug zu verstehen, wird ganz tief in der Historie gekramt. Erzählt wird die Geschichte übrigens in weiten Teilen von Jasper, Asas Mann, sodass in Asas Kapiteln ungewöhnlicherweise in der 2. Person Singular erzählt wird. Ein Stilmittel, dass der Autor allerdings regelmäßig verwendet.

Du lächelst nicht. Ich weiß, warum du nicht lächelst. In den letzten Tagen ist dir bewusst geworden, dass es für dich kein Zurück mehr gibt. Alle Türen sind hinter dir zugefallen, als du dich bei dem Mord an deinem Paten hast filmen lassen. Damit hast du deine eigene Endlichkeit betreten. (Auszug E-Book Pos.3307)

Zoran Drvenkar hat sich lange Zeit gelassen, um wieder einen Roman für das erwachsene Publikum zu verfassen. Seit „Still“ vor etwa zehn Jahren wurde von ihm nichts mehr in diesem Bereich veröffentlicht, allerdings ist Drvenkar schon immer ein Kinder- und Jugendbuchautor gewesen und hat sich seitdem eher dort getummelt. „Asa“ ist nun ein echter Schinken geworden und kein Werk, das man mal so eben einordnen kann. Die hohe Schlagzahl zu Beginn zieht sich nicht durchs ganze Werk, das wäre auch schwer machbar, sodass der Thriller zwischendurch in ein Familiendrama wechselt und wieder zurück. So oder so entfaltet er eine ungeheure Wucht, ist ein fesselnder Pageturner. Spannend ist zudem Drvenkars Umgang mit seinen Figuren, denen er enorm viel Schmerz und Trauma zumutet und die eine gewisse Unnahbarkeit und Undurchschaubarkeit umgibt, obwohl man teilweise tief in ihre Seelen eindringt.

Die Kritiker sind jedenfalls begeistert und wählten „Asa“ direkt auf die Nummer 1 der Krimibestenliste. Auch ich kann diesen Roman über Familienbande, Traumata, Schmerz, Wut und Rache wärmstens empfehlen. Warum ich trotzdem nicht die Höchstwertung vergebe? Vor allem sind mir ein paar Details aus der Familienchronik dann doch zu konstruiert und außerdem hat mich eine Sache massiv irritiert. Die Familie Kolbert siedelt sich nach dem 1. Weltkrieg in der Uckermark an, die beschriebene Landschaft ist allerdings eher gebirgig und erinnert mich an einigen Stellen überhaupt nicht an die allerhöchstens hügelige Uckermark. Das hat mich permanent gestört. Aber möglicherweise hatte der Autor dazu einen Hintergedanken? Das wäre interessant zu erfahren.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Asa | Erschienen am 18.08.2025 im Suhrkamp Verlag
ISBN 987-3-518-47511-9
700 Seiten | 23,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-518-78387-0 | 19,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

James Lee Burke | Clete (Band 24)

James Lee Burke | Clete (Band 24)

Das Attribut „lebende Legende“ wird allzu oft inflationär gebraucht. Im Krimigenre gibt es allerdings einen Mann, bei dem diese Ehrerbietung ohne Zweifel angebracht ist. James Lee Burke ist inzwischen 88 Jahre und scheinbar kein bisschen müde. Über vierzig Romane und Erzählbände hat er inzwischen veröffentlicht und auch im hohen Alter veröffentlicht er zuverlässig jedes Jahr einen neuen Roman. Hinzu kommt die weiterhin große Wertschätzung, die Burke unter den Leser:innen, Kritiker:innen und Kolleg:innen genießt. Sein historischer Roman „Flags On The Bayou“ (erscheint in wenigen Tagen in deutscher Übersetzung als „Im Süden“) gewann im letzten Jahr sogar einen Edgar Award, zum dritten Mal in seiner schriftstellerischen Karriere. Ebenfalls 2024 wurde er beim britischen Dagger für sein mit dem „Diamond Dagger“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Herausregend in Burkes Schaffen ist sicherlich die Reihe um den hartgesottenen Cop/Privatermittler Dave Robicheaux aus New Orleans und New Iberia in Louisiana. Die Reihe gehört auch zu meinen absoluten Favoriten und wurde hier auf dem Blog regelmäßig gewürdigt. Eigentlich war man davon ausgegangen, dass Band 23 „A Private Cathedral“ (Dt. „Verschwinden ist keine Lösung“) aus dem Jahr 2020 den Abschluss der Reihe bildet. Doch James Lee Burke hatte anderes im Sinn und hat sich eines oft vorgetragenen Wunsches von Fans der Reihe erinnert: Eine Geschichte aus der Sicht von Clete Purcel, des unerschrockenen, treuen Freundes von Dave. Wie Burke in einem Interview mit David Masciotra auf crimereads.com zugibt, war er immer davon ausgegangen, dass eine Geschichte mit Clete ohne Dave nicht funktioniert, weil beide zwei Seiten derselben Medaille seien. Auf das Offensichtliche, dass Dave gar nicht wegbleiben müsse, sei er lange gar nicht gekommen.

Nun hat dies nachgeholt und das Werk auch schlicht „Clete“ genannt. Es spielt chronologisch in den 1990ern, irgendwo angesiedelt bei den Bänden 5-10. Die Geschichte beginnt damit, dass irgendwelche schräge Typen Cletes Cadillac Eldorado auseinandernehmen, ehe Clete dazukommt und es in einer wüsten Prügelei endet. Der Eldorado war kurz zuvor in einer Autowäscherei und scheinbar hat sich irgendjemand den Wagen ausgeliehen, um etwas zu transportieren. Es ist nicht ganz klar, was da Illegales verschoben wurde, aber Clete ist vor allem alarmiert, weil ein Neonazi und Antisemit sowie ein neureicher Unternehmer in die Sache verwickelt scheinen. Irgendwann schaltet sich auch ein Ermittler des FBI ein, der Clete und Dave eröffnet, dass es wohl um einen hochgradig tödlichen Kampfstoff handelt, den diese Gruppe offenbar freisetzen will.

Ohne eigenes Zutun, was in meinem Leben selten genug vorkam, war ich zu einem Ziel geworden. Ich hatte einfach nur meinen Eldorado Cadillac in Eddys Waschanlage gebracht, und jetzt könnten unschuldige Menschen deswegen verletzt oder getötet werden. Wie konnte das sein? Es war, als hätte man sich einen Kaugummi aus einem Automaten gezogen und dabei versehentlich eine Zyanidkapsel erwischt. (Auszug S. 98-99)

Die ganze Geschichte ist – wie üblich bei Burke – natürlich etwas verzwickter, es spielen noch diverse Frauen eine Rolle, eine female sheriff, eine undurchsichtige Nachtclubtänzerin, eine verschleppte, asiatische Drogenabhängige, eine Filmproduzentin – und Jeanne d’Arc. Denn bei James Lee Burke ist auch auf eines Verlass, es geht immer auch ein Stück mystisch und transzendent zu. Von Dave Robicheaux ist das ja bekannt, doch diesmal wird Clete Purcel regelmäßig von Visionen der Jungfrau von Orleans heimgesucht.

Obwohl der Roman in den 1990ern spielt, bleiben die Themen hochaktuell. Drogenhandel, Sexhandel, Hassverbrechen und insbesondere Antisemitismus. Ein Thema, bei dem Clete Purcel ganz allergisch reagiert, hat er doch als Mahnung ein aus einer Zeitschrift herausgerissenes Foto immer bei sich, dass eine Mutter mit ihren Kindern auf dem Weg in ein Konzentrationslager zeigt. James Lee Burke erzählt in dem Interview, dass er sich Sorgen um sein Amerika macht, den Hass auf Einwanderer, eine Tendenz in Richtung Faschismus, geschürt von Donald Trump, den er offen einen Psychopaten nennt.

Stilistisch ist „Clete“ tatsächlich einen Tick anders erzählt, ein wenig geradliniger und weniger lyrisch, Clete als Ich-Erzähler ist direkter, spricht mehr mit dem Leser. Trotzdem bleibt es eine starke, kraftvolle „hardboiled novel“, die sich in der Reihe nicht verstecken muss. Und auch wenn Clete nun der Ich-Erzähler ist, bleibt es ein Robicheaux-Roman, denn die beiden, sowas wie Don Quijote und Sancho Panza Louisianas, die Jugend von heute würde einfach Ehrenmänner sagen, gehören einfach fest zusammen.

Dave kratzte sich am Hals und blieb einfach stehen.
„Was ist los?“ „Ich ertrage diesen Kerl nicht. Ich bleibe draußen.“
„Weißt du noch, was du über Pronomen gesagt hast?“, fragte ich. „Es gibt kein ‚du‘ und kein ‚ich‘. Es gibt nur die Bobbsey Twins von der Mordkommission.“ (Auszug S. 43)

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Clete | Erschienen am 03.09.2025 im Pendragon Verlag
ISBN 987-3-86532-908-0
346 Seiten | 24,- €
Originaltitel: Clete | Übersetzung aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen I: Weitere Rezensionen zu Romanen von James Lee Burke
Weiterlesen II: Interview mit James Lee Burke auf crimereads.com